Autorin Susanne Gnauk (l.) und Kollegin Christine Reinsberg im Melkstand. (c) Sabine Rübensaat

Kuhstallgeschichten Teil 4: Ein Hoch auf die Melker

Wie erlebt eine Wiedereinsteigerin in die Milchviehhaltung die tägliche Stallarbeit? Susanne Gnauk, ehemalige Redakteurin der Bauernzeitung, berichtet über ihr neues Berufsleben – Teil 4: Melker sollten viel mehr wertgeschätzt werden.

Von Susanne Gnauk

Die Leute seien in diesem Jahr ganz schön verrückt geworden. Das habe Spuren bei den Menschen hinterlassen – sagt Sänger Olli Schulz in einem Podcast. Ich bin nicht verrückt geworden, aber im Job des öfteren an meine Grenzen gekommen. Denn ich habe in den letzten Wochen größtenteils allein in einem Fischgräten-Melkstand mit zweimal zwölf Plätzen gemolken. Beim Melkprozess darf nicht geschlampt werden. Überdies ist Ruhe zu bewahren, um die Kühe nicht zu stressen. Ganz nebenbei soll der Melker oft noch euterkranke oder lahme oder schwache Tiere finden, eventuell schon vorbehandeln mit Salben oder Sprays (Euter und Klauen) sowie Tiere aussortieren.

Der Melker muss aber in einer gewissen Zeit auch fertig sein – ich schrieb darüber in meiner dritten Kuhstallstory. Vorgesehen ist laut Beratung für das Melken bei uns ungefähr eine Minute pro Kuh. Arbeitszeit ist Geld, und der Erlös für den Liter Milch, abgegeben an eine große Molkerei, ist lächerlich gering für den anfallenden Arbeitsaufwand. Okay – ich musste mich erst einarbeiten. Und gerade am Anfang war für mich, als ich plötzlich allein im Melkstand stand, das Melken eine echt nervenaufreibende Sache. Zumal ich mir selbst auch Zeitdruck gemacht habe, da meine erfahrenen Kollegen mit dem Melken der Herde und allen nachfolgenden Reinigungsarbeiten viel, viel schneller fertig waren als ich. Hier ein paar Ausschnitte aus meinem „Arbeitstagebuch“, die vielleicht verdeutlichen, wie stressig dieser Job ist, wenn man gleichzeitig schnell und gründlich arbeiten will.


Susanne Gnauk mit Fahrrad im Redaktionsbüro
(c) privat

Vom Redaktionsbüro in den Kuhstall

Susanne Gnauk war über 20 Jahre als Fachredakteurin für die Bauernzeitung und die DGS – Magazin für die Geflügelwirtschaft – dessen Redaktion sie bis 2020 leitete, tätig. In diesem Jahr nahm sie das Arbeitsangebot, das ihr die Landboden Wolde GmbH & Co. Landwirtschafts KG unterbreitete an und ging zurück zu ihren beruflichen Wurzeln: der Milchviehhaltung.


Plötzlich allein im Melkstand

Die schwierigste Zeit liegt hinter mir. Hoffentlich. Eine ganze Woche lang bin ich nun die einzige Melkerin in der Tagschicht. Da ist keiner mehr neben mir, der aufpasst, dass die richtigen Hebel betätigt werden, damit die Milch in den Tank fließt, aber nicht das Spülwasser vor und nach dem Melken. Für einen Laien ist ein Melkstand ein Wirrwarr aus Leitungen, Klemmen und Auffangbehältern. Erklärt wird einem der Wirrwarr nur, wenn man fragt – und Zeit da ist für Erklärungen. Hinzu kommt ein Wirrwarr aus Kuhnummern, und das Display an jedem Melkplatz will auch bedient werden.

Was mich viel langsamer sein lässt als meine routinierten Kollegen, ist auch die geringe Kenntnis der Kühe – meine Kollegen kennen die „Pappenheimer“, die nicht automatisch erkannt werden, schon am Aussehen oder am Euter. Öfter müssen Kuhnummern händisch eingegeben werden in die Displays an jedem Melkplatz.

Wegen meiner mangelnden Herdenkenntnis kann ich die Tiere aber nicht einfach flott reintreiben und dann die Nummern hinterher eingeben, wie es meine Kollegen machen. Stehen die Kühe im Melkstand erst einmal dicht zusammen, erkennt man die Halsbandnummern oft nicht mehr. Ich lasse sie also langsam reinlaufen oder hole mir immer zwei auf einmal aus dem Vorwartehof – mehr als zwei Nummern kann ich mir in der Hektik einfach nicht merken.

