Schweinehalter Stefan Wille genannt Niebur im umgebauten, offenen Deckzentrum. (c) Sabine Rübensaat

Wo ist der Ausweg?

Schweinehalter Stefan Wille genannt Niebur hat bisher auch in der Dunkelheit immer noch Licht gesehen. Doch schlechte Schweinepreise, teures Futter, Erlösverluste, Corona und ASP-Gefahr zerren an den Nerven.

Von Gerd Rinas

„Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Schweinen?“ Der Mann, der mich am Eingang der Sauenanlage begrüßt, will kein Risiko eingehen. Erst als Stefan Wille genannt Niebur sich vergewissert hat, dass von mir wohl keine Übertragungsgefahr ausgeht, lässt er mich ein.

„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“

Die Gefahr der Afrikanischen Schweinepest ist real. Als wenn die Lage nicht schon angespannt genug wäre! Die Worte von Linus Wille genannt Niebur, seinem Sohn, auf der Bauernkundgebung vor der Schweriner Staatskanzlei Ende Januar haben viele Landwirte aufgeschreckt. Die Schweinepreise sind im Keller, Exportbeschränkungen und Corona haben die Nachfrage nach Schweinefleisch endgültig einbrechen lassen. Bis zu 36.000 Euro Verlust bringe ihre Schweinehaltung jeden Monat ein. Änderung sei nicht in Sicht, hatte sein Sohn in Schwerin öffentlich gemacht. „Wir haben schon einiges erlebt. Aber so wie es jetzt ist, das gab es noch nicht. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, lässt Stefan Wille-Niebur durchblicken.

Im geschlossenen System

Der Landwirt hält Schweine im geschlossenen System: In Liessow zwischen Warin und Schwerin betreuen Betriebsleiterin Claudia Wiese und Tierwirt David Schädlich in einer teilmodernisierten Anlage 630 Sauen. Nach etwa 70 Tagen kommen die 30 kg schweren Läufer in die Mastställe nach Plate und Weitendorf, beide mit jeweils 2.800 Plätzen. Mit 31,2 abgesetzten Ferkeln je Sau und Jahr, 480 bis 500 g Tageszunahmen und zwei Prozent Verlust schaffen die beiden jungen Mitarbeiter in der Ferkelaufzucht überdurchschnittliche Leistungen. Auch die Ergebnisse in der Mast können sich sehen lassen: 900 g Tageszunahmen und 1,5 % Tierverluste sind hier Standard.

Bei jedem Schwein wird Geld dazugegeben

Trotzdem kommen Ferkelerzeuger und Mäster schon lange nicht mehr auf ihre Kosten: Stefan Wille-Niebur ist Mitglied im Schweinekontroll- und Beratungsring MV. Im Wirtschaftsjahr 2020/2021 erlösten die Sauenhalter pro Ferkel 47,54 Euro – bei Produktionskosten von 58,40 Euro. Aktuell bekommen die Ferkelproduzenten bei einem Notierungspreis von 23 Euro mit Zuschlägen noch 40 Euro für ein 30 Kilo schweres Ferkel. Dabei schlagen jetzt 2,57 Euro höhere Sauen- und 2,18 Euro höhere Ferkelfutterkosten pro Tier zu Buche. 40 Euro Erlös stehen nun schon 63,15 Euro Produktionskosten gegenüber. „Die Differenz hat sich gegenüber dem Wirtschaftsjahr 2020/21 von 10,86 auf 23,15 Euro pro Ferkel verschlechtert“, rechnet Wille-Niebur vor. Pro verkauftem Mastschwein verliert der Landwirt derzeit 44,65 Euro.

Betreuen 630 Sauen mit großem Erfolg: Agrarbetriebswirtin Claudia Wiese  und Tierwirt David Schädlich.
Betreuen 630 Sauen mit großem Erfolg: Agrarbetriebswirtin Claudia Wiese und Tierwirt David Schädlich. (c) Sabine Rübensaat

Hauptursache für dieses auf Dauer untragbare Ergebnis ist der schlechte Schlachtschweinepreis. „2019 und 2020 profitierten wir von der großen Nachfrage aus China. Dort war 2018 Afrikanische Schweinepest ausgebrochen. Der Markt saugte praktisch alles auf“, erinnert sich Wille-Niebur. Im März 2020 stiegen die Schlacht-schweinepreise auf 2,02 Euro pro Kilo Schlachtgewicht. „Es war der Hammer. Jedem war klar, dass es nicht ewig so weitergehen würde. Doch dass die Chinesen die Lage so rasch in den Griff kriegen würden, hätten wohl nur die wenigsten erwartet“, so der Landwirt.

