Kahnfährfrau Yvonne Huber hat das Staken bereits als junges Mädchen gelernt. Seit sieben Jahren verdient die gelernte Köchin damit ihren Lebensunterhalt. © Sabine Rübensaat

Auf einer Kahnfahrt im Spreewald: Die Stille hören können…

…eine Fähigkeit, die uns mehrheitlich abhandengekommen ist. Keine Sorge, es gibt probate Mittel, sie wieder zu erwerben: eine Spreewald-Kahnfahrt beispielsweise. In Schlepzig steht mit Yvonne Huber eine Frau am Rudel in einer traditionsreichen Männerdomäne.

Von Jutta Heise

Mag auch manchem nach monatelangem Lockdown der Sinn nach trubeligen Lustbarkeiten stehen – über die Flusslaufverzweigungen der Spree zu gondeln, bringt Entschleunigung und Erkenntnisgewinn, hat vielfältigen Unterhaltungswert. Wenn, ja wenn eine wie Fährfrau Yvonne Huber am Steuer, am Rudel, steht.

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Kahnfährfrau Yvonne Huber © Sabine Rübensaat

Gastgeberin auf dem Kahn – so versteht sie sich, eine mit Leib und Seele: So eine muss: mit Esprit unterhalten können und mit Feingefühl zuhören, auch mal schweigen, frischen Input geben, wenn die Dinge in Gefahr sind, in Langweile abzugleiten. Die Gäste, die eine Kahnfahrt bei Yvonne Huber buchen, sollen, so ihr Anspruch, ein Stück weit bereichert von Bord gehen, mit neuen Eindrücken, mit dem Erlebnis von Beobachtungen, sagen wir von Biber, Eisvogel und Co., mit mehr Wissen, etwa über die Geschichte und die Geschichtchen der Wenden und Sorben, die diese Kulturlandschaft prägten, und: mit einem Quentchen Entschleunigung. Yvonne Huber hat vor sieben Jahren das Kahnfahren zum Beruf gemacht.

Die „Puppe“ zeigt es den Jungs

Gelernt hat sie das Staken des hölzernen (inzwischen oft aus dem leichteren und längerlebigen Aluminium gefertigten) Gleitbootes bereits im Teenie-Alter. Da überkommt ein Mädel (im Spreewald – weder sexistisch noch despektierlich – traditionell „Puppe“ genannt) schon mal der Ehrgeiz, es jenen Jungs zu zeigen, die übermäßiges Imponiergehabe an den Tag legen, meinend, sie allein könnten perfekt mit dem Rudel, dem Stakholz, umgehen. Herausforderung gemeistert! Heute, ein paar Jährchen später, gebe es, sagt Yvonne Huber, zwar noch einige Fährfrauen, doch als Broterwerb ist das Kahnfahren weiterhin eine Männerdomäne. Naturbedingt. „Es ist eine Frage der Körperlichkeit.“ Einen Kahn der fröhlichen Leute mit um die 20 Personen, dazu dessen Eigengewicht fortzubewegen, ist Muskelarbeit. „Mit Technik allein kriegst du das Ding nicht von der Stelle.“

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© Sabine Rübensaat

Yvonne Huber ist gelernte Köchin, hat etliche Zeit in der Gastronomie gearbeitet. Als die Eltern ihren Traditionsgasthof schließen, um in den Ruhestand zu gehen, versucht sie, ihn in einer kleineren Variante weiterzuführen. Können, Fleiß, Ehrgeiz – manchmal reicht das nicht für den Erfolg, wenn ein Stückchen Glück fehlt. Eine Kollegin, die damals schon als Fährfrau arbeitet, schlägt ihr vor, in das neue Metier einzusteigen. Mit ihr und drei Männern bildet Yvonne Huber heute das Team, das Kahnfahrten in Schlepzig anbietet.

