Bäcker Tom (r.) und Konditor Hans Eßrich verbinden in ihrer Backstube Tradition mit moderner Technik und vor allem mit Regionalität. (c) Catrin Hahn

Bäckerei Eßrich: Handwerk fängt beim Rohstoff an

Sie sind jung und voller frischer Ideen – die Brüder Tom und Hans Eßrich. Am Leipziger Stadtrand führen sie die Traditionsbäckerei ihres Großvaters fort – und setzen dabei auf die Kooperation mit umliegenden Agrarbetrieben.

Von Catrin Hahn

Die Brüder Tom und Hans Eßrich, 27 und 23 Jahre jung, haben vor zwei Jahren die Backstube ihres Opas übernommen. Der hatte 1974 am südöstlichen Stadtrand von Leipzig eine Bäckerei eröffnet – in einer Gegend, die eher eine Wohn- und Gewerberegion ist, die Leute halten auf dem Weg zur Arbeit an oder kommen aus der Nachbarschaft vorbei zum Einkaufen. Die Kunden wollen solide Qualität, die schmeckt. Nicht unbedingt Schnickschnack. Bäcker Eßrich hat ihnen ihre Wünsche jahrzehntelang erfüllt.

Umkrempeln beim Generationswechsel

Anfang 2019 kam der Generationenwechsel. Die Enkel des Gründers hatten sich gut darauf vorbereitet: Tom ist gelernter Bäcker und hat bereits seine Meisterausbildung absolviert, Hans ist ausgebildet als Konditor und derzeit dabei, in Potsdam seinen Meister zu machen.

Es wäre leicht für die beiden gewesen, das gut akzeptierte Geschäft in der Teichmannstraße einfach fortzuführen. Doch das wollten sie nicht. Langsam, aber zielstrebig machen sie sich daran, einiges umzukrempeln. Zwar hat sich das Ladengeschäft nicht verändert, es verströmt weiterhin einen heimeligen Charme vergangener Jahrzehnte. Doch dahinter ist Veränderung im Gang: Die Backstube wird erweitert und ausgebaut, um mit mehr Mitarbeitern für mehrere Verkaufsstellen produzieren zu können.

Die vielleicht größte Veränderung in der Bäckerei Eßrich betrifft die Rezepturen. Hier ist praktisch nichts mehr, wie es war. Tom Eßrich erklärt: „Wir haben das Angebot abgespeckt, um an der Qualität der verbliebenen Backwaren zu arbeiten. Dafür haben wir die Rezepturen angepasst, heute kommt bei uns nichts mehr aus der Tüte oder dem Eimer.“ Die neuen Rezepturen sind zum großen Teil Abwandlungen alter, zum Teil auch eigener Familienrezepte. „Wir haben die alten Rezepte an unsere heutige Arbeitsweise angepasst. Zum Beispiel gab es bei Opa die ‚Eßrich Urkruste‘. Das war, um ehrlich zu sein, eine Backmischung. Die Rezeptur haben wir so umgebaut, dass es ähnlich aussieht, aber geschmacklich zwei Etagen darüber ist.“

Bäckerei Eßrich: Messlatte ist der Geschmack

Geschmack ist die Messlatte für die Eßrich-Brüder. „Unser Antrieb ist das Einfache, aber es muss auch zu schmecken sein“, so bringt es Tom auf den Punkt. „Wir bieten ein Kartoffelbrot, aus dem Kartoffelstückchen herausgucken. Oder in der Spargelsaison ein Spargelbrot mit 20 Prozent Spargel. Was nützt es denn, wenn nur ‚Spargelbrot‘ auf dem Preisschild steht, aber man nichts davon schmeckt?“

Am Geschmack und den Bedingungen, die die Zutaten dafür brauchen, orientiert sich auch der Ablauf in der Backstube: „Alle Brötchen und Kleingebäcke stehen mindestens 14 Stunden in der Kühlung, damit die Hefe sich in Ruhe entwickeln kann. Erst dann kommen sie in den Ofen.“

Da alle Kleingebäcke schon am Vortag vorbereitet im Kühlraum warten, ist auch der Ablauf für die Mitarbeiter anders. Derzeit arbeiten sieben Angestellte in der Backstube, nach den Umbauten sollen es zehn bis elf sein. „Und da macht es auch nichts, wenn jemand Familie hat und erst am Morgen zur Arbeit kommen kann – eigentlich ein Ausschlusskriterium für eine Bäckerei. Hier ist die meiste Arbeit am Tag bzw. frühen Abend zu erledigen.“

Traditionelle Rezepturen treffen auf moderne Technik

Mit dem Umbau wird neue Technik Einzug halten, darunter ein Ofen, Kühltechnik und andere Maschinen. Tom Eßrich bevorzugt zwar traditionelle Rezepturen, gegen moderne Technik hat er aber nichts einzuwenden: „Wenn wir uns eine Röstmaschine kaufen, die uns die Arbeit erleichtert, weil sie zuverlässig immer dasselbe Ergebnis abliefert, dann ist das doch gut!“

Bäckerei Eßrich: Nicht Standard, sondern das Besondere

Großen Wert legen die Brüder darauf, dass ihre Produktion „so sauber wie möglich“ vonstattengeht: „Wir haben ein Energiekonzept entwickelt gemeinsam mit einem Architekten, um möglichst CO2-neutral arbeiten zu können. Auf das neue Dach kommt zum Beispiel eine große PV-Anlage.“

