Heute bewirtschaftet die Berliner Stadtgüter GmbH rund 17.000 Hektar Land. (c) Thomas Uhlemann

150 Jahre – Berliner Stadtgüter feiern Jubiläum

Sie feiern in diesem Jahr ihr 150-jähriges Bestehen – die Berliner Stadtgüter. Einst mit der Kanalisation der aufstrebenden Metropole Berlin entstanden, sind sie heute vor den Toren der Hauptstadt und damit in Brandenburg Erholungsort, Biotop, Acker für Landwirte und sorgen für grüne Energie.

Von Bärbel Arlt

Es ist ein diesiger Herbsttag mit leichtem Nieselregen – irgendwie passend für einen Recherchetermin auf dem stillgelegten Rieselfeld bei Großbeeren, einem der ältesten, die rund um Berlin im 19. Jahrhundert angelegt wurden.

Über 100 Jahre – von 1881 bis 1996 – verrieselten hier die Abwässer der Metropole. In Spitzenzeiten sollen es täglich 52.000 m3 gewesen sein. Doch wie kam es eigentlich dazu?

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Berliner Stadtgüter 150 Jahre: Ein Blick in die Geschichte

Begonnen hatte alles mit der rasanten industriellen Entwicklung Berlins im 19. Jahrhundert. Damit verbunden war ein Ansturm von Menschen, die hier arbeiten und leben wollten. Doch die Bevölkerungsexplosion überforderte die Stadt, führte zu Armut und Elend. Arbeiter und Familien – sie lebten in heute unvorstellbaren prekären hygienischen Verhältnissen. Fäkalien wurden auf Straßen und in Rinnsteinen entsorgt, was wiederholt zu Infektionskrankheiten wie Cholera, Tuberkulose, Typhus führte.

Es musste sich also dringend etwas ändern. Doch damals wie heute wurde langwierig um Lösungen gerungen. Es wurde gestritten, diskutiert, abgelehnt, Ängste wurden geschürt. Der Fortschritt hat es eben nie leicht, sich durchzusetzen. Doch 1873 beschloss die Berliner Stadtverordnetenversammlung dann doch den Bau eines Abwasserentsorgungssystems, das zugleich auch die Geburtsstunde der Berliner Stadtgüter ist.

Abwasser-Revolution von James Hobrecht

Nach Plänen von Stadtplaner James Hobrecht entstand fortan ein gigantisches unterirdisches Kanalsystem, in dem die Abwässer gesammelt und über radial angeordnete Pumpsysteme auf die außerstädtischen Rieselfelder geleitet, dort gereinigt und verrieselt wurden. Natürlich stank es zum Himmel.

Doch dieses ausgeklügelte Abwassersystem war eine technische Revolution. Es machte Berlin Ende des 19. Jahrhunderts zu einer der saubersten Städte und zu einem Vorbild für andere Metropolen und das sogar weltweit. So interessierten sich zum Beispiel Moskau, Tokio und Kairo beim Bau eigener Entwässerungssysteme für das Berliner Kanalisationsmodell.

Straßenschild der Hobrechtstrasse in Berlin Neukölln
Gedenken an James Hobrecht (1825-1902). Straßenschild der Hobrechtstraße in Berlin Neukölln. (c) IMAGO / Steinach

Dünger für die Landwirtschaft

Von großem Nutzen wurden die Rieselfelder auch für die heimische Landwirtschaft, waren doch die Abwasserreste begehrter Dünger und die Rieselflächen selbst attraktive Ackerflächen, auf denen Roggen, Weizen, Gerste, Hafer, Kartoffeln, Kohl, Gurken und Obst geerntet wurden.

Auf den zahlreichen Stadtgütern rund um Berlin, die neben den Rieselfeldern noch Tausende Hektar landwirtschaftlicher Flächen besaßen, wurden Kühe, Schweine, Schafe und Hühner gehalten. Aber es gab – und das mit der weiteren Entwicklung von Industrie und Landwirtschaft – auch unerwünschte Nebeneffekte durch Schwermetalle und organische Schadstoffe. „So können heute von den rund 5.500 Hektar stillgelegter Rieselfelder etwa 2.000 Hektar nur eingeschränkt landwirtschaftlich genutzt werden“, sagt Katrin Stary, studierte Geodätin und seit 2015 Geschäftsführerin der Berliner Stadtgüter.