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Auch in Schlepzig hat die Corona-Pandemie den Tourismus zum Erliegen gebracht. Jetzt setzen die Fährleute auf die Sommersaison. © Sabine Rübensaat
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© Sabine Rübensaat

Der Hafen ist wesentlich intimer als die großen Touristenmagnete, es geht entspannter zu als etwa in Lübbenau. Das gemischte Quintett hat sich einvernehmlich-kollegial und freundschaftlich organisiert. Man arbeitet im wöchentlich wechselnden Schichtrhythmus. So will man die schwankende Besucherfrequenz ausgleichen. In Zeiten Corona-bedingter Beschränkungen hat sich das Prinzip ausgezahlt. Wenn ein Kollege selbst an schönsten Tagen mit nur zwei Gästen an Bord losfahren muss, überlassen ihm die anderen die nächste lukrativere Tour. Das harmonisiert. Seit Mitte Juni sind weitgehende Lockerungen der Pandemie-Maßnahmen in Kraft. Mit Beginn der Ferien in einigen Bundesländern kommt der Fährbetrieb als Teil des Spreewald- Tourismus nun mehr und mehr in Gang. „Im Vergleich zu 2019, als wir so viele Besucher hatten wie nie, haben wir zwar einen Rückgang zu verzeichnen. Aber wir sind zufrieden.“ Der Sommer ist ja gerade mal knapp über den Zenit. Dennoch bleibt: „Mancher hat sich offenbar während der Pandemie ein eigenes Boot oder ein SUP-Bord zugelegt. Der Paddel-Tourismus hat definitiv zugenommen, man ist lieber allein oder zu zweit als in einer Gruppe unterwegs. Auch bei uns werden mehr individuelle Fahrten gebucht.“

Yvonne Huber steht trotz schwankender Planken längst sicher im Metier. Voraussetzung für den Beruf war der Erwerb des Fährmannscheins (eine weibliche Entsprechung gibt es nicht), der speziell auf den Spreewald abgestellt ist: Vorschriften zu Personenbeförderung, Paragrafen des Wasserrechts, Sicherheitsbestimmungen, auch technische Details des Bootsantriebs muss jede(r) aus dem Effeff beherrschen. Yvonne Huber erklärt: „Stellenweise sind die Fließe bei starker Strömung so tief, dass sie mit Motor befahren werden dürfen. Wir versuchen aber, zu 90 Prozent zu staken.“ Der Umgang mit dem Kahn ist das eine, es braucht auch eine kleine Fährfrau-Philosophie: Ihren Gästen möchte die Kahnfährfrau vor allem die Wertschätzung für die Natur vermitteln, das sei ihr ein großes Anliegen. „Wir befahren den urig-wilden Teil des Unterspreewalds, der nicht gravierend von Menschenhand verändert worden ist.“

Ein Leichtes förmlich, Störche, Schwarzspecht, Libellen, farbenprächtig wie der Regenbogen, vom Kahn aus zu beobachten. Auch Fischadler und Fischotter sind hier heimisch. Um die zu sichten, braucht es ein größeres Stück vom Glück. Der Eisvogel dagegen sei seit Jahren immer öfter anzutreffen, hat Yvonne Huber registriert. „Nur wenn man seine Heimat kennt, weiß man sie zu schätzen und folglich zu bewahren.“ Sie sei ein Naturfreak. Das passe perfekt mit dem Job zusammen. „In den ersten Jahren als Fährfrau musste ich allerdings dieses oder jenes nacharbeiten. Mancher Gast war beschlagener als ich“, lächelt sie. Zum Grundkonzept einer Fahrt gehören auch Sagen und Mythen aus dem Volk der Sorben und Wenden.