Auch das neue Verkaufsmobil, das die drei Ladengeschäfte um eine mobile Version erweitert, wird mit Solarpaneelen ausgestattet. Ganz neu, erzählt Tom Eßrich mit leuchtenden Augen, ist eine Zusammenarbeit mit einem Fleischer aus der Nähe. „Das ist ein ‚Fleischer-Sommelier‘, er bietet hochwertige Produkte aus regional und besonders tierfreundlich erzeugtem Fleisch an. Wir wollen gemeinsam einen Laden eröffnen, außerdem kommt in unser Geschäft in der Teichmannstraße eine Kühltheke mit Fleisch- und Wurstwaren von ihm.“ Der junge Bäcker verspricht sich viel von der Zusammenarbeit: „Wir setzen beide auf das Besondere anstatt auf Standards.“

Statt Backmischungen Säcke voll verschiedener Getreidearten in der Backstube

Nun muss das ja noch lange nicht bedeuten, dass auch das Publikum eine solche Entwicklung gutheißt. Erst recht, wenn es wie in der Teichmannstraße nicht eben zum Hochpreis-Milieu gehört. Auf die Frage hat Eßrich nur gewartet: „Die Leute nehmen die Änderungen sehr gut an. Wir haben ab 5.30 Uhr geöffnet, da stehen sie schon an. Bis gegen acht sind belegte Brötchen der Renner, dann Brot und Kuchen am Nachmittag. Es ist auch nicht so, dass wir mit der Umstellung der Rezepturen viel teurer geworden sind.“

Etwas anderes ist allerdings mit der Umstellung der Rezepturen deutlich angestiegen, das ist die Menge und Vielzahl des verarbeiteten Getreides. Bestimmten früher Backmischungen das Bild in der Backstube, so sind es heute Säcke voll verschiedener Getreidearten. „2020 haben wir 60 Tonne Getreide verarbeitet, etwa drei Viertel Weizen, ein großer Teil vom Rest war Roggen, der Anteil von Dinkel steigt.“

Bäckerei Eßrich
(c) Catrin Hahn, Tom Peters

Mit dem Umbau sollen bald auch Silobehälter Platz finden. Dann werden die Rohstoffe auch nicht mehr vom Handel kommen, sondern vom Erzeuger. Dafür sucht Tom Eßrich seit einiger Zeit im Leipziger Umland nach Agrarbetrieben. Mit drei Unternehmen hat er bereits Verträge geschlossen. In Kürze werden dann auch ungewöhnliche Getreidearten in die Backstube in der Teichmannstraße einziehen.

Von Einkorn bis Champagnerroggen

Eine Autostunde ostwärts, in Erlau, sitzt Jan Gumpert in seinem Büro. Der Vorsitzende der Agraset Naundorf hat kürzlich mit Tom Eßrich die Lieferung von verschiedenen Urgetreiden vereinbart. „Wir werden Dinkel, Lichtkornroggen, Waldstaudenroggen und Champagnerroggen erzeugen. Die Bauernhof GmbH in Meuselwitz baut zusätzlich Emmer und Einkorn an.“

Jan Gumpert ist begeistert von der neuen Kooperation: „Es ist doch wunderbar, dass das regionale Handwerk nach regionalen Ressourcen sucht. Und für uns ist das perfekt: Was wir hier anbauen, wollen wir am liebsten auch hier vermarkten. Wir sind richtig froh über diese neue Partnerschaft.“ Er hat bereits einen Termin beim mitteldeutschen Saatgutspezialisten Saatgut 2000, um sich über die Verfügbarkeit und Besonderheiten des Saatguts zu informieren.

Weil niemand bei Agraset bisher mit dem Anbau dieser neuen – beziehungsweise alten – Sorten Erfahrung hat, wird sich Pflanzenbauleiter Matthias Hörig Unterstützung bei der Fachabteilung Pflanzenbau des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie holen: „Dort haben schon Anbauversuche stattgefunden, deshalb können wir ackerbauliche Hinweise bekommen. Im Spätsommer beginnen wir mit dem Anbau, wie mit der Bäckerei verabredet im kontrollierten konventionellen Anbau.“

Auch Leinöl werden die Eßrichs ab dem Herbst von der Agraset beziehen. Dort startet der Versuchsanbau von Öllein in diesem Jahr, um Omega-3-fettsäurehaltiges Schrot für die Schweinemast unter dem Markennamen „Genießergenossenschaft“ zu gewinnen. Für 2022 sind schon 60 Hektar Öllein im Plan.

Kooperationen: Regionale Kreisläufe schließen

Pflanzenbauleiter Hörig erklärt die Philosophie der Agrargenossenschaft so: „Wir sind für Nischen immer offen, so erzeugen und verarbeiten wir mit der Friweika zusammen Kartoffeln oder machen seit Jahrzehnten Grassamenvermehrung, wo wir einer von nur zwei Betrieben sind, die Knaulgras vermehren. Auch Hartweizen für die Teigwaren Riesa wächst bei uns, die Anbaufläche haben wir von 30 auf 120 Hektar ausgedehnt. Der Riesaer Nudelhersteller