Landschlachthof Lehmann: Es geht nicht nur um die Wurst
Im Zuge der Bauernproteste wandten sich Lutz und Bettina Lehmann vom Landschlachthof Heinersdorf in Brandenburg an die Öffentlichkeit. Der Familienbetrieb kämpft mit den steigenden Kosten.
Das Interview führte Heike Mildner
Mit einer Brandmail wandten sich Lutz und Bettina Lehmann vom Landschlachthof Lehmann in Heinersdorf (Landkreis Oder-Spree) am Samstag vor der Bauerndemo u. a. an den Präsidenten der Handwerkskammer und Medienvertreter. Ein Brief, der Fragen stellt und wachrütteln will. Lehmanns solidarisieren sich mit den Bauern, für die sie als Lohnschlachter arbeiten, aber auch mit ihren Kunden, an die sie die steigenden Kosten nicht weitergeben können, weil jenen die Kaufkraft fehlt.
„Uns erdrückt die Last, welche in Berlin beschlossen wird bzw. welche uns die EU beschert! Wollen wir wirklich sehenden Auges Kräften das Land überlassen, die diese Missstände gut zu nutzen wissen? Wollen wir uns wirklich einer Regierung anvertrauen, die trotz Hinweisen von Fachleuten erst durch das Anrufen des BGH vorangegangene Fehlentscheidungen rückgängig macht?
Wir haben nur einen kleinen Schlachthof, einen kleinen Familienbetrieb. Aber wir sorgen uns um unsere Angestellten, um unsere Azubis und um unsere Bauern und Kunden.“ Wir sprachen Donnerstag vor Weihnachten mit Bettina Lehmann, studierte Agraringenieurin, die im Landschlachthof Lehmann die Buchhaltung erledigt. Zudem ist sie im Gemeinderat und für die Landfrauen aktiv, engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und sitzt für die Linke im Kreistag.
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Landschlachthof Lehmann: Druck auf die Entscheidungsträger erhöhen
Was hat bei Ihnen das Fass zum Überlaufen gebracht?
Wir haben schon etliche Politiker verschiedener Parteien von Landes- und Bundesebene angeschrieben und teils auch auf dem Hof gehabt, zum Beispiel Mathias Papendieck, Sarah Damus, Thomas Domres, Isabel Hiekel. Und wir waren bei etlichen Demos – ohne dass sich etwas geändert hätte. Wir stehen ja in direkter Beziehung zu selbstvermarktenden Landwirtschaftsbetrieben und selbstständigen kleinen Bauern und kennen deren Probleme, die indirekt ja auch unsere sind.
Die gegenwärtige Politik sorgt im Eiltempo dafür, dass uns allen die Luft ausgeht und wir unsere Existenzgrundlagen verlieren. Wir haben in dem Brief, der auch an den Präsidenten der Handwerkskammer gerichtet war, aufgefordert, aktiv zu werden, sich mit den Bauern zu verbinden, eine Unterstützergemeinschaft zu bilden und den Druck auf die Entscheidungsträger zu erhöhen. Die Antwort von der Handwerkskammer kam schnell, fiel aber eher lauwarm aus: Man werde sich eine Position erarbeiten, wir mögen uns an die Abgeordneten wenden. Diesen Weg gehen wir aber schon lange, ohne dass es irgendetwas gebracht hätte.
Seit 20 Jahres im Haupterwerb Landschlachthof
Es gibt nicht mehr viele Landschlachthöfe wie Ihren in Brandenburg. Wie haben Sie es geschafft, am Markt zu bleiben?
Bisher haben Augenmaß und Bescheidenheit geholfen. Im Zuge der EU-Zertifizierung haben ja viele aufgrund eines Übersetzungsfehlers aufgehört: Zuerst hatte es geheißen, man bräuchte unterschiedliche Räume zum Schlachten, Zerlegen und Verarbeiten. Dann hieß es, es reiche eine zeitliche Trennung. Wir hatten den Platz für die verschiedenen Bereiche, haben maßvoll investiert und viel gearbeitet.
In den Anfangsjahren sind wir nur selten mal in Urlaub gefahren. Das hier ist unser Leben! Statt zu erben, haben wir etwas aufgebaut: Der Schlachthof gehörte zur Tierzucht Heinersdorf. 1984 bis 1990 wurden hier Notschlachtungen durchgeführt, nach der Wende stand er leer. Lutz war Angestellter, hatte noch keinen Meistertitel, durfte den Schlachthof aber für Hausschlachtungen mieten. 1993 hat er seinen Meister gemacht und in Heinersdorf nach Feierabend im Nebenerwerb geschlachtet und verarbeitet. Im Jahr 2000 konnten wir den Schlachthof von der Treuhand kaufen, seit 20 Jahren ist er unser Haupterwerb. 2011 kam mit Leader-Förderung der Hofladen dazu.
Wie ist die aktuelle Situation?
Von unseren drei Kindern will keines den Schlachthof weiterführen. Sie sehen ja, mit welchen Sachen wir uns rumschlagen, wie die Belastungen, nicht zuletzt die bürokratischen, wachsen und immer weniger dabei für uns hängenbleibt. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Mit der Explosion der Energiepreise dachte ich schon, jetzt müssen wir dicht machen.
Wir sollten auf einmal 800 Prozent mehr Abschlag zahlen. Das entpuppte sich zwar als Fehler, aber mit 200 Prozent mehr im Monat ist der Strom immer noch deutlich teurer. Und auch die Kosten für die Wartung oder Reparatur der Maschinen sind erheblich gestiegen.
Bürokratie und Zertifizierungen immer teurer und aufwendiger
Wobei wir bei der Bürokratie wären…
Es gibt so viele Vorschriften, Normen und Listen, an die andere ein Häkchen machen, und auch Zertifizierungen werden immer teurer. Ein paar Beispiele: Wenn wir unsere Arbeitssachen hier waschen würden, müssten wir nachweisen, dass sie dabei sauber nach Lebensmittelstandard werden. Das ist kompliziert, daher kommen sie in eine zertifizierte Reinigung, in der sie nach HACCP (Hazard Analysis Critical Control Point – kurz HACCP – soll die Lebensmittelsicherheit gewährleisten, Anm. der Red.) behandelt werden. Die Kosten dafür haben sich verdoppelt.
Oder die Bio-Zertifizierung fürs Lohnschlachten: Es gibt eine verbandsübergreifende, die ist jetzt fast dreimal teurer als im ersten Jahr. Eine neue Kasse, eine neue Waage im Hofladen, elektronische Arbeitszeiterfassung, eine neue Betäubungszange, die jeden Schritt erfasst und aufzeichnet… Sogar der Toaster, den unsere Mitarbeiter verwenden, muss aus Arbeitsschutzgründen regelmäßig kostenpflichtig überprüft werden!
Wie viele arbeiten denn hier?
Insgesamt sind wir fünf: Mein Mann und ich, Nicole im Hofladen, John-Paul, der fast Geselle ist, und Natalia im zweiten Lehrjahr. Die Woche über ist Lohnschlachten und -verarbeiten, am Freitag öffnen wir den Hofladen. Eine überschaubare Struktur, aber wir müssen alles einhalten und nachweisen, wie ein Schlachthof mit 500 Angestellten
Alle reden von Regionalität und doch wird es immer schwerer. Was müsste passieren?
Eine wirksame Stärkung der kleinen Strukturen durch tatsächlichen Bürokratieabbau, eine Honorierung der kurzen Wege – das wären vielleicht erste Schritte, damit regionale Lebensmittel, die mit Sorgfalt produziert werden, auch bezahlt werden können.
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