Flachs wird in vielen Arbeitsschritten zu Kleidung. Dazu gehört auch das Hecheln, bei dem der Flachs gekämmt wird. Das erfolgt im Sitzen. Dafür wird auf einer Hechelbank das Hechelbrett mit seinen vielen Nägeln befestigt und der Flachs mehrmals durchgezogen. (c) Thomas Uhlemann

„Durchgehechelt“: Eintauchen in die Geschichte der Flachsverarbeitung

Er war einst ein wichtiger Rohstoff für Kleidung – der Flachs. Wolfgang Beelitz aus Linthe (Brandenburg) sammelt die handwerklichen Gerätschaften, die dafür gebraucht wurden, und zeigt sie im Bauernmuseum Blankensee.

Von Bärbel Arlt

Etwa 40 Jahre ist her, da fand Wolfgang Beelitz auf dem Dachboden seiner Schwiegereltern in Linthe (Gemeinde Potsdam-Mittelmark) ein unscheinbares Holzgerät. Dass das ein Schwingbock ist, wusste er damals nicht. Und wie es der Zufall wollte, gesellten sich zu diesem Fundstück sehr bald noch drei Riffel, die er auf dem Heuboden seines Vaters in Nichel entdeckte.

Doch was hat es mit all dem auf sich? Wolfgang Beelitz will es herausfinden, und die Glut für seine Begeisterung und Sammelleidenschaft für ein längst vergessenes altes Handwerk ist entfacht – die Flachsverarbeitung. Fortan eignet er sich Wissen in Museen und Literatur an, durchforstet Heuböden, Scheunen und Holzschuppen, Flohmärkte und Internet. Er wird dabei nicht nur fündig, sondern macht auch auf seine Sammelleidenschaft aufmerksam, und so wird manches Handwerkzeug ins Haus gebracht. Inzwischen hat er so viel zusammengetragen, dass er auf seinem Hof in Linthe fast eine Scheune damit füllen kann.

Flachsverarbeitung: Viel Wissen ist verlorengegangen

Rund 60 dieser historischen Schätze sind im Bauernmuseum Blankensee in der Sonderausstellung „Durchgehechelt – historische Geräte zur Flachsverarbeitung“ zu sehen: Riffel, Brechen, Schwingen, Hecheln. „Wir haben uns dabei auf Handwerksgeräte aus allen ostdeutschen Bundesländern konzentriert“, sagt Museumsleiterin Carola Hansche. Sie freut sich über das außergewöhnlich große Besucherinteresse. „Was auch daran liegen mag, dass es über Flachs und seine Verarbeitung bis zum Leinen nur noch sehr wenig Wissen gibt.

Kaum einer weiß noch, wie aus Flachs Kleidung wurde, geschweige denn, wie ein Flachsfeld überhaupt ausschaut“, glaubt Wolfgang Beelitz. Und deshalb sind die alten Geräte auch mit historischen Fotos bestückt. So wird der Prozess der Flachsverarbeitung mit seinen sehr vielen aufwendigen Arbeitsschritten nachvollziehbar und erlebbar gemacht.

Von der Leinsaat bis zur Verarbeitung

Los ging dieser Prozess einst mit der Leinsaat, die nach Überlieferungen am 100. Tag eines Jahres, in einen möglichst lehmig-sandigen, Boden kam. 100 Tage später, wenn sich Stängel und Samenkapseln golden färbten, wurde geerntet. Frauen, Kinder, Männer – sie alle waren dann auf den Feldern und zogen die Pflanzen aus der Erde, was man auch Raufen nennt. Die Halme wurden gebündelt und blieben zum Trocknen noch einige Tage auf dem Feld. Waren die Garben dann auf dem Hof, galt die Aufmerksamkeit der Bauern und ihrer Familien der weiteren Verarbeitung.

