Brandbrief von Landwirtschaftsministerin: Missbrauch ohne Halt?

Die nötigen Gegenmittel sind vorhanden, werden aber zu wenig genutzt, lautet der Vorwurf aus dem Hause Klöckner. Zugleich legt die Ressortchefin einen Katalog mit elf unerledigten Aufgaben vor. (c) Sabine Rübensaat

Gegen Preistreiber am Bodenmarkt tun die Länder nicht genug, meint die Bundesministerin. Und setzt damit vor allem Retourkutschen in Gang.

Von Frank Hartmann und Ralf Stephan

Mit einem Brandbrief hat Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner die Länder aufgefordert, mehr Verantwortung für eine zukunftsfähige Agrarstruktur zu übernehmen. Aus ihrer Sicht tun die Agrarministerinnen und -minister in den Bundesländern zu wenig, um die Landwirtschaft vor Preismissbrauch bei Kauf- und Pachtverträgen zu schützen und Wettbewerbsvorteile außerlandwirtschaftlicher Investoren abzubauen.

„Mit den bestehenden Preismissbrauchsregelungen verfügen die Länder grundsätzlich über geeignete Instrumente, es mangelt jedoch an deren konsequenter Anwendung“, heißt es in einem dem Schreiben beigefügten Papier, das unter der Überschrift „Ackerland in Bauernhand“ Grundzüge einer „Initiative für einen gerechten Bodenmarkt“ aus dem Bundesministerium enthält.

Länder besitzen die gesetzliche Kompetenz

Klöckner erinnert die Länder in ihrem Brief an ihre Zuständigkeit, um offensichtliche Defizite im Bodenrecht zu beseitigen. Dies gelte für die Regulierungslücken bei Anteilskäufen mit Agrarflächen im Grundstückverkehrsgesetz ebenso wie bei der Anzeigepflicht für Pachtverträge im Landpachtverkehrsgesetz.

Zudem liege es im Ermessen der Länder, die Spekulationsschwellen für Agrarflächen bei Kauf- und Pachtverträgen zu verschärfen und strengere Preismissbrauchsregelungen konsequent zu vollziehen. Unterstützung erhofft sich die Ministerin schließlich bei ihrem Ziel, die Umgehung der Grunderwerbsteuer durch Investoren zu beenden und die doppelte Grunderwerbsteuer bei Durchsetzen des Vorkaufsrechts für Landwirte abzuschaffen (Kasten).

INITIATIVE „ACKERLAND IN BAUERNHAND“
Klöckners elf Aufgaben auf dem Weg zu einem gerechten Bodenmarkt

1. Anteilskäufe von landwirtschaftlichen Unternehmen im Bodenrecht erfassen, damit der Vorrang aktiver Landwirte nicht länger ausgehebelt wird – zuständig: Länder;
2. Ordnungswidrigkeitsregelung bei Nichtanzeige von Pachtverträgen im Bodenrecht erlassen (Verpächter verstoßen bundesweit in über 75 % der Fälle gegen die Anzeigepflicht eines Landpachtvertrags) – zuständig: Länder
3. Anwendung der bestehenden Preismissbrauchsregelung bei Landpachtverträgen im Bodenrecht, um den Preisanstieg bei Pachtflächen zu dämpfen – zuständig: Länder
4. Absenkung der Spekulationsschwelle bei Kaufverträgen im Bodenrecht von derzeit 50 % – zuständig: Länder
5. Steuerschwelle bei Anteilskäufen bei der Grunderwerbsteuer von 95 % auf 75 % senken, um missbräuchliche Steuergestaltung bei Anteilskäufen zu verhindern – zuständig: Bundesfinanzministerium (BMF); Bundesrat (Länder), Bundestag
6. doppelte Grunderwerbsteuer bei Ausübung des Vorkaufsrechts durch Landgesellschaften abschaffen – zuständig: BMF; Bundesrat, Bundestag
7. Junglandwirten und Existenzgründern verbesserten Zugang zu Agrarflächen (z. B. bei Privatisierung von Bundesflächen) und flankierend zu Beratung und Kapital unterstützen – zuständig: Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL), Länder
8. wirksamere Verringerung des Verlustes von Agrarflächen – zuständig: Bund-Länder-Initiative „Landwirtschaftlicher Bodenmarkt“ (BLILB)
9. wissenschaftliche Analysen zu Bodenmarkt und Agrarstruktur – zuständig: BMEL
10. Transparenz in Bezug auf Agrar-Holdings verbessern (ab Herbst erstmals Daten aus der Agrarstrukturerhebung 2020 verfügbar – zuständig: BMEL, Statistisches Bundesamt
11. Überprüfung der Privatisierung der ehemals volkseigenen Flächen (Kauf- und Pachtpreise der BVVG liegen deutlich über dem Gesamtmarkt, Verkaufslose „teilweise sehr groß“) – zuständig: BMF, BMEL, ostdeutsche Länder.

