Zu wissen, welches Tier für einen Riss Verantwortung trägt, ist nicht nur für eine Entschädigung relevant. Aus Sicht des Naturschutzes geben Risse, neben anderen Indikatoren, Hinweise auf die Wolfspopulation. © Margit Völtz /Pixelio

Rissgutachten in Thüringen: Hemdsärmelig zur DNA-Probe

Bei der Begutachtung potenzieller Wolfsrisse müssen sich Weidetierhalter auf Behörden verlassen können. Beispiele für Rissgutachten aus Thüringen zeigen, wie bei diesem sensiblen Thema Vertrauen verspielt wird.

Von Frank Hartmann

Thüringer Landwirte könnten eigentlich froh sein, dass Wölfe – ein Rudel und zwei Einzeltiere gelten als ansässig – ihre Weidetiere verschmähen oder Schutzmaßnahmen sie fernhalten. Im laufenden Jahr meldeten sie 20 Risse an das „Kompetenzzentrum Wolf, Biber, Luchs“ beim Umweltministerium des Landes. Opfer waren Fohlen, Lämmer, Kälber und Gatterwild. Die gerufenen freistaatlichen Rissgutachter schlossen in 15 Fällen den Wolf oder Luchs anhand der Spurenlage als Beutegreifer aus.

15 Mal wurden dennoch DNA-Proben genommen: Dreimal identifizierte das Senckenberg-Institut den Fuchs, zweimal den Hund als Verursacher. Die übrigen analysierten Proben waren nicht auswertbar, also keine Tierart zu bestimmen.

RIssgutachten: Vor Probenahme Hund gestreichelt

Alles andere als froh ist Biolandwirtin Katrin Dänner aus Kaltennordheim in der Rhön. 150 ha bewirtschaftet sie, 50 Fleckviehkühe geben Milch. Am frühen Vormittag des 28. Juni fuhr sie zur Weide ihrer vier trockenstehenden Kühe, um ein am Vortag geborenes Kalb und seine Mutter auf den Hof zu holen. Das Kalb jedoch war tot. Rissspuren ließen nichts Gutes erahnen, zumal mehrere Einzelwölfe und ein hessisches Rudel im grenznahen Raum durch das Territorium streifen.

Dänner griff zum Telefon und meldete den Riss, der noch frisch und feucht war, an das Kompetenzzentrum. Nachmittags gegen 15 Uhr kam die Rissgutachterin des Umweltministeriums auf ihren Hof. „Das Erste, was sie nach ihrer Ankunft tat, war unseren, ihr unbekannten Hund ausgiebig zu streicheln. Obwohl sie wusste, dass sie gleich eine sehr relevante DNA-Probe zur Untersuchung auf eventuellen Wolfsriss nehmen sollte“, staunt die Landwirtin. Ohne Händewaschen oder Desinfektion fuhr man gemeinsam zum Kadaver des Kalbes. Dort habe die Gutachterin aus ihrem Rucksack Handschuhe heraus geholt, „die weder steril, noch einzeln verpackt waren“. Sie trug sie in den Händen – mit denen sie den Hund gestreichelt hatte – zusammengeknüllt bis zum toten Tier, wo sie sie sich dann überzog, um dann das gesamte Kalb abzufühlen und zu untersuchen. Danach, so erinnert sich Dänner, entnahm die Rissfachfrau die Probetupfer, um an den gleichen Stellen die relevanten Proben zur Untersuchung auf Wolf- und sonstige DNA zu ziehen.

Auf Anfrage der Bauernzeitung erklärte das Umweltministerium in Erfurt, es bestehe keine Gefahr, dass DNA-Spuren des Hundes die Probe vom Kadaver verfälschen. „Die Handschuhe dienen dem Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und haben keinen Einfluss auf die Probeentnahme. DNA-Spuren eines potenziellen Rissverursachers sind eindeutig“, heißt es in der Antwort.

Das Senckenberg-Institut sieht das etwas anders. Es untersucht seit 2010 alle im Wolfsmonitoring der Bundesländer anfallenden DNA-Proben. Die dabei gesammelten Erfahrungen fließen „fortlaufend in unsere Empfehlungen zur fachgerechten Probennahme“ ein. Die Probenahme, so das Institut auf unsere Anfrage, sowie eine fachgerechte und schnellstmögliche Konservierung der gesammelten Proben seien für eine „erfolgreiche genetische Analyse von entscheidender Bedeutung. Zur Vermeidung von Verunreinigungen mit Fremd-DNA (Kontaminationen) sollte die Probennahme stets mit höchster Sorgfalt durchgeführt werden“, hebt man hervor.