Flachs
(c) Thomas Uhlemann

Zunächst wurden diese geriffelt, wobei Samenkapseln und Stängel getrennt werden. „Man fasste ein Flachsbund am unteren Ende, schlug es in die Riffel, die mit ihren schmiedeeisernen Zinken ausschaut wie ein riesiger Kamm, und zog es durch“, erklärt Wolfgang Beelitz, der sich neben dem Sammeln der alten Werkzeuge natürlich auch mit deren Verwendung vertraut gemacht hat und sich inzwischen mit dem alten Flachshandwerk bestens auskennt. Aus den heruntergefallenen Kapseln wurden dann die Samen herausgedroschen und für Nahrung und auch für die nächste Saat verwendet.

Nach dem Riffeln erfolgte das Rösten. Dabei wurden die Stängel nicht etwa geröstet. Im Gegenteil. Zuerst wurden sie auf einer Tauwiese oder direkt im Wasser Feuchtigkeit ausgesetzt, um einen Fäulnisprozess in Gang zu bringen, bei dem der Pflanzenleim zersetzt wird. Viele Familien legten dafür sogenannte Rötegruben an. Einige sind heute noch in den „Röten“ bei Nichel zu finden, hat der 64-jährige Sammler herausgefunden. Im Anschluss an das Rösten oder auch Röteln wurden die Flachsstängel getrocknet – entweder auf einem Stoppelfeld oder einer Wiese.

Kräftiges Eindreschen auf die Faser

Wolfgang Beelitz mit einer der drei  Riffeln seines Ururgroßvaters von 1871.  Mit diesem Gerät wurden die runden  Samenkapseln von den Flachsstängeln  abgestreift.
Wolfgang Beelitz mit einer der drei Riffeln seines Ururgroßvaters von 1871. Mit diesem Gerät wurden die runden Samenkapseln von den Flachsstängeln abgestreift. (c) Thomas Uhlemann

Als Vorbereitung zum Brechen wurde der Flachs in der Restwärme eines Backofens getrocknet, um die hölzernen Bestandteile im Stängel mürbe zu machen. Nur so konnten sie entfernt werden. Das passierte dann beim Brechen, wofür im Fläming schwere Holzkeulen verwendet wurden, sowie beim Schwingen, bei dem alle Holzteile aus der Flachsfaser so lange herausgeschlagen wurden, bis die Flachsfaser weich, geschmeidig und glänzend war.

Den letzten Feinschliff bei der Flachsverarbeitung gab es dann beim Hecheln auf einem mit vielen Nägeln gespickten Brett. „Beim Kämmen durch die Hechel wurden die langen Fasern von den kurzen getrennt, gleichzeitig verfeinert und in eine ordentliche Lage gebracht“, erklärt Experte Beelitz.

Handarbeit und fröhliche Spinnabende

Nun war der Flachs spinnfertig und konnte weiterverarbeitet werden. Am Spinnrad saßen Frauen und vor allem junge Mädchen. Sie trafen sich in Spinnstuben, vielerorts auch noch als Spinnten oder wie im Fläming als Spinnichten bekannt. „In jedem Flämingdorf gab es mindestens zwei, in Linthe waren es sogar bis zu acht“, hat Wolfgang Beelitz bei seinen Nachforschungen herausgefunden.

Puh, allein schon das Beschreiben und Verstehen der vielen Arbeitsschritte zur Flachsverarbeitung ist anstrengend. Wie schwer muss diese mühevolle Handarbeit erst für die Menschen damals gewesen sein. Wolfgang Beelitz nickt, doch er weiß auch, dass früher der harten Arbeit ein geselliges Beisammensein folgte. „Bei uns in Linthe könnte das auf dem Flachsberg gewesen sein, hat mir ein alter Einwohner vor Jahrzehnten mal erzählt“, erinnert sich der gelernte Montageschlosser für Fahrzeugbau. Aber auch die Spinnabende waren meist sehr fröhlich. Es wurde gesungen, getanzt, und besonders lustig wurde es, wenn sich zur späten Abendstunde noch junge Dorfburschen hinzugesellten – manchmal sehr zum Unmut so mancher Dorfbewohner und Behörden.

hinter jedem Flachsgerät steckt eine Geschichte

Doch zurück zur Sammelleidenschaft von Wolfgang Beelitz. Viele seiner Geräte zur Flachsverarbeitung stammen aus seiner Heimatregion, dem Fläming und der Zauche, aber auch aus vielen anderen Gegenden Deutschlands. Ein besonderer Schatz ist für ihn natürlich das Riffelbrett vom Elternhof seines Vaters in Nichel mit den Initialen seines Urgroßvaters: „F. Belitz, 1871“. Auch eine Riffel aus Südthüringen von 1668 lässt sein Sammlerherz höher schlagen ebenso wie sächsische Hecheln mit aufgemalten Sinnsprüchen.

