Die Messdaten aller Sensoren zu Temperatur und Feuchtigkeit lassen sich in der App „gruuna Thermo“ aktuell und rückwirkend ablesen. Bei kritischen Werten wird Alarm ausgelöst. (c) Carmen Rudolph

Temperatursensoren: Hitzealarm, bevor es brenzlig wird

In Heu- und Strohlagern warnen Temperatursensoren rechtzeitig vor drohender Selbstentzündung. Landwirte im sächsischen Ostrau testen ein neues funkbasiertes Mess- und Meldesystem.

Von Wolfgang Rudolph


Wohl jeder kennt Datumsangaben, die sofort einen Bezug zum eigenen Leben assoziieren. Für Gerold Wagner, Vorstandsvorsitzender der Agrar AG Ostrau, die 1.700 ha Acker und 100 ha Grünland in Mittelsachsen bewirtschaftet, ist das unter anderem der 24. August 2013.

Schwelbrand durch eingelagerte dicht gepresste Strohballen

Am Vormittag dieses Tages quoll dunkler Qualm aus dem Bergeraum direkt neben der 1.930er-Milchviehanlage des Betriebes nahe Noschkowitz. Der Schwelbrand, der in einigen der eingelagerten dicht gepressten Strohballen ausgebrochen war, ließ sich nicht unter Kontrolle bringen. Schließlich stand die gesamte 45 mal 20 m große Halle mit den dort eingelagerten 1.500 Strohballen über Tage in Flammen.

„Mitarbeiter von uns, die bei der freiwilligen Feuerwehr sind, verhinderten durch ihr beherztes Eingreifen mit dem Wasserschlauch ein Übergreifen auf benachbarte Gebäude“, erinnert sich der 62-jährige Betriebschef. Als einen der möglichen Brandauslöser nennt das anschließend erstellte Gutachten „Selbstentzündung“.

Zwar haben sich der finanzielle Schaden und der Verlust des Strohs zum Füttern und für die Einstreu letztlich durch Versicherungsleistungen und die Lieferung aus Nachbarbetrieben in Grenzen gehalten. Dennoch: Der Schock saß tief. Nicht auszudenken, wenn die Flammen auf die danebenstehende zweite Bergehalle oder gar auf den Milchviehstall übergegriffen hätten. „Seit dem Großfeuer hat der Brandschutz in unserer betrieblichen Planung einen ganz anderen Stellenwert“, sagt Wagner.

In Sachen Brandschutz sind sich die Sicherheitsexpertin Romy Hempel von der gvf VersicherungsMakler AG und Gerold Wagner, Vorstandsvorsitzender der Agrar AG Ostrau, einig
In Sachen Brandschutz sind sich die Sicherheitsexpertin Romy Hempel von der gvf Versicherungs-Makler AG und Gerold Wagner, Vorstandsvorsitzender der Agrar AG Ostrau, einig. (c) Carmen Rudolph

temperaturSensoren melden Hotspot

Mit ihrem Angebot, den Prototyp „gruuna Thermo“ zu testen, rannten die Entwickler der in Chemnitz angesiedelten gruuna GmbH & Co. KG daher bei den Ostrauer Landwirten offene Türen ein.

Dabei geht es um ein System zur drahtlosen Überwachung der Selbstentzündungsgefahr in eingelagerten Stroh- und Heuballen. Seit 2016 messen nunmehr Sensoren Temperatur und Feuchtigkeit der Strohballen im wieder errichteten Bergelager und senden bei Registrierung kritischer Werte eine Handy-SMS und ein Alarmsignal auf den Computer der Milchviehanlage.

„Zum Glück“, meint die Leiterin der Tierproduktion, Doreen Wagner. Denn vor zwei Jahren meldete das System im Lager einen Hotspot mit einer Temperatur von 58 °C. Ab 60 °C ist gemäß den gängigen Richtlinien zum Brandschutz in der Landwirtschaft, wie sie etwa von Landesbehörden oder dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung am Versuchsstandort Paulinenaue erarbeitet wurden, die Auslagerung im Beisein einer löschbereiten Feuerwehr erforderlich. „Darauf wollten wir es nicht erst ankommen lassen. Es war Freitagnachmittag. Noch ließen sich Leute und Technik schnell zusammentrommeln. Da die Position jedes Sensors bekannt ist, wussten wir ja, wo sich die Hitzestelle befindet“, berichtet die 39-jährige Tierwirtin. So wurde der entsprechende Bereich freigelegt, die Ballen entnommen und damit vermutlich ein erneuter Brand verhindert.

