Holger Zahn, Geschäftsführer, führt das Erbe der Späths fort.

Tief verwurzelt in Berlin: Die Späth’schen Baumschulen

Sie gehören seit über 300 Jahren zu Berlin – die Späth’schen Baumschulen. Wir waren am traditionsreichen Standort in Treptow auf historischer und gegenwärtiger Spurensuche.

Von Bärbel Arlt
Fotos: Späth’sche Bauschulen, Sabine Rübensaat

Ein Winterspaziergang durch die Späth’schen Baumschulen? Geschäftsführer Holger Zahn schaut uns fragend und ungläubig an. Das macht doch niemand, will er damit sagen. Das Wetter ist grau und nasskalt. Bäume und andere Pflanzen sind längst im Winterquartier, die Gräser, Rhododendren und Hortensien in den Themengärten wahrlich keine Augenweide. Auch die Hütten des kleinen Adventsmarktes sind verwaist. Dennoch – wir wollen uns umschauen im ältesten produzierenden und stadtprägenden Berliner Traditionsbetrieb.

Über 300 jahre geschichte

Doch zuvor führt uns Holger Zahn erstmal ins Gästezimmer des Verwaltungsgebäudes – und wir tauchen sogleich ein in die über 300-jährige Geschichte der Späth’schen Baumschulen. An den Wänden hängen historische Fotos vom Besuch König Friedrich Wilhelm I. in der Gärtnerei im Jahre 1730, von Reichskanzler Fürst Bismarck, der in der Baumschule 1884 einen Gedenkbaum pflanzte, sowie Bildnisse von Carl Friedrich Späth dem Jüngeren und seiner Ehefrau Dorothea. Die Regale sind gefüllt mit Obst- und Pflanzenratgebern aus dem 19. Jahrhundert. Auf einem Schrank steht eine Büste von Dr. Hellmut Späth, dem sechsten und letzten Baumschuleninhaber der Späth-Familie. Und auf einem uralten Schreibtisch liegen ein über 150-jähriges Gästebuch, in dem sich viel Prominenz verewigt hat, sowie das „Späth-Buch“ mit der kompletten 300-jährigen Familien- und Gartengeschichte. Und diese begann 1720, als die kleine Gemüse- und Blumengärtnerei vor dem Halleschen Tor in Berlin ihren Anfang nahm und im Laufe der Jahrhunderte mit dem Wachsen Berlins immer mehr aufblühte, zur weltweit größten Sortiments-Baumschule aufstieg, ihre gärtnerische Handschrift in der ganzen Welt hinterlassen und in Spitzenzeiten 2.500 Mitarbeiter beschäftigt hatte. Zu den historischen Referenzen gehören unter anderem der Schlossgarten Charlottenburg in Berlin, der einstige Dachgarten auf dem Berliner Warenhaus Karstadt, der Luisenstädtische Friedhof in Kreuzberg, der Sanatoriumsgarten auf der Margareteninsel in Budapest, der Privatgarten von Richard Strauss in Wien, der Garten von Schloss Katharinental in Estland. Ja sogar bis ins ferne China und Japan wurden die Späth‘schen Bäume geliefert.

Friedrich der Große inspiziert 1742 die Kastanienlinden im Berliner Schlosspark Charlottenburg.
Friedrich Wilhelm I. besucht 1730 die Gärtnerei.
Fürst Bismarck pflanzt 1884 einen Baum.
Baumversand: am Standort in Ketzin und von Baumschulenweg nach Shanghai.

Doch so erfolgreich das alles klingen mag, die Baumschulen haben in ihrer über 300-jährigen Geschichte nicht nur Höhen, sondern auch so manches dunkle Kapitel erlebt, zu dem vor allem auch die Verhaftung und Hinrichtung von Firmeninhaber und Botaniker Dr. Hellmut Späth gehört. Hintergrund waren seine judenfreundlichen Einstellungen und antifaschistischen Äußerungen. 1945 wurde er in Sachsenhausen erschossen. Auf den Stufen zum Verwaltungsgebäude erinnert ein Stolperstein an diese grausame Tat der Nazis.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Gewächshäuser am Baumschulenweg zerstört, Kulturen verwüstet. Das Eigentum der Späths fiel unter die Bodenreform, wurde in Volkseigentum überführt und u. a. den Baumschulen Dresden zugeordnet. 1984 erhielt der Berliner Betriebsteil seine Eigenständigkeit zurück und wurde zum VEG Saatzucht Baumschulen Berlin. Für die Versorgung der Bevölkerung wurden unter anderem Obstbäume und -sträucher, Rosen, Stauden, Hecken, Laub- und Nadelbäume aufgezogen sowie Gehölze für die Stadtbegrünung – so zum Beispiel für den Volkspark Friedrichshain, das Ehrenmal in Treptow oder Schloss Niederschönhausen. Zu den erfolgreichen eigenen Züchtungen neuer Sorten in dieser Zeit gehören u. a. Sommerflieder, Winterlinde und Sanddorn.

