© Sabine Rübensaat

Zeit für die nächste Revolution?

In den 1970er-Jahren begründete der Landwirt Robert Rodale den Begriff „Regenerative Organic Farming“ – also regenerative Landwirtschaft. Seitdem haben Pioniere wie Gabe Brown, Joel Salatin und Dr. Elaine Ingham die Bewegung geprägt. In Amerika ist sie schon im „mainstream“ angekommen. In Deutschland hat sie noch ein Nischendasein.

von Laura von Ketteler

Allein in den USA allein gibt es um die 70 Anlagefonds mit einem Vermögen von über 47,5 Mrd. $ in regenerativer Landwirtschaft. In Deutschland hingegen stellt das Thema derzeit sowohl für die Industrie als auch den Finanzsektor noch eine Graswurzelbewegung da. „Die regenerative Landwirtschaft steht in Deutschland wie weltweit noch ganz am Anfang“, sagt Jan Gisbert Schultze, Mitgründer der Soil Alliance, einem Verein für regenerative Landwirtschaft.

Regenerative Landwirtschaft lässt sich nicht in einem Satz definieren. Grundsätzlich fordert sie eine Wiederherstellung und Verbesserung der Natur, sowie einen ganzheitlichen und systemischen Denkansatz und geht somit über die nachhaltige Landwirtschaft hinaus.
Auch in Europa finden die fünf Grundprinzipien der regenerativen Bewirtschaftung nach Gabe Brown weite Verbreitung als Grundlage für viele Landwirte:

  • So wenig mechanische, physische und chemische Beeinflussung/Störung des Bodens wie möglich;
  • ständige, ganzjährige Bodenbedeckung;
  • Förderung der Biodiversität von Lebewesen und Pflanzen;
  • langer Erhalt von lebenden Wurzeln;
  • Integration von Tieren in den Betrieb.

Doch jeder Standort ist anders und benötigt eigens angepasste Methoden, darüber sind sich die Anhänger einig. Über die Jahre haben sich verschiedene Ausprägungen der regenerativen Landwirtschaft etabliert: Agroforst, Permakultur oder ganzheitliches Weidemanagement (Holistic Grazing), um einige Konzepte zu nennen. All diese Ansätze versprechen verbesserte Böden, gesteigerte Biodiversität, bessere Wasserspeicherung, verringern Erosion und machen unabhängiger vom chemischen Pflanzenschutz.

Dietmar Näser, Mitgründer der „Grünen Brücke“ und einer der deutschen Verfechter der regenerativen Landwirtschaft legt den Fokus vor allem auf das Mikrobiom und die Notwendigkeit, Humus zu generieren. „Durch regenerative Landwirtschaftssysteme ist es möglich, in viereinhalb Jahren 3,5 % Humus aufzubauen. Ein hoher Gehalt an Humus bewirkt einen starken Ertrag auch bei widrigen Bedingungen und kann eine Menge CO2 einspeichern“, sagt er in einem seiner Vorträge.

Die große Frage lautet: Wie?

Benedikt Bösel vom Schlossgut Alt Madlitz (Gut&Bösel). © Privat

„Es funktioniert nur, wenn wir klein anfangen, testen und weiterentwickeln, um dann später skalieren zu können. Leider sind diese Arten der multifunktionalen Landnutzung in Deutschland bisher nur schwierig über unsere klassische Agrarförderung abzudecken, da müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten. Jeder Landwirt und jede Landwirtin muss für sich testen, was auf seinem/ihrem Betrieb am besten funktioniert“, sagt Benedikt Bösel.

Er ist Landwirt auf dem Biobetrieb Schlossgut Alt Madlitz (Gut&Bösel) östlich von Berlin. Bösel gehört zu den Vorreitern in Sachen regenerative Landwirtschaft in Deutschland. „Wir haben hier besonders schwierige Standortbedingungen. Sandige Böden und wenige Niederschläge, insbesondere im Frühjahr und Frühsommer. Uns war schnell klar, dass der Boden und die Bodenbiologie unser bester Schutz vor verändernden Wetterphänomenen sind. Für uns besonders spannend ist dabei unser Standort: Wenn wir zeigen können, dass diese Landnutzungskonzepte selbst bei unseren Bedingungen ökologisch, ökonomisch und sozial Vorteile bieten, können sie im Grunde überall angewandt werden“, ist sich Bösel sicher.

