Obermühle Gottsdorf: Familienbetrieb seit 120 Jahren
Seit mehreren Generationen wird in der Obermühle Gottsdorf (Brandenburg) Getreide verarbeitet. Doch der Familienbetrieb hat auch eine eigene Rinderzucht und eine florierende Direktvermarktung.
Von Wolfgang Herklotz
Los geht’s, Jack! Der braune Hütehund der Rasse Kelpie springt sofort vom Beifahrersitz des Firmenwagens und begleitet Markus Röthel zu den Rindern, die am Rande von Gottsdorf weiden. Markus Röthel geht auf sie zu, grault ihnen das Fell.
Die friedlichen Vierbeiner nehmen es gelassen hin, dass der Mann mit dem Basecap sogar ihre stattlichen Hörner anfasst und schwenkt. Selbst den imposanten Bullen, der das Treiben beobachtet, scheint das nicht zu stören.
Er gibt nur ein leichtes, doch tiefes Brummen von sich. Röthel lacht. „Klingt so, als würde er sagen: Ist schon in Ordnung, kannst weitermachen!“
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Mühlenbetrieb in Gottsdorf: In vierter Generation
Dem Einundfünfzigjährigen wurde der entspannte Umgang mit den Fleischrindern offensichtlich schon in die Wiege gelegt. Doch Markus Röthel entschied sich nicht für eine Landwirtschaftslehre, sondern wurde Müller mit Meisterabschluss. Seit mehr als zwei Jahrzehnten betreibt er die Gottsdorfer Mühle, inzwischen schon in vierter Generation.
Die bereits 1285 erstmals schriftlich erwähnte Obermühle ist seit 120 Jahren im Besitz der Familie Röthel. Das technische Denkmal, einzigartig in Brandenburg, verfügt immer noch über ein funktionstüchtiges Wasserrad! Es dient traditionell als Antrieb, um Getreide zu mahlen, derzeit steht das Rad allerdings still, erfahren wir. „Es wurde höchste Zeit, den vom Pfefferfließ gespeisten Teich auszubaggern.“
Bevor wir den kleinen Weideausflug beenden, erklärt Markus Röthel, dass auch früher schon Landwirtschaft zur Mühle dazugehörte. Ein, zwei Bullen standen zu DDR-Zeiten immer im Stall, nach der Wende begannen die Röthels dann, Absetzer zu mästen. Dass sich daraus eine eigene Rinderzucht und eine florierende Direktvermarktung entwickeln würde, war damals allerdings noch nicht absehbar. Doch dazu kommen wir noch, denn zunächst müssen wir uns die Mühle unweit vom brandenburgischen Luckenwalde anschauen.
Familienmitglied Piep: Wildgans zu Weihnachten?
Als Erstes treffen wir auf eine Wildgans namens Piep. Der Ganter watschelt selbstbewusst über den Hof, schließlich gehört er quasi zur Familie. Als Jungtier mit verletzter Kralle und hilflos im Wald aufgefunden, war er von den Töchtern des Hauses liebevoll aufgepäppelt worden.
Und dann von einem seiner Ausflüge nicht mehr zurückgekehrt, was zu großer Aufregung und zahlreichen Suchaktionen führte. „Fast wäre er wohl als Weihnachtsbraten in der Pfanne gelandet, aber das konnten wir zum Glück verhindern“, berichtet Markus Röthel und führt uns über den Hof.
Familien- und Mühlengeschichte
Der Hof wurde mitsamt Wirtschaftsgebäuden, rund acht Hektar Wiesen und Ackerland sowie neun Hektar Wald 1904 von Röthers Urgroßvater Theodor Weber gekauft und ging dann ohne Unterbrechung an die nachfolgenden Generationen über.
Sie absolvierten allesamt eine Meisterausbildung, wie die Urkunden im Aufgang zum zweiten Stock belegen: Martin Röthel im Jahre 1931, Martin Junior anno 1959 und Markus 1996. Dieser erinnert sich, dass er bei der Ausbildung in Stuttgart der Müller mit der kleinsten Mühle war und wohl auch etwas belächelt wurde. „Aber uns gibt es im Unterschied zu vielen größeren Betrieben der Branche immer noch!“
Die Innenausstattung ist zumeist noch im Originalzustand, nach wie vor in zuverlässigem Einsatz der vor rund 70 Jahren von einer Firma im thüringischen Bad Frankenhausen erbaute Walzenstuhl. Der Elektromotor, bei Wassermangel wie derzeit eine alternative Antriebsquelle, stammt gar aus dem Jahre 1926. „Aber ein Museum sind wir deshalb nicht“, sagt Markus Röthel und zeigt auf mehrere an der Wand installierte Schaltkästen, mit denen die Solarpaneele auf dem Dach gesteuert werden.