Die Bundesministerin zeichnet ein besorgniserregendes Bild des landwirtschaftlichen Bodenmarktes: „Beinahe 60 Prozent der Agrarflächen gehören inzwischen Nichtlandwirten und Investoren“, schreibt sie. Seit 2005 seien die Bodenpreise im Bundesdurchschnitt um 204 Prozent gestiegen. Die Produktivität der Landwirtschaft je Erwerbstätigenstunde stieg dagegen nur um 22 Prozent und sei damit keine ausreichende Erklärung für die Verteuerung.

landwirtschaftlichen Betriebe bei flächenkauf benachteiligt

Im selben Zeitraum hätten sich die Pachten verdoppelt. „Das bedeutet: weniger Mittel für Investitionen in artgerechte Tierhaltung, Klimaschutz oder Biodiversität. So wird ein erheblicher Teil der Direktzahlungen an die Verpächter überwälzt“, schlussfolgert die CDU-Politikerin.

Beim Flächenkauf sei der größte Teil der landwirtschaftlichen Betriebe benachteiligt, weil Investoren die Grunderwerbsteuer über Anteilskäufe, die sogenannten Share-Deals, umgehen könnten. „Bei jedem dieser Käufe werden Steuern in Höhe von 380.000 Euro umgangen“, heißt es im Schreiben weiter. „Diese Entwicklungen gefährden unsere Agrarstruktur und die Chancen für die junge Generation in der Landwirtschaft“, stellt Klöckner in dem Schreiben fest.
Der Kauf oder die Pacht landwirtschaftlicher Flächen sei für viele landwirtschaftliche Betriebe wirtschaftlich nicht mehr vertretbar, Existenzgründungen würden zunehmend erschwert, während der ungebremste Preisanstieg Anlegern seit Jahre hohe Renditen beschere.

Viele Sorgen und keine verlässlichen Daten

Die von Klöckner in erster Linie angesprochenen Bundesländer reagierten teils verhalten, teils schroff auf die Kritik. Wie Klöckner sorgen sich die Agrarministerien in Schwerin, Erfurt und Magdeburg um den wachsenden Einfluss von außerlandwirtschaftlichen Investoren. Das Magdeburger Ministerium wies allerdings darauf hin, dass es keine verlässlichen Daten zu Anteilserwerben im Bodenverkehrsrecht gebe. Auch zu nicht angezeigten Pachtverträgen lägen keine Zahlen vor, wobei man von einer erheblichen Dunkelziffer ausgehe.

In Thüringen, so das Erfurter Ministerium, hätten sich die Bodenpreise in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt „und die Tendenz ist weiter steigend“. Man beobachte, dass Finanzinvestoren „Agrarböden im großen Stil aufkaufen und es zu einer Flächenkonzentration kommt“.
Die Thüringer begrüßten es im Übrigen, „dass sich die Bundesministerin endlich mit der gebührenden Energie dafür einsetzt, die Entwicklung am Bodenmarkt zu problematisieren“ und auf eine Verbesserung hinzuwirken.

Auch in Dresden teile man Klöckners Anliegen, die einheimischen Betriebe auf dem Bodenmarkt besser zu schützen. Zugleich wiesen die Sachsen aber darauf hin, dass die mit der Übernahme von Landwirtschaftsbetrieben durch namhafte Lebensmitteleinzelhändler oder auch branchenfremde Investoren aufgekommenen Verwerfungen am Bodenmarkt „hauptsächlich andere Länder in Ostdeutschland“ betreffen würden.

