Nitratmessstellen wie diese, die Grundlage zum Ausweis eines roten Gebietes war, wecken bei Landwirten Zweifel. © Frank Hartmann

Dritte Kulisse in drei Jahren

Der geänderten AVV für die neuerliche Ausweisung roter Gebiete stimmten die Länder zu. Wie sich die als belastet geltenden Flächen nun ändern, wird aber erst im Herbst feststehen.

Von Frank Hartmann

Spätestens am 30. November müssen die Länder die Nitratüberschussgebiete (rote Gebiete) per Landesverordnungen neu ausgewiesen haben. Dabei handelt es sich um die dritte Variante von Kulissen innerhalb von drei Jahren: Auf Grundlage der Düngeverordnung erfolgte erstmals 2019 eine Ausweisung von roten Gebieten. Im Osten summierten sich diese düngerechtlichen Restriktionsgebiete auf 750.000 ha.

Die Methodik überzeugte die EU-Kommission nicht. Bund und Länder einigten sich als Antwort Ende 2020 auf die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten (AVV). Die Binnendifferenzierung wurde zur Regel erklärt, die AVV in Windeseile in Landesrecht gegossen. Zum 1. Januar 2021 trat sie in Kraft. Der Gesamtumfang der roten Gebiete im Osten verringerte sich auf 450.000 ha. Die Systematik genügte der EU-Kommission abermals nicht, die mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland drohte. Dieses endgültig abzuwenden, soll mit der geänderten und vom Bundesrat am Freitag voriger Woche gebilligten AVV gelingen. Und wie schon 2020/2021 ist die Zeit äußerst knapp.

Fest steht: Die Kulissen der roten Gebiete schwellen wieder an. Und zwar in jedem Bundesland. Schätzungen zufolge wächst die Fläche bundesweit um 900.000 ha auf 2,9 Mio. ha. Wie viel davon auf Ostdeutschland entfällt, lässt sich noch nicht sagen.

Aktuelle Ausgabe
Bauernzeitung 17/2024

Unsere Top-Themen

  • BraLa 2024: Trecker, Tiere und Talente
  • Strategien im Maisanbau
  • Wertvoller Wirtschaftsdünger
  • Märkte und Preise
Zur aktuellen Ausgabe

Folgen noch unklar

Brandenburg etwa rechnet laut Agrarministerium nach ersten Überschlägen mit einem Zuwachs von 1,73 % der Nutzfläche auf 2,6 % oder 34.000 ha. Während man in Thüringen (Stand: 50.000 ha oder 6,4 % der LN) von einem „moderaten Flächenzuwachs“ ausgeht, erwartet Sachsen-Anhalt (73.000 ha, 6,2 %) eine „erhebliche“ Ausdehnung der Kulisse. Wesentlicher Punkt dafür dürfte das Aus von Emissionsparametern für die binnendifferenzierte Abgrenzung der Überschussgebiete sein, wie sie die bisherige AVV regelte. Dies war ein entscheidender Kritikpunkt der EU-Kommission. Damit fällt künftig die Ermittlung der potenziellen Nitrataustragsgefährdung weg, was auch als Abkehr vom Verursacherprinzip angesehen wird.

VERURSACHERPRINZIP
Bund musste Zusage nachreichen
Um die Zustimmung der Länder zur AVV Gebietsausweisung zu erhalten, musste der Bund in puncto Verursacherprinzip in letzter Minute eine Zusage nachlegen. Noch am Mittwoch war die Verordnung in einer Probeabstimmung der Länder durchgefallen. Daraufhin reichte die Bundesregierung eine Protokollerklärung nach. Darin verpflichtet sie sich, die Düngeregeln stärker zu differenzieren, um für mehr Verursachergerechtigkeit zu sorgen. Dem Text zufolge will sie eine Reihe von Regelungen „noch in diesem Jahr anstoßen und zeitnah zusammenführen“.

