Willkommene Glücksbringer

Nest an Nest auf dem Vierseitenhof der Familie Hartenstein in Gansgrün. Ingesamt zählt die Mehlschwalbenkolonie etwa 40 Nester.(c) Silvia Kölbel

Im Vogtland können sich Familie Schneider aus Hermsgrün und Familie Hartenstein aus Gansgrün ein Leben ohne ihre Schwalben nicht vorstellen. Die Frühlingsboten nisten dort sogar in einer Lackierwerkstatt und bereits seit rund hundert Jahren auf einem Vierseitenhof.

Von Silvia Kölbel
Fotos: Silvia Kölbel (6); NABU/Ingo Ludowichowsky; IMAGO STOCK&PEOPLE

Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts galten Schwalben als Frühlingsboten und Glücksbringer, die das Haus vor Feuer und Blitz sowie das Vieh im Stall vor Krankheiten bewahrten. Nie wäre jemand auf die Idee gekommen, ein Schwalbennest zu entfernen. Weil sich unter ihren Nestern und Sitzplätzen aber auch jede Menge Kot ansammelt, sind sie heute nicht mehr an jedem Haus gern gesehene Gäste.

Schwalben-Geschichten aus Hermsgrün

Doch Menschen, die mit Schwalben leben, tun es gern, sind begeistert und können sich ein Leben ohne ihre gefiederten Mitbewohner gar nicht vorstellen. Und auch für das Problem Schwalbendreck gibt es einfache Lösungen, wie zwei Beispiele aus dem Vogtland zeigen.

In Hermsgrün haben sich Rauchschwalben etwa vor 15 Jahren ausgerechnet die Lackierwerkstatt von Gerd Schneider als Brutquartier ausgesucht. Fünf bis sechs Paare ziehen über den Köpfen der arbeitenden Männer jedes Jahr zwei Bruten auf. In der Werkstatt ist es laut. Kunden gehen ein und aus. Das Rolltor wird geräuschvoll geöffnet und geschlossen. Das Radio läuft den ganzen Tag und manchmal riecht es auch nach Lacken und Farben. „Das scheint die Schwalben überhaupt nicht zu stören. Also gehe ich davon aus, dass wir doch insgesamt eine gute Raumluft haben und sie sich hier wohlfühlen“, sagt Gerd Schneider.

Ihre Nester kleben die Schwalben überall hin, wo sie meinen, ein gutes Plätzchen gefunden zu haben: an die Deckenheizung oder zwischen Rohre. In einem der oberen Fenster des Rolltors entfernt Gerd Schneider jedes Jahr das Glas und ersetzt es durch eine Pappe mit einem runden Loch in der Mitte. Pfeilschnell fliegen die Schwalben mit angelegten Flügeln durch die kleine Öffnung. Damit sie nicht aus Versehen gegen die Fenster fliegen, haben Schneiders dort schwarze Folie-Vögel aufgeklebt.

Die Schwalben sitzen auf den Rohren und singen von dort aus den arbeitenden Männern unentwegt ihr fröhliches Lied vor. „Wenn sie im Frühling ankommen, meist in der ersten Aprilwoche, dann fliegen sie auf unsere Terrasse, manchmal auch durch die geöffnete Tür direkt ins Wohnzimmer, damit wir sie sehen und ihnen die Tür der Werkstatt öffnen“, ist sich Ehefrau Ines Schneider sicher, dass ihr die kleinen Mitbewohner einen Begrüßungsbesuch abstatten.

Das Aufziehen der Jungen ist jedes Jahr für alle Beteiligten ein Erlebnis der besonderen Art. „Wenn eine kleine Schwalbe aus dem Nest fällt, setzen wir sie wieder rein. Voriges Jahr wollte ein Elternpaar die zweite Brut nicht mehr aufziehen. Warum, wissen wir nicht. Die Altvögel haben die Jungen aus dem Nest geschmissen. Wir haben sie aufgehoben, sie aufs Regal gesetzt, ihnen Wasser hingestellt. Dann kamen auch die Altvögel wieder und haben weiter gefüttert. „Wir haben uns sozusagen die Verantwortung für die Kleinen mit den Eltern geteilt. Allerdings mussten wir jedes Mal, wenn wir ein Auto wegfahren wollten, erst schauen, ob nicht die Schwalbenkinder auf dem Fußboden sitzen“, erinnert sich Ines Schneider noch gut an diese Episode im Leben der Familie mit ihren Schwalben.

An- und Abreise wird dokumentiert

„Manchmal werden die Jungen auch recht zahm und bleiben auf der Hand ruhig sitzen“, berichtet Gerd Schneider. Er hat nicht nur dieses besondere Erlebnis fotografiert. Er trägt auch jedes Jahr die Ankunft und die Abreise der Schwalben in einen Kalender ein.

Zwischen Gerd Schneider und einem befreundeten Nebenerwerbslandwirt aus dem Nachbarort Rebersreuth, bei dem auch Schwalben brüten, sind die Vögel oft Gesprächsthema. „Wir haben unsere erste Schwalbe dieses Jahr am 31. März gesehen. Das war sehr zeitig. In Rebersreuth kamen sie eine Woche später an.“ Das Thema Schwalbendreck ist für Schneiders kein Problem. Wenn welcher auf dem Fußboden liegt, wird er weggeräumt.

