Der Druck der Straße löste eine Grundsatzdiskussion darüber aus, welche Zukunft Landwirtschaft in Deutschland noch haben kann. (c) Sabine Rübensaat

Zukunftskommission Landwirtschaft: Attraktiv und nachhaltig

Die Zukunftskommission Landwirtschaft zeichnet in ihrem Abschlussbericht den Weg zu einer akzeptierten, umweltverträglichen und rentablen Agrarproduktion. Er ist weit und mühevoll.

Von Ralf Stephan

Als die „Zukunftskommission Landwirtschaft“ am Dienstag ihren Abschlussbericht Kanzlerin Angela Merkel übergab, fand ein bislang einmaliger Prozess seinen vorläufigen Abschluss. Denn am Anfang stand im November 2019 die größte Bauerndemonstration, die Berlin bislang gesehen hatte. 40.000 Landwirte mit 8.600 Traktoren machten ihrem Unmut über die aktuelle Agrar- und Umweltpolitik Luft – und offenbar nachhaltigen Eindruck auf die Regierung.

Wandel als Aufgabe der ganzen Gesellschaft

Auf den Druck der Straße hin berief die Kanzlerin einen Landwirtschaftsgipfel ein. Vertreter von 80 Organisationen vereinbarten mit ihr Anfang Dezember einen Zwölf-Punkte-Plan. Punkt eins war die Einsetzung einer hoch angebundenen Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL).

Mit dem Konzept dafür wurden der Deutsche Bauernverband (DBV) und die Initiative „Land schafft Verbindung“ (LsVD) beauftragt. Es war im März fertig. Im Juli berief der Bundestag die 30 Mitglieder, führende Köpfe von Verbänden und Organisationen aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft, dem Umwelt- und Tierschutz, dem Verbraucherschutz sowie der Wissenschaft. Anfang September des vorigen Jahres nahmen sie die Arbeit auf. Nun liegt der Abschlussbericht vor.

Die bis zuletzt offene Einigung war das Ergebnis einer Marathonsitzung im brandenburgischen Rangsdorf. Der Vorsitzende der Zukunftskommission Landwirtschaft, Prof. Peter Strohschneider, übergab den vorab nicht veröffentlichten Bericht an die Regierungschefin.
Die Kernaussage auf 170 Seiten: Die Landwirtschaft soll beim bevorstehenden Wandel nicht alleingelassen werden. In der Richtung seiner Analysen ließ sich die Kommission von einer Vision zur Zukunft des Landwirtschafts- und Ernährungssystems leiten, die die Vertreterinnen der BUNDjugend und des Bundes der Deutschen Landjugend (BDL) gemeinsam entwickelt haben.

AUSZUG AUS DER GEMEINSAMEN VISION
Leitbild von BDL-Landjugend und BUNDjugend

Die deutsche Landwirtschaft trägt zur Ernährung der Bevölkerung bei. Landwirt:innen werden von der Gesellschaft, d. h. von den Bürger:innen und gesellschaftlichen Institutionen, für die Lebensmittelerzeugung und den positiven Beitrag zu Umwelt-, Natur- und Tierschutz wertgeschätzt.

Die Produktion und das Angebot von Lebensmitteln durch Landwirt:innen bilden weltweit die Grundlage für Frieden und Wohlstand und sind somit wichtige Faktoren für gesellschaftliche Stabilität. Der Wirtschaftssektor Landwirtschaft hat große gesellschaftliche Relevanz, da er die elementare Aufgabe der Ernährungssicherung übernimmt. … Landwirtschaftliche Betriebe sind Unternehmen mit gesellschaftlicher und ökologischer Verantwortung.

Landwirt:innen arbeiten selbstständig und wirtschaften eigenverantwortlich. Das unternehmerische Handeln landwirtschaftlicher Betriebe beinhaltet, dass sie Ressourcen, Investitionen, Produktion und Arbeitskraft nach eigenem Ermessen einsetzen.

Landwirt:innen setzen gute fachliche und zukunftsorientierte Praxis um, die wissenschaftlich sinnvoll, umwelt- und klimaschützend ist. Die Landwirtschaft in Deutschland ist vielfältig. Manche Betriebe sind spezialisiert, andere haben sich diversifiziert. Die Gesellschaft betrachtet die Landwirtschaft ohne Vorurteile; Landwirtschaft und Gesellschaft stehen geschlossen zusammen …

Formuliert wurden zudem zwölf Leitlinien, die als Richtschnur für alle anstehenden Entscheidungen gelten sollen:

Zwölf Leitlinien für den Transformationsprozess

1. Die Transformation des Ernährungs- und Landwirtschaftssystems muss unter Berücksichtigung der planetaren Grenzen die ökologische Verträglichkeit und Resilienz landwirtschaftlicher Produktion sowie Tierschutz und Tierwohl verbessern und die Diversität der Betriebsformen, Produktionssysteme, Agrarstrukturen und -landschaften fördern.