Als dann Corona und ASP in Deutschland ausbrachen, war es mit dem Preisfeuerwerk auf dem Schweinemarkt vorbei. „Die Nachfrage brach ein, dann gingen auch noch die Futterkosten ab. Im Oktober 2021 landeten wir bei einem Schweinepreis von 1,23 Euro pro Kilo Schlachtgewicht. Aktuell werden 1,20 Euro notiert. Um wenigstens die Kosten zu decken bräuchten wir aber mindestens 1,67 Euro“, hat Wille-Niebur kalkuliert.

Kurs gehalten in orientierungsloser Zeit

Wie in vielen Schweinehalterfamilien wächst auch hier in Plate die Unruhe. „Die Gespräche am Abendbrottisch drehen sich fast nur noch um den Betrieb, um gestiegene Futterkosten, Erlöseinbußen, Corona und ASP. Wo ist der Ausweg? Alle möglichen Handlungsszenarien werden diskutiert“, so Stefan Wille-Niebur. Tatsächlich hat er in den vergangenen Jahren trotz mangelnder Orientierung und quälend langer Meinungsbildung in der Politik immer wieder selbst Entscheidungen getroffen, um die Zukunft des Betriebes abzusichern.

Nach dem Urteil des Magdeburger Oberverwaltungsgerichts zum Kastenstand im November 2016 hat der Landwirt Geld in die Hand genommen – und umgebaut. Im Wartestall werden die Sauen nun in Gruppen gehalten. Im Deckzentrum hat er die alten engen Kastenstände durch breitere ersetzt, die sich öffnen lassen, sodass die Sauen auch hier frei laufen können. 20.000 Euro hat der Landwirt dafür ausgegeben.

Abferkelung: Beinahe voll reingetappt

„Eigentlich wollten wir auch gleich die Abferkelung neu gestalten. Die Bauzeichnungen waren fertig, die neuen Buchten hatten eine Nettofläche von 6,2 Quadratmetern. Doch eine Stimme, die es gut mit uns meinte, riet uns, die neue Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung abzuwarten. Das war goldrichtig: In der Verordnung sind 7,2 Quadratmeter Netto-Buchtenfläche vorgeschrieben. Wir wären voll reingetappt, hätten 1,2 Millionen Euro verbrannt. Jetzt müssen wir auf bessere Zeiten zum Finanzieren warten“, bedauert der 49-Jährige.

Bisher hat Stefan Wille-Niebur sich meist selbst geholfen: 15.000 Euro hat er investiert, um in den Mastställen die Buchten zu vergrößern und den Schweinen Heu anzubieten. Damit erfüllt er die Voraussetzungen, um an der Initiative Tierwohl teilzunehmen. Der Zuschlag von 5,28 €/Tier bzw. 125 € pro 97-kg-Schlachtschwein rettet das Betriebsergebnis nicht, ist aber eine gern gesehene zusätzliche Einnahme. „Ich hoffe, dass sie nicht nach kurzer Zeit wie beim Qualitätssiegel QS eingepreist wird“, so der Landwirt.

Ausstieg aus Schweinehaltung bisher keine option

Der Ausstieg aus der Schweinehaltung ist für ihn bisher keine Option. Eine Ausstiegsprämie wäre für ihn die allerletzte Wahl. Der Schweinehalter sieht die neuen Regierungen in Berlin und Schwerin in der Pflicht, Rahmenbedingungen zu entwickeln, die eine wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltige Schweinehaltung in Deutschland möglich machen. „Dazu sind rasche und eindeutige Entscheidungen nötig, wie es mit der Tierhaltung in Bund und Land weitergehen soll.“