Stadtführerin in Großbeeren bei den Rieselfeldern
Denkmalpflege: Heute bewirtschaftet die Berliner Stadtgüter GmbH rund 17.000 Hektar Land. Seit 2015 ist Katrin Stary Geschäftsführerin der Berliner Stadtgüter. (c) Thomas Uhlemann
Historisches Standrohr
Das Standrohr auf dem ehemaligen Rieselfeld in Großbeeren zeigte einst den Füllstand der Druckrohrleitung an, heute ist es technisches Denkmal. (c) Berliner Stadtgüter GmbH

Zu den erhaltenen Rieselfeldern gehört auch das in Großbeeren, heute ein technisches Denkmal. Ein zwei Kilometer langer Pfad führt entlang erhaltener Bauwerke wie Standrohr, Absetzbecken, Grabenzuläufe, Schieber und Durchlässe, die einst ein Rieselfeld prägten. Und während wir daran vorbeispazieren, erzählt Katrin Stary von den Höhen und Tiefen, die die Berliner Stadtgüter in ihrer 150-jährigen Geschichte durchlaufen mussten.

Denkmalpfad Rieselfelder in Großbeeren
Heute führt durch das ehemalige Rieselfeld bei Großbeeren ein Denkmalpfad, der die Geschichte des einst bahnbrechenden Abwassersystems näherbringt. (c) Thomas Uhlemann

Berliner Stadtgüter – Schwierige Zeiten

Da ist die Rede von den schwierigen Anfangsjahren, von der Schaffung von Arbeitsplätzen, Wohnungen und Gütern, von der Erzeugung von Lebensmitteln für die Versorgung der Berliner Bevölkerung, von den Zwangsarbeitern, die im Zweiten Weltkrieg auf den Flächen schuften mussten, von der Bildung der Volkseigenen Güter zu DDR-Zeiten und vom schwierigen Prozess der Eigentumsverhältnisse, Rückübertragungen und Entschädigungen nach der Wende 1990 sowie vom Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft – einhergehend mit der Entlassung von Mitarbeitern.

In den Jahren folgten dann weitere Umstrukturierungen, Neuausrichtungen, Privatisierungen. Doch trotz aller Herausforderungen und Reformierungen – die Berliner Stadtgüter haben jede schwierige Zeit überlebt, wenn auch die Existenz so manches Mal auf dem Spiel stand. „Wir sind nicht nur da, sondern wir sind auch erfolgreich da und schreiben verlässlich schwarze Zahlen“, sagt Katrin Stary.

Von Verpachtung bis Erlebniswiesen

Nach wie vor spielt die Landwirtschaft eine große Rolle im Kerngeschäft des landeseigenen Unternehmens, zu dem 17.000 ha Fläche im Land Brandenburg gehören, wovon 85 % an Landwirte verpachtet werden – und auf denen, man staune, inzwischen sogar Reis wächst.

Verändert haben sich allerdings die Aufgaben der Berliner Stadtgüter. „Wir sind zwar Eigentümer der Flächen, verpachten diese aber an private Landwirte“, und das, so versichert die Stadtgüterchefin, langfristig und zu fairen Preisen. Weitere wichtige Geschäftsfelder sind die Sanierung, Pflege und Renaturierung stillgelegter Rieselfelder. Die Stadtgüter sind Partner für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, schaffen Biotope und Erholungsorte.

Als Beispiele nennt Katrin Stary die Wildobstallee in Deutsch-Wusterhausen, den Löwenzahnpfad bei Schönerlinde, wo sich Wasserbüffel und Konikpferde wohlfühlen, und die Erlebniswiese Mauerbienchen am ehemaligen Mauerstreifen in Großziethen nahe der Berliner Gropiusstadt. Auch Umweltbildung spielt eine große Role. So werden zum Beispiel gemeinsam mit Schülern die Früchte der Streuobstwiesen geerntet und direkt vor Ort gepresst.

Wanderschäfer Stadtkante
Wichtige Partner des landeseigenen Unternehmens sind nach wie vor die Landwirte. Hier Wanderschäfer Arno Laube aus Rüdersdorf mit seiner Herde. (c) Berliner Stadtgüter GmbH

Agri-PV-Anlage am Flughafen-BER

Und schließlich sorgen die Stadtgüter auf ihren Freiflächen für grünen Strom – mit derzeit 45 Windrädern, 120 ha Kurzumtriebsplantagen und drei großen Solaranlagen mit einer installierten Leistung von 35, 80 MWp (Megawattpeak). Katrin Stary verweist in dem Zusammenhang auf eine 70 ha große Agri-PV-Anlage, die derzeit auf Flächen der Berliner Stadtgüter am Rande des Großflughafens BER geplant wird. Knapp 85 % der Flächen sollen dort für die landwirtschaftliche Nutzung erhalten bleiben.

PV-Anlagen
Auf Freiflächen der Berliner Stadtgüter wird grüner Strom erzeugt. (c) Berliner Stadtgüter GmbH

Berliner Stadtgüter 150 Jahre – Online

Die spannende 150-jährige Geschichte der Berliner Stadtgüter zeigt eindrucksvoll eine virtuelle, multimediale und sehr interessante Ausstellung mit historischen Fotos, Dokumenten und Hörstücken fiktiver Zeitzeugen: geschichte-berlinerstadtgueter.de

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