2. Die Vermeidung schädlicher Effekte sowie die Steigerung positiver Wirkungen auf Klima, Umwelt, Biodiversität, Tierwohl und menschliche Gesundheit müssen im eigensten individuellen wie unternehmerischen Interesse der Produzent:innen liegen können.

3. Chancen auf Agrar- und Lebensmittelmärkten müssen an ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit gebunden sein. Lebensmittelpreise müssen die tatsächlichen Gesamtkosten abbilden; der Qualitätswettbewerb gewinnt gegenüber dem Mengenwettbewerb deutlich an Gewicht.

4. Angesichts der durch das heutige Landwirtschafts- und Ernährungssystem verursachten externen Kosten ist davon auszugehen, dass selbst ein sehr kostenintensiver Transformationsprozess in mittel- und langfristiger Perspektive für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung erhebliches Einsparpotenzial mit sich bringt.

5. Die Spannung zwischen der Dringlichkeit der Transformation einerseits und dem Zeitbedarf andererseits kann verlässlich und planbar gestaltet werden, indem der Prozess mit definierten Zwischenschritten strukturiert wird, die ihrerseits mit ökologischen Wirkungs- und ökonomischen Tragfähigkeitsmonitorings versehen sind und erforderlichenfalls Nachsteuerung ermöglichen.

6. Das gesamte politische Instrumentarium muss konzeptionell kohärent auf die hier formulierten Leitlinien hin ausgerichtet sein.

7. Für eine wirksam auf Nachhaltigkeit von Landwirtschaft zielende Agrar- und Umweltpolitik ist sowohl eine bessere horizontale als auch eine bessere vertikale Integration und Weiterentwicklung politischer Maßnahmen notwendig. Dazu müssen zum einen Instrumente sowie Politikfelder verlässlicher aufeinander abgestimmt werden, die verschiedenen Politikebenen (EU, Bund, Länder) schlüssiger verknüpft sein.

8. Die finanzielle Förderung landwirtschaftlicher Tätigkeit durch die öffentliche Hand muss zukünftig der zielgerichteten Finanzierung der Bereitstellung öffentlicher Güter dienen.

9. Grundsätzlich empfiehlt es sich, politische Maßnahmen an der Zielerreichung auszurichten und nach Möglichkeit von einer indikatorbasierten Inputsteuerung zu einer Prozess- und Outputsteuerung auf der Grundlage von Wirkungsmessungen umzustellen.

10. Bei der Ausgestaltung der Agrar-Umwelt-Politik muss die Unterschiedlichkeit der jeweiligen landschaftsräumlichen und agrarstrukturellen Gegebenheiten soweit wie möglich Beachtung finden.

11. Nach Möglichkeit sollten neue politische Transformationsmaßnahmen und -schritte in Erprobungsversuchen (sog. Reallaboren) ergebnisoffen getestet und wissenschaftlich geprüft werden.

12. Diskursprozesse sollten auf den verschiedenen politischen Ebenen, auch durch geeignete Formate (Runde Tische, Enquete-Kommissionen, Partnerschaften), gefördert werden.

Daran schließen sich drei Hauptkapitel an, in denen Themenfelder benannt und mit Empfehlungen versehen werden:


  • soziale Handlungsfelder (u. a. Betriebsstrukturen, Wertschöpfung, Arbeitskräfte, Generationsfragen, gesellschaftliche Wahrnehmung, Verbraucherverhalten)
  • ökologische Handlungsfelder (u. a. Treibhausgasreduktion, Anpassung an Klimawandel, Kreisläufe, Agroökosysteme, Artenschutz, Tierhaltung)
  • ökonomische Handlungsfelder (u. a. Agrarexporte, Marktmacht, Kartellrecht, Markttransparenz, Ökolandbau)

Die ZKL fordert, dass die mit der Transformation des Agrar- und Ernährungssystems einhergehenden finanziellen Lasten „gesamtgesellschaftlich und fair“ aufgeteilt werden müssten. Es gehe um einen Interessenausgleich zwischen Landwirtschaft, Umwelt- und Tierschutz, Wirtschaft und Verbrauchern. Steigende Produktionskosten infolge höherer Standards müssten den Landwirten mit öffentlichen Mitteln honoriert werden. Auf diese Weise könnten Produktionsverlagerungen in Länder mit niedrigeren ökologischen und sozialen Standards vermieden werden.

Die Zukunftskommission spricht sich für einen schrittweisen und vollständigen Umbau der Direktzahlungen im Laufe der nächsten zwei Förderperioden ab 2023 aus. Ziel seien Zahlungen, „die konkrete Leistungen im Sinne gesellschaftlicher Ziele betriebswirtschaftlich attraktiv werden lassen“. Dieser Prozess müsse möglichst stetig und in klar definierten Schritten verlaufen, um Planungssicherheit zu gewährleisten und Brüche zu vermeiden.

Provokationen machten Diskurs schwierig

Die ZKL hält außerdem eine Förderung nachhaltiger und gesunder Ernährungsstile für erforderlich. Dazu gehörten eine stärker pflanzlich orientierte Ernährung und eine Reduzierung des Konsums tierischer Produkte. Dies werde mit einer weiteren Verringerung der Tierbestandszahlen einhergehen, stellt die Kommission fest. Konkrete Maßnahmen oder Vorgaben für eine Reduzierung der Tierhaltung werden nicht vorgeschlagen.

Das Konzept der Borchert-Kommission für einen Umbau der Tierhaltung wurde übernommen. Außerdem hebt die Kommission die Vorteile kooperativer Ansätze im Umwelt-, Klima- und Tierschutz hervor. Einigkeit herrscht in der Einschätzung, dass Lebensmittel künftig teurer werden müssten. Dies erfordere eine sozialpolitische Flankierung für einkommensschwache Haushalte. Wie aus Teilnehmerkreisen zu hören war, standen die Verhandlungen wiederholt vor dem Scheitern. Teils wurden die Konflikte auch nach draußen getragen. So etwa, als im März die Umweltorganisation Greenpeace sozusagen auf halber Strecke die Kommission verließ. Den Rückzug begründete man mit der fehlenden Bereitschaft „in Teilen der Bundesregierung“, die Empfehlungen der EU-Kommission zur Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in Deutschland zu berücksichtigen.

Vertreter anderer Umweltorganisationen und einige Umweltpolitiker unterstützten die Forderung von Greenpeace zunächst. Sie ließen davon ab, als das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) an den eigentlichen Auftrag der ZKL erinnerte: „Es geht um das Zukunftsbild der Landwirtschaft, gesellschaftlich akzeptiert. Nicht um Tagespolitik.“ Staatssekretär Uwe Feiler vermutete gar eine geplante Provokation: „Die Bereitschaft zum Ausgleich von Interessen scheint das Geschäftsmodell von Greenpeace zu stören.“

Gelassen reagierte der Vorsitzende der Kommission. Das Verhalten verdeutliche den Unterschied zwischen einer Protestbewegung und solchen Verbänden, die politische Kompromisse erarbeiten wollten, sagte Peter Strohschneider in einem Interview mit dem Magazin „Der Spiegel“. Beides habe seine Berechtigung, funktioniere aber ganz unterschiedlich. „Greenpeace ist seiner Logik nach eher eine Protestbewegung. Deshalb grämt mich der Ausstieg nicht.“

Gemeinsamer Aufbruch nach langem Konflikt

Nach teilweise jahrzehntelangen intensiven und emotionalen Auseinandersetzungen in Politik und Zivilgesellschaft sei es der ZKL gelungen, „einen gesamtgesellschaftlichen Aufbruch in die Zukunft der Landwirtschaft zu beschreiben“, erklärte Strohschneider vor der Presse. Nur wenn der Transformationsprozess als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werde, könne Nachhaltigkeit zum erfolgreichen Geschäftsmodell für die ganze Branche werden und sich auch volkswirtschaftlich rechnen. „Ökologisch verantwortliche Landwirtschaft könne betriebswirtschaftlich attraktiv und volkswirtschaftlich vorteilhaft sein“, betonte der Kommissionsvorsitzende.

Er verwies auf die großen Herausforderungen, mit denen die Landwirtschaft konfrontiert sei:


  • enormer Preisdruck
  • zunehmende Regulierungen
  • Preisbewusstsein
  • sinkende Anteile des Haushaltseinkommens für Lebensmittel
  • steigende Qualitätsanforderungen der Verbraucher
  • gesellschaftliche Forderungen nach Extensivierung

Angesichts der vielfältigen Wechselwirkungen der Landwirtschaft mit Klima, Umwelt, Biodiversität und Tierwohl sei „immer billiger“ längst „zu teuer“. „Nicht oder zu langsam zu handeln, wird unbezahlbar“, warnte der Historiker. Für ihn hat die Kommission ihren Auftrag erfüllt. Nun liege es an der Politik, die notwendigen Schlüsse daraus zu ziehen.

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