Selbsterhitzung in fünf Stufen

Die Selbsterhitzung von Heu und Stroh mit Restfeuchte (über 15 % bei gepresstem und mehr als 20 % bei losem), die immer auch die Gefahr der Selbstentzündung birgt, verläuft in fünf Stufen (nach Hussain, 1972):

1. allgemeine biologische Aktivität 10 – 40 °C
2. mikrobiologische Phase 40 – 75 °C
3. thermophile Zersetzungsphase 55 – 85 °C
4 chemische Ruhephase 85 – 115 °C
5. pyrophore Gasphase 110 – 265 °C

Nebeneffekte:
■ Futterwert wird reduziert
■ toxische Nebenprodukte entstehen

Das Unternehmen gruuna, eine Tochter der ebenfalls in Chemnitz angesiedelten gvf Versicherungs-Makler AG, hat das System seither weiterentwickelt. Die neueste Version testen die Ostrauer Landwirte in der aktuellen Saison nun erstmals auch im Bergeraum des Betriebsteiles in Wutzschwitz.
„Hier lagern die 300 bis 400 Rundballen Heu für den Verkauf an Kleinverbraucher“, zeigt Maik Krawetzki, Arbeitsgruppenleiter Pflanzenschutz, durch das geöffnete Tor ins Halleninnere, wo Mitarbeiter Ralf Meinhold soeben angelieferte Großballen mit Radlader und Greifzange einstapelt.

jeder fünfte Schaden durch Selbstentzündung entstanden

Angemeldet zur Premiere von gruuna Thermo im Heulager hat sich auch Romy Hempel von gvf. „In den letzten drei Jahren konnten Heu und Stroh oft sehr trocken geerntet und eingelagert werden. Diesmal ist das aber anders.

Wird Heu bei wechselhafter Witterung mit Restfeuchte geborgen, erhöht sich die Brandgefahr durch Selbsterhitzung enorm“, erläutert die Diplom-Agraringenieurin. Sie verweist auf eine Analyse zu Bergeraumbränden in den letzten zehn Jahren bei ihrem Kundenbestand. Demnach waren zwar am häufigsten Brandstifter am Werk (40 %).

Doch jeder fünfte Schaden entstand durch Selbstentzündung. Da bei fast einem Viertel der Bergeraumbrände keine eindeutige Brandursache festgestellt werden konnte, ist zu vermuten, dass die Dunkelziffer für die Brandursache „Selbstentzündung“ höher liegt. Die gesetzlichen Vorgaben zur Einlagerung und Temperaturmessung landwirtschaftlicher Schütt und Stapelgüter sind nach Aussage der gvf-Sicherheitsexpertin schwer umzusetzen.

Paulinenauer Richtlinie zum Brandschutz

Die vom Zalf erarbeitete „Paulinenauer Richtlinie“ hat folgende Auswirkungen auf die herkömmliche Messung mit Stichthermometern:

Forderung: Einteilung in nummerierte und beschriftete Temperaturmessbereiche, die eine Grundfläche von jeweils 20 m2 bzw. ein Volumen von 80 m³ nicht überschreiten. In einem Bergeraum mit den Abmessungen 40 m mal 15 m (600 m2) wären das 30 Messbereiche.

Konsequenz: Die Lagerkapazität reduziert sich durch Gänge zwischen den Messbereichen und pyramidenförmige Stapel auf bis ein Drittel.

Forderung: Temperaturmessung und Dokumentation über mindestens 14 Wochen nach Beginn der Einlagerung, in den ersten beiden Wochen täglich, dann mit größer werdenden Messintervallen.

Konsequenz: hoher zeitlicher und personeller Aufwand.

