Christoph und Ilona Plass in der Kartoffelhalle (c) Heike Mildner

„Landwirtschaft kann man nicht in Exceltabellen betreiben“

In der Havelaue baut Christoph Plass auf 250 Hektar Kartoffeln an, die gerade geerntet werden. Nach Quedlinburg ist er aus gutem Grund trotzdem gefahren.

Von Heike Mildner

Dieser vorletzte Augustfreitag ist nicht seiner. Christoph Plass legt das Handy beiseite. Der Kartoffelroder habe einen Platten, hat ihn gerade sein Mitarbeiter informiert. Der „Ropa Keiler 2 Classic WD“ ist erst eine Woche im Einsatz, und in unsicheren Zeiten wie diesen kann ein platter Reifen zum Supergau für die Kartoffelernte werden. Aber der gebürtige Emsländer bleibt ruhig und seine Frau Ilona, die gegenüber am Schreibtisch sitzt, auch. Eins nach dem andern, und die Bauernzeitungsredakteurin kann ja gleich mit aufs Feld …

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Platter Reifen: Christoph Plass sieht sich den Schaden an. Der Mitarbeiter war über ein Stück Eisen gefahren. Eine Woche Erntepause. (c) Heike Mildner
Platter Reifen: Christoph Plass sieht sich den Schaden an. Der Mitarbeiter war über ein Stück Eisen gefahren. Eine Woche Erntepause. (c) Heike Mildner

Vor 25 Jahren verkaufte Familie Plass ihren Hof im Emsland, um in Brandenburg Land zu erwerben. Es sollte für den Kartoffelanbau in Brandenburg geeignet und – so der Wunsch des Juniors – nicht allzu weit von Berlin entfernt sein. Als Christoph Plass 1999 seine Ausbildung zum Landwirt beendet hatte, begann er als Vertreter der neunten Generation Kartoffelbauern in der Plass-Familie in Neuholland bei Liebenwalde, 50 km nördlich von Berlins Mitte, mit seinem Vater den Betrieb aufzubauen.

Kartoffelanbau in Brandenburg mit eigener Logistik

Der anmoorige Schwemmsand der Havelaue, Ende des 17. Jahrhunderts dem Sumpf abgerungen, ist steinfrei und für den Kartoffelanbau bestens geeignet. Die Knollen gedeihen auf knapp 250 von insgesamt 2.500 ha, die mit mehreren Betrieben bewirtschaftet werden. Bereits zur ersten Kartoffelernte im Jahr 2000 stand die erste Lagerhalle. 5.800 t Kartoffeln warten dort lose gelagert von Ernteabschluss im Oktober bis zum Mai des Folgejahres auf ihren Transport. Der erfolgt in 27-Tonnen-Schritten. So viel passt auf den betriebseigenen Lkw, ein „Must-have“ für Christoph Plass, der größten Wert auf Effizienz und entsprechende Trennung von Ernte und Logistik legt.

4.500 t bekommt das Kartoffelverarbeitungswerk Stavenhagen, 120 km nördlich von Neuholland, gefahren. Das Werk hat die niederländische Firma Aviko Rixona im Januar von Unilever übernommen. 3.000 t Stärkekartoffeln gehen nach Kyritz, knapp 70 km Richtung Westen und 1.200 t Verarbeitungskartoffeln 200 km nordwestlich nach Hagenow, beides Werke der Emsland-Gruppe.

Beregnung ist bei den Kartoffeln ein Muss (c) Heike Mildner

Kartoffelanbau in Brandenburg: Ohne Extra-Niederschläge geht nichts

Nach wöchentlich erstellter Prognose werden die Kartoffeln komplett beregnet. Trotz der für 15 Jahre genehmigter Wasserrechte obliegt die Entscheidung, ob das Wasser auch tatsächlich fließen darf, dem Landkreis. Noch sind Trommelberegnungsanlagen mit Regnerkanone im Einsatz, Plass plant, auf Düsenwagen zu wechseln, die weniger Verdunstung und Energieverbrauch versprechen.

Wurzelraumbewässerung per Schlauch wäre am effektivsten, aber arbeitsintensiv, und woher sollen die Leute kommen? Jetzt in der Ernte sind Helfer aus Rumänien im Einsatz. Insgesamt beschäftigt Plass zehn Mitarbeiter, die am Tag 5bis 6 ha roden und sortieren und mit ihm die Arbeit im Marktfruchtanbau erledigen.


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Alles trocken, oder was? Landwirtschaft in Zeiten von Dürre

Der Praxis-Talk #09 gibt Antworten auf drängende Fragen zu Trockenheit und Wassermangel in der Landwirtschaft. Am 13. Oktober 2022 stecken wir die Köpfe zusammen und lassen die verschiedenen Ansatzpunkte in die Diskussion einfließen.