Schwalbennest in der Werkstatt
(c) Silvia Kölbel

Wenn im Frühling alle sechs Nester bezogen sind, dulden die fliegenden Bewohner keine Konkurrenz. „Fliegen weitere Schwalben in die Werkstatt, werden sie von den anderen vertrieben, im Extremfall sogar getötet. Vermutlich reicht das Futter nur für diese sechs Paare“, so die Erklärung von Gerd Schneider für dieses Verhalten der Vögel.

Für Schneiders haben die Schwalben tatsächlich Glück ins Haus gebracht, das Glück, die Natur aus nächster Nähe beobachten zu können und viele schöne Erlebnisse. Und sie sind nützlich. „Durch die Schwalben haben wir keine Insekten in der Werkstatt, die an frisch lackierten Autos kleben bleiben könnten“, sagt Gerd Schneider.

Schwalben-Geschichten aus Gansgrün

Eine ganz andere Schwalben-Geschichte kann Familie Hartenstein aus Gansgrün erzählen. Auf dem Vierseitenhof leben vier Generationen unter einem Dach – vom 93-jährigen Walter Hartenstein, seinem Sohn Siegfried, seinem Enkel Daniel bis zu dessen Kindern und den dazugehörigen Ehefrauen. Seit ungefähr 100 Jahren gehört eine Mehlschwalbenkolonie zum Hof. Die etwa 40 Nester kleben im überdachten Hofeingang am Holzgebälk. Neuerdings bauen die Schwalben auch wieder Nester hinter der Dachtraufe am Wohnhaus.

Walter Hartenstein, der sein ganzes Leben auf dem Hof verbrachte, kennt sein Zuhause nur mit Schwalben. Der 39-jährige Enkelsohn Daniel sagt über die zwitschernden Mitbewohner: „Das ist Natur. Die Schwalben gehören zu uns. Auch wenn sie alles vollkacken.“

Früher, so berichtet Siegfried Hartenstein, seien es weniger Schwalben gewesen, „etwa nur ein Drittel“, schätzt er. Dafür habe es auch noch Rauchschwalben gegeben. „Doch seit wir hier keine Rinder mehr halten, sind auch die Rauchschwalben verschwunden.“ Auch bei Hartensteins ist die Ankunft der Schwalben im Frühjahr ein besonderes Erlebnis. „Wir sind jedes Jahr gespannt, wie viele zu-rück kommen“, sagt Siegfried Hartenstein.

Holztafeln unter den Nestern

Da die Schwalben direkt über dem Eingang nisten, mussten sich die Männer etwas einfallen lassen, damit die Hausbewohner nicht Slalom um die Kothäufchen laufen müssen, bei gleichzeitiger Gefahr von oben eine Portion abzubekommen. Siegfried Hartenstein hat Holztafeln unter die Nester gehängt. Seitdem gibt es keine Probleme mehr. Die Nester haben Hartensteins mit einer Leiste und mit einer Drahtkonstruktion geschützt, damit sie nicht herunterfallen. „So können die Schwalben gleich nach der Ankunft mit der Brut beginnen und müssen keine Zeit mit dem Nestbau verschwenden“, berichtet der 68-Jährige.

Gefahr droht den Schwalben manchmal durch Katzen. Siegfried Hartenstein hat Folgendes beobachtet: „Wir hatten eine Katze, die sich ganz ruhig mitten in den Hof gesetzt hat. Diesen Feind haben die Schwalben natürlich attackiert und ihm jedes Mal ein paar Haare herausgerissen. Doch die Katze ist mehrere Male ganz ruhig sitzen geblieben und hat sich nicht bewegt. Doch dann richtete sie sich plötzlich auf und die Schwalbe flog gegen ihre Brust – das war es dann für den Vogel.“

Auch die Hartensteins können sich ein Leben ohne Schwalben nicht vorstellen. „Sie gehören zu unserem Hof und sind uns ans Herz gewachsen“, sagt Siegfried Hartenstein.

Schwalben schützen

Mit etwa 700.000 Brutpaaren sowohl bei Rauch- als auch bei Mehlschwalbe gibt es nur noch halb so viele Vögel wie vor 30 Jahren, so der Naturschutzbund. Gründe sind das Insektensterben sowie Trockenheit im Winterquartier, Extremwetterereignisse auf dem Zugweg und immer weniger Nistmöglichkeiten.

Die Mehlschwalbe mit ihrem leuchtend weißen Bürzel und Bauch sowie dem tief gekerbten Schwanz nutzt vor allem rau verputzte Hauswände unter geschützten Dachvorsprüngen zum Bau ihres Nestes. Sie brütet gern in Kolonien.

Rauchschwalben, die über ihre braunrote Färbung von Kehle und Stirn gut erkennbar sind, bevorzugen Balken oder Mauervorsprünge in Ställen, Scheunen oder Carports. Leider bleiben die notwendigen Einflugluken nach Renovierungen zunehmend verschlossen oder sind bei Neubauten gar nicht erst vorhanden. „Möglichst viele Lager und Ställe sollten in der warmen Jahreshälfte nicht komplett verschlossen sein. Eine Einflugluke reicht Rauchschwalben bereits“, so der Nabu, der in Sachsen und anderen Bundesländern dazu aufruft, Schwalbennester und Brutstätten zu melden und für schwalbenfreundliche Höfe, Häuser und Schulen Plaketten vergibt. red