(c) Sabine Rübensaat

Insektensterben: Trend unterscheidet sich von Ort zu Ort

Eine Meta-Analyse zahlreicher Langzeitstudien belegt den globalen Rückgang von an Land lebenden Insekten. Als eine Ursache sieht das Forscherteam die zunehmende Verstädterung an.

Offenbar schließt das „Insektensterben“ keine zeitweiligen „Insektenplagen“ aus. Kürzlich wurde über ein ungewöhnlich hohes Aufkommen an Stechmücken entlang der Oder in Brandenburg berichtet. Eine mehrwöchige Mückenplage sei zu erwarten, meldeten mehrere Medien. Sie beriefen sich dabei auf Wissenschaftler des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung Müncheberg (Zalf). Das Zalf forscht auch zur Verbreitung von Mücken und erstellt mit bundesweiter Bürgerbeteiligung einen „Mückenatlas“ für Deutschland.

Das Auftreten der blutsaugenden Plagegeister, das mit der in diesem Jahr für Mücken günstigeren Witterung begründet wird, mag manchen in seinen Zweifeln am „Insektensterben“ bestätigen. Ein Beleg dafür, dass in der Welt der Kerbtiere alles in Ordnung sei, ist diese regionale Mückenplage indes nicht.


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Zwar gibt es durchaus plausible Kritik etwa an der sogenannten Krefelder Studie zum drastischen Rückgang an Fluginsekten, die seinerzeit die Diskussion um das Insektensterben befeuerte. Doch eine Vielzahl an Untersuchungen bestätigt in der Zusammenschau den Trend: Das Insektensterben ist real. Darauf wies kürzlich das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig hin, das die bisher umfassendste Meta-Analyse von Studien zu Insektenbeständen durchgeführt hat. Allerdings ist das Bild nicht einheitlich. Es offenbart selbst zwischen nahe gelegenen Orten große lokale Unterschiede – und bietet keinesfalls Veranlassung zu einseitigen Schuldzuweisungen an die Landwirtschaft.

Umfassende Auswertung

Die Analyse weltweiter Langzeitstudien zeigte, dass der Bestand landlebender Insekten zurückgeht. Zugleich aber ist die Zahl der Insekten gewachsen, die an Süßwasser gebunden sind. Dazu zählen beispielsweise Libellen, Wasserläufer oder Köcherfliegen. Diesen durchschnittlichen, globalen Trends stünden sehr unterschiedliche Entwicklungen vor Ort gegenüber, konstatiert das Forschungszentrum iDiv. Die Daten, die das internationale Forscherteam unter Leitung des iDiv und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) auswertete, stammten aus 166 Langzeitstudien, die an weltweit 1.676 Orten erhoben wurden. Die Datensätze umfassten Untersuchungsreihen von neun bis 80 Jahren. Die mittlere Untersuchungsdauer betrug 19 Jahre.


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Im globalen Durchschnitt gingen der Auswertung zufolge landlebende Insekten wie Schmetterlinge, Heuschrecken oder Ameisen um 0,92 % pro Jahr zurück. Dies klinge zunächst einmal nach nicht viel, so Dr. Roel van Klink, der bei iDiv forscht und als Erstautor der Studie genannt wird, die kürzlich in der Fachzeitschrift „Science“ erschien. „Aber es bedeutet 24 Prozent weniger Insekten über 30 Jahre und sogar eine Halbierung über 75 Jahre. Der Rückzug der Insekten findet leise statt – in nur einem Jahr bemerken wir das nicht.“ Am deutlichsten betroffen vom Insektenrückgang waren dabei Teile der USA und Europa. In Deutschland waren die Verluste landlebender Insekten mit ca. 19 % pro Jahrzehnt deutlich gravierender als der globale Durchschnitt von rund neun Prozent pro Jahrzehnt. Die negativen Trends haben sich in Europa in den letzten Jahren verstärkt: Die größten Rückgänge wurden hier seit 2005 beobachtet.

