Frank Wasem fühlt sich bei der Arbeit draußen mit seinen Skudden und Coburger Fuchsschafen sehr wohl, möchte aber auch die Büroarbeit nicht missen. (c) Sabine Rübensaat

Doppelmeister mit rotem Adler

Ein Berliner Schäfermeister ist der beste Landwirtschaftsmeister seines Jahrgangs in Brandenburg. Wir besuchten Frank Wasem bei seiner Arbeit auf dem Tempelhofer Feld, wo Landwirtschaft auf Hauptstadt trifft.

Die Fragen stellte Heike Mildner

Wo bis 2007 Flugzeuge starteten und landeten, betreut Schäfermeister Frank Wasem seit 2019 eine Herde Schafe. Im Westen Berlins aufgewachsen, war der Weg zur Landwirtschaft für den heute 48-Jährigen nicht glatt wie eine Start- und Landepiste. Dennoch avancierte er zum Überflieger, holte im vergangenen Jahr seinen zweiten Meistertitel und wurde Jahrgangsbester.

In Ihrer Rede – der Beste darf die Rede halten – forderten Sie Ihre Meisterkollegen auf, es nach der anstrengenden Zeit mal so richtig krachen zu lassen. Hat´s geklappt? Wie und wie oft haben Sie Ihren Meisterabschluss gefeiert?
An dem Tag nicht so üppig: Wir wurden da gegen 17 Uhr rausgekehrt, wären aber gern noch länger geblieben. Es war eine nette Runde mit den Kollegen aus meinem Kurs. Vorher wurde an dem Tag ja viel und lange geredet: viel auch über die Probleme des Berufsstandes, die Schattenseiten. Das kennen wir ja alle. Aber eigentlich ist es doch eine Feierstunde für die Leistungen, die wir gebracht haben.

Ich wollte, dass wir uns mehr darauf besinnen und habe daher darauf hingewiesen. Was auch ein bisschen zu kurz gekommen ist: Der Dank an die Menschen, die sich da unserer angenommen haben – in meinem Fall die Leiterin der Landwirtschaftsschule Luckenwalde, Frau Cordia Wolf. Von sieben Meistern aus unserem Kurs hatten vier am Ende eine Eins vor dem Komma! Wir haben also vor Ort ein bisschen gefeiert, ein paar Tage später bin ich mit der Familie essen gegangen, habe viele Telefonate entgegengenommen, Glückwünsche eingeheimst … Was witzig war: 20 Jahre vorher, fast auf den Tag genau, war ich als bester Lehrling beim Meistertag – auch die Perspektive kannte ich schon.

Da waren Sie 28 – nicht gerade mehr im Azubi-Alter. Wo haben Sie gelernt, und wie sind Sie als Berliner überhaupt zur Landwirtschaft gekommen?
Gelernt habe ich Landwirtschaft bei den Berliner Stadtgütern, im Betriebsteil Waßmannsdorf, und es war meine zweite Ausbildung. Wie andere Jungs Lokführer oder Pilot werden wollen, wollte ich Bauer werden. Vom ersten Taschengeld hab ich mir ein Buch gekauft, Thema: Wie baue ich einen Kuhstall.

Wir haben entfernte Verwandte im Bergischen Land, da habe ich im Sommer 1988 ein vierwöchiges Praktikum bei einem Landwirt gemacht, hatte sogar schon einen Lehrvertrag. Dann dämmerte mir, was ich alles in Berlin zurücklassen muss: Freunde, Familie … Dazu war ich mit 15 nicht in der Lage. Das war im Sommer 1989. In Berlin war damals keine Ausbildung zum Landwirt möglich. Also hab ich erstmal den Beruf des Kfz-Mechanikers gelernt und auch zehn Jahre in ihm gearbeitet. Aber wenn man eine innere Vision hat, lässt einen die nicht in Ruhe: 1999 hab ich im Autohaus hingeschmissen und die Lehre begonnen.

Und wer hat  schon vom Trecker aus den Radarturm eines ehemaligen Flughafens im  Blick!
Und wer hat schon vom Trecker aus den Radarturm eines ehemaligen Flughafens im Blick! (c) Sabine Rübensaat

Und zehn Jahre später den Schäfermeister gemacht. Warum Schäfer, warum in Sachsen?
Schafe haben mich schon immer interessiert, ich hatte nebenberuflich mit ihnen zu tun und mich schon in der Freizeit weitergebildet. Schäfermeisterkurse sind nicht so häufig, da muss man gucken, wo einer in der Nähe ist.

