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Lösungen finden statt Sündenböcke suchen

Der Rückgang der Insektenpopulation ist durch Studien belegt, die Debatte um das „Insektensterben“ jedoch voll von Missverständnisse und Schuldzuweisungen. Schnell wird mit den Finger auf die Landwirtschaft als alleinigen Schuldigen gezeigt – doch das ist weder zutreffend noch löst es das Problem.

Es kommentiert Karsten Bär

Als vor knapp drei Jahren die Krefelder Studie zum Insektenschwund für medialen Wirbel sorgte, kamen unter Landwirten schnell auch Zweifel an der Aussagekraft der Untersuchung auf. Zu fragen, wie allgemeingültig die Ergebnisse sind und wie geeignet die Methodik, war durchaus berechtigt. Doch jene, die in der Landwirtschaft schnell den Schuldigen für das Insektensterben ausgemacht hatten, focht das nicht an.

Noch heute kursiert das Missverständnis, die Insektenpopulation in Deutschland sei innerhalb von 30 Jahren um 75 Prozent geschrumpft. Auch eine Verantwortung der Landwirtschaft gilt vielen als belegt – was die Studie lediglich als Vermutung formulierte. Angesichts dessen erlagen einzelne Landwirte ihrem Abwehrreflex und erklärten gleich das ganze Thema „Insektensterben“ zum Phantom. Was die andere Seite wiederum als Mangel an Einsicht wertete.

Die bisher umfassendste Analyse des Insektenrückgangs hat jetzt indes bestätigt, dass die Krefelder Studie ein reales Problem aufgezeigt hat. Eine Auswertung von fast 170 Langzeitstudien an mehr als 1.600 Orten der Welt unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig ergab, dass der Bestand landlebender Insekten tatsächlich rückläufig ist. Und dies in Deutschland sogar stärker als im globalen Durchschnitt.

Gleichzeitig aber wächst der Bestand an Insekten, die ihr Leben zeitweise im Wasser verbringen. Die Entwicklung ist also nicht so einheitlich. Auch lokal gibt es verschiedene Trends. Abschließende Aussagen darüber, was den Rückgang verursacht und was den Anstieg von Populationen begünstigt, lassen sich noch immer nicht treffen.

Hinweise auf mögliche Ursachen für den Rückgang gibt es dennoch. An erster Stelle nennen die Studienautoren – nein, nicht die Landwirtschaft, sondern die zunehmende Verstädterung, die mit der Zerstörung natürlicher Lebensräume einhergehe. Das klingt plausibel, denn der stete Zuwachs an Verkehrs- und Siedlungsfläche ist unstrittig. Beton und Asphalt bieten Insekten weder Nahrung noch Lebensraum. Und die in Mode gekommenen Schottergärten, die frei von Bewuchs und vermeintlich pflegeleichter sind, haben für Insekten ebenfalls keinen Wert. Dass man in Baden-Württemberg solchem steingewordenen Vorgarten-Grauen jetzt einen Riegel vorschieben will, ist nicht nur für den guten Geschmack ein Gewinn.


Insektensterben: Von Ort zu Ort verschieden

Eine Meta-Analyse zahlreicher Langzeitstudien belegt den globalen Rückgang von an Land lebenden Insekten. Als eine Ursache sieht das Forscherteam die zunehmende Verstädterung an. mehr


Dennoch dürfte jedem bewusst sein, dass auch die Art und Weise der Landbewirtschaftung Einfluss auf den Insektenbestand hat. Hier gilt es für die Landwirte, sensibel zu bleiben. Das Thema hat in der Praxis der Betriebe bereits einigen Stellenwert erreicht. Die immer zahlreicheren Blühflächen sind nur ein Beispiel dafür. Was nicht heißen soll, dass die Möglichkeiten der Landwirte, auf ihren Flächen Insekten zu fördern und zu schützen, bereits ausgereizt wären.

VOrschnelle Schuldzuweisungen

Noch etwas sollte die Kritiker der Landwirtschaft aus Politik und NGOs nachdenklich stimmen: Der iDiv-Analyse zufolge traten die größten Rückgänge an Insekten in den letzten 15 Jahren auf – in einer Zeit also, in der Landwirte zunehmend Schutzmaßnahmen zu realisieren begannen, zugleich die gesetzlichen Vorgaben für sie tendenziell verschärft wurden (und, nebenbei bemerkt, sich auch der Anteil an ökologisch bewirtschafteten Flächen deutlich ausweitete).

Vielleicht ist die reflexhafte Schuldzuweisung an die Landwirte doch etwas vorschnell und maßgebliche Ursachen liegen ganz woanders? Ein Sündenbock ist zwar schnell gefunden. Eine Lösung für das Problem ist das aber nicht.

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Lesen Sie mehr zu diesem Thema in der Ausgabe 31 der Bauernzeitung.

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