Sonne über dem Brandenburger Tor während der Bauerndemo in Berlin (c) Imago Images/Stefan Zeitz

Zeit zum Üben könnte knapp werden

Die große Bauerndemo in Berlin hat unter Landwirten für ein lange vermisstes Gemeinschaftsgefühl gesorgt. Doch politisch ist damit noch nichts erreicht- und viel Zeit bleibt nicht mehr, den schwierigen Dialog zu üben.

Von Ralf Stephan

Bilder von tausenden Traktoren, die sich im Morgengrauen mit eingeschalteten Rundumleuchten in kilometerlange Schlangen Richtung Berlin einreihen, wird man so schnell nicht vergessen. Schon vor fünf Wochen war mancher überrascht, wie viele Landwirte sich gemeinsam auf den Weg machen, um ihre Interessen zu artikulieren.

Die zahlreichen dezentralen Protestfahrten am 22. Oktober und die eindrucksvolle Bauerndemo zur Umweltministerkonferenz in Hamburg waren aber nur zum Warmlaufen gedacht. Der 26. November stellte das alles in den Schatten.

Bauerndemo sorgt für Gemeinschaftsgefühl

Ein Gefühl der Gemeinsamkeit und der Stärke war aus den Botschaften herauszulesen, die Teilnehmer und Daheimgebliebene in den sozialen Netzwerken verbreiteten. Ein Gefühl, das viele offenkundig viel zu lange vermissten. Hoffentlich trägt es dazu bei, neuen Mut wachsen zu lassen. Denn den werden Landwirte brauchen. Und einen langen Atem dazu.



Zwar beeindruckten die pulstreibenden Bilder durchaus auch die Tagesmedien, und die größte Bauerndemo der letzten Jahrzehnte veranlasste viele zu tiefergehenden Recherchen als man es gewohnt war. In der Politik aber scheint immer noch nicht vollständig angekommen zu sein, worum es eigentlich geht.

Umweltministerin enttäuscht die Landwirte

Voll und ganz die Erwartungen erfüllte in negativer Hinsicht die Bundesumweltministerin. Ihre nichtssagende Vier-Minuten-Rede voller Floskeln und Fertigstücke verriet, dass sie sich für diesen Anlass nicht der Mühe unterzogen hatte, neue Gedanken oder Gesprächsansätze erarbeiten. Der nach ihr auf der Bühne geäußerte Verdacht, sie wolle die Bauern überhaupt nicht verstehen, ist inzwischen nicht mehr ganz von der Hand zu weisen. Will ihn die Umweltministerin, die ja auch für den SPD-Anteil an dieser Bundesregierung steht, tatsächlich entkräften, wird sie genauer hinhören müssen, worum es den Bauern tatsächlich geht.

Besser hingehört hat ihre Kollegin Julia Klöckner  auf jeden Fall. Sie nahm sich die Zeit, auf mitunter nur zornige Zurufe aus dem Publikum einzugehen, und wich, anders als Frau Schulze, einer spontanen Diskussion mit Landwirten aus der Riege von „Land schafft Verbindung“ nicht aus.

„Wir werden uns sicher noch öfter in Berlin sehen“

Chefredakteur Ralf Stephan, Bauernzeitung
Ralf Stephan, Chefredakteur

Aber auch ihr rutschte nicht nur einmal die kaum verhohlene Drohung heraus, Landwirte sollten sich überlegen, ob sie wirklich gegen alles sein wollten. Genau das signalisierte die Sternfahrt der Zehntausend eben nicht. Obwohl eine breite Vielfalt nicht nur von Betriebsformen, -größen und -ausrichtungen, sondern auch an Meinungen vertreten war, stand die überwältigende Mehrheit hinter der Botschaft des Dialogs: „Wir sind nicht gegen den Schutz von Umwelt, Insekten und Grundwasser – wir sind nur dagegen, dass darüber ohne uns entschieden wird.“

Man wird sehen, wie die Bundesregierung diesen Tag der Bauerndemonstration bewertet. Bis jetzt gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass über einen Neustart des Insektenschutzprogramms nachgedacht wird. Einfach nur besser erklären, wie es die Bundeslandwirtschaftministerin erst in Münster, nun in Berlin versucht hat, reicht aber nicht. „Wir werden uns sicher noch öfter in Berlin sehen“, rief ein Landwirt seinen Berufskollegen von der Bühne zu. Vielleicht hat er Recht.

Vielleicht setzen sich unter den zornigen Bauern beim nächsten Mal aber auch jene durch, denen friedlich ablaufende Kundgebungen und perfekt organisierte Sternfahrten mit möglichst wenig Verkehrsbehinderungen schon jetzt eigentlich nicht reichten. Allzu viel Zeit, den offenbar doch recht schwierigen Dialog weiter zu üben, bevor endlich Ergebnisse herauskommen, bleibt nun wohl nicht mehr.