Retourkutsche auf Vorwürfe

Bei der Analyse kann das Schweriner Ministerium „bis zu einem gewissen Grad auch die Befürchtung nachvollziehen“, dass mit dem wachsenden Anteil von außerlandwirtschaftlichen Eigentümern und Anteilseignern staatliche Leistungen zur Einkommensstützung anderen Kreisen der Bevölkerung zugutekämen. Dass mit der Pacht ein Teil des Transfereinkommens an den Verpächter abwandert, sei aber ein Problem, „welches die Agrarpolitik schon vor der Finanzkrise hatte“.

Allerdings sieht Schwerin durch den Einstieg außerlandwirtschaftlicher Kapitalanleger die Wirtschaftlichkeit der Landwirtschaftsbetriebe nicht belastet. „Im Gegenteil: Das Thünen-Institut bescheinigt diesen Betrieben eine hohe Produktivität und überdurchschnittliche Managementqualitäten im Vergleich zu anderen Betrieben.“

Eine andere Frage sei freilich, „ob und inwieweit dabei andere staatliche Ziele, wie zum Beispiel Beschäftigung im ländlichen Raum oder nachhaltige oder umweltschonende Bodenbewirtschaftung, berücksichtigt werden“. Dazu lägen noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor.

Klöckners Vorwurf an die Länder, bei der Regulierung des Bodenmarktes bislang untätig gewesen zu sein, provozierte Retourkutschen. Ihre sachsen-anhaltische Ressortkollegin Claudia Dalbert stellte klar: „Zuallererst müssen Frau Klöckner und der Bund ihre Hausaufgaben machen: Das Grunderwerbsteuergesetz des Bundes gibt einen Anreiz für nichtlandwirtschaftliche Investoren. Die nunmehr dem Bundesrat vorliegende Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes sieht lediglich eine Absenkung auf 90 Prozent vor. Ob diese Reduzierung schon die Wirkung entfaltet, Anteilserwerbe weniger attraktiv zu machen, bleibt abzuwarten.“
Dalbert erinnerte daran, dass der Bundesrat auf Initiative von Sachsen-Anhalt bereits 2019 die Bundesregierung aufgefordert hatte, hier tätig zu werden: „Bisher war dazu nichts passiert.“

Aus Potsdam hieß es, die Bundesministerin sollte nicht mit dem Finger auf die Länder zeigen, sondern ihre Verantwortung für wirksame Regelungen wahrnehmen.

Änderung bei der doppelten Grunderwerbsteuer vernachlässigt

Kritisiert wird ebenso die geplante Regelung beim Grunderwerbsteuergesetz, die nicht ausreiche, „um die sogenannten Share Deals in der Landwirtschaft wirklich in den Griff zu bekommen“.

Vernachlässigt worden sei zudem eine Änderung bei der doppelten Grunderwerbsteuer, wenn Bodengesellschaften Land kaufen. Deshalb hätten die Länder – auf Initiative Brandenburgs – im Agrarausschuss den Bund aufgefordert, das Gesetz nachzubessern. Mehr noch als die Versäumnisse des Bundes ärgert die Länder der Vorwurf, nichts unternommen zu haben.
Richtig sei, so das Schweriner Ministerium, dass seit dem erfolglosen Verlauf der Gesetzesvorhaben in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen keine neuen Initiativen auf den Weg gebracht worden sind. „Die diesbezüglichen Regelungen in den Gesetzentwürfen der beiden Länder haben nicht nur erhebliche Kritik beim landwirtschaftlichen Berufsstand ausgelöst, sondern waren auch schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.“

„Merkwürdig“ findet man in Schwerin, dass Bundesministerin Klöckner die von ihrem Ministerium begleiteten Aktivitäten ignoriert. Mit „dankenswerter“ Unterstützung ihrer Mitarbeiter bemühe sich seit dem letzten Jahr eine Gruppe von Ländern, einen Mustergesetzentwurf zu erarbeiten, der dann allen an Gesetzgebungsverfahren interessierten Ländern zur Verfügung stehen soll. Klöckners Kritik trage in Mecklenburg-Vorpommern, das die „Koordinierungslast“ dieser Arbeitsgruppe stemmt, nicht dazu bei, „die Sisyphusarbeit eines solchen Vorhabens mit zusätzlichem Engagement voranzutreiben“.

Strukturgesetze stehen auf der Agenda

Untätigkeit weist man gerade auch in Magdeburg zurück, wo die Regierungsfraktionen den Entwurf eines Landesagrarstrukturgesetzes erarbeitet und in den Landtag eingebracht hatten.