Fazit von allem: Ich melke bis mittags und mache nachmittags sauber. Meine Kollegen sind spätestens 13 Uhr damit fertig. Routine hin, Routine her – ich finde es stressig für Melker wie für die Kühe, allein für zweimal zwölf Kühe und Melkplätze verantwortlich zu sein.

die Ruhe bewahren? Oft nur ein Luftschloss

Hinzu kommt der Zeitdruck, aber wenn ich eins gelernt habe im Melkstand: Schön die Ruhe bewahren. Hektik schadet dem Melkablauf und den sehr in sich ruhenden Rindern.

Aber schön die Ruhe bewahren, ist oft nur ein Luftschloss. Sind die Tiere also endlich alle richtig eingegeben im Display, kann es losgehen. Euterlappen werden an jedem Platz verteilt. Beim Melkvorgang hat sich seit DDR-Zeiten nichts geändert, ich habe darüber vor mehr als 30 Jahren meine Facharbeit geschrieben: Vormelken (zweimal Sekret aus jeder Zitze händisch in den Vormelkbecher und aufmerksam schauen, ob das Vorgemelk auch keine Flocken oder gar Blutgerinnsel enthält). Zitzen mit dem bereitgelegten Einmallappen säubern. Melkzeug ansetzen. Nach automatischer Beendigung des Melkprozesses schauen, ob die Milchleistung passen könnte, die Kuh leer gemolken ist, und die Zitzen mit einem Dippmittel besprühen. Und das alles ganz schnell.

Nerven behalten bei der hochleistungsgruppe

Bei der Hochleistungsgruppe werden nur jeweils sechs Kühe auf einmal fertiggemacht zum Melken, dann die nächsten sechs aus einer Reihe. Während ich bei der zweiten Reihe anfange, die Melkzeuge anzusetzen, „schnorchelt“ hinter mir ein Melkzeug – heißt, ein Melkbecher zieht Luft, ich hasse dieses Geräusch –, und eine Jungkuh hat ein Melkzeug abgeschlagen. Das Geräusch hasse ich noch viel mehr. Ich setze aber gerade ganz hinten auf der anderen Seite ein Melkzeug an, da kann ich auch nicht einfach wegrennen. Fluchend gehe ich danach zu der Jungkuh, die eine Einzelbetreuung braucht, damit sie nicht wieder rumzappelt und das Melkzeug auf dem Boden landet.

Zwischendurch ist aber bei der anderen Kuh der Melkbecher, der Luft gezogen hat, wieder richtig an die Zitze zu setzen. Der hält aber nicht an der Zitze. Ich fluche und würde dem armen Tier am liebsten den Becher tief ins Euter rammen, aber das geht natürlich nicht. Also schimpfe ich laut mit der Jungkuh, weil ich eigentlich keine Zeit für die Einzelbetreuung einer Kuh habe. Bei Kühen laut werden, ist besonders bescheuert, sie hören sogar Ultraschall!


Bullenkalb Luzifer mit Susanne Gnauk im Stall
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Kühe im Kuhstall Milchviehhaltung Susanne Gnauk g Geschichten aus dem Kuhstall
(c) Susanne Gnauk

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Kühe in Liegeboxen
© Susanne Gnauk

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Melkstände so nicht mehr konzipieren

Das Rein- und Raustreiben der Kühe soll genauso stresslos erfolgen wie der gesamte Melkvorgang. In unserer „Fischgräte“ laufen die Kühe vom Vorwartehof in einer Reihe zu zwölft hinein, die erste also bis vorn zum ersten Platz usw. Am Ende laufen alle Tiere wieder in einer Reihe hinaus. Die zwölfte und letzte Kuh in der Reihe durchquert also alle elf Kuhplätze vor ihr. Jede Kuh kann nur gehen, wenn die Kuh vor ihr auch geht. Ungünstiger geht es nicht, und so Kühe noch rauszusortieren, ist auch stressig. Melkanlagen sollten so nicht mehr konzipiert werden. Kühe sind neugierig, sie schnüffeln gern überall her um. Vielleicht auch, weil Rinder sehr schlecht sehen, dafür umso besser riechen und hören, sie bleiben gern überall stehen.

Damit eine Reihe Kühe schnell Platz macht für die nächsten Kühe – und bevor die gemolkenen Kühe die mit Gummimatten ausgelegten Plätze zukoten –, sollte man am besten die Reihe immer auf und ab laufen, dabei beachtend, dass eine Kuh in dem Moment stehen bleibt, wenn man vor ihre Schulterlinie tritt, und Kühe langsamer laufen als wir Menschen (Schrittgeschwindigkeit 3–4 km/h).