Kahnfährfrau Yvonne Huber in traditioneller sorbisch-wendischer Tracht. © Sabine Rübensaat
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Kahnfährfrau Yvonne Huber in traditioneller sorbisch-wendischer Tracht. © Sabine Rübensaat

Sie fährt in deren Alltagstracht. Das macht die Fahrt authentisch und stimmig, finden auch die Gäste. Deren Spektrum ist schillernd wie das Leben selbst. Da ist der Naturfreund, der mit detailliertem Wissen brilliert, da ist der Historien-, da der Brauchtumsinteressierte, dort sind jene, die sich einfach träumend etwas „berieseln“ lassen möchten. Wie das eben ist mit einer auf kurze Zeit zusammengewürfelten Mannschaft. Trotzdem soll jeder, soweit möglich, auf seine Kosten kommen. Denn da sind noch jene, die vor allem eins wollen: Ruhe. Das heißt für Yvonne Huber, auch mal zu schweigen, „die Leute nicht zutexten, sich selbst zurücknehmen, den Gast für sich sein lassen.“ Auf dass man die Stille hören möge oder es zumindest versuche. Eigenartig, dass sich dann meist alle anderen ebenfalls „fallen“ lassen. „Es klappt zu 90 Prozent.“ Bei jeder Fahrt ist Einfühlungsvermögen, ein wenig Menschenkenntnis gefragt. „Ich muss erspüren, welche Sorte von Leuten da gerade auf meinem Kahn sitzt, die Körpersprache deuten können und mich flexibel darauf einstellen, entscheiden, wo ich Akzente setze. Das ist das Reizvolle an diesem Beruf.“

Manchmal ist weniger mehr

Die thematische Bandbreite der Fahrten, die im gesamten Spreewald mit seinem 1.500 km Wassernetz angeboten werden, ist vielfältig und scheint nie ausgereizt: Kamin-Kahnfahrten (mit einem aktiven Kamin an Bord), Grill- Kahnfahrten, Wellness-Kahnfahrten (die Gäste werden auf Kissen liegend geschippert), spezielle Wintertouren. Yvonne Huber bleibt gelassen: „Man kann sich viel einfallen lassen, aber manchmal ist weniger mehr.“ Das Schlepziger Team bietet ein- bis siebenstündige Wasserausflüge an. Die Naturfahrten gelten als Klassiker – insbesondere in den Abendstunden voller Reiz. „Viele Tiere sind dämmerungsaktiv. Bibersichtung ist nicht selten.“ Es gibt die Lichterfahrt mit beleuchteten Kähnen, die die Mystik des Waldes besonders spooky rüberbringt. Im Herbst legt Yvonne Huber ein Special auf, bei dem die Gäste bei einem Zwischenstopp ihre selbstgekochte Kürbissuppe probieren. Besonders gefragt ist eine Kombination von Kahnfahrt und Führung samt Verkostung im Schlepziger Brauhaus oder in der ersten Whiskybrennerei Ostdeutschlands, die sich gleich gegenüber dem Hafen befindet. Letztere wird ausschließlich von den beiden Damen des Schlepziger Teams geführt. Zufall oder Absicht, etwa um das Gleichgewicht der Geschlechter im Kahn etwas auszutarieren? Wir überlassen Sie Ihren Mutmaßungen.

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Ein Mini-Garten als Demo-Objekt für die Gäste am Schlepziger Hafen mit Spreewald-typischen Gemüsesorten und dem Öllein. Aus dem Blauen Gold, das in der Region auf 160 ha gedeiht, wird das Leinöl gepresst. © Sabine Rübensaat

Wem bänglich ist um die nächste weibliche Generation am Rudel, dem sei gesagt: Während Yvonne Hubers ältere Tochter sich mit einem Studium der Fachrichtung Landschaftsnutzung und Naturschutz auf eine Arbeit in ihrer Heimat vorbereitet, beherrscht die jüngere mit 14 Jahren das Staken schon ziemlich gut. Was fehlt, wird noch geübt. Die Jungs ein bisschen vorführen wie seinerzeit Mama? Und wenn! Eher aber ist es wohl die Lust am Besonderen, am Bewahren einer schönen alten Tradition. Das nennen wir mal bodenständig.


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