Beim Rundgang lernen wir auch seinen Vater Martin kennen. Für den 87-Jährigen ist die Arbeit in der Mühle ein Lebenselixier. Tag für Tag noch im Einsatz, absolviert er auch regelmäßig seine Kontrollgänge, prüft, ob die zahlreichen Transmissionsriemen korrekt laufen und die Silozellen unterm Dach mit Getreidekörnern gut gefüllt sind.
Das beschwerliche Treppensteigen kommt für ihn nicht mehr infrage, dafür nutzt er den hölzernen Lastenaufzug, dessen Auftrieb mithilfe eines Seils über den verzweigten Mechanismus von Wellen und Zahnrädern erfolgt.
Galerie: Familienbetrieb Obermühle Gottsdorf bei Luckenwalde
Roggen, Dinkel, Weizen: Die Mühle muss laufen
Ursprünglich wurde in der Obermühle ausschließlich Roggen gemahlen, nun werden auch Dinkel und Weizen verarbeitet, darunter eine alte Getreidesorte wie der Gelb-oder Safranweizen. Das Getreide stammt durchweg aus biologischem Anbau von Landwirten aus der Region.
Es läuft bis zu 20 Mal durch den Walzenstuhl und wird vorher gründlich von kleinen Steinchen und groben Bestandteilen gereinigt, bis das Mehl die gewünschte Qualität hat. Die Tagesausbeute liegt bei anderthalb Tonnen Getreide Mehl unterschiedlichen Typs.
„Unser Mehl war auch früher schon sehr gefragt, weil es so hell war“, versichert Markus Röthel und fügt hinzu: „Ich habe von meinem Vater gelernt, dass man diesen Beruf mit voller Hingabe ausführt und keine halben Sachen macht.“ Wozu gehört, dass selbst spätabends immer noch mal nach der Mühle geschaut wird. Letztendlich prägt sie doch den ganzen Tagesablauf. „Wenn wir in der Küche sitzen, hören wir immer die Walzengeräusche und kriegen auch mit, wenn etwas nicht richtig funktioniert.“
Ehernes Prinzip der Röthels: Die Mühle muss laufen und das Mehl zuverlässig bereitgestellt werden, auch wenn damit noch Nachtschichten verbunden sind. Es kam schon vor, dass ein Arbeitstag erst um vier Uhr morgens endete!
Video: Obermühle Gottsdorf und die Potsdamer Bio-Bäckerei Fahrland
Größter Abnehmer des Biomehls aus Gottsdorf ist die in Potsdam ansässige Bäckerei Fahland. Ihre Brote werden vor allem in Potsdam, aber auch in einigen Filialen Berlins verkauft. Früher gehörte auch eine traditionsreiche Bäckerei in Dietersdorf zu Röthels Kundenkreis, die aber geschlossen wurde.
„Das ist mehr als bedauerlich, weil dort ein sehr schmackhaftes, helles Roggenbrot gebacken wurde, wie es früher auf den Bauernhöfen üblich war!“ Es hatte einen geringeren Weizenanteil als heute und war lange haltbar, berichtet Markus Röthel. Auf seinen Flächen, durch Kauf und Pacht mittlerweile auf rund 100 Hektar erweitert, baut er seit Jahren auch selbst Getreide an.
Rindermist als Bodenverbessernde Maßnahme
Bis zu 20 Tonnen Roggen erntet er normalerweise, die zusätzlich über die Mühle verwertet werden. Doch die zunehmende Trockenheit sorge für geringere Erträge auf den ohnehin mageren Böden, räumt der Müllermeister mit ausgeprägtem Faible auch für den Ackerbau ein. Zudem habe er festgestellt, dass durch jahrzehntelanges Pflügen die Bodenstruktur beeinträchtigt worden sei.
