Insektenschutz: Kabbeln fürs große Krabbeln

Wildbiene auf Borretsch (c) Sabine Rübensaat

In Brandenburg einigten sich zwei Volksinitiativen zum Insektenschutz auf eine Beschlussvereinbarung. Alle Insektenschutzmaßnahmen wurden gegengerechnet und sollen durch Fördermaßnahmen begleitet werden.

Von Heike Mildner

Mittlerweile geht Friedhelm Schmitz-Jersch das Wortgebilde „chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel“ locker von den Lippen, obwohl Pestizide viel kürzer ist, in Landwirtsohren aber Alarm auslösen. Schmitz-Jersch ist Vorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu) Brandenburg und einer der Köpfe der Volksinitiative „Artenvielfalt retten – Zukunft sichern!“. Mit neun Trägern und drei Dutzend Unterstützern war sie Mitte April 2019 angetreten, Unterschriften für ihre Vorstellung von Insektenschutz zu sammeln: Pestizidverbot in Schutzgebieten, zehn Meter breite Gewässerschutzstreifen und andere Maßnahmen, die den Landwirt Geld kosten und seine Handlungsfreiheit einschränken.

Übergabe der Unterschriften des Forum Natur Brandenburg (c) FNB

Fast zeitgleich formierte sich eine zweite Bürgerinitiative mit gleichem Ziel: Insektenschutz, jedoch mit etwas anderen Forderungen. „Mehr als nur ein Summen – Insekten schützen, Kulturlandschaft bewahren!“ war das Motto der Initiatoren: Landesbauernverband, Landesjagd-, Landesfischerei-, Waldbesitzer- und Landesanglerverband sowie dem Verband Familienbetriebe Land und Forst, die gemeinsam im Forum Natur Brandenburg zusammenarbeiten. Elf weitere Landnutzerverbände schlossen sich an. Ziele der Volksinitiative waren u. a. die Einrichtung eines Kulturlandschaftsbeirats und einer Koordinierungsstelle für Insektenforschung sowie Maßnahmen, die in einem Förderprogramm Artenvielfalt zusammengefasst werden. Insektenschutz ja, aber mit finanziellem Ausgleich für die Landwirte.

Unterschriften sammeln

Zunächst ging es für beide Volksinitiativen darum, mindestens 20.000 Unterstützer für ihr Anliegen zu gewinnen. Die Landnutzer-Initiative gab am 19. November 2019 ihre Unterschriften ab. Knapp 24.000 Unterstützer hatten sie über die Mitglieder der beteiligten Verbände gewinnen können. Die Naturschutzorganisationen zogen alle Register inklusive Infoständen, Bienenkostüm und Infotour mit gestyltem Doppelstockbus. Am Ende freute man sich über 73.000 Unterschriften, die am 13. Januar 2020 dem Landtag übergeben wurden. Bei der Anhörung vorm Agrar- und Umweltausschuss dann die Enttäuschung: Der Parlamentarische Beratungsdienst hatte einen Verstoß gegen formale Kriterien festgestellt. Wenig später verpflichteten sich beide Volksinitiativen, auf ein Volksbegehren zu verzichten.


Übergabe der 73.052 Unterschriften für Artenvielfalt retten“ an den Landtag. (c) David Wagner, Nabu

Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid
Die Volksinitiative ist die erste Stufe der Volksgesetzgebung. Mit 20.000 Unterstützern wird sie dem Landtag zur Beratung vorgelegt. Schon das kann ein Erfolg sein, wenn das Anliegen bei den Abgeordneten Gehör findet. Kommt kein Gesetzentwurf o. Ä. zustande, kann ein Volksbegehren (80.000 Unterstützer) angestrebt werden, das größeres Gewicht hat. Entspricht der Landtag nicht binnen zwei Monaten dem zulässigen Volksbegehren, kann ein Volksentscheid angestrebt werden. Wenn mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten dem Anliegen zustimmt, muss es umgesetzt werden.


Kostenpunkt: 30 Millionen Euro zusätzlich

In einem moderierten Dialogprozess, von dem man bald als „Insektendialog“ sprach, sollten beide Parteien zusammenfinden und sich auf einen gemeinsamen Beschluss einigen. Regierungswechsel samt neuem, grünem Agrarminister und Corona-Maß-nahmen machten die Sache noch bunter, als sie eh schon war. Neben den Vertretern der beiden Volksinitiativen beteiligten sich auch die Agrarsprecher aller Landtagsfraktionen am Dialogprozess. Mit Erfolg. Am vergangenen Mittwoch unterschrieben die Vertreter der beiden Volksinitiativen im Potsdamer Landtag eine 31-seitige Beschlussvereinbarung. Und dass am Folgetag auch die Agrarsprecher der Koalitionsfraktionen von SPD, CDU und Grünen das Papier unterzeichneten, lässt hoffen, dass es kein Papiertiger bleibt.

Die Beschlussvereinbarung ist unterschrieben. Vertreter der Volksinitiativen und Mitglieder des Agrar- und Umweltausschusses. (c) Holger Brantsch, LBV

„Die getroffene Vereinbarung öffnet die Tür für ein kooperatives Miteinander von Landwirtschaft und Naturschutz und hat damit auch für andere Bundesländer eine Signalwirkung“, kommentierte Johannes Funke, Agrarsprecher der SPD-Fraktion. Worauf man sich geeinigt hat, gliedert sich in drei Abteilungen: Gesetzgebungsvorschläge zur Änderung des Naturschutzgesetzes und des Landeswassergesetzes, Entschließungsanträge des Landtages und die finanzielle Untersetzung der Maßnahmen. Um Letzteres vorwegzunehmen: Das ganze Paket wird etwa 30 Millionen Euro über die bestehende Förderung hinaus erfordern. Wofür? Gehen wir ins Detail.

