Susanne Petersen mit den Herdenschutzhunden Charlie und Eisbär bei einer Dorperherde am Rande von Qualitz bei Bützow. Eine Woche nach der Wolfsattacke sind die Schafe immer noch verängstigt. (c) Gerd Rinas

Schaf und Wolf – Wie wird das Miteinander praktikabel?

Werden Landwirte noch Tiere auf der Weide halten können, wenn die Wolfspopulation weiter wächst? Susanne Petersen, Vorsitzende des Landesschaf- und Ziegenzuchtverbandes in Mecklenburg-Vorpommern, sieht raschen Handlungsbedarf.

Das Interview führte Gerd Rinas

Frau Petersen, wie nehmen Sie die Entwicklung der Wolfspopulation in Mecklenburg-Vorpommern wahr?
Nach den jüngsten Angaben haben sich 15 Wolfsrudel und ein Wolfspaar angesiedelt. Daneben gibt es Hinweise aus mehreren Regionen auf neue Wolfsvorkommen. In den bekannten Rudeln wurden 36 Welpen nachgewiesen, allerdings konnte der Nachwuchs nicht in allen Rudeln ermittelt werden. Fest steht, dass sich die Population stark entwickelt. Experten weisen darauf hin, dass sie sich alle drei bis vier Jahre verdoppelt. Das macht mir Sorge.

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In der Weideland Qualitz GbR, einem Ökobetrieb, halten Sie mit Ihrem Ehemann 400 Herdbuchmutterschafe der Rasse Dorper. Kamen Ihre Tiere schon mit Wölfen in Kontakt?
Beim ersten Wolfsriss im Juni 2020 verloren wir unseren wertvollsten Zuchtbock. Jolly Jumper hatte nicht nur den höchsten Dorperbock- Zuchtwert bundesweit, er gehörte auch zur Familie. Bei der Attacke 500 m vom Dorfrand entfernt stand die Bockherde hinter Grundschutz. Im Oktober verloren wir trotz erweitertem Grundschutz, also 1,08 m hohen Elektronetzen mit 3.500 Volt Spannung, drei tragende Muttern, und im Dezember noch einmal zwei tragende Muttertiere durch Wolfsrisse. Vor einer Woche fanden wir einen Herdenschutzhund mit Bissverletzungen im Gesicht vor. Laut Rissgutachten stammen sie ebenfalls von einem Wolf.

Susanne Petersen ist Tierärztin und Schafzüchterin. 2020 wurde sie zur Vorsitzenden des Landesschaf- und Ziegenzuchtverbandes MV gewählt. (c) Gerd Rinas

Können Sie den Herdenschutz so verstärken, dass es zu solchen Vorfällen nicht mehr kommt?
1,20 m hohe Zäune und Herdenschutzhunde verringern zumindest das Risiko von Wolfsrissen. Allerdings stellt sich bei unserem Betriebskonzept die Frage, wie viel Herdenschutz machbar und umsetzbar ist. Wir wirtschaften auf 180 ha gepachtetem Grünland. Dorperschafe lammen asaisonal dreimal in zwei Jahren. Anders gesagt: Bei uns lammen dreimal im Jahr 200 Mutterschafe. In den Deckzeiten gibt es allein sechs bis acht Deckherden mit jeweils einem Bock. Auch die lammende Herde wird geteilt, um die Tiere besser im Blick zu behalten. Auf diese intensive Zucht ist unser Betriebskonzept ausgerichtet.

Was ist das Besondere daran?
Die Herden stehen auf 28 meist kleineren Weideflächen im Umkreis von zwölf Kilometern um Qualitz. Bisher hat das gut gepasst. Aber seitdem der Wolf da ist, haben wir ein Problem: 15 Herden mit jeweils zwei Herdenschutzhunden auszustatten und Zäune mit erweitertem Grundschutz für 28 Flächen, das ist selbst mit Fördermitteln nicht zu finanzieren. Ob und wie wir unser Betriebskonzept anpassen können, prüfen wir gerade. Nach bisherigem Stand ist es so, dass die Förderung entweder für die Hunde oder höhere Zäune reicht, nicht aber für beides. Andererseits können wir nicht so einfach das Beweiden von Flächen einstellen, weil wir uns dazu im Rahmen von Agrarumweltmaßnahmen verpflichtet haben.