Auf seinem Betrieb vereint er Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft: Agroforst, Holistic Grazing nach Gabe Brown und Alan Savory, Permakultur und die syntropische Landwirtschaft nach dem Schweizer Ernst Götsch. Sein Ziel ist es, in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen, Unis, Start-ups und internationalen Pionieren die Systeme zu testen und skalierbar zu machen. „Dabei ist es wichtig, die unterschiedlichen Methoden an die individuellen Standortbedingungen anzupassen“, bekräftigt Bösel.

Alt und neu zusammen: Peace Farming

Skeptiker sind der Meinung, dass sich Methoden der regenerativen Landwirtschaft nicht auf großen Flächen umsetzen lassen und verhältnismäßig viel Handarbeit fordern. Ernst Götsch hat jedoch bewiesen, dass dies funktioniert. Auf großen degradierten Flächen in Brasilien hat er es geschafft, durch die syntropische Landwirtschaft ausgelaugte Böden wieder fruchtbar zu machen.

Dazu arbeitet er unter dem Motto „Peace Farming“ mit einem Schichtensystem im Einklang mit der Natur, um an den Ursachen der Probleme anzusetzen, und nicht nur deren Auswirkungen zu bekämpfen. Auf Gut&Bösel setzt er zusammen mit Benedikt Bösel das Pionierprojekt für Deutschland um. Auf einem 3,5 ha großen Feld werden alle 10 m Baumreihen angelegt. Dabei werden schnell wachsende Baumarten zwischen fruchttragende Sträucher und Bäume gepflanzt. Die schnellwachsenden Bäume sollen jedes Jahr beschnitten werden und der gehäckselte Baumschnitt den Boden bedecken. Der wird so vor Austrocknung geschützt und mit Nährstoffen versorgt. Die fruchttragenden Sträucher, darunter Pflaume, Birne, Kornelkirsche und Sanddorn, dienen der Lebensmittelproduk­tion.

Den Bodenspeicher wieder nutzen

Das Thünen-Institut und der Bodenforscher Dr. Axel Don haben 2018 in einer ausführlichen Studie das Potenzial des landwirtschaftlich genutzten Bodens als CO2-Speicher herausgearbeitet. Wie viel CO2 der Boden enthält, hängt vom Humusgehalt ab, der wiederum Einfluss auf den Bodenkohlenstoff hat. Vor allem Grünland habe ein enormes CO2-Speicherpotenzial. Landwirte können CO2-Zertifikate an Emittenten aus der Industrie verkaufen. Mit einem zwischengeschalteten Zertifikate-Händler wie CarboCert schließt der Landwirt mit dem Händler eine Vereinbarung zum Humusaufbau ab. Die Entwicklung wird durch eine GPS-genaue Probeentnahme in einem Labor gemessen, sodass der Zuwachs des Humus die Grundlage für die Auszahlung des Erfolgshonorars bildet. „Die CO2-Zertifizierung ist eine super Möglichkeit, die Regenerierung der Böden zu honorieren, es ergibt sich eine Win-Win-Situation. Natürlich darf dabei der Zertifikate-Handel nicht der Schwerpunkt des Betriebseinkommens sein“, sagt Friedrich Wenz von der Grünen Brücke.

Verschiedene Kriterien zur Berechnung

Diesem Konzept stehen allerdings nicht alle positiv gegenüber, zumindest noch nicht. Rösl ist der Meinung, dass organischer Kohlenstoff nicht der richtige Parameter ist, um Humus zu messen. „Um ein realistisches Bild zu gewinnen, müssen verschiedene Kriterien in eine Berechnung miteinbezogen werden, zum Beispiel die Entwicklung der Infiltrationsleistung, der Bodengare, der Wurzeltiefe und des Bodenlebens“, sagt er. Andere Landwirte geben auch die hohen Margen für den Händler der Zertifikate zu bedenken.

Mit der regenerativen Landwirtschaft stehen wir an einem Anfang, der Raum für Weiterentwicklung und Neuinterpretation bietet. Der Begriff steht für eine Revolution der Landwirtschaft, ein Umdenken, ein Neudenken. Das verlangt Mut, Kreativität und starke Partnerschaften. Klar wird, dass sie großes Potenzial hat, die Landwirtschaft der Zukunft zu werden, allerdings sollten die Landwirte diese Herausforderung nicht allein stemmen müssen.