Der Kurs in Großenhain ging über drei Jahre, immer anderthalb Tage in der Woche, da war ich am Ende froh, dass es vorbei war – schon wegen der Fahrerei, vor allem im Winter. Dagegen ist Luckenwalde ja gleich um die Ecke – 50 km – das ist ja nichts …

Kaum jemand kann zwei Meisterkurse miteinander vergleichen. Sie könnten …
Beim Landwirtschaftsmeister gab es fast nur Theorie. Das war aber sicher auch Corona geschuldet. Wir waren nur zwei, dreimal unterwegs. Einmal zum Beispiel im Rahmen des Pflanzenschutzes in einer Firma, die Nutzinsekten herstellt. In Sachsen hatten wir tatsächlich regelmäßig praktische Einheiten: in den Sommermonaten diverse Betriebsbesichtigungen, verbunden mit praktischen Sachen wie Klauen schneiden oder Nutzung der elektronischen Ohrmarken für das Management der Schafherde. In der Schäfermeisterprüfung gab es auch einen praktischen Teil, in dem man vorführen musste, dass man die Sachen meisterlich beherrscht.

Warum wollten Sie zusätzlich den Landwirtschaftsmeister machen?
Ich hab dann und wann gedacht: Doppelmeister wäre auch nicht schlecht. Wann weiß man schon genug? Im Frühjahr 2019 lernte ich Frau Wolf bei einem Lehrgang kennen, den die Berufsgenossenschaft zusammen mit der Landwirtschaftsschule Luckenwalde anbot, und sprach sie an. Der Brief von Frau Wolf mit den Modalitäten lag dann lange auf meinem Schreibtisch – kurz vor Meldeschluss hab ich die Firma gefragt, mich noch anmelden können und im Herbst 2019 angefangen.


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Wie kostenintensiv war die Meisterschule für Sie? Wie hoch ist der Eigenanteil?
Der sinkt mit steigender Teilnehmerzahl, und der Kurs wird von der EU gefördert. Bei uns waren es am Ende rund 2.600 Euro Eigenanteil. Der Industriemeister kostet rund viermal so viel. In meinem Fall hat letztlich das Unternehmen die Kosten übernommen. Dafür bin ich natürlich sehr dankbar, glaube aber auch, mich mit dem Abschluss ganz gut revanchiert zu haben.

Mit den beiden Meisterbriefen haben Sie doppelt so viele Möglichkeiten, auszubilden. Haben Sie diese Möglichkeiten schon nutzen können?
Seit letzten September bilden wir die erste Schäferin in Berlin aus, meine erste Auszubildende. Und bisher läuft es richtig gut. Sie wollte eigentlich Zootierpflegerin werden, bekam da keinen Ausbildungsplatz, orientierte sich auf Schafe um, bewarb sich in Brandenburg und bekam überall Absagen. Dabei ist sie fleißig, klug, interessiert, kann zupacken … Ein echter Glücksfall für uns!

Die Firma Grün Berlin beschäftigt 260 Mitarbeiter, wo sind Sie da verortet?
Die Abteilung Beweidung, in der ich arbeite, ist sowohl personell als auch von der finanziellen Ausstattung her der kleinste Teil im Unternehmen. Mit derzeit fünf Kollegen bewirtschaften wir drei Standorte: Marzahn, das Tempelhofer Feld und eine kleine Tierhaltung im Britzer Garten. Auf dem Tempelhofer Feld ist unser größter Standort mit den meisten Tieren.

Über die Wintermonate ziehen wir dort die Tiere der anderen Standorte zusammen: zwei Dülmener Pferde, vier Exemplare Rotes Höhenvieh und ein Teil der Schafe aus dem Archepark. Das bedeutet kurze Wege. Lieferanten fahren nur ein Ziel an, und die Tierbetreuung ist auch über die Weihnachtszeit gut zu bewältigen. Solange unsere Abteilungsleiterin in Elternzeit ist, bin ich kommissarisch verantwortlich, eigentlich aber technischer Leiter.

