Industriegebiet statt Acker? Heiko Fischer hält von den Plänen ebenso wenig wie Julius Meinert (r.), dessen Betrieb ebenfalls betroffen wäre. © Karsten Bär

Industriegebiet statt Acker: Vorrang für Versiegelung?

Um internationale Großinvestoren anzulocken, soll auf fast 500 ha wertvollem Acker bei Delitzsch ein Industrievorranggebiet entstehen. Die betroffenen Landwirtschaftsbetriebe machen gegen das Vorhaben mobil.

„Früher“, sagt Heiko Fischer, „sollten wir für die Kohle abgebaggert werden.“ Wie sich die Zeiten ändern. Heute müssen ausgerechnet Kohleausstieg und Strukturwandel dafür herhalten, dass hunderte Hektar wertvollen Ackerlands in Pohritzsch, einem Ortsteil von Wiedemar bei Delitzsch, verschwinden sollen. Mehrere Landwirtschaftsbetriebe würden durch ein hier geplantes Industriegebiet in Delitzsch unwiederbringlich Flächen verlieren. Den Familienbetrieb von Heiko Fischer und seiner Frau Kerstin träfe es am schwersten – er stünde vor dem Aus.

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Ideale Bedingungen: „Kein Biotop, kein Hamster“

Vor einem Jahr hörte die Landwirtfamilie erstmals von den Plänen. Vertreter des nordsächsischen Wirtschaftsdezernats und des Zentralen Flächenmanagements (ZFM) des Freistaates Sachsen informierten Fischers darüber, dass östlich von Pohritzsch ein Industrievorranggebiet entstehen soll. Aus Sicht der Befürworter ist die Fläche ideal: Sie ist eben wie ein Tisch und lässt mit 485 ha genug Raum für die Ansiedlung eines internationalen Großinvestors.

Gesetzliche Hinderungsgründe gibt es hingegen kaum – „kein Biotop, kein Hamster“, formuliert es Heiko Fischer anschaulich. Die Voraussetzungen gelten als nahezu einmalig. In Pohritzsch und anderen betroffenen Ortsteilen will man erfahren haben, dass die Fläche als möglicher Standort für die Chipfabrik von Intel im Gespräch war, die jetzt in Magdeburg entsteht. Dort waren die planerischen Voraussetzungen allerdings bereits vorhanden.

In Wiedemar will man daher nun vorsorgen. So führt es auch der Vorentwurf des Bebauungsplans aus: Die Größe der Fläche sichere internationale Konkurrenzfähigkeit. Und um Nachfragen von Investoren beantworten zu können, sei eine zeitnahe Verfügbarkeit nötig, heißt es in dem Papier. Wenn ein Unternehmen das nächste Mal anklopft, soll es mit der Möglichkeit einer raschen Umsetzung auf geeigneter Fläche gelockt werden.

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Betrieb droht das Aus

Damit die Gemeinde Wiedemar derart flexibel wird, muss der Landwirtschaftsbetrieb Fischer viel geben. Zwischen 120 und 170 ha gingen ihm verloren, „je nachdem, wo die Planer auf der Karte den Strich ziehen würden“, so Heiko Fischer. Maximal verblieben dem Betrieb 70 oder 80 ha – was ihn seine Existenz als Haupterwerbsbetrieb kosten würde. Unabhängig davon: Dass unter den aktuellen Bedingungen wertvoller Acker mit im Schnitt 82 Bodenpunkten versiegelt werden soll, ist für den Landwirt ein Skandal: „Wir reden über die Sicherung der Welternährung, haben zugleich mit Dürre und Trockenheit zu kämpfen“, sagt er. „Einmal versiegelt, ist die Fläche für immer für die Nahrungsmittelerzeugung verloren.“

Hinzu kommt: „Die nötigen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind bei den 485 ha ja noch nicht einmal enthalten“, sagt Julius Meinert, dessen Betrieb, die Landbau Kyhna KG, ebenfalls mit 120 ha betroffen ist. Auch wenn dies den Betrieb nicht im Bestand gefährden würde, hat Meinert doch ebenfalls starke Vorbehalte. „Passt denn die vorhandene Infrastruktur? Die Verkehrsanbindung? Wo werden die Leute wohnen, die dann hier arbeiten?“, fragt der Landwirt. In den Planungen seien viele Dinge aus seiner Sicht nicht ausreichend beachtet worden.

Auch in der Bevölkerung der umliegenden Ortschaften stoßen die Pläne auf Ablehnung.
Auch in der Bevölkerung der umliegenden Ortschaften stoßen die Pläne auf Ablehnung. © Karsten Bär

Online-Petition gestartet

Weil mit dem Vorranggebiet „in der Region kein Stein auf dem anderen bleibt“, sei die Stimmung auch überwiegend gegen das Vorhaben eingestellt, meint Heiko Fischer. Und dies nicht nur bei den sieben Landwirtschaftsbetrieben, die von Flächenverlust betroffen wären. Auch in der Bevölkerung rumort es, wie zahlreiche Plakate an Zäunen und Häusern in den Ortschaften belegen.

Eine Bürgerinitiative hat sich gegründet, die auch eine Online-Petition gegen die Ausweisung eines Industriegebiets in Delitzsch gestartet hat. Denn was hier entstehen könnte, käme dem Neubau einer kleinen Stadt gleich: mit eigenem Klärwerk, neuen Straßen und bis zu 40 Meter hohen Häusern, wie Kerstin Fischer verdeutlicht. Im Grundriss der ausgewiesenen Fläche könnte die Stadt Delitzsch Platz finden.

Im Juli hat die Gemeinde Wiedemar den Entwurf des Bebauungsplans öffentlich ausgelegt. Von der Möglichkeit, Einwände zu erklären, haben die betroffenen Landwirte Gebrauch gemacht. Mit entscheiden darf Heiko Fischer, der auch Mitglied im Gemeinderat ist, wegen eigener Betroffenheit allerdings nicht. Wenn alles läuft, wie es die Verwaltung wünscht, wäre der Bebauungsplan Anfang nächsten Jahres rechtsgültig und die Flächen würden vermutlich vom Staatsbetrieb ZFM gesichert. Der bestehende Vorrang für die Landwirtschaft soll laut Planung in einem „Zielabweichungsverfahren“ aufgehoben werden. Schließlich gelte es, so die Begründung, die positive Entwicklung der letzten Jahre am Arbeitsmarkt der Region beizubehalten. Schon jetzt, wenden Fischer und Meinert ein, hätten kleine Firmen und Handwerksbetriebe Probleme, ihre Stellen zu besetzen – von der Landwirtschaft ganz zu schweigen.

Industriegebiet in Delitzsch: Es kann schnell gehen

Ein konkreter Interessent für das Industriegebiet in Delitzsch steht zwar noch nicht vor der Tür – und in Magdeburg habe es bis zur Intel-Ansiedlung immerhin 30 Jahre gedauert, wie Heiko Fischer anmerkt. „Aber im Zweifel kann es auch ganz schnell gehen, hat man uns gesagt.“ Den Beschluss über den Bebauungsplan wollen Fischers daher unter allen Umständen verhindern. Denn darauf, dass der Kelch, wie einst bei der Kohle, an ihnen vorbei geht, können sie sich dieses Mal nicht verlassen.