Fortan beschäftigte sich der Gottsdorfer mit Direktsaat, Zwischenfrüchten, Unterfußdüngung und schonender Bodenbearbeitung. Von Rückschlägen ließ er sich nicht aufhalten. Als außerordentlich hilfreich stellte sich letztendlich heraus, einen mit Rindermist angereicherten Kompost auf den Flächen auszubringen. Und damit wieder den Kreis(lauf) zur Tierhaltung zu schließen.
Welsh Black-Herde: Bioqualität
Der mittlerweile auf 100 Tiere angewachsenen Welsh Black-Herde stehen nicht nur ausgedehnte Weideflächen zur Verfügung. Als Winterfutter für die ganzjährig im Freien gehaltenen Vierbeiner dienen Heu, Grassilage und Stroh, allesamt aus eigener Produktion, und natürlich auch die beim Mahlen anfallende Kleie. Denn diese haben noch wertvolle Inhaltsstoffe.
Aus eigenem Antrieb und dank zahlreicher Freunde und Bekannten konnte Markus Röthel in die Geheimnisse einer erfolgreichen Zucht eindringen, Wissen und Erfahrungen sammeln. Zum Beispiel, wie man eine problematische Abkalbung meistert. Und souverän auch diverse Hürden überwindet, um hochwertiges Rindfleisch, natürlich in Bioqualität, erfolgreich zu vermarkten. Zugute kam dabei dem passionierten Jäger, dass er vom Veterinäramt die Genehmigung erhielt, schlachtreife Rinder auf der Weide zu erlegen.
Weniger Stress für die Tiere
Das erspart den Tieren viel Stress, was sich positiv auf die Fleischgüte auswirkt. Die wiederum wird noch durch die Lagerung in speziellen Fleischreifeboxen gesteigert, die eine luftdichte Lagerung bei konstanter Temperatur über mehrere Wochen ermöglichen.
Die eigentliche Schlachtung und Zerlegung erfolgt in dem nur knapp einen Kilometer entfernten Ort Klinkenmühle, wo ein Schlachtraum zur Verfügung steht. Dafür musste der Müllermeister aber in eine eigene Verarbeitungsstrecke mitsamt Kühlraum investieren. Hier sorgt Fleischer Herbert Müller für die fachgerechte Weiterverarbeitung des Fleischs.
Bildergalerie: Obermühle Gottsdorf und Direktvermarktung
Fleischbestellung mit einem Klick
Im Hofladen werden die vakuumierten Stücke angeboten, ebenso Würste, Fleischpartien vom Reh und Wildschwein, natürlich aber auch eine Auswahl verschiedener Mehle. Das Fleisch kann online bestellt werden und zu festen Öffnungszeiten des Hofladens abgeholt werden. Die Kunden kommen aus Potsdam, Berlin und aus der näheren Umgebung.
Hofnachfolge: Wie geht es weiter?
Es gibt also viel zu tun auf dem Hof und wäre alles kaum zu schaffen, wenn nicht so viele Hände zupacken würden – aus dem Dorf, aber selbstverständlich auch Röthels Eltern, Ehefrau Mandy und die Töchter Melina (15) sowie Miriam (11). „Wir sind ein Familienbetrieb, da kann sich einer auf den anderen verlassen“, versichert Markus Röthel und berichtet, dass seine Mutter sich trotz ihres Alters immer noch um den täglichen Mittagstisch für alle kümmert.
Wie steht es um die Hofnachfolge? Dafür sei es noch ein bisschen zu früh, meint Röthel. Aber Melina habe schon den Wunsch geäußert, Bäuerin zu werden. Und Miriam zeige nicht nur Talent beim Fahren mit dem Radlader, sondern ein ebenso großes Interesse daran, wie eine Mühle so funktioniert. Auch an Geheimnissen, die damit verbunden sind.
Kobold unterm Dach?
Es soll da einen Kobold unterm Dach geben. Markus Röthel schmunzelt. „Na klar doch. Wir haben ihn bisher zwar noch nicht gesehen, aber es muss ihn geben. Denn einmal ging nachts plötzlich die Mühle an…“ Wie das denn? Markus Röthel lässt uns eine Weile im Ungewissen.
Dann berichtet er, dass wie sonst üblich der Zulauf mit einem sogenannten Schütz geschlossen worden war, um Wasser anzustauen. Aber offenbar nicht komplett, so dass Tropfen um Tropfen doch auf die Schaufeln des Wasserrades rinnen konnte und dieses schließlich in Bewegung setzte. Aber irgendwie hatte der Kobold wohl doch seine Hände mit im Spiel …