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Kuhstallgeschichten Teil 3: Im Rhythmus der Kühe

Wie erlebt eine Wiedereinsteigerin in die Milchviehhaltung die tägliche Stallarbeit? Susanne Gnauk, ehemalige Redakteurin der Bauernzeitung, berichtet über ihr neues Berufsleben – Teil 3: Es wird viel über Effizienz geredet in der Milchproduktion, gleichzeitig von Tierwohl. Geht das zusammen?

Von Susanne Gnauk, Landboden Wolde

Es ist kurz nach Mitternacht. Im Kuhstall der mecklenburgischen Landboden-Wolde GmbH steht die letzte Gruppe mit den Frischabkalbern und zu behandelnden Tieren im Melkstand. Langsam läuft das dickflüssige gelbe Kolostrum einer neuen Erstabkalberin in die Kanne. Die Färse hatte nachmittags ein kräftiges Kalb zur Welt gebracht. Jetzt steht sie mit erhobenem Kopf und nervösem Ohrenspiel zwischen den älteren Kühen zum ersten Mal auf dem Melkstand. Sie zittert.

Mit Herdenmanagerin Sandra lernt man im Melkstand vor allem Geduld. Behutsam auf sie einredend, hat sie der Jungkuh das Euter mit Melkfett eingerieben, sie vorsichtig vorgemolken und die Zitzen mit dem Euterlappen gesäubert. Dann hat sie das Melkzeug angesetzt, wobei ihre Hände und Arme den abwehrenden Schlägen der Hinterbeine der Färse geschickt ausgewichen sind. Sie redet leise mit dem Tier, streichelt immer wieder das Euter. Ihre Geduld wird belohnt. Das Melkzeug tut seinen Dienst und die Färse schlägt das ungewohnte Ding an ihrem Euter nicht ab. Klack, klack macht die Wippe im Milchauffangkasten. Saugen, Pause, Saugen, Pause. Kühe sollen sogar Ultraschall hören, hat Sandra mir bewundernd erzählt. Wie hören sich dann erst all die fremden Geräusche für die neue Kuh im Melkstand an?

Geduld im Blut

Sandra wendet sich fast entschuldigend an mich: „Ich will der Färse ein positives Gefühl mitgeben.“ Ich nicke. Klar. Mit anderen Kollegen wäre die Nachtschicht jetzt schon fast beendet. Wir müssen noch den Melkstand reinigen, die Melkzeuge, die Treibegänge, den Vorwartehof. Geschafft. Das Wasser der Spülung zischt durch die Leitungen. Die Herdenmanagerin schiebt in allen Ställen mit dem Radlader noch das Futter zu den Tieren, schaufelt den Jungrindern selbst per Hand Futter zu.

Ich setze später im Kälberdorf die Kälber an den Tränkeautomaten, die es allein noch nicht gelernt haben und schaue nach draußen. Der Himmel ist nacht-blau, erste Wolken kündigen Regen an. Zum Schluss unserer Nachtschicht sehe ich meiner Chefin zu, wie sie mit der Geduld für Tiere, die ihr im Blut zu liegen scheint, das aufgeregte, hungrige Kalb der Färse tränkt. „Ruhig. Das machst Du prima“, redet sie leise mit dem Tier. Nachts um drei sind wir zu Hause. Ich falle todmüde ins Bett.


Bullenkalb Luzifer mit Susanne Gnauk im Stall
Kleiner Star im Kuhstall: Bullenkalb Luzifer eroberte das Herz von Wiedereinsteigerin Susanne Gnauk im Sturm. (c) Sabine Rübensaat

Teil 1 der Kuhstallgeschichten: Milchviehhaltung: Zurück zu den Wurzeln

Wie erlebt eine Wiedereinsteigerin in die Milchviehhaltung die tägliche Stallarbeit? Susanne Gnauk, ehemalige Redakteurin der Bauernzeitung, berichtet künftig in loser Folge über ihr neues Berufsleben. Teil 1: Luzifer, das Bullenkalb, das keine Bananenmilch mag. mehr


Melken ist komplex

Nach zwei Nachtschichten mit Sandra fühle ich mich so eins mit mir wie lange nicht mehr. In der Tagschicht ist oft nicht so viel Zeit. Hier melke ich seit ein paar Wochen allein und das ist richtig anstrengend, schließlich habe ich gleichzeitig zweimal zwölf Plätze im Fischgrätenmelkstand zu überwachen.

