Agrarstruktur: Wem soll das Land gehören? (c) Heike Mildner

Agrarstrukturelles Leitbild: Die Katze ist aus dem Sack

Von Heike Mildner

Seit heute gibt es für alle, die sich Gedanken über die Agrarstruktur in Brandenburg Gedanken machen, viel zu lesen: ein 202-seitiges PDF mit des Agrarministeriums, ein 14-seitiger „Werkstattbericht“ aus dem Thünen-Institut und: der Entwurf des Leitbildes. Der Landesbauernverband reagierte darauf erbost, doch die Freien Bauern Brandenburg sehen die Kritik als haltlos an.

Seit Mitte Juni die Frist für die Beteiligung an der „Diskussion“ um ein agrarstrukturellen Leitbild abgelaufen war, herrschte mediale Ruhe. Schon vorher war es leise, weil wegen der Pandemie die „Diskussion“ schriftlich erfolgte. Der Landesbauernverband (LBV) hatte damals die Art und Weise der Beteiligung kritisiert und ergänzend zu den geforderten Randnotizen 20 eigene Thesen öffentlich gemacht. Außer einer Eingangsbestätigung habe das Ministerium darauf bisher nicht reagiert, sagte Henrik Wendorff auf Nachfrage der Bauernzeitung vor zwei Wochen. Da waren die Eindrücke von der Videokonferenz, bei der am 3. November die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses vom Ministerium vorgestellt wurden, noch frisch. Insgesamt gab es 45 Stellungnahmen: zwölf  von Verbänden und Vereinen, vier aus der Wissenschaft, 20 von Behörden und neun von Einzelpersonen. Der LBV, einer unter vielen. Jetzt ist der Entwurf online.

„Die engagierten Stellungnahmen zeigen das große Interesse am Thema. Es gab sehr viele positive Anregungen, aber auch die Sorge, dass es zu weitergehenden Eingriffen und Beschränkungen kommen könnte“, so Agrarminister Axel Vogel. „Das geplante Agrarstrukturgesetz wird wie auch das geltende Grundstücksverkehrsgesetz keine Handelsverbote enthalten. Im Falle eines Flächenverkaufs soll Landwirten der Vorrang vor Nichtlandwirten ermöglicht werden und der Preisanstieg gedämpft werden.“

Eigenverantwortlich in der Region wirtschaftende Landwirte

Zur Auswertung der Stellungnahmen heißt es vonseiten des Ministeriums: „Das im ersten Entwurf enthaltene Ziel, die Bodenspekulation mit landwirtschaftlichen Flächen einzudämmen, wurde aufgrund der Stellungnahmen so erweitert und modifiziert, dass der Boden vorrangig eigenverantwortlich in der Region wirtschaftenden Landwirten zugänglich sein und nicht der Spekulation oder der vorrangigen Kapitalanlage dienen soll.“

Weiter heißt es. „Die zu dem Ziel der ,Vermeidung von Flächenkonzentrationen in einer Region bei einem Eigentümer oder Pächter‘ geäußerte Sorge von Verbänden, dass große Betriebe in ihrer Entwicklung behindert werden könnten, führte nicht zu einer Änderung der Zielformulierung. Denn zum einen werden die bestehenden großen Betriebe als Teil der brandenburgischen Agrarstruktur von einem anderen Ziel erfasst (Nr. 2). Zum anderen ist das Ziel der Konzentrationsvermeidung bereits ein Verfassungsgrundsatz, der auf der Leitbildebene lediglich wiederholt und auf den Bereich der Landwirtschaft übertragen wird. In dem späteren Verfahren der Gesetzeserarbeitung ist dann abzusichern, dass die Interessen der bestehenden brandenburgischen Betriebe, unabhängig von ihrer Größe, in die Regelungen einfließen.“ Die vollständiger Pressemitteilung und die die Stellungnahmen plus Auswertung lesen Sie hier:

VorwurF: „Gleichgültigkeit gegenüber dem Willen des Landtags“

Der Landesbauernverband kritisierte wenige Stunden später. „Nachdem das Ministerium über zweiundzwanzig Wochen benötigte, um den ersten Anmerkungen einen zweiten Entwurf folgen zu lassen, sollen die Beteiligten nun binnen vierzehn Tagen erneut Stellung zu einem teilweise völlig anderen Wortlaut nehmen. Anders als vom Minister dargestellt, wurden auf einer Webveranstaltung erstmalig die überarbeiteten Ziele verlesen. Eine Diskussion war offensichtlich nicht gewollt, da eine Vorbereitung nicht möglich war. Zu diesem Zeitpunkt nannte der Minister dies auch zutreffend noch eine Informationsveranstaltung“, so der LBV.

Weiter heißt es: „Das Ministerium benötigte vom Vorstellungstermin am 3. November 2020, nochmals sechzehn Tage, um den Entwurf auf seiner Internetseite zu veröffentlichen. Auch blieben Fragen, die der Landesbauernverband Brandenburg an den Minister stellte, bis heute unbeantwortet.“ Der LBV kritisiert: Der Landtag habe den Auftrag erteilt, einen umfangreichen Dialogprozess zu führen. „In der Umsetzung versagen der Minister und sein Ministerium auf ganzer Linie. Mehr noch, neben der Gleichgültigkeit gegenüber dem klaren Willen des Landtags, greift der Minister die mannigfaltige Agrarstruktur Brandenburgs an. Diese ist geprägt von einer Vielfalt aus Familien-, aber auch Mehrfamilienbetrieben. Auch zeichnet er ein Bild einer Vielzahl von Kapitalanlegern, ohne konkrete Kenntnisse von der Situation vor Ort zu haben. Es wird ein völlig ungeeigneter Report des Thünen-Instituts herangezogen, der zudem die Aussagen des Ministers nicht einmal belegen kann.“ Die Untersuchung des Thünen-Instituts im Auftrag des MLUK vom 6. August 2020 lesen Sie hier:

Missbilligung gewachsener ostdeutscher strukturen

Der Entwurf sei an vielen Stellen nicht mit Fakten unterlegt, so der LBV. „In Brandenburg haben wir eine Ausgangslage mit hochprofessionellen Betrieben, die starke Arbeitgeber in der Region sind und verantwortungsvoll handeln. Aus dem Leitbildentwurf spricht eine Missbilligung gewachsener ostdeutscher Strukturen“ so der LBV.

Das Thema Agrarstruktur sei höchst komplex und von vielen Faktoren abhängig. Dadurch, dass der Minister den Eindruck erweckt, er könne mit dreizehn losen Zielen den Bodenmarkt zugunsten der Landwirtschaft stärken, spiele er mit dem Feuer, so der LBV. „Er weiß offenbar nicht, was er anrichtet. Ich lege ihm nochmals nahe, sich mit unseren 20 Thesen zum Bodenmarkt zu beschäftigen und die dort genannten Fragestellungen anzugehen. Der vorgelegte Entwurf kann so nicht von den Landnutzern mitgetragen werden. Er ist nicht nur ein Affront gegenüber den Landwirtinnen und Landwirten, sondern auch gegenüber den Abgeordneten“, erklärt LBV-Präsident Henrik Wendorff.

Freie Bauern weisen die Kritik am Ministerium als haltlos zurück

Die Freien Bauern Brandenburg, Interessenorganisation der bäuerlichen Familienbetriebe, wiesen die Kritik des Landesbauernverbandes an der Erarbeitung eines agrarstrukturellen Leitbildes durch das Landwirtschaftsministerium als haltlos zurück. „Wenn man der Auffassung ist, dass überregionale Holdings westdeutscher und holländischer Kapitalanleger ein wertvoller Teil der brandenburgischen Agrarstruktur sind, kann man natürlich behaupten, Minister Vogel greife die brandenburgische Agrarstruktur an“, sagte Marco Hintze, Landessprecher der Freien Bauern. Tatsächlich unternehme der Minister mit dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Agrarstrukturgesetz den ersten ernsthaften Versuch, ortsansässige Landwirte gegen überregionale Investoren zu stärken, so der 48-jährige Landwirt aus Krielow im Havelland: „Das stört natürlich die vom Landesbauernverband vertretenen roten Barone, die ihre Großbetriebe gerne meistbietend an das Großkapital verscherbeln“, polemisiert Hintze.

Der von Vogel vorgelegte Leitbildentwurf enthalte noch einige Unschärfen, so die Freien Bauern. So sei es inkonsequent, zwischen guten, ökologisch orientierten Investoren und bösen reinen Kapitalanlegern zu unterscheiden, monierte Hintze: „Unsere begründeten Verbesserungsvorschläge, wie wir das Leitbild ausschließlich auf ortsansässige Landwirte ausrichten wollen, werden wir in einer Stellungnahme kurzfristig übermitteln.“ Probleme mit der zweiwöchigen Fristsetzung sehen die Freien Bauern nicht, da sie sich bereits seit Jahren intensiv mit dem Einstieg überregionaler Investoren in die brandenburgische Landwirtschaft befassen, so Hintze: „Wir diskutieren seit 2014 über dieses Thema, trotzdem geht der Ausverkauf der Agrarflächen rasant weiter – ich weiß nicht, auf welche neuen Erkenntnisse der Landesbauernverband noch warten will, bevor er nicht handelt.“

agrarminister: Unzeitgemäße grabenkämpfe überwinden

Am Freitagnachmittag ging Agrarminister Axel Vogel in einem Pressestatement auf die Vorwürfe des LBV ein. Er empfehle allen Interessierten, sich den veröffentlichten Leitbildentwurf und die Auswertung der eingegangen Stellungnahmen anzuschauen. Die Internetveröffentlichung zeige, welche Institutionen welche Vorschläge eingebracht haben und wie darauf eingegangen wurde. „Dazu zählen selbstverständlich auch die Stellungnahmen der Brandenburger Landnutzerverbände“, so Vogel. „Legt man beispielsweise das 20 Thesen umfassende Positionspapier des Landesbauernverbandes neben unseren Entwurf, der auf den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag und den 45 beim Ministerium eingegangenen Stellungnahmen basiert, sind keine Widersprüche zu erkennen. Manche, noch nicht behandelte Punkte sind nicht Aufgabe des Leitbildprozesses, einige Punkte werden bei der Ausarbeitung des Entwurfs für ein Agrarstrukturgesetz berücksichtigt“, macht Vogel deutlich.

„Das geplante Agrarstrukturgesetz muss der Abwehr von Gefahren dienen, deshalb müssen diese im Leitbild umschrieben werden. Das ist keine Missbilligung vorhandener Strukturen. Aus den veröffentlichten Papieren ist unmittelbar ersichtlich, dass sich das im Entwurf vorgelegte agrarstrukturelle Leitbild am Erhalt der bestehenden Agrarbetriebe ausrichtet. Diese sollen in ihrer wirtschaftlichen Existenz und in ihrer Bedeutung für den ländlichen Raum gegen Flächenentzug gesichert werden; zugleich sollen Jungbauern und aufstockungsbedürftigen Betrieben unabhängig von Größe und Eigenlandanteil neue Chancen eröffnet werden, an landwirtschaftliche Flächen zu gelangen. Dabei wird kein Unterschied zwischen Landwirtschaftsbetrieben jeglicher Rechtsform, egal ob Genossenschaft, GmbH oder bäuerlicher Familienbetrieb, gemacht. Ebenso wenig wird zwischen konventionell und Bio, Ackerbau oder Weidewirtschaft unterschieden“, so der Agrarminister.  Dem LBV sei genauso wie dem Bauernbund, mit dem bereits ein Termin anberaumt ist, ein Angebot für ein vertiefendes Gespräch unterbreitet worden. 

Ziel: vollzugstaugliche Verfahrensregelungen

2006 war die Gesetzgebungszuständigkeit für den landwirtschaftlichen Bodenmarkt auf die Länder übergegangen. Nach dem landwirtschaftlichen Bodenmarktrecht bestehen bereits eine Genehmigungspflicht für Grundstücksverkäufe, die Möglichkeit der Vorkaufsrechtsausübung und eine Anzeigepflicht für Pachtverträge. Ein Landes-Agrarstrukturgesetz soll effektivere, konkretere und auf die spezifische Situation Brandenburgs zugeschnittene Regelungen aufnehmen, Umgehungstatbestände erfassen und vollzugstauglichere Verfahrensregelungen entwickeln. „Der Preisauftrieb auf dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt soll gebremst, die bereits bestehenden bundesrechtlichen Möglichkeiten zur Intervention zugunsten der regional verankerten Betriebe bei Flächenverkäufen und Pachtentzug besser handhabbar gemacht und erstmals Einspruchsmöglichkeiten bei Betriebsübernahmen durch außerlandwirtschaftliche Investoren (Share Deals) geschaffen werden“, macht Vogel noch einmal deutlich..