Gerettet und fit gemacht für die Marktwirtschaft

Nach der Wende übernahm die Treuhand den Betrieb. Eine Zeit, die Garteningenieur Holger Zahn, seit 1987 im VEG, hautnah miterlebt hat und die ihn noch immer wütend macht. Emotional erzählt er davon, wie die Treuhand versuchte, den Betrieb zu zerschlagen. Mitarbeiter wurden entlassen, bekamen Hausverbot, Maschinen, Werkzeuge, Bewässerungsanlagen wurden verkauft und 1995 wurde allen über 50-jährigen Mitarbeitern gekündigt. Holger Zahn, Betriebsratsvorsitzender und mit damals 35 Jahren der älteste Mitarbeiter, blieb und rettete mit einer Handvoll anderer junger Kollegen, was noch zu retten war – ohne Geld, ohne Investitionen, ohne Darlehen, ohne Kapital. Hinzu kommt ein jahrelanger Rechtsstreit der Späth‘schen Erben um die Rückübertragung von Grundstücken und Betrieb, der 1997 schließlich erfolgreich ist, und aus dem einstigen VEG werden die „Späth‘schen Baumschulen“. Doch das machte und macht nichts einfacher. Denn die Flächen der Späth‘schen Familie an dem Standort waren und sind sehr begehrt – als Bauland.

Trotzdem schaffte es Holger Zahn, seit 2002 Geschäftsführer und seit 2015 Inhaber des Betriebes, das Unternehmen zu entwickeln und für die Marktwirtschaft wettbewerbsfähig zu machen – nicht zuletzt auch dank vieler Veranstaltungen, die jährlich an die 100.000 Besucher anlocken. Doch Eigentümerwechsel und Geldforderungen des Berliner Senats machten und machen es ihm nicht immer leicht. Hinzu kommt die Coronakrise, die auch an Baumschulen nicht vorbeigegegangen ist. Umso schmerzlicher, weil das Virus ausgerechnet das 300. Jubiläumsjahr überschattet hat. Der feierliche Akt mit bis zu 1.000 Gästen fiel ebenso aus wie geplante Besucherveranstaltungen, die viel Geld gekostet, aber auch viel Geld eingespielt hätten. Zumindest der traditionsreiche Herbstmarkt, der 1995 zur 275-Jahrfeier von Zahn und seinen Mitstreitern eingeführt wurde, konnte stattfinden und Tausende Besucher kamen.

Holger Zahn weiß diesen Zuspruch, den die Baumschulen bei Großhändlern, Hobbygärtnern und den vielen anderen interessierten Besuchern haben, zu schätzen. Sträucher, Stauden, Heckenpflanzen, Obst-, Laub- und Nadelbäume des Betriebes sind genauso gefragt wie Workshops und Seminare, Feste, Märkte und Tanzkurse. Und damals wie heute gibt es renommierte Aufträge. So lieferte das Traditionsunternehmen für das Gästehaus der Bundesregierung im brandenburgischen Meseberg Späth‘sche Winterlinden. Auch die Messe Berlin und das Areal des CityCubes tragen die Handschrift der Späth‘schen Gärtner. Nicht zuletzt stammt so manche Palme in Berliner Strandbars aus Baumschulenweg. Doch der Zuspruch ist das eine, der wirtschaftliche Druck und eine fehlende Planungssicherheit für den noch 25 Hektar großen historischen Standort das andere. Aber Holger Zahn hat in den vergangenen 30 Jahren genügend – auch schmerzhafte – Erfahrungen gesammelt, um zu wissen, dass sich das Gesicht der Späth‘schen Baumschulen verändern wird, auch wenn Entscheidungen auf bezirklicher und Senatsebene ausstehen. So wurde die Freilandproduktion – auch und vor allem aufgrund eines Rechtsstreits mit dem Berliner Senat – bereits nach Brandenburg verlegt. In Baumschulenweg erfolgt die Produktion lediglich noch in Containern und Töpfen.

Perspektive als „Grünes Zentrum“

„Wir schaffen klare Strukturen, werden uns künftig am Kernstandort auf gut funktionierende betriebliche Bausteine wie die Vermarktung konzentrieren“, so Zahn, der beim Spaziergang über das Gelände, vorbei an verwaisten Beeten, schlafenden Pflanzen und Gebäuden, in denen übrigens kostenfrei Orchester proben und Künstler arbeiten können, von den Späth‘schen Baumschulen als „Grünes Zentrum“ spricht – mit Muster- und Themengärten, grünen Dächern und Fassaden, Straßenzügen, gesäumt von heimischen Baumarten wie der Späth-Erle, und mit viel Kultur, Festen und Märkten im historischen, unter Denkmalschutz stehenden Gebäudekomplex.

Visionen? Was auch immer die Zukunft bringt – bei allen neuen Ansätzen und schlummernden Entwicklungsplänen ist für den 60-jährigen Betriebsinhaber wichtig, dass der Kernbereich des Traditionsunternehmens für den weiteren Baumschulenbetrieb erhalten bleibt, die Späth’schen Baumschulen mit ihren Mitarbeitern bei möglichen städtebaulichen Veränderungen mit ihren Erfahrungen und ihrer Kompetenz mit im Boot sitzen und in die Projektplanung einbezogen werden – immer mit dem Ziel, die über 300-jährige Tradition der Späth‘schen Baumschulen am historischen Standort zu erhalten und fortzuführen.