Forderung: Ab einer Temperatur von 40 °C muss in kürzeren Zeitabständen gemessen werden. Die Werte an den Erhitzungsherden sind in separaten Listen zu erfassen. Die Messintervalle betragen ab 40 °C zwölf Stunden und ab 50 °C sechs Stunden!

Konsequenz: Ab einer Temperatur über 60 °C oder Röstgeruch muss wegen akuter Gefahr der Selbstentzündung die Auslagerung unter Anwesenheit einer löschbereiten Feuerwehr erfolgen.

Strenge Vorgaben

So werde bei Heu und Stroh eine Einteilung in Messbereiche gefordert, die eine Grundfläche von 20 m2 bzw. ein Volumen von 80 m³ nicht überschreiten. Weil dazwischen Gänge frei gelassen werden müssen, würde sich die Lagerkapazität des Bergeraums wesentlich reduzieren.

Vorgegeben seien – auch vonseiten der Versicherer – mindestens 30 Temperaturmessungen in einem Zeitraum von 14 Wochen ab der Einlagerung sowie deren Dokumentation. Das bedeute Personalaufwand und eine enorme Verantwortung für den damit Beauftragten. Denn in der Praxis würden die Bergeräume nach und nach gefüllt. Temperaturmessungen mit dem Stichthermometer könnten daher meist nur im vorderen Bereich oder an den Seiten durchgeführt werden.

Hinzu komme bei dieser Methode eine mögliche Verfälschung der Werte durch eine erwärmte Messlanze aufgrund von Reibung beim Einstechen oder ihrer Verwendung für mehrere Messbereiche.

Heuüberwachung von Quanturi
Das finnische Unternehmen Quanturi ist bereits 2020 mit dem System Haytech zur drahtlosen Überwachung von Heu- und Strohballen mit Alarmfunktion am Markt. Auch hier können Nutzer alle Daten über das Internet abrufen und für die Dokumentation speichern.

Zum Starter-Set gehören zehn Temperatursensoren plus Basisstation zum Preis von 1.150 Euro. Pro System können jedoch auch Daten von bis zu 200 Sensoren erfasst werden.

Die Batterien in  den nummerierten Sensoren des  Systems gruuna  Thermo halten  etwa ein Jahr. Das  daran befestigte  rot-weiße Band  erleichtert das  Auffi nden beim  Auslagern.
Die Batterien in den nummerierten Temperatursensoren des Systems gruuna Thermo halten etwa ein Jahr. Das daran befestigte rot-weiße Band erleichtert das Auffinden beim Auslagern. (c) Carmen Rudolph

Temperatursensoren: Engmaschige Messung

Die Verantwortlichen bei der Agrar AG Ostrau sind daher froh, dass ihnen bereits vor der Markteinführung von gruuna Thermo nun auch für die Heueinlagerung ein Mess- und Warnsystem zur Verfügung steht, dass alle Bereiche im Bergeraum erfasst.

Maik Krawetzki erläutert die Handhabung: „Die durchnummerierten 40 Temperatursensoren, die in diesem Fall zum Einsatz kommen, werden beim Einstapeln in regelmäßigen Abständen zwischen die Ballen gelegt. Ihre Lage vermerkt der Mitarbeiter in einem Formblatt. Später erfolgt die Übertragung der Positionen in die Eingabemaske des Onlineportals von gruuna.“

Die zur besseren Auffindung beim Auslagern mit einem weiß-roten Band versehenen batteriebetriebenen Sensorkästchen in der Größe einer Zigarettenpackung würden selbstständig ein sogenanntes Mesh-Netzwerk aufbauen und die Messwerte zu Temperatur und Feuchtigkeit an die außerhalb des Bergeraums installierte Haupteinheit senden, die sich über ein Solarpanel mit Strom versorgt. Von dort gelangen die Daten per Mobilfunk zum Server bei gruuna und sind aktuell als auch rückwirkend über das Internet am Computer oder Handy abrufbar.

Kommt es zu einem kritischen Temperaturanstieg, wird der Nutzer mit der Alarmfunktion über die Lage des potenziellen Brandherdes im Bergeraum benachrichtigt und kann sofort reagieren.

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