Ich habe dafür aber meist keine Zeit, weil ich noch mit dem Melken der gegenüberliegenden Reihe beschäftigt bin. „Konzentrieren Sie sich beim Eintrieb und Austrieb sehr bewusst auf die Kühe, die den Stau verursachen. Diese Kühe müssen lernen, dass Vorwärtsgehen zu dem Zeitpunkt angesagt ist. Versuchen Sie nicht, die stehenden Kühe durch andere Kühe anzuschieben.“ So der Tipp von Experten der Freien Universität Berlin, die Online-Kurse u. a. auch zum ruhigen Treiben von Kühen organisiert haben. Der Tipp ist natürlich richtig, die Realität aber oft eine andere, weil man aus x verschiedenen Gründen gar nicht gleich bei der Stauverursacherin sein kann.

Stressig und verantwortungsvoll

Vieles ist eine Frage der Organisation, der Kuhkenntnis, vieles lerne ich noch, ich versuche täglich, meine Arbeitsorganisation für einen optimalen Melkprozess anzupassen. Aber im Grunde genommen bleibt Melken eine wahnsinnig stressige und gleichzeitig verantwortungsvolle Tätigkeit. Das sollte nicht unterschätzt und nach dem Motto gehandelt werden: Melken kann doch jeder!

Tatsächlich, das Melkzeug anzusetzen, ist nicht schwer. Aber ich hoffe, hier verdeutlicht zu haben, dass zum Melken weitaus mehr gehört. Seitdem ich melke, denke ich darüber nach, warum so wichtige Berufe wie Kranken- oder Altenpfleger, Notfallsanitäter oder eben Melker, wo die Leute malochen bis zum Abwinken, in einer angeblich so hoch entwickelten Gesellschaft wie Deutschland so erbärmlich bezahlt und nicht wertgeschätzt werden. Alle wollen Tierwohl, alle wollen saubere Lebensmittel, alle wollen nach einem Unfall oder im Ernstfall richtig und so schnell wie möglich behandelt werden. Kaum einer denkt über den Preis nach. Den niedrigen Milchpreis muss der Landwirtschaftsbetrieb und am Ende der oft unterbezahlte Melker ausbaden, der sich im schlechtesten Fall allein wie ein Brummkreisel im Melkstand dreht und nie allen Anforderungen gerecht werden kann. Und das alles in einer sogenannten Wohlstandsgesellschaft.

Zwei Monate später …

Ich sitze auf der niedrigen Steinmauer, die den Treibegang begrenzt. Gruppe 3 (Frischmelker) und Gruppe 2 (Altmelker) sind gemolken, als ich mir eine Kaffeepause gönne, obwohl ich wie immer viel zu spät dran bin. Weiter geht es mit Gruppe 1. In dieser stehen die Kühe, die die meiste Milch geben. Wie eine Herde Elefanten kündigen sich immer die ersten Tiere dieser Gruppe an, ihr lautes Trompeten schallt bis in den Melkstand. „Unsere Euter sind prall gefüllt, weg da, jetzt sind wir endlich dran“, scheinen sie zu rufen. Trompeten? Muhen Kühe nicht? Ja, im weitesten Sinne schon. Aber Kühe haben einen sehr reichhaltigen „Muh-Wortschatz“.

Ich sitze auf der niedrigen Mauer, weil ich wieder „auf 180 bin“ – ich muss mich abkühlen, weiterarbeiten macht weder für mich noch für die Kühe Sinn. Ich starre auf die Kuhscheiße des Spaltenbodens vor mir, hinter mir liegt eine tote Schwalbe im Gras. Die Luft ist angenehm frisch, und das ist gerade das Einzige, was ich top finde. Dabei war morgens wie immer noch alles friedlich. Heute früh hing Nebel über den Feldern, langsam ging die Sonne auf. Die ersten Kühe trotteten zum Vorwartehof.

Aber dann kam wieder alles auf einmal: Eine Kuh strampelte ihr Melkzeug ab, und es fiel in einen riesigen Haufen Kuhscheiße. Gleichzeitig schnorchelten andere Melkzeuge, weil sie nicht fest die Zitzen umschlossen. Die Kühe liefen weder von allein raus noch rein, und die Tiererkennung funktionierte nur lückenhaft. Bei einer Kuh stellte ich Blut im Gemelk beim Vormelken fest, also Kanne holen, diese anschließen und die Milch in die Kanne melken.

Der Melker: ein Tausendsassa

Mein Fazit nach zweieinhalb Monaten alleiniger Melkverantwortung in einem Fischgräten-Melkstand mit zweimal zwölf Plätzen: Melken ist nie nur vormelken, Euter abwischen, Melkzeug ansetzen, Euterkontrolle, Melkzeug desinfizieren. Es sind die hundert kleinen und großen Unwägbarkeiten und Überraschungen, die die Tiere und die Technik jeden Tag bereithalten und das Melken zu einer Herausforderung werden lassen. Im Prinzip muss der Melker ein Tausendsassa sein. Herdenmanager und Betriebsleiter: Wertschätzt Eure Melkerinnen und Melker! Keiner ist so oft und so dicht an Euren Kühen dran.

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