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Demonstration der Landwirte: Druck von allen Seiten

In Koblenz demonstrierten Landwirte während des EU-Agrarministertreffens. Dabei sind sich die Teilnehmenden der Demonstration besonders in einem einig: Die aktuelle Landwirtschaft hat keine Zukunft.

Es kommentiert Ralf Stephan

Ein Hauch rheinischer Gelassenheit kam auf, als ich erste Bilder aus Koblenz sah. Mit der brachialen Präsenz der mächtigen Berliner Treckerdemos vom letzten Herbst hatten die Bauernkundgebungen am Zusammenfluss von Rhein und Mosel wenig gemein. Dafür mag es viele Gründe geben. Die Entfernung, der Zeitpunkt, nicht zuletzt Corona. Die örtliche Polizei bescheinigte den Teilnehmern jedenfalls, alle Hygieneregeln eingehalten zu haben. Was einerseits gut ist. Andererseits aber können zwei Meter Abstand zum Nachbarn einer Demo durchaus etwas von ihrer gewohnten Wucht nehmen.

Dauerpräsenz der Landwirte

Dass die Bauern dennoch wahrgenommen wurden, lag an ihrer Dauerpräsenz. An allen drei Tagen, an denen die EU-Agrarminister in der Region unterwegs waren oder tagten, sahen sie demonstrierende Landwirte: vor der Konferenzhalle, am Deutschen Eck, auf den Uferstraßen und selbst auf dem Wasser. So bekamen sie trotz der zwischen den Weinbergen üblichen Gemütlichkeit einen Eindruck davon, wie groß bei den Bauern der Druck auf dem Kessel ist.

Und dieser Druck kommt von allen Seiten. Bester Ausweis dafür war der Auftaktmarsch, zu dem die von der Grünen Woche bekannte Initiative „Wir haben es satt!“ ihre Anhänger gerufen hatte. Der Forderung von Verbraucher-, Tier- und Umweltschutzverbänden nach einer grundlegenden Agrarwende jedoch schlossen sich dieses Mal – anders als sonst in Berlin – nicht nur AbL-er und Biobauern an. Das macht nachdenklich, weil die Art von Agrarwende, wie sie sich zum Beispiel die ebenfalls mitmarschierenden Tierrechtler wünschen, kaum mit den Vorstellungen der im Bund Deutscher Milchviehhalter organisierten Teilnehmer decken dürften.

Vielleicht ist das die eigentliche Botschaft an die Agrarpolitik: Wir sind uns längst nicht einig, wie die Landwirtschaft künftig aussehen sollte, aber wir
wissen alle, dass ein „Weiter so!“ keine Zukunft hat. Es scheint so, als wäre ausgerechnet das Mercosur Abkommen der Kitt, der unterschiedlichste Interessen zusammenhält. Auf die Fragen, wie strenge Auflagen zu Hause mit Importen aus Regionen mit fraglichen Standards, wie Freihandel mit der Stärkung der regionalen Landwirtschaft einhergehen soll, findet inzwischen selbst die Kanzlerin keine schlüssige Antwort mehr. Dafür stellen Landwirte und Umweltschützer plötzlich fest, dass sie ein ganz wichtiges gemeinsames Interesse haben. Eine Erkenntnis, die bei Themen wie dem Arten- oder Grundwasserschutz noch hilfreich werden könnte.

Fragwürdige Plakate und scheiternde Dialoge

Vielfalt hat Grenzen, wie leider auch in Koblenz deutlich wurde. Vom ursprünglichen Anspruch, den Dialog mit der Politik und den Verbrauchern führen zu wollen, haben sich Teile der Initiative „Land schafft Verbindung“ inzwischen offenkundig weit entfernt. Obwohl die Nazi-Vergangenheit der schwarzen Fahne mit Pflug und Schwert zweifelsfrei erwiesen ist, war sie wieder an Traktoren zu sehen.


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Eine völlige Entgleisung leisteten sich Demonstranten unter dem LsV-Logo, die auf einem großflächigen Plakat die „Henker der Landwirtschaft“ präsentierten. Es zeigte unter anderem Porträts der Kanzlerin, der Bundeslandwirtschafts- sowie der -Umweltministerin und der EU-Kommissionspräsidentin. Ein Galgenstrick als Dialogangebot? Bei allem Verständnis dafür, dass der Druck viele Bauern wütend macht: Im Osten führte einst die Formel „Keine Gewalt!“ zum Erfolg. Sie gilt auch für verbale Gewaltandrohungen. „Land schafft Verbindung“ wird sich endlich klar von den Radikalen in den eigenen Reihen distanzieren müssen. Anderenfalls setzt die Bewegung ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel.