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Crispr-Urteil:
 Fernab der Realität

Vereint gegen das Crispr-Urteil: 23 Verbände fordern in einen offenen Brief, das EU-Gentechnikrecht zu lockern und den Weg für neue Züchtungsmethoden freizumachen. Unsere Autorin Catrin Hahn hat sich beim Treffen der Unterstützer umgehört.

Die 23 Unterzeichner des offenen Briefes verleihen mit demselben ihrer Befürchtung Ausdruck, dass Deutschland und Europa durch das EuGH-Urteil zu neuen Züchtungstechnologien als Standorte für Agrarwirtschaft, Wissenschaft und Ernährungsindustrie gefährdet sind. Züchter, Verbände und Vertreter der Wissenschaft haben sich in den zurückliegenden Monaten immer wieder zu dem Urteil vom 25. Juli 2018 geäußert, in dem der Europäische Gerichtshof festlegt, dass alle mit neuen Züchtungs-
methoden – wie z. B. Crispr/Cas 9 – erzeugten Pflanzen pauschal als gentechnisch veränderte Organismen anzusehen seien und damit bei der Zulassung unter die Vorschriften der Freisetzungsrichtlinie 2001/18 fallen würden.

Karrikatur bei der PK zum Offenen Brief gegen das Crispr-Urteil
Diese Darstellung von Züchtungsforscher und Science Slammer Spencer
 erklärt das für ihn nicht nachvollziehbare Urteil des EuGH. (c) Repro Catrin Hahn

Mit dem offenen Brief fordern die Verbände die Politik auf, das veraltete Gentechnikrecht an den heutigen Stand der Wissenschaft anzupassen – damit moderne Züchtungsforschung wieder möglich zu machen – und gleichzeitig dem Agrarhandel Rechtssicherheit zukommen zu lassen. Denn der könnte mit dem Handel von Produkten, in denen eine nach europäischem Recht möglicherweise enthaltene gentechnische Veränderung überhaupt nicht nachweisbar ist, unbemerkt praktisch ständig Rechtsbrüche begehen.

„Kernanliegen unseres Briefes“, beschrieb der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbandes, Henning Ehlers, als Vertreter der unterzeichnenden Verbände, „ist eine zeitnahe Anpassung der Gesetzgebung an die Realität. Da sind zum einen die ungenutzten Potenziale in der Züchtung, die wir angesichts der Herausforderungen – Klimawandel, gesellschaftliche Forderungen, Pflanzenschutzmittelbeschränkungen, um nur einige zu nennen – unbedingt brauchen. Und zum anderen die drohende Abkoppelung Europas vom internationalen Markt.“

Worum geht es im EuGH-Urteil?

In seinem Urteil vom 25. Juli 2018 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass Pflanzen, die mit den neuen Methoden der gerichteten Mutagenese – auch als Präzisionszüchtung bezeichnet – gezüchtet wurden, als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) unter die Vorschriften der Freisetzungsrichtlinie 2001/18 fallen. Die so erzeugten Pflanzen müssten dann nach Gentechnikrecht zugelassen werden – das ist sehr teuer und ein Anbau in Deutschland so gut wie ausgeschlossen. Dabei können mit diesen Verfahren Sorten erzeugt werden, die sich von natürlich entstandenen oder durch klassische Kreuzung gezüchteten nicht unterscheiden.

Die Agrar-und Ernährungswirtschaft ist überzeugt, dass das EuGH-Urteil in der Praxis für Pflanzen und Produkte aus neuen Züchtungsmethoden nicht umsetzbar ist. Pflanzen, die sich nicht von klassisch gezüchteten unterscheiden – und in anderen Erdteilen nicht als GVO eingestuft sind – können im Prinzip nicht gehandelt werden. Die Verbände fordern, das europäische Gentechnikrecht anzupassen, sodass es sich an wissenschaftlichen Grundsätzen orientiert. Ein vor wenigen Wochen gefasster EU-Beschluss fordert die EU-Kommission auf, das Problem anzugehen.

David Spencer, Doktorand an der RWTH Aachen, der in der Züchtungsforschung arbeitet, brachte das Problem sehr treffend auf den Punkt: „Die neuen präzisen Methoden zu beschränken, aber die per ungerichteter Mutagenese (Bestrahlung oder Chemikalien) erzeugten Pflanzen weiterhin zu gestatten, das ist wie das Angeln zu verbieten, aber das Fischen mit Dynamit zu erlauben. Dabei können wir so tolle Sachen machen!“

„Das Urteil bremst uns aus“

Heinrich Böhm brachte anschließend die Sicht der Züchter zum Ausdruck: „Das Urteil verbietet es uns, diese vielversprechenden Techniken für die Produktentwicklung anzuwenden. Es gibt Zuchtziele, an denen wir mit der klassischen Züchtung bisher gescheitert sind oder viel zu lange brauchen. So würde die Übertragung von Resistenzgenen gegen Phytophthora aus Kartoffel-Wildformen fünf bis acht Jahre mithilfe von Crispr/Cas dauern. Mit klassischer Züchtung sind es mindestens 20 bis 25.“ Die Entschlüsselung der Kulturpflanzen-DNA bietet exzellente Möglichkeiten für schnelle und präzise Züchtung: „Wir haben da ein Navigationssystem durchs Genom. Wir wissen also, wo wir hinwollen. Jetzt ist nur die Frage, ob wir zu Fuß gehen oder das Auto nehmen …“ 

Podium bei der Pressekonferenz zum Offenen Brief gegen das Crispr-Urteil
Auf dem Podium (v. l.): Dr. Henning Ehlers, David Spencer, Dr. Heinrich Böhm, Marco Gemballa, Dr. Oliver Balkhausen bei der Pressekonferenz. (c) Catrin Hahn

Nicht zuletzt sei das Urteil auch wettbewerbsverzerrend, denn es behindere die europäische Züchtung, wohingegen die neuen Methoden in praktisch allen anderen Regionen nicht unter die Gentechnik-Gesetzgebung fallen – und also munter genutzt werden.

Die Tatsache, dass die so erzeugten Pflanzen von klassisch gezüchteten oder durch natürliche Mutation entstandenen Pflanzen nicht unterscheidbar sind, schaffe eine neue biologische Realität, die das schon 2001 in Kraft getretene Gentechnikgesetz gar nicht berücksichtigen konnte. Denn die präzisen Züchtungsmethoden existierten schlicht noch gar nicht. „Das Gesetz muss angepasst werden.“

Landwirtschaft als Lotteriespiel

Marco Gemballa, Landwirt aus Mecklenburg-Vorpommern, erklärte die Bedeutung einer effizienten und schlagkräftigen Züchtungsforschung für den Ackerbau: „Mit den neuen Methoden können schnell Lösungen für die großen Herausforderungen gefunden werden, vor denen wir stehen. Zwei Dürresommer, immer weniger Pflanzenschutzmittel – wir brauchen diese innovativen Methoden. Ohne sie wird Landwirtschaft immer mehr zum Lotteriespiel.“

„Welternährung braucht Spezialisierung“

Oliver Balkhausen von der ADM Hamburg Aktiengesellschaft (früher Töpfer) beschrieb die Probleme des Handels mit dem Gerichtsurteil: „Der internationale Handel beruht sinnvollerweise auf dem Prinzip, dass jeder das erzeugt, was er am besten kann. Die Welternährung braucht eine solche Spezialisierung.“ Dabei wird sich „die Welt“ aber von Europa nicht vorschreiben lassen, welche Güter auf welche Weise produziert werden. Das zeigt der nur zwei Tage vor der Pressekonferenz gefasste Beschluss Australiens, wie die meisten anderen Länder auch auf eine Regulierung der neuen Züchtungsmethoden zu verzichten.

„Und wenn es nun keine rechtssicheren Methoden zum Nachweis gibt, ob Güter mit diesen Methoden erzeugt wurden – und sie in den Ausfuhrländern nicht zu kennzeichnen sind –, dann verstoßen wir Händler unwissentlich und unbeabsichtigt gegen europäisches Recht, wenn wir solche Produkte einführen. Denn für die Einfuhr nach Europa besteht Genehmigungs- und Kennzeichnungspflicht.“ Von diesen Produkten gibt es bislang noch nicht so sehr viele, aber die Entwicklung und Zulassung werden schnell gehen, ist Balkhausen überzeugt. „Damit die Handelsströme funktionieren, müssen die Bestimmungen in den verschiedenen Regionen der Welt einheitlich sein!“

Die Gegenseite: Verbände schreiben an den BUND

Nicht alle sind von den neuen Züchtungsmethoden überzeugt

Lüneburg. Einen Tag, bevor die EU-Verbraucherminister in der vorigen Woche über das Thema berieten, haben neun Vertreter der Umwelt-, Landwirtschafts- und Verbraucherschutzbewegung einen Brief an die zuständigen Ministerien für Landwirtschaft, Umwelt und Justiz verschickt, um auf die bestehende europarechtliche Regulierung neuer Züchtungsmethoden zu pochen.

Die Verbände fordern, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Juli 2018 zur Rechtslage neuer molekularbiologischer Verfahren wie Crispr/Cas und daraus entwickelter Produkte jetzt ordnungsgemäß umzusetzen. Aus Sicht der Verbände habe das Urteil bestätigt, dass durch neue Züchtungsmethoden entstandene Organismen der EU-Gentechnik-Gesetzgebung unterlägen. „Nur die konsequente Anwendung des geltenden Gentechnikrechts sichert der Wahlfreiheit für Verbraucher, Züchter, Bäuerinnen und Bauern, Lebensmittelverarbeiter und Handel, die ohne Gentechnik wirtschaften und einkaufen wollen. Die Forschung wird vom Gentechnikrecht nicht eingeschränkt“, heißt darin.

Statt „Deregulierungsforderungen der Gentechnik-Industrie und Lobbyisten dieser Technologien“ nachzukommen, müsse die neue EU-Kommission jetzt konsequent für die Umsetzung des Urteils sorgen und entsprechende Maßnahmen einleiten. An erster Stelle stehe, Standard-Nachweisverfahren zu entwickeln und illegale Importe zu verhindern.

Der Verbände erklären, es sei möglich, bekannte Veränderungen nachzuweisen und Nachweismethoden für unbekannte Produkte zu entwickeln. Solange es keine technischen Hilfsmittel zur Erkennung der Produkte gebe, könne die Regulierung auf einem System von zertifizierten Erklärungen und Rückverfolgbarkeit basieren.

Die Verfasser appellieren an die drei Bundesministerien,

einzufordern, dass die Einfuhr von Raps und Soja aus den USA und Kanada als frei von neuen GVOs zertifiziert werden muss, die in der EU nicht zugelassen sind,

die nationalen Behörden anzuweisen, die notwendigen Kontrollen durchzuführen,

darauf zu bestehen, dass das EU-Netzwerk von GVO-Laboratorien Methoden und Strategien entwickelt, um unbekannte mittels „Genome Editing“ hergestellte Produkte zu identifizieren (Standardnachweisverfahren). Die EU-Kommission soll hierfür möglichst zeitnah ein Mandat erteilen und Finanzen bereitstellen. mit der Europäischen Kommission und anderen EU-Ministern Möglichkeiten für zuverlässige nicht-technische Lösungen des Nachweises zu erörtern,

die Hersteller von neuen GV-Produkten aufzufordern, Nachweismethoden, Referenz- und Kontrollmaterial zu liefern,

eine internationale Datenbank zu schaffen, in der Forscher und Entwickler – unter anderem –  neue GV-Produkte, die verwendeten Verfahren und die veränderte Sequenz eintragen.

Unterzeichner des Schreibens sind die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), der Bioland-Verband, der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), das Gen-ethische Netzwerk (GeN), die Interessengemeinschaft gentechnikfreies Saatgut (IGS), der Bio-Verlag Schrot&Korn, SlowFood und der Verein Umweltinstitut München.   red