Drei-Generationen-Hof

Bei unserem Besuch am 19. August sind die ersten Kartoffeln der Saison gerodet und liegen in der Halle fürs Sortieren bereit. „Ich liebe nichts mehr als den Duft erdiger Kartoffeln“, sagt Christoph Plass, und Ilona pflichtet ihm bei. Die Diplomkauffrau arbeitet seit drei Jahren im Betrieb mit. Vorher war sie 27 Jahre für einen amerikanischen Konzern tätig, schied dort auf eigenen Wunsch aus. Es ist eben ein Familienbetrieb – und das sieht man dem Ensemble der Häuser und Hallen am Rand des Dorfes an. Denn nach dem Bau einer zweiten Lagerhalle im Jahr 2005 machte sich Christoph Plass an den Bau eines Mehrgenerationenhauses. In Brandenburg sieht man eine solche Konstellation im Außenbereich eher selten. Neben dem Landwirtspaar mit seinen drei Kindern wohnen hier auch die Altenteiler. Das hat Vorteile: Morgen geht’s zum Tote-Hosen-Konzert nach Berlin, erzählt Ilona Plass.

Christoph und Ilona Plass vorm Mehrgenerationenhaus (c) Heike Mildner
Christoph und Ilona Plass vorm Mehrgenerationenhaus (c) Heike Mildner

In Quedlinburg dabei

Und natürlich kennt man Christoph Plass von den Aktivitäten von Land-Schafft-Verbindung. Nachdem er den Vorsitz im LsV Brandenburg e. V. abgegeben hatte, ist er regional im Kreisbauernverband und beim LsV auf Bundesebene – Arbeitsgruppe GAP – aktiv, so auch jüngst in Bonn und am vergangenen Wochenende in Quedlinburg. Nach seiner Einschätzung war die Stimmung unter den Landwirten noch nie so schlecht. Die Redebeiträge der Demonstrierenden seien durchweg gut gewesen, die Rede des Agrarministers unterirdisch. „Die wollen uns abschaffen“, ist sein bitteres Fazit.

Er sei nicht angetreten, um mit seinen Kartoffeln der falschen Anspruchshaltung der Berliner hinterherzulaufen, sagt er. Der Ukrainekrieg zeige, wie wichtig Ernährungssicherheit ist. Die Folgeneinschätzung vonseiten der Politik fehle. Plass Flächen liegen komplett im Landschaftsschutzgebiet. Würde sich die EU mit ihren Plänen durchsetzen, wäre das für ihn das Ende der Produktion. Er habe mit seinem Lohnunternehmen 18 Jahre für einen Biobetrieb gearbeitet und wisse, dass Bio für ihn keine Alternative sei, so Plass.

Er arbeite effizient mit satellitengeführter Scannerdüngung und Potenzial-Aussaat-Karten und wisse, was er tue. Bei den Kapriolen, die das Wetter und der Markt liefern, muss man als Landwirt flexibel sein, die neuen GAP-Regelungen verhindern das. „Wenn nach langer Trockenheit doch noch Rapsbestellungswetter kommt oder der Markt für Dinkel gerade nicht da ist, muss ich reagieren dürfen! Landwirtschaft kann man nicht in Exceltabellen betreiben, aber genau das versucht die Politik“, sagt Plass. Und natürlich mache ihm die Dünge- und Energiekrise Sorgen. Diesel brauchen nicht nur die Schlepper, sondern auch die Beregnung für den Kartoffelanbau in Brandenburg. Plass kalkuliert mit 150.000 € Mehrkosten für Treibstoff.

Ungewisse Perspektive für den Familienbetrieb

Ihre drei Kinder – die Älteste ist 16 – hätten alle Interesse an der Landwirtschaft. Aber ob die Landwirtschaft für sie eine Perspektive sei, sind sich die Eltern nicht sicher. „Meine Mutter, sie ist 80, hat gesagt, sie könnte es verstehen, wenn wir aufhören“, sagt Christoph Plass – nicht verbittert, eher nüchtern. Aber noch ist es nicht soweit. Vergangenes Wochenende hat in Neuholland erst einmal der Samstagsverkauf von Einkellerungs- und Futterkartoffeln. Drei Hektar Goldmarie und Adretta sind extra dafür angebaut worden. Die Ernte mit dem Ropa-Keile, der nach einer Woche wieder fit war, wird noch bis Ende Oktober gehen. Die Erträge liegen mit 41 t/ha etwas unterhalb des Durchschnitts der vergangenen Jahre.

In Brandenburg werden lediglich auf ca.11.000 ha Kartoffeln angebaut. Allein im DDR-Bezirk Potsdam waren es bis zur Wende 60.000 ha. Der Anteil der Speisekartoffeln an der Produktion beträgt in Brandenburg unter 40 %, über 60 % entfällt auf Stärkekartoffeln. Der Selbstversorgungsgrad mit Speisekartoffeln liegt nach Angaben des Landesbauernverbandes bei 30 %.