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Schafhalter weisen immer wieder darauf hin, dass Unterhalt und Aufwand für die Herdenschutzhunde zusätzliche Kosten verursachen, die bisher in MV nicht gefördert werden.
Das ist richtig. Diese Kosten sind erheblich, wenn man bedenkt, dass Herdenschutzhunde die Hälfte ihres Lebens keine Schutzaufgaben wahrnehmen, aber natürlich trotzdem versorgt werden müssen. Was oft übersehen wird: Der Arbeitsaufwand in der Schafhaltung ist mit der Rückkehr des Wolfes generell stark angestiegen.

Die Agrarministerkonferenz hat vorgeschlagen, Schaf- und Ziegenzüchter mit einer gekoppelten Prämie von 30 Euro pro Mutterschaf und Ziege zu unterstützen. Würde das die Betriebe finanziell spürbar entlasten?
Genaugenommen wäre dies die Korrektur einer politischen Fehlentscheidung. Wir haben lange darum gekämpft und sind froh über diesen Vorschlag. Aber zu dem Mehraufwand, der uns durch den Wolf entsteht, stünde diese Prämie in keinem Verhältnis und in keinem Zusammenhang. Die Weidetierprämie ist ein Ausgleich für den erschwerten Marktzugang aufgrund der hohen Nachhaltigkeitsstandards, nach denen wir produzieren. 22 von 27 EU-Mitgliedstaaten gewähren ihren Weidetierhaltern diese Prämie schon seit vielen Jahren.

Weidetierhaltung und Wolf – geht denn das überhaupt miteinander?
Ich kann bundesweit keinen Plan erkennen, wie Weidetierhaltung und Wolf koexistieren sollen. Die Wolfsproblematik wird in den Bundesländern unterschiedlich wahrgenommen, je nachdem, wie betroffen das Land ist. In Sachsen, Brandenburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern ist Problembewusstsein entstanden. In anderen Bundesländern, die noch Wolfserwartungsland sind, ist die Bereitschaft eher gering, sich vorsorgend mit der Rückkehr des Wolfs auseinanderzusetzen. Immer wieder wird gesagt: Wir haben keinen Wolf. Das klingt wie: Zu uns wird auch kein Wolf kommen. Das kann sich schnell ändern. Aus so einem Bewusstsein heraus trifft man andere Entscheidungen, als wenn man wie wir in Qualitz nachts die Wölfe heulen hört oder einen Bock wie Jolly Jumper verliert.

Vom 21. bis 23. April ist Umweltministerkonferenz, Mecklenburg-Vorpommern stellt den Vorsitzenden. Welchen vordringlichen politischen Handlungsbedarf sehen die Schaf- und Ziegenhalter zum Wolf?
Die Kosten für die Prävention vor Wolfsrissen und der erhöhte Aufwand des Herdenschutzes sollten bundesweit einheitlich und hundertprozentig ausgeglichen werden. Mindestens ebenso wichtig ist es, eine Strategie zum Umgang mit dem Wolf zu entwickeln. Wir müssen uns Klarheit über den günstigen Erhaltungszustand der Population verschaffen. Die Politik tritt in dieser Frage auf der Stelle. Wir erwarten aber Lösungen, die ein Miteinander von Weidetierhaltung und Wölfen ermöglichen. Unser Eindruck ist, dass ein Teil der Umweltpolitiker auf der Bremse steht. Dabei bewirkt die Feststellung des günstigen Erhaltungszustandes noch gar nichts. Bevor die Wolfspopulation tatsächlich reguliert werden kann, sind viele weitere Maßnahmen nötig. Meine Sorge ist, dass uns die Zeit davonläuft und der Wolf uns überholt. Zur Zeit vermehren sich die Wölfe ungehindert. Genau genommen lassen wir sie regelrecht ins Messer laufen. Irgendwann wird das nicht mehr gehen, und wir werden uns beschämt fragen, warum wir nicht früher gehandelt haben.

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