Der Vorsitzende der IG Herdenschutz plus Hund, Swen Keller (3. v. l.), erläutert den Teilnehmenden die Präventivmaßnahmen zur Wolfsabwehr. © Detlef Finger

Herdenschutz: So wird er praktikabel und bezahlbar

Wie wirksamer Herdenschutz in der Praxis aussehen kann, erfuhren Agrarpolitiker bei einer Informationsveranstaltung eines Interessenverbundes von Schäfern.

Um Wölfe vom Nutzvieh auf Weideland fernzuhalten, braucht es zuvorderst wirksame Elektrozäune. In Gebieten mit hohem Wolfsdruck können Herdenschutzhunde eine sinnvolle Ergänzung sein. Ebenso wichtig ist ein gutes Weidemanagement. „Die Hunde sind nicht das Allheilmittel“, betont der Vorsitzende der Interessengemeinschaft (IG) Herdenschutz plus Hund, Swen Keller. Der Verein hatte gemeinsam mit der Naturschutzorganisation WWF Deutschland am Dienstag voriger Woche zur Infoveranstaltung „Wie geht Weidetierhaltung im Wolfsgebiet?“ nach Großkühnau bei Dessau eingeladen, die sich speziell an Politiker/-innen und Medienvertreter richtete. Sie sollten einen Einblick in die Situation der Tierhalter erhalten.

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Zaunsysteme gezeigt

Gekommen waren u. a. Mitglieder des Agrar- und des Umweltausschusses des Landtages, aber auch Vertreter von Behörden der Agrar- und der Umweltverwaltung bzw. aus Tierzuchtverbänden. Nach kurzer Begrüßung durch die Veranstalter – für den WWF tat dies Moritz Klose, Programmleiter Wildtiere – und Ortsbürgermeister Fred Kitzing ging es zu einer nahe gelegenen Weide im Biosphärenreservat Mittelelbe. Hier hatten Swen Keller und ein Mitarbeiter zur Veranschaulichung ein wolfsabweisendes, 90 cm hohes Elektro netz aufgebaut, das den Grund- bzw. Mindestschutz zeigte. Dieser ist zugleich Voraussetzung, um bei einem Nutztierriss durch Wolf oder Luchs Entschädigungszahlungen erhalten zu können. An einem Pferch stellte Keller einen Litzenzaun mit vier stromführenden Drähten vor. Seit einem Rissvorfall im eigenen Betrieb 2017 schützt er mit diesem System seine Tiere, weil es eine höhere Spannung ermöglicht. „Der erste Stromschlag muss sitzen und dem Wolf in Erinnerung bleiben“, unterstrich der gelernte Schäfer.

EXTRAWISSEN
Die Interessengemeinschaft Herdenschutz plus Hund ist 2017 als Interessenvertretung und Selbsthilfeorganisation für die Weidetierhalter gegründet worden. Der Verein mit Sitz in Kühnau bei Aken zählt über 50 Mitglieder – fast ausschließlich Schäfer im Haupterwerb mit großen Herden.
Vorsitzender ist Swen Keller, Stellvertreter Ronald Gerecke.
Kontakt: info@herdenschutzplushund.de, Tel. (01 63) 2 84 47 27

Keine „Kampfhunde“ für den Herdenschutz

Vor Ort erläuterte er auch das hierzulande verfolgte Prinzip des Einsatzes von Herdenschutzhunden. Diese seien keine „Kampfhunde“, sondern sie markierten die Koppelgrenzen, vergrämten Wölfe durch Drohgebärden und sicherten durch „Druck von innen“ Schwachstellen im Zaun, die der Beutegreifer ausgespäht hat. Nicht deren Rasse sei maßgeblich, sondern das Individuum. Die Hunde stammten aus bewährten Herkünften, sie würden sozialisiert, damit im Umgang mit Menschen nichts passiere. Und ihre Qualität, sprich: ihr Wesen und Charakter, werde gemäß der Prüfungsverordnung geprüft. Absolute Priorität habe die Zauntreue, ergänzte Christian Emmerich, der IG-Obmann und Prüfungswart. Die IG testet auch verschiedene Zaunsysteme. Eine „schnelle Eingreiftruppe“ hilft Berufskollegen im Notfall. „In den Betrieben, die nach unseren Vorgaben einzäunen, hat es danach keine Wolfsübergriffe mehr gegeben“, sagte ihr Vorsitzender nicht ohne Stolz. Ein vorschriftsgemäßer, akribisch umgesetzter Grundschutz ist seines Erachtens alternativlos. Das Entnehmen von Wölfen, die den Grundschutz überwinden, sei richtig und zu befürworten, weil sonst andere Rudeltiere dies lernen. Andererseits bringe es nicht viel, einzelne Wölfe zu töten. Das Rudel bestehe weiter. Auch glaube er nicht daran, dass bei Problemwölfen in jedem Fall das richtige Tier bestimmt werden kann.

Kritik übte Keller an den Förderrichtlinien für Herdenschutzmaßnahmen, die teils uneffektiv und wenig praxisgerecht seien. So werde z. B. Technik zum Freimähen der Zauntrassen nicht gefördert, obwohl diese im Betrieb unentbehrlich sei, ebenso Wickeltechnik für Litzenzäune, die die Arbeit ungemein erleichtere. Dies sei aber kein Wunder, wenn in den Expertengremien zum Wolf kaum Praktiker vertreten seien. Verärgert ist er darüber, dass das Förderprogramm zur Pflege wertvoller Splitterflächen 2022 in Sachsen-Anhalt aus haushaltstechnischen Gründen ausgesetzt wurde und erbrachte Vertragsnaturschutzleistungen somit nicht honoriert würden. Unverständlich sei zudem, dass in der Öffentlichkeit oft von „umfangreichen Subventionen“ die Rede sei, wenn es um den Erwerb von Zäunen oder zusätzliche Betriebsausgaben für den Zaunbau und den Unterhalt der Herdenschutzhunde geht. Dabei decke die Förderung nicht einmal die Kosten. So benötige er in seinem Betrieb mit rund 450 Landschafen und Ziegen, die in Hütehaltung zur Landschaftspflege (ohne Mastlammerzeugung) eingesetzt werden, nur für den Zaunbau eine Arbeitskraft. Bei Koppelhaltung sei der Bedarf weit höher. Zum Schutz seiner Herden setzt Swen Keller je zwei Hunde der Rassen Kangal und Kaukase ein.

Herdenschutz: Augenmaß erforderlich

Zur Sprache kamen Probleme, die für Rissentschädigungen relevant sind, etwa marginal abweichende Zaunhöhen oder Litzenabstände zum Boden durch Witterungseinflüsse wie starken Wind. Dies er-fordere Augenmaß bei den Kontrollen. Hier gebe es kaum Ermessensspielraum; der Schadenausgleich sei eine Billigkeitsleistung, die aus Steuergeld finanziert werde, erklärte Christian Bank, Referatsleiter im Umweltministerium. Einigkeit bestand darüber, dass Weidetierhaltung sich trotz des teils immensen Aufwandes für den Herdenschutz finanziell lohnen muss und möglichst bürokratiearm bleiben sollte. Dazu bedarf es aber breiter Unterstützung der Praxis von allen Seiten.