Spuren am Tatort

In einem Merkblatt hält das Institut dazu an, bei allen Probenahmeschritten Einweghandschuhe zu tragen. Nicht – wie das Erfurter Umweltministerium meint – ausschließlich, sondern auch als „Schutz vor Krankheitserregern, die insbesondere durch Kotproben von Wildtieren übertragen werden können.“ Alle verwendeten Utensilien, die in Kontakt mit dem untersuchten Material gekommen sein könnten, müssten ausgetauscht bzw. gründlich gereinigt werden. Sollten keine Einwegwerkzeuge vorhanden sein, „müssen Pinzetten und andere Geräte gründlich mit Wasser und Ethanol gereinigt und zusätzlich abgeflammt werden“. Warum dieses strikte Vorgehen, wo doch Verunreinigungen laut dem Erfurter Umweltministerium unerheblich sind?

Daran, dass die Schadensgutachter laut Ministerium „hinsichtlich des Erkennens und Bewertens von Fraß- und Bissspuren an Kadavern“ und am Ort des Geschehens geschult seien, hegt Dänner Zweifel. So habe „ihre“ Gutachterin nicht einmal gewusst, „dass sich neugeborene Kälber, genau wie Rehkitze, bei Gefahr flach ins Gras drücken und der Wolf so gar keine Chance hatte, den von ihr so gesuchten Kehlbiss anzuwenden“.

Fachgerechte Probennahme zum Erstellen von Rissgutachten: Auszug aus den Empfehlungen des Senckenberg-Institutes: „Rissabstriche werden an geeigneten Stellen (Kehlbiss, den Kehlbiss umgebender Bereich, Wundränder) mit sterilen Wattestäbchen genommen. Die Tupfer sollten unmittelbar vor der Beprobung mit sterilem Wasser oder besser 1x TE-Puffer angefeuchtet werden (durch die hohe Kontaminationsgefahr empfehlen wir, den in unserem Labor hergestellten Puffer oder gleichwertige Produkte vom Fachhandel zu beziehen).

Nach der Beprobung wird der Tupfer bei offenem Ziplock-Beutel oder außerhalb des Beutels getrocknet. Danach wird dieser in ein gefaltetes Filterpapier
gegeben und in einem Ziplock-Beutel mit Trocknungsmittel bei Raumtemperatur gelagert. Achtung: Es besteht erhöhte Kontaminationsgefahr. Empfohlen wird, neben dem Kehlbiss auch Proben von anderen Stellen zu nehmen (bitte neue Tupfer
verwenden und separat lagern). Zur Beprobung eignen sich auch die von diversen Herstellern angebotenen sterilen Tupferröhrchen für forensische Analysen. Wichtig ist, dass eine Beprobung möglichst innerhalb von 24 Stunden nach dem Rissvorfall geschieht, da die Wahrscheinlichkeit für eine
erfolgreiche Bestimmung von Art und Individuum mit zunehmender Zeit stetig abnimmt. Bitte die Probe
möglichst zeitnah versenden.“ red

Landwirtin Katrin Dänner hegt Zweifel, dass die Rissbegutachtung in Thüringen mit der gebotenen Ernsthaftigkeit erfolgt. © Birgitt Schunk

Das Ministerium bestätigt indes, dass bei schwachen oder tot geborenes Tieren der Tötungsbiss unter Umständen fehlt. „Die Menge des gefressenen Fleisches, Unterhautblutungen und Schleifspuren am Tatort werden bei der Einschätzung mit einbezogen.“ Landwirtin Dänner aber wundert sich, dass sich die Gutachterin „auch nicht ansatzweise die Mühe gemacht hat, um die Umgebung nach weiteren Wolfsspuren, Kot oder Haaren abzusuchen“. Die Antwort aus Erfurt macht klar, dass sie sich damit an die Vorgaben hielt: „Wenn ein Riss aufgrund der Merkmale am Kadaver als sehr unwahrscheinlich eingeschätzt werden kann, wird von einer detaillierteren Untersuchung des Umfeldes abgesehen.“

Derart verunsichert und enttäuscht suchte sich Katrin Dänner am selben Tag noch Hilfe, die der Verein „Wölfe vs. Land“ bietet. Geschulte „Rissbegleiter“ unterstützen Betroffene ehrenamtlich, auch wenn sie keine „Offiziellen“ sind. Es besteht eine enge Kooperation mit dem Forensischen Institut ForGen in Hamburg. „Innerhalb von zwei Stunden war die geschulte Hilfe samt einem Jäger auf unserm Hof“. Das Umfeld wurde abgesucht und jede mögliche DNA-Spur gesichert. Und zwar mit genau der Akribie, die Dänner zuvor erwartet hatte.

Rissgutachter im Urlaub – und Dann?