Allein der Melkvorgang ist komplex: Vormelken, die Zitzen mit Euterlappen säubern, Melkzeug ansetzen, am Ende kontrollieren, ob die Kuh leergemolken ist. Anschließend die Zitzenspitzen mit einem Mittel besprühen, damit keine Keime eindringen. Dann die Melkzeuge abspritzen und desinfizieren, dafür gibt es extra Duschen im Melkstand. Und während ich noch auf der einen Seite Euter reinige, schlägt am anderen Ende des Melkstandes Jungkuh 114 das Melkzeug ab. Ich lege den Euterlappen beiseite, laufe zur 114, lege ihr erneut das Melkzeug an. Für sie ist allerdings das lästige Melken nach knapp fünf Litern beendet, sie hat aber elf Liter. Wieder fällt das Melkzeug zischend ab. Ich muss also bei der 114 bleiben, obwohl ich noch die andere Reihe ansetzen muss.

Es fühlt sich so im Melkstand an: Arme und Beine bilden eine rotierende Scheibe. Mein Hirn versucht gleichzeitig, mehrere Arbeitsprozesse auf einmal zu koordinieren und ist gefüllt mit Kuhnummern und Zahlen. Ich zähle ständig beim Melken – zum Beispiel die Euterlappen (zwölf für jede Seite), merke mir Nummern von Kühen, die ich raussortieren soll. Ich zähle selbst schon die Zitzen, während ich das Melkzeug ansetze. Eins, zwei, drei, vier, nächste Kuh, eins, zwei, drei, vier – als könnte ich eine Zitze übersehen.


Susanne Gnauk mit Fahrrad im Redaktionsbüro
(c) privat

Vom Redaktionsbüro in den Kuhstall

Susanne Gnauk war über 20 Jahre als Fachredakteurin für die Bauernzeitung und die DGS – Magazin für die Geflügelwirtschaft – dessen Redaktion sie bis 2020 leitete, tätig. In diesem Jahr nahm sie das Arbeitsangebot, das ihr die Landboden Wolde GmbH & Co. Landwirtschafts KG unterbreitete an und ging zurück zu ihren beruflichen Wurzeln: der Milchviehhaltung.


Verstehen wird sie das nicht

In der Nachtschicht mit Sandra habe ich gelernt: Kühe haben etwas Beruhigendes, wenn man sich auf ihr Wesen einlässt. Wenn eine Kuh zum Beispiel nicht in den Melkstand gehen will, weil sie laut Rangfolge noch gar nicht dran ist, aber den Eingang zum Melkstand blockiert, dann kannst du mit ihr schimpfen oder sie bitten, den Eingang freizugeben. Verstehen wird sie das nicht. Vielleicht hast du Glück und sie schenkt dir einen gelassenen Blick aus ihren unergründlich schwarzen Augen. Geht aber nicht in den Melkstand und gibt die Tür auch nicht frei. Oder schlimmer vielleicht, sie macht einen Buckel und hält den Kopf nach unten: „Was willst Du von mir, ich fühle mich in die Enge getrieben.“ Besser, du wartest etwas und stellst dich so hin, dass die Tiergruppe das von selbst regeln kann und die Kühe ihrer Rangfolge gemäß in den Melkstand gehen.

Leidenschaft für Knochenarbeit

Warten? Drei Stunden hat einmal ein Berater für das Melken unserer Herde eingeräumt, berichtete mir Sandra – inklusive Endreinigung. Bleibt grob gerechnet rund eine Minute für eine Kuh im Melkstand.

Das Wohl von Tieren hängt zuvorderst vom Management und vom Tierbetreuer ab und nicht, ob Bio davorsteht. Das ist meine Überzeugung. Darüber habe ich als Redakteurin oft geschrieben und jetzt erlebe ich es live. Fürs Tierwohl reicht eigentlich eine Minute im Melkstand pro Tier nicht aus.

Aber nicht einmal diese eine Minute pro Kuh wird anständig vergütet. Es ist häufig pure Leidenschaft, die die Betriebe davon abhält, das Milchvieh abzuschaffen, und oft ist es trotz aller Technik Knochenarbeit. Mir tun am Morgen beim Aufstehen die Hände weh oder auch der Rücken. Klar, vor rund 30 Jahren, als ich diesen faszinierenden Beruf gelernt habe, habe ich das alles besser weggesteckt. Für mich ist es trotzdem beglückend, mit diesen Tieren zu arbeiten, die unserer genormten Welt widersprechen. Jede Kuh hat ihren eigenen Rhythmus. Lässt man sich darauf ein, kommt man später nach Hause. Aber man spürt seinen eigenen Rhythmus wieder.

Was macht eigentlich Luzifer?
Bullenkalb Luzifer spielte besonders in Teil 1 der Kuhstall-Geschichten eine besondere Rolle – und ist der ehemaligen Redakteurin der Bauernzeitung ans Herz gewachsen (r.). Inzwischen ist Luzifer acht Monate alt und steht jetzt mit anderen Kälbern im Jungrinderstall. Die Bindung zwischen ihm und Susanne Gnauk ist aber dabei nicht verloren gegangen: „Wenn ich dort vorbeischaue und ihn rufe, dann kommt er auch zu mir und lässt sich wie eh und je von mir liebkosen.“


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