Landesministerin Dalbert macht für das Scheitern des Gesetzesverfahrens die fehlende Bereitschaft der CDU-Fraktion im Landtag aus, „unter Pandemiebedingungen eine mündliche Anhörung zu organisieren und die Ergebnisse der schriftlichen Anhörung auszuwerten. Aus meiner Sicht muss sich Frau Klöckner zunächst einmal innerhalb ihrer eigenen Partei mit ihren Forderungen durchsetzen.“

In Erfurt kann man die „pauschale Kritik“ ebenso wenig nachvollziehen, da der Bundesministerin bekannt sein müsse, „dass wir in Thüringen derzeit mit Hochdruck und Augenmaß an einem Entwurf für ein Agrarstrukturgesetz arbeiten“.
Anfang März stellte Landesminister Benjamin-Immanuel Hoff erstmals einen „Thüringer Agrarstrukturbericht“ vor. „Der vorliegende Bericht dient als Grundlage für die notwendigen politischen, rechtlichen und administrativen Entscheidungen zum Schutz der Thüringer Agrarstruktur und ist somit ein entscheidender (Zwischen)Schritt auf dem Weg zu einer gesetzlichen Regelung“.

Transparenz und Rechtssicherheit sowie Schutz der heimischen Landwirtschaft vor Wettbewerbsverzerrung durch Bodenkonzentration und vor Preismissbrauch sollen die vier Schwerpunktziele bilden, auf denen das Konzept eines Thüringer Agrarstrukturgesetzes beruht. Ziel bleibe weiterhin, bis spätestens September einen Gesetzentwurf vorzulegen.

In Brandenburg liegt dem Landtag der Entwurf für ein agrarstrukturelles Leitbild als Grundlage für ein Agrarstrukturgesetz vor. Derzeit wird das Leitbild noch diskutiert. Im Juni soll es dazu ein Fachgespräch geben.
Das Potsdamer Ministerium plant, den Entwurf seines Agrarstrukturgesetzes bis 2022 vorzulegen. Gleichwohl das sächsische Ministerium den Freistaat nicht als Hot-Spot für Investoren sieht, ist man sich bewusst, „dass diese Themen nicht regional eingrenzbar sind und man durchaus auch präventiv Vorsorge treffen sollte“.

Die Koalitionspartner der Landesregierung vereinbarten, noch in dieser Legislaturperiode ein Agrarstrukturgesetz auf den Weg zu bringen. Damit werde Sachsen „landesspezifische Lösungen für den hiesigen regionalen Bodenmarkt vorbereiten und umsetzen“.
Im Mittelpunkt stünden die Sicherstellung und Förderung einer breiten Streuung des Eigentums, die Vermeidung von übermäßigen Flächenkonzentrationen, eine Stabilisierung des regionalen Preisniveaus sowie die Einbeziehung von Anteilskäufen in die Grundstücksverkehrskontrolle.

Land ist der größte Bodeneigentümer

Schwerin erinnerte daran, dass das Land mit mittlerweile rund 86.000 ha Nutzfläche der größte Flächeneigentümer in Mecklenburg-Vorpommern ist. Durch die gezielte Verpachtung an Betriebe mit arbeitsintensiven Produktionsformen wirke man bereits heute Verwerfungen entgegen. Bei der Verpachtung dieser Flächen bestimme nicht der Preis, sondern das Konzept. Beim Pachtpreis orientiere sich das Land am Durchschnitt aller Verpächter in Mecklenburg-Vorpommern.

Zur Dämpfung der Pachtpreisentwicklung trage bei, dass die Neupachtpreise für Landesflächen seit 2015 gleichgeblieben sind. Und: „Außerlandwirtschaftliche Kapitalanleger, die in Mecklenburg-Vorpommern landwirtschaftliche Betriebe erwerben, können nicht damit rechnen, dass bestehende Pachtverträge mit dem Land nach deren Auslaufen fortgesetzt werden“, so das Ministerium.

Krisengeschüttelten Landwirtschaftsbetrieben habe man überdies im Rahmen eines Flächenankaufprogramms geholfen, ihre eigenen landwirtschaftlichen Flächen zu sichern. Unabhängig davon würden sich nach der Landtagswahl im September die Regierungsparteien erneut mit der Frage beschäftigen müssen, „ob es in Mecklenburg-Vorpommern ein Agrarstrukturgesetz geben soll“.