Zuwachs am Wasser

Zwar haben die oft angebrachten Anekdoten über Auto-Windschutzscheiben, an denen heute weniger tote Insekten kleben als noch vor Jahren, keine wissenschaftliche Aussagekraft. Doch Professor Jonathan Chase, Forscher bei iDiv und der MLU sowie Letztautor der Studie, kann sie mit Ergebnissen der Analyse unterlegen. „Wir konnten zeigen, dass fliegende Insekten im Schnitt tatsächlich weniger geworden sind“, so der Forscher. „Aber die meisten Insekten sind nicht augenfällig und leben im Verborgenen – im Boden, in Baumwipfeln oder im Wasser.“ Aus den Daten gehe hervor, dass heute weniger Insekten in Bodennähe leben als früher, ähnlich wie in der Luft. Im Gegensatz dazu sei die Zahl der Insekten, die in Bäumen leben, im Schnitt unverändert.

Die Studie ergab aber auch, dass gleichzeitig die Zahl der Insekten, die ihr Leben zeitweise im Wasser verbringen, im Durchschnitt um 1,08 % pro Jahr beziehungsweise rund 11 % in zehn Jahren gestiegen ist. Chase hält das für ein gutes Zeichen: „Die Zahlen zeigen, dass wir die negativen Trends umkehren können. In den letzten 50 Jahren wurde weltweit viel getan, um verschmutze Flüsse und Seen wieder zu säubern. Dadurch haben sich möglicherweise viele Populationen von Süßwasserinsekten erholt. Das stimmt zuversichtlich, dass wir die Trends auch bei Populationen umkehren können, die momentan zurückgehen.“


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Dieser Einschätzung schließt sich auch Erstautor Roel van Klink an. Er ergänzt: „Es ist allerdings nicht immer leicht, die Ursachen für die Rückgänge und somit die effektivsten Gegenmaßnahmen auszumachen. Diese können auch von Ort zu Ort anders aussehen.” Das bestätigt Co-Autorin Ann Swengel. Sie erforscht seit 34 Jahren die Schmetterlingspopulationen an hunderten Orten in den USA. Die beobachteten Trends seien komplex, betont die Wissenschaftlerin. „Wir verzeichnen starke Rückgänge, auch an vielen geschützten Orten. Aber wir haben auch beobachtet, dass es Schmetterlingen an einigen Standorten gut geht.“ Es brauche Jahre und viele Daten, um sowohl die Erfolge als auch die Misserfolge zu verstehen. Dabei müsse jede Art und jeder Ort für sich betrachtet werden.

Schutzgebiete könnten helfen

Die Ursachen der verschiedenen positiven wie negativen Trends können die an der Meta-Analyse beteiligten Forscher nicht mit Sicherheit benennen. Den Daten könnten jedoch Hinweise entnommen werden, zeigt sich das Forscherteam überzeugt. So deute sich an, dass der Rückgang landlebender Insekten mit zunehmender Verstädterung einhergehe, durch die natürliche Lebensräume zerstört würden. Auch Lichtverschmutzung und Chemikalienbelastung könnten Ursachen sein. Nicht beobachtet werden konnten hingegen einheitliche Effekte des Klimas auf die Insektenhäufigkeit.


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Ob veränderte Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen Einfluss auf die Insektenvorkommen hat, ließ sich in der Studie weder be- noch widerlegen. Hierzu lägen zu wenige Detailinformationen zu Bewirtschaftung und Management dieser Fläche vor, wie das Autorenteam erklärt. Es zeigte sich jedoch, dass in Schutzgebieten ein geringerer Rückgang landlebender Insekten zu beobachten ist, als außerhalb dieser Gebiete. Schutz und Wiederherstellung von Lebensräumen könnten somit effektive Mittel sein, um den Rückgang der Insekten zu stoppen. Jedoch gebe es auch in Schutzgebieten negative Trends, was zeige, dass momentane Managementstrategien nicht ausreichten, um Rückgänge zu verhindern.


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