Bei neuen Projekten kümmere ich mich um Einrichtung, Abläufe und Materialbeschaffung – eine schöne Herausforderung mit viel Büroarbeit. Zwei Drittel meiner Arbeitszeit bin ich aber draußen bei den Tieren: Als einziger gelernter Schäfer bin ich für die speziellen Arbeiten am Tier wie Klauenpflege oder Schafschur zuständig.

Was ist Grün Berlin?
Als landeseigenes Unternehmen mit derzeit rund 260 Mitarbeitern sieht sich die Grün Berlin GmbH als Partner des Berliner Senats und der Stadtbezirke für eine klimaschonende Stadtentwicklung, das nachhaltige Infrastrukturen entwickelt, baut und betreibt. Dazu gehören 700 ha urbane Freiräume, Plätze und Parks wie das Tempelhofer Feld und der Britzer Garten im Westen, die Gärten der Welt und der Kienberg-Park im Osten sowie diverse kleinere Flächen. Die Entwicklung des Neuen Spreeparks (ehemals Plänterwald) gehört ebenso zu den Aufgaben von Grün Berlin wie die Entwicklung touristischer Leitsysteme und der Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur. (Mehr dazu)

Warum alte Nutztierrassen?
Im Vordergrund muss bei uns nicht betrieblicher Gewinn stehen. Daher können wir uns einen Archepark leisten und machen auch die Landschaftspflege mit alten Rassen wie Skudden und Coburger Fuchsschafen.

Die rosa markierten Skudden  werden die Herde demnächst  mit Nachwuchs bereichern.
Die rosa markierten Skudden werden die Herde demnächst mit Nachwuchs bereichern. (c) Sabine Rübensaat

Im öffentlichen Raum einer Millionenstadt zu arbeiten, ist sicher besonders. Schauen Ihnen die Berliner über die Schulter? Gibt es Fragen, vielleicht Stammgäste?
Wir arbeiten quasi auf dem Präsentierteller, müssen immer noch ein bisschen umsichtiger sein, die Tiere müssen immer auf dem Punkt sein, sodass jederzeit Besucher kommen können. Unsere Tierbestände sind mit 110 Skudden und zehn Coburger Füchsen, zwei Pferden und vier Rindern überschaubar, darum schaffen wir das auch.

Die Stadtbevölkerung ist ganz weit weg von Landwirtschaft, da muss man viel erklären. Im Herbst bieten wir jeden zweiten Freitag eine Bürgersprechstunde an. Da nehme ich mir Zeit, den Berlinern zu erläutern, wie wir arbeiten. Und im Oktober veranstalten wir auf dem Tempelhofer Feld einen Schaftag. In diesem Jahr kamen trotz mäßig guten Wetters um die 3.500 Gäste.

Wer kommt zu so einer Bürgersprechstunde?
Das Feld wird meist durchquert oder von Spaziergängern genutzt, die Durchschnittsbesucher sind Anrainer. Und die interessieren sich schon! Die gesellschaftlich sinnvolle Arbeitsteilung führt dazu, dass dem Gros landwirtschaftliche Zusammenhänge nicht mehr zugänglich sind.

Und ein Problem ist, dass der Landwirt über seine Arbeit oft nicht spricht. Wir überlassen es viel zu oft anderen, unsere Arbeit zu erklären. Das führt dazu, dass sich die Leute nicht mitgenommen fühlen. Wir haben in der Meisterschule oft darüber geredet, dass Landwirte über eine Abgabe eine Werbefirma beauftragen müssten, die ihre Inhalte vermittelt. Wir machen das ansatzweise im Alltag – wir arbeiten ja im Zentrum einer Millionenstadt – aber dafür bräuchte es ganz andere Formate …

Welchen Meisterbrief werden Sie in zehn Jahren anstreben – oder sind Sie angekommen?
Augenblicklich fühle ich mich angekommen. Ich habe immer in Berlin gelebt und war immer froh, rauszukommen. Stadtleben ist anstrengend, der Ausgleich wichtig. Darum zieht es ja auch so viele regelmäßig nach Brandenburg. Hier sind Stadt und Land untrennbar verknüpft. Und ich lege viel Wert auf den Brandenburger Adler auf meinen Zeugnissen. Aber der weite Blick mitten in der Stadt gehört zu meinem Alltag. Und wenn es strukturell so bleibt, werde ich daran auch nicht viel ändern. Herausforderungen gibt es dennoch: Ich bin gefragt worden, ob ich im Prüfungsausschuss mitmachen würde … Warum nicht?

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