So steckt hinter jedem Flachsgerät auch eine Geschichte, die man nur zu gern wüsste. Aber zumindest lassen sich bei vielen Fundort und Zeit bestimmen. Doch nicht nur die Geräte an sich begeistern den Sammler: „Mich faszinieren vor allem auch die handwerkliche Leistung, die vielen Formen, Varianten, unterschiedlichsten Verzierungen und Inschriften. Das sind zum Teil richtige Kunstwerke“, schwärmt er. Die Arbeit von Handwerkern wie Tischlern und Schmieden der damaligen Zeit kann er gar nicht genug würdigen. Und so war er überglücklich, das alles in einer Sonderausstellung in Blankensee zeigen und den Besuchern auch vermitteln zu können.

positive resonanz aus ganz deuschland

Akribisch vorbereitet, historisch aufgearbeitet und mit Leidenschaft aufgebaut wurde die Ausstellung zur Flachsverarbeitung in der Corona-Pandemiezeit, in der aber auch viele andere Ideen entstanden sind, um das Museum zumindest virtuell weiterhin den Besuchern zugänglich zu machen. „Es war uns ein großes Anliegen, trotz Schließung präsent zu sein“, sagt Carola Hansche. Das erfolgte vor allem intensiv über die sozialen Medien. „Wir haben zum Beispiel kleine Videos gedreht, Fotos und historische Rezepte veröffentlicht. Dadurch haben wir auf uns in ganz Deutschland aufmerksam gemacht und viel positive Resonanz bekommen“, freut sich die Museumschefin.

museumsarbeit: Traditionen mit der Moderne verbinden

Die digitale Öffentlichkeitsarbeit wird fortgeführt. „Dennoch ist sie nicht durch die direkten Gespräche und den Kontakt mit den Besuchern zu ersetzen.“ Und die sollen vor allem auch jünger werden. Wichtig ist Carola Hansche dafür ein Projekt mit der Grundschule des Ortes. „Einmal im Jahr verbringen die Kinder einen Schultag im Museum, setzen sich mit dem Leben der Bauern auseinander.“

Doch auch dank digitaler Technik könnte das historische Fachwerkhaus mit seinen Exponaten moderner werden. Der Museumschefin schwirrt da so einiges durch den Kopf wie ein 3-D-Rundgang. Auch wenn das noch Zukunftsmusik ist – das Haus selbst bekommt aktuell eine denkmalgerechte Verjüngungskur, hat doch der Zahn der Zeit sehr am Gebäude genagt, das seit 1981 Museum ist. 2017 wurde bereits das Dach saniert. Jetzt ist die imposante historische blaue Eingangstür dran, Außenwände und der Treppeneingang zum Museum folgen.

Dafür hat das Museum einen Zuschuss von 17.000 Euro aus dem Bundestopf des „Soforthilfeprogramms Heimatmuseen 2021“ bekommen. „Über die Bewilligung haben wir uns natürlich riesig gefreut“, so Carola Hansche. Sie schätzt auch die 25 % Eigenleistung der Stadt Trebbin, zu der das Dorf Blankensee gehört.

Tipp: Zwar ist das Bauernmuseum ein Herzstück von Blankensee, doch auch der Ort selbst ist mit dem romantischen Sudermann-Park, mit Bäcker und Fischer und Brauchtumspflege wie das Federreißen (Bauernzeitung 12/2020) oder die historische Roggenernte, und dem Bohlensteg am Ufer des Blankensees ein bezauberndes Kleinod, rund 50 Kilometer südlich vom Berliner Stadtzentrum entfernt.

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