Blühstreifen

Mehr als ein Summen – ein guter Anfang

Bei zwei gegründeten Initiativen für mehr Artenvielfalt und Insektenschutz in der Landwirtschaft bahnen sich Konflikte an. Die neu gefundene Eignung soll Bauern, Naturschützer und Landesregierung näher zusammenbringen. Ein Kommentar. mehr

Insektenschutz: Die wichtigsten Punkte

Angestrebte Gesetzesänderungen:

  • Grünanlagen der öffentlichen Hand sollen möglichst biologische Vielfalt zeigen.
  • In Naturschutzgebieten sind chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel ab 2023 verboten, in FFH-Gebieten, die nicht als Naturschutzgebiete, sondern über Erhaltungszielverordnungen geschützt sind, ab 2028.
  • In Naturschutz- und in FFH-Gebieten, die durch Erhaltungszielverordnungen geschützt sind, sind mineralische Stickstoffdünger ab 2028 verboten.
  • Gewässerrandstreifen sind fünf Meter breit und müssen ab 2023 ganzjährig begrünt sein. Pflanzenschutz- und Düngemittel sind hier verboten.
  • Die Verpachtung landeseigener land- und forstwirtschaftlicher Flächen soll mit Mindestkriterien für eine ökologische oder anderweitige naturverträgliche Bewirtschaftung einhergehen.

Änderungen über Entschließungsanträge:

  • Die Landesregierung wird aufgefordert, eine Koordinierungsstelle Insektenschutz an einer wissenschaftlichen Einrichtung oder beim Landesamt für Umwelt anzusiedeln. Außerdem sollen mindestens zehn landwirtschaftliche Betriebe in verschiedenen Naturräumen als Referenzbetriebe für Insektenschutzmaßnahmen in der Agrarlandschaft fungieren.
  • Die bestehende Förderung von Blüh-, Grün- und Ackerrandstreifen soll auf mehrjährige Streifen und auf weitere Strukturelemente wie Hecken sowie Blühflächen ausgerichtet werden.
  • Weidetierprämie zur Unterstützung der Weidetierhaltung und damit der Anzahl und Artenvielfalt von Insekten. Voraussetzung für die Gewährung einer Weideprämie ist u. a. die Anwendung eines geeigneten Herden- und Parasitenmanagementsystems mit dem Ziel, prophylaktische Medikationen zu vermeiden.
Die Weidetierprämie könnte kommen. (c) Heike Mildner
  • Die Landesregierung wird aufgefordert, bis 2022 dem Landtag eine Strategie zur deutlichen Reduzierung des Einsatzes von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln vorzulegen. Die Strategie ist regelmäßig fortzuschreiben, dem Landtag ist alle zwei Jahre ein Fortschrittsbericht vorzulegen.
  • Europäische Fördermittel, die aus der Ersten in die Zweite Säule umgeschichtet werden, sollen für die Honorierung von agrarsozialen und agrarökologischen Leistungen wie Umwelt- und Klimamaßnahmen, Tierwohl, den ökologischen Landbau und die betriebsintegrierte Beratung verwendet werden. Inhaltlich ist die Förderung von Agrar- und Umweltmaßnahmen im Grünland vorrangig auf qualitativ hochwertige Maßnahmen auszurichten und soll erfolgsorientierter angelegt werden. Die Förderung von Agrar- und Umweltmaßnahmen auf Ackerflächen ist vorrangig auf selbstbegrünende Brachflächen, die Anlage und Pflege von mehrjährigen Blühstreifen und Blühflächen, Ackerrandstreifen sowie die Schaffung dauerhafter Strukturelemente wie Feldgehölze, Hecken, Säume, Baumreihen und den Erhalt von Kleingewässern auszurichten.
  • Die Landesregierung wird aufgefordert, den ökologischen Landbau in Brandenburg mit dem Ziel zu fördern und zu unterstützen, bis 2030 einen Anteil des Ökolandbaus an der landwirtschaftlich genutzten Fläche von mindestens 20 Prozent zu erreichen. Dazu soll ein Aktionsplan Ökolandbau aufgelegt werden, um die Vermarktungsmöglichkeiten für ökologisch angebaute Produkte zu verbessern und Wertschöpfung zu sichern.
  • Förderung für betriebsintegrierte Beratung: Über eine Förderrichtlinie soll eine flächendeckende Inanspruchnahme von Beratungsdienstleistungen insbesondere zur Verbesserung der Ressourceneffizienz, des Umwelt-, Natur- und Klimaschutzes ermöglicht werden.
  • Flächenverbrauch reduzieren: Maßnahmenpaket zur spürbaren Verringerung des Flächenverbrauchs und der Flächenzerschneidung entwickeln.
  • Kommunen sollen bei der Erarbeitung insektenfreundlicher Beleuchtungskonzepte fachlich unterstützt werden.

Im Interview mit Landesbauernpräsident Henrik Wendorff erfahren Sie, wie zäh um manches Detail gerungen wurde, bis man sich einig wurde. Zu lesen in der Druckausgabe der Bauernzeitung 11/2021 oder im E-Paper.