Während der Debatte zum Beschluss versicherte Staatssekretärin Manuela Rottmann am Freitag im Plenum: „Auch der Bund will daran mitwirken, ein System zu entwickeln, das es in Zukunft ermöglicht, dass nur die Verursacher von Einschränkungen betroffen sind“. Rottmann bekräftigte, es sei „allen“ bewusst, dass mit der Neuausweisung der roten Gebiete Belastungen und Einschränkungen einhergingen. Es sei jedoch auch deshalb notwendig, um die EU-Strafzahlungen abzuwenden. Den Austausch mit der Kommission in Brüssel darüber beschrieb sie als „nicht einfach“. Der Weg zur Einigung sei auch für die Länder und ihre Behörden oft eine Zumutung gewesen.

Thüringens Agrarministerin, Susanna Karawanskij, appellierte an die Bundesregierung, endlich aus der Rolle des Regierens auf Druck von außen herauszukommen und aktiv „eine Balance zwischen ökologischen und ökonomischen Herausforderungen“ zu schaffen. Dass die deutschen Regelungen nicht ausreichten, sei schließlich bereits 2006 bekannt gewesen. Jetzt gehe es darum, schnellstmöglich die Datengrundlage zu schaffen, damit bereits heute gewässerschonend wirtschaftende Betriebe von den Auflagen befreit werden könnten. Die Linken-Politikerin wies darauf hin, dass Landwirtschaftsbetriebe derzeit vor vielen Herausforderungen stünden, wie Kostenexplosionen bei Betriebsmitteln oder anhaltend gestörte Lieferketten, während seitens der Agrarpolitik noch immer fraglich sei, welche Regeln im nächsten Jahr gelten. „Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob wir den Landwirtinnen und Landwirten in der Summe aller Herausforderungen nicht zu viel zumuten“, gab Karawanskij im Plenum der Länderkammer zu bedenken. red

Rote Messstellen müssen auch in roten Gebieten liegen

Neu regelt die AVV überdies, dass künftig Schläge, die zu 20 % in die Kulisse ragen, zur Gänze ins rote Gebiet fallen. Bisher lag die Grenze bei einem Flächenanteil von 50 %. In Thüringen geht man davon aus, dass die Kulisse auch an den Rändern wachsen kann. Nicht zuletzt müssen von nun an rote Messstellen auch in roten Gebieten liegen.

Die Vielfalt an Verfahren zur Ausweisung der roten Gebiete wird mit der AVV bis Ende 2028 beendet. Danach sind bundesweit nur noch geostatistische Verfahren zugelassen, wobei in einem Bundesland nur ein geostatistisches Regionalisierungsverfahren Anwendung finden darf. Übergangsweise sind noch zwei deterministische Verfahren (IDW; Voronoi) zulässig, wobei eines davon flächendeckend im Bundesland anzuwenden ist.

Beim IDW-Verfahren ist eine Messstelle je 5.000 ha bezogen auf die Landesfläche notwendig. Soll die Abgrenzung per Voronoi erfolgen, ist die Binnendifferenzierung ab mindestens zwei Messstellen je Grundwasserkörper möglich. Bei den geostatistischen Verfahren verlangt die AVV für das Ausweisungsmessnetz, dass bei „stark variierenden hydrogeologischen Einheiten“ mindestens eine Messstelle je 2.000 ha und bei großflächigen Einheiten je 5.000 ha im Grundwasserkörper vorhanden sein muss. Bis Ende 2024 sind die Messstellen, je nach Verfahren, auszubauen. Das Messnetz wird also insgesamt dichter. In das Ausweisungsmessnetz können die Länder neben den „offiziellen“ Messpunkten (WRRL-, EUA- und EU-Nitratmessnetz) auch Messstellen von Trinkwasserversorgern sowie „Zusatz-messstellen“ einbeziehen, die den technischen Anforderungen genügen. In Sachsen-Anhalt etwa beträgt heute der Anteil der Zusatzmessstellen am Ausweisungsmessnetz 17 %. Diese würden den Vorgaben der AVV genügen.

Vielfalt an Verfahren in den einzelnen Bundesländern

Welches Verfahren die Länder bis 2028 anwenden, hängt wesentlich von der Messstellendichte ab. Während Thüringen aufgrund der Messstellendichte sein geostatistisches Verfahren (Simik+) fortführt, wird etwa Sachsen bei der aktuellen Ausweisung das IDW-Verfahren anwenden, da aktuell noch nicht in allen Grundwasserkörpern die geforderte Messstellendichte erreicht werden könne.

