Ohne Freunde geht es nicht: Silke aus Zempow, Björn und Marian aus Berlin helfen Denise donnerstags bis Sonntag durch den Autokino-Alltag.

Autokino Zempow: Streifenweise Landkultur

In Zeiten von Corona schießen sie als letzte Bastion der Kultur geradezu aus dem Boden. Doch anders als andere hat das Autokino Zempow eine Geschichte. Revitalisiert mit neuer Leinwand baut es auf die Zukunft. 

Von Heike Mildner; Fotos: Sabine Rübensaat, Heike Mildner

Von Rheinsberg aus werden die Straßen schmaler. Irgendwann Zempow. Zwei Schilder an einer Kreuzung zeigen die gesamtgesellschaftlichen Hauptkoordinaten: „hier lang“ und „da lang“. Man muss sich entscheiden. Andauernd. Ich entscheide mich für „hier lang“. In die gleiche Richtung zeigt das Schild „Autokino“. Da will ich hin. Das erste Mal in einem Alter, in dem man nicht mehr allzu viele Dinge zum ersten Mal macht. Leichte Skepsis durchwabert die Neugier. Ich liebe Kino! Aber im Auto? Egal. Corona macht die Welt verrückt, Autokinos haben Konjunktur und ich keine Ahnung, wie das eigentlich funktioniert. Also rein ins Vergnügen.  

Autoradio ein – film ab

Der Weg ist jetzt ein Sandweg. Der schlängelt sich den Hügel hinunter und mündet in einem schilfgedeckten Torhäuschen, das mit bunten Lichterketten geschmückt ist. Ich zeige mein Onlineticket vor, bekomme einen Platz vorgeschlagen und darf passieren. Und da ist sie: Eine riesige Leinwand, davor eine proportional passende Rasenfläche, die von der Leinwand aus in acht Stufen je etwa einen halben Meter nach oben führt. Jede Stufe ist eine Autolänge plus Fahrspur breit.

Auf dem Weg zum Autokino.

Es ist halb zehn, um die zwei Dutzend Pkw haben sich schon in Stellung gebracht. Ich rangiere mich mittig auf Höhe des Vorführhäuschens ein. Links neben mir ein alter Wartburg, rechts ein korpulenter Audi mit Berliner Kennzeichen. Es gibt ein frisch gestrichenes Toilettenhaus und einen Stand mit Chips, Flips, Bier und Brause. Gut versorgt für die nächsten zwei Stunden stelle ich das Autoradio auf die Frequenz ein, auf der der Ton des Films gesendet wird: 92,6 – und schon kommt auch aus meinen Boxen die gleiche Gute-Laune-Musik wie aus den anderen Autos. So geht das also.  

Um zehn ist es dunkel genug für Kino. Es nieselt. Die Scheibenwischer haben zu tun, und die Scheiben beschlagen, wenn man sie nicht einen Spalt weit offen lässt. Eine angenehme Spannung liegt in der Luft. Meist sitzt man zu zweit im Auto – dank Corona ist das zur Zeit auch ohne Regen ein Muss – und erlebt den Film dennoch als Gemeinschaft. Auf dem Programm an diesem Sonnabend: „Rocketman“, der biografische Film über Elton John. 

Kultkino des ostens

Im Vorfilm ist zu erfahren, was es mit dem Autokino Zempow auf sich hat. Es ist das erste und einzige Autokino der DDR. Der Vater des Autokinos, Heinz Mögelin, gründete es 1977 und führte es bis fünf Jahre nach der Wende. Er legte nicht nur das Gelände an, sondern auch den Grundstein für ein Kultkino: Jeder im Osten war mal da oder kannte einen, der da war. Neue Pächter führten das Kino bis 2017 weiter. Da waren Leinwand und Vorführgeräte längst nicht mehr auf dem Stand der Technik.  