Seine Schweine vermarktet Stefan Wille-Niebur an Westfl eisch in Coesfeld,  Nordrhein-Westfalen. Derzeit setzt der Landwirt pro verkauftem Mastschwein 44,65 € zu.
Seine Schweine vermarktet Stefan Wille-Niebur an Westfleisch in Coesfeld, Nordrhein-Westfalen. Derzeit setzt der Landwirt pro verkauftem Mastschwein 44,65 Euro zu. (c) Sabine Rübensaat

Handlungsoptionen liegen auf dem Tisch

Mit dem Borchert-Plan lägen praxisnahe Handlungsoptionen auf dem Tisch. „Jetzt muss zügig die Finanzierung geklärt werden“, fordert der Landwirt. Es sei gut, wenn Ideen und Ansätze breit diskutiert würden. „Irgendwann müssen aber Nägel mit Köpfen gemacht werden.“ Neben der Politik habe der Lebensmitteleinzelhandel interessante Projekte auf den Weg gebracht, findet Stefan Wille-Niebur. Er sieht Großverbraucher und Gastronomie als Partner der Landwirte, z. B. bei der Vermarktung regionaler Produkte. „Wenn es stimmt, was uns viele Umfragen sagen, dass Verbraucher bevorzugt Produkte aus der Region kaufen wollen, dann müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass sie diese Produkte kriegen.“

Dafür das Marketing und Preismodelle zu entwickeln und am Markt einzuführen, wäre lohnenswert. Es könnte dazu beitragen, Verbraucherwünsche zu erfüllen und gleichzeitig Erzeugerpreise zu stabilisieren“, sagt der Landwirt, der 2008 mit seiner Familie aus dem niedersächsischen Essen-Oldenburg nach Plate in Mecklenburg-Vorpommern wechselte und hier die Familientradition fortsetzt. Willes genannt Nieburs betreiben nachweislich seit 1406 Landwirtschaft. Stefan Wille-Niebur ist entschlossen, durchzuhalten. Er will den Betrieb mit den drei Standorten später an seinen Sohn Linus übergeben. Der 21-Jährige absolviert derzeit an der Fachschule für Agrarwirtschaft in Güstrow-Bockhorst seine Ausbildung zum Staatlich geprüften Agrarbetriebswirt.


Karsten Ilse im leeren Stall.
(c) LBV

Afrikanische Schweinepest: Karsten Ilse gibt Schweinemast auf

Nach 24 Jahren Schweinemast sind seit heute die Ställe von Karsten Ilse leer. Bereits im November hatte der Landwirt beschlossen die Schweinehaltung in Letschin (Oderbruch) aufzugeben, da wegen der Afrikanischen Schweinepest (ASP) die Verluste für Mäster in der ASP-Restriktionszone zu groß waren. mehr


Schweinehaltung: Wann fließen die Coronahilfen?

Im Januar hat der Landwirt den Kontakt zu seiner Hausbank intensiviert und einen Kredit in sechsstelliger Höhe verhandelt. „Unser Unternehmen ist gesund. Wir sehen uns durch widrige Umstände in Not.“ Tatsächlich hat Corona die fehlende Nachfrage nach Schweinefleisch auf Volksfesten, Weihnachtsmärkten und in Gaststätten einbrechen lassen. „Andere Branchen werden mit Überbrückungshilfen unterstützt. Wir haben bisher keinen Cent gesehen“, so Wille-Niebur enttäuscht.

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Man gehe davon aus, dass die Coronahilfen für Schweinehalter zu Wochenbeginn beim Besuch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei seinem Schweriner Amtskollegen Reinhard Meyer zur Sprache kommen werden, hieß es am Freitag vorvergangener Woche beim Bauernverband MV. Das Thema sei am Montag im Gespräch zwischen den Ministern Habeck und Backhaus aufgenommen worden, teilte am Dienstag eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums auf Anfrage der Bauernzeitung mit. Der Umgang mit Anträgen aus der Schweinehaltung in der Überbrückungshilfe befinde sich „in der Klärung zwischen Bund und Ländern“. Ob und wann Schweinehalter Hilfen wegen coronabedingter Umsatzeinbußen erhalten, bleibt weiter ungewiss.

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