Auch Mecklenburg-Vorpommern wird zunächst noch eines der beiden deterministischen Regionalisierungsverfahren nutzen. Brandenburg hat die roten Gebiete bisher schon auf Grundlage des IDW-Verfahrens ausgewiesen. Geplant sei, dieses bis zur Ablösung durch das geostatistische Verfahren im Jahr 2028 weiterzuverwenden.

In Sachsen-Anhalt läuft noch die Prüfung. Die Agrarministerien gehen davon aus, dass bis Ende 2024 die geforderte Messstellen in den Grundwasserkörpern errichtet werden.

Gleichwohl in Thüringen das Messnetz den Anforderungen bereits genügt, will man dies bis 2024 weiter ausbauen, u. a. weil einige bisher genutzte Messstellen herausfallen. Inwieweit man weitere landwirtschaftliche Messstellen wie Rohwasserbrunnen ins Netz einbeziehen wird, wollen die Thüringer Wasserfachleute in der AG Nährstoffeinträge mit den Verbänden diskutieren. Die neue AVV lässt das grundsätzlich zu. In Sachsen-Anhalt und Sachsen steht man dem sehr offen gegenüber. Wenn Brandenburger Landwirtschaftsbetriebe Kenntnisse von Messstellen haben, die den neuen AVV-Anforderungen entsprechen, können sie diese an das Landesamt für Umwelt melden.

Neu: Heranziehen von denitrifizierenden Verhältnissen bei der Gebietsausweisung

Ebenso neu und auf Druck der EU-Kommission in die AVV eingeflossen, ist das Heranziehen von denitrifizierenden Verhältnissen bei der Gebietsausweisung. Dies ist für die allermeisten Länder Neuland und wird frühestens zur nächsten Überprüfung der Kulissen eine Rolle spielen. Die Messverfahren dafür müssen erst noch etabliert werden. In einigen Regionen der Republik wird das, zuallererst auf hydrogeologischen Ursachen fußend, die Größe der roten Gebiete sicher mitbestimmen.

Aus dem Agrarministerium in Schwerin heißt es, dass denitrifizierende Verhältnisse im Grundwasser des Landes von besonderer Relevanz seien und in jeder Region auftreten würden. Was das für Landwirte in Sachsen-Anhalt bedeutet, ließ das Ministerium noch offen. Die Berücksichtigung der Denitrifikation erachte man aber als kritisch, „da die abnehmende Denitrifikation im Grundwasser über die Trendbetrachtung des Nitratschwellenwertes bereits Berücksichtigung in der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie findet“. In Sachsen und Thüringen geht man von einer vergleichsweise geringen Relevanz aus.

In Thüringen weiß man, dass weniger als fünf Prozent der 1.400 Messstellen denitrifizierende Verhältnisse anzeigen. Weitere Details seien nur wenig bekannt. Hingewiesen wird in Erfurt darauf, dass denitrifizierende Verhältnisse nicht automatisch mit einer Überschreitung der Grenzwerte gleichzusetzen seien.

Ob und in welchen Regionen Brandenburgs dies eine Rolle spielen wird, dazu könne noch keine Aussage getroffen werden, hieß es aus Potsdam. Wie sich die neue AVV auf die Phosphor-Flächenkulisse auswirkt, darüber konnte in Magdeburg aufgrund noch ausstehender Berechnungen keine Aussage getroffen werden. Man gehe aber von einer erheblichen Ausweitung in Sachsen-Anhalt aus.

In Erfurt hingegen erwartet man eine geringe Vergrößerung der Gebiete an deren Rändern. Da auch hier neue Messwerte mit einflössen, sei noch keine Aussage möglich. Lokal seien aufgrund neuer Messwerte Veränderungen möglich, „wenn eine Grenzwertüberschreitung nicht mehr gegeben ist oder neu hinzutritt“. Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wollen weiterhin keine Kulissen ausweisen und stattdessen landesweit an den erweiterten Gewässerabständen festhalten.