Denise Grduszak saß da noch an ihrer Doktorarbeit, fasste aber schon zaghaft Fuß in Zempow: Sie hatte immer mal wieder Urlaub im Dorf gemacht, in Berlin jobbte sie neben der Promotion für eine  Kinokette. Überhaupt: Kino! Da leuchten bei Denise Grduszak die Augen. Wahrscheinlich auch am Lagerfeuer in Zempow, als sie mit Dr. Wilhelm Schäkel ins Gespräch kam. Der hatte vor Jahren das Autokino mitkaufen müssen, als er Flächen für die Bioranch erwerben wollte. Er ermunterte die Berlinerin, loszulegen. Pläne wurden geschmiedet. 

Hürden gemeinsam meistern

Und dann kam Corona. Autokinos hatten auf einmal Konjunktur, und Berlin wurde noch enger als sonst schon. Anfang April zog Denise nach Zempow, schrieb Hygienekonzepte und Anträge an Brandenburger Ministerien. Mit Erfolg. Relativ fix machte das Wirtschaftsministerium eine Förderung aus Lottomitteln möglich: 10.000 Euro für eine neue Leinwand, 21 Meter breit und 9,5 Meter hoch, plus Geld für einen Teil der Technik: insgesamt 14.400 Euro bei einem Eigenanteil von 20 Prozent. Den hatte der Dorfkulturverein schon zurückgelegt. Vernetzung ist alles, und dieses Dorf scheint richtig gut vernetzt zu sein. 

Inzwischen hat Denise Grduszak ihren Zweitwohnsitz in Zempow, und sie hat Freunde, die ihr beim Verwirklichen ihrer Kinopläne helfen: Zum Beispiel ihr Freund Björn Bonn, der eigentlich Schauspieler ist und hier in seiner freien Zeit Bier, Brause und Chips verkauft. Berliner und im Dorfkulturverein engagierte Zempower machen gemeinsame Sache. Bei der Abrechnung hilft Swantje Schäkel, die Frau von Wilhelm, und dann ist da noch der Filmklub Güstrow, der mehr ist als ein Abspielring. „Ein ganz tolles Konzept!“, schwärmt Denise. „Jens-Hagen Schwadt hat mich quasi an die Hand genommen, gesagt, wo ich anrufen soll und was als Nächstes zu tun ist.“  

Autokino zempow: nicht nur ein „coronakino“

Der erste Film auf der neuen Leinwand lief vor etwa 100 Besuchern in 50 Autos am Freitag,  29. Mai 2020. Ein historischer Tag in der Geschichte des alten Kinos. Bis Ende Oktober werden Donnerstag bis Samstag Filme gezeigt. Die Auswahl trifft Denise Grduszak, und wie alle anspruchsvollen Kinobetreiber muss sie den Spagat zwischen dem eigenen und dem Geschmack des zahlenden Publikums schaffen. Klar ist: „Wir wollen nicht das Coronakino sein“, sagt Wilhelm Schäkel. „Die Atmosphäre unterscheidet sich doch sehr von den Parkplatzkinos. Wir haben Wiese hier!“, ergänzt Denise Grduszak. „Und irgendwann kann man auch wieder aussteigen, Liegestühle mitnehmen und in die Sterne sehen …“ 

Elton John ist gerade im Entzug, da fällt bei mir das Radio aus. Der Wischer schleppt sich nur noch mühsam über die Scheibe, die Batterie schwächelt. Schüchtern versuche ich zu starten. Es knattert. Ich denke über Starthilfekabel und ADAC nach und kann nur noch wenig Verständnis für Eltons Auferstehung aufbringen. Der Heimweg nachts um zwölf ist das Einzige, was mich noch interessiert.  

Das Problem löst sich schnell und freundlich, als der Film zu Ende ist. Der Hausherr selbst kommt mit einer externen Batterie vorbei und gibt Starthilfe. Neben meinem ging noch zwei anderen Autos unter den ungewohnt wasserreichen Bedingungen an diesem Abend in Zempow der Saft aus. Auch ihnen wird geholfen, und sie sind wahrscheinlich genauso fröhlich wie ich. Unvergesslich ist ein starkes Wort, aber auf den Abend in Zempow trifft es ganz sicher zu. 

Mehr dazu: autokino-zempow.de 


Jan Paki, Christian Richter, und Andreas Bergmann vom Landschaftspflegeverband mit Gastgeber Schäkel im Hanf.

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