Kaum drei Wochen später, „am selben Berg, nur die andere Seite“, macht auch Landwirt Jan Peters mehr oder weniger Bekanntschaft mit den Thüringer Rissgutachtern. Er hält bei Dermbach ebenfalls Fleckvieh für die Milcherzeugung und bietet Urlaub auf dem Bauernhof an. Am Dienstag, dem 23. Juli, findet er vormittags bei seinen Trockenstehern ein gerissenes Kalb. „Ich habe meinen Jagdpächter informiert. Aufgrund eines bestätigten Muffelrisses hat er Erfahrung mit dem Wolf und den Gutachtern.“

Den Landwirt erreicht wenig später der Rückruf aus dem Erfurter Kompetenzzentrum. Dort entschuldigt man sich, aufgrund von Krankheit und Urlaub selbst keinen Rissgutachter entsenden zu können. Frühestens Donnerstag oder erst Freitag komme jemand. Peters kontaktiert den Verein „Wölfe vs. Land“, deren Helfer am selben Tag bei ihm anrücken. Die Zeit drängt – Senckenberg empfiehlt eine Begutachtung und Probenahme im besten Fall innerhalb von 24 Stunden. Peters versucht daher, Anzeige wegen Wilderei bei der Polizei zu stellen – für den Fall, dass ein Hund der Verursacher war. Die aber will erst ermitteln, wenn dies amtlich bestätigt ist. „Am Abend rief mich der Amtstierarzt an und empfahl mir, den Kadaver bis zur offiziellen Begutachtung kühl zu lagern.“

Nach vier Tagen, am Freitag, reiste dann ein Rissgutachter aus Brandenburg an. „Für ihn war klar, dass es kein Wolf war. Vielmehr interessierte er sich dafür, ob das Kalb überhaupt lebend geboren wurde.“ Eine DNA-Probe wurde nicht genommen. „Ich wäre ja im Grunde froh, wenn es kein Wolf gewesen wäre“, sagt Peters. Aber wie mit den Tierhaltern umgegangen werde, frustriere und sei nicht zu akzeptieren. Katrin Dänner erhielt unterdessen die DNA-Ergebnisse der ersten und auch der zweiten „offiziellen“ Probe. Die Tierart, die ihr Kalb gerissen hat, sei nicht bestimmbar. In der B-Probe fanden sich Spuren vom Fuchs. Auf die Ergebnisse des Hamburger Labors wartet sie noch.


Leitfaden für den Fall des Risses

Mehrere Verbände haben Leitfäden erarbeitet, falls es zu einem Wolfsriss kommt. Im Folgenden fassen wir Empfehlungen zur Rissbegutachtung der Bauernverbände aus Sachsen-Anhalt und Thüringen zusammen:

  • potenzielle Wolfsspuren (etwa Trittsiegel, Losungen) nicht zerstören bzw. zertreten
  • Hunde vom Kadaver fernhalten, andere Weidetiere möglichst wegsperren,
  • Kadaver des Nutztieres zum Schutz vor Aasfressern (Fuchs, Vögel) und Witterungseinflüssen abdecken (Kadaver nicht berühren),
  • Fotodokumentation mit Größenvergleich: gesamtes Tier, Details von Bissverletzungen, Wolfslosung, Trittsiegel,
  • Schaden unmittelbar nach Kenntnisnahme der zuständigen Behörde für die Rissbegutachtung melden,
  • Treffpunkt vereinbaren,
  • Zeugen hinzuholen (Fachkundige wie Jäger) oder Zweitgutachter auf eigene Kosten engagieren,
  • erst Spuren oder Hinweise vom Rissgeschehen dokumentieren, bei der Zaunkontrolle selbst mitgehen und dokumentieren,
  • wird bei der Kadaverbegutachtung die Kehlbissuntersuchung abgelehnt, auf Rasur des Kehlbereiches drängen,
  • Dokumentation der Zahnabstände und Größe der Bisslöcher,
  • wenn nicht sicher ist, dass der Wolf als Schadensverursacher in Betracht kommt, auf genetische Untersuchung drängen,
  • auf eine B-Probe bestehen bzw. Zweitprobe von Zweitgutachter nehmen lassen,
  • Zeitpunkt des Gutachtens nach Kadaverfund und Auftritt des Gutachters dokumentieren,
  • Begutachtungsprotokoll nicht blanko und nicht sofort vor Ort, am gleichen Tag unterschreiben (nach Sichtung anderer angebissener/geflohener Tiere kann es zu Nachmeldungen kommen),
  • der Rissort muss im Gutachten mit Koordinaten und Ortsname angegeben sein
  • Protokoll abfotografieren oder kopieren. red

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