(c) stadtland+

Lernort Bauernhof: Durchatmen und anpacken

Die traditionelle Bundestagung Lernort Bauernhof gab es in diesem Jahr erstmals im digitalen Format. 160 Teilnehmende diskutierten u. a. übers veränderte Lernen in Coronazeiten sowie eine zukunftsfähige Bildungsarbeit und erlebten, wie viel Gemeinschaft im digitalen Format möglich ist.

Von Annette Müller-Clemm, Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof

Wie ein roter Faden zogen sich die Herausforderungen, die die Corona-Pandemie allen Aktiven auferlegt, durch die Beiträge: Was tun, wenn plötzlich die „Welt stillsteht“ und keine Kindergeburtstage, keine Jahreskurse, keine Schulklassenbesuche mehr stattfinden können? Mit großer Offenheit berichteten die Vortragenden über ihre Schwierigkeiten, ihre Empfindungen und ihre Erfahrungen. Die Lösungen waren vergleichbar, aber doch unterschiedlich, und sie motivierten die Zuhörer: Verschnaufen, durchatmen und dann anpacken.

Lernort Bauernhof: Bauernhofkisten in Thüringen

Online mit dabei war auch Marie Scharf vom Biohof Scharf aus dem thüringischen Ollendorf (Landkreis Sömmerda). Sie berichtete über den Anfang der pädagogischen Arbeit auf dem Hof, die Einbindung in die betrieblichen Abläufe und ihre Erfahrungen in der Corona-Zeit. So wurden gemeinsam mit den Eltern und den drei Geschwistern unterschiedliche Arbeitsbereiche organisiert. Sie ist als Bauernhofpädagogin Einzelunternehmerin und hat bei der Gründung 2018 bewusst entschieden, nicht mit in den elterlichen Landwirtschaftsbetrieb einzusteigen, sondern für die Bauernhofpädagogik ein Einzelunternehmen anzumelden. In dieser Struktur sieht Marie Scharf viele Vorteile: „Ich kann den Hof für die pädagogische Arbeit nutzen und arbeite dabei eng mit meinen Geschwistern zusammen.“

Marie Scharf hofft, dass auf dem Biohof die Bildungsarbeit bald wieder starten kann.
Marie Scharf hofft, dass auf dem Biohof die Bildungsarbeit bald wieder starten kann. (c) Privat

Als Motor des Gelingens hob sie immer wieder die gegenseitige Unterstützung auf dem Hof und in verschiedenen Netzwerken hervor. Die Tagungsteilnehmenden waren begeistert von den Bauernhofkisten, die sie mit viel Kreativität aus Zutaten des Hofes packt – zum Beispiel für das Bauen von Nistkästen, das Ziehen von Popkornmais, Kräutern, Blumen und auch fürs Kuchenbacken. Auf die Idee kam sie, weil die Kinder pandemiebedingt nicht zu ihr auf den Hof kommen konnten. Auf diese Weise bietet sie nun Bauernhof-Erlebnisse zum Mitnehmen an, hält so den Kontakt zu Interessierten und macht Kunden des Hofladens auf ihr pädagogisches Angebot aufmerksam.

Auch wenn die weggebrochenen Einnahmen damit nur zu einem kleinen Teil auszugleichen sind, signalisiert sie ihre Präsenz und bleibt aktiver Teil des Netzwerkes rund um den Hof. Sobald die Corona-Regeln gelockert werden, starten wieder die Erlebnisse auf dem Bauernhof. Wie kann das tägliche Lernen auf dem Bauernhof die Schule von morgen bereichern? Antwort darauf geben deutschlandweit immer mehr Bauernkindergärten und Bauernhofschulen. Waren Kindergärten auf dem Bauernhof noch vor 18 Jahren Pioniere, haben sich inzwischen deutschlandweit etwa 60 Bauernhofkindergärten etabliert.

Dorfschule im Wismarer Land

Einen sinnvollen Übergang vom Bauernhofkindergarten zur Bauernhofschule zu schaffen, war die Idee bei der Gründung der Dorfschule Wismarer Land im Jahr 2016. Unter dem Titel „Wachsende Kinder – wachsende Aufgaben: Wie wir die Herausforderungen auf dem Hof anpassen“, berichtete Clivia von Saalfeld, Gründungsmitglied und Gärtnerin der Gärtnerei Himmel und Erde in Mecklenburg-Vorpommern. Sie erinnerte an die euphorischen Pläne bei Gründung der Initiative und beschrieb gleichzeitig den beschwerlichen Weg bis zur Realisierung der Freien Schule, die sich an der Waldorfpädagogik orientiert. Das Arbeitsspektrum reichte von der Entwicklung eines Schulkonzeptes, das den schulpolitischen und behördlichen Anforderungen entsprechen musste, bis hin zur praktischen pädagogischen Arbeit, die in enger Abstimmung Hand in Hand zwischen Schule und Betrieb erfolgen muss. Die Nachfrage von Eltern, die ihre Kinder in dieser naturnahen und handlungsorientierten Form „beschulen“ lassen möchten, wächst stetig an. Gleichzeitig ist die Herausforderung groß, den Schülern, die seit Kindergartentagen die Gärtnerei kennen, auch in der fünften und sechsten Klassenstufe noch ein attraktives und motivierendes Lernumfeld zu schaffen.

Statt zu resignieren, lenkt Clivia von Saalfeld allerdings den Blick nach vorn. Mit einer großen Schulküche und unterschiedlichen Werkstätten soll Jugendlichen mittelfristig auch die Möglichkeit einer Ausbildung im Umfeld der Schule geschaffen werden. Das Ziel ist, die Gemeinschaft zwischen dem Dorf und der freien Dorfschule Wismarer Land weiter zu verstetigen und wachsen zu lassen.

In der Öffentlichkeit verankern

Die Gemeinschaft auf der Tagung hat Mut gemacht und motiviert, gemeinsam neue Ideen – auch digitale – zu entwickeln. Eine Zukunftsaufgabe wird sein, das Lernen auf den Bauernhöfen mit seinen vielfältigen Formen und seine Bedeutung für nachhaltige Entwicklung verstärkt in der öffentlichen Diskussion zu verankern. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof wird sich dem gesellschaftlichen Diskurs zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit stellen und ist sicher, dass die Bildungsarbeit auf dem Bauernhof nicht nur – aber erst recht – nach Corona an Bedeutung gewinnen wird.


Mehr Informationen über die Bundestagung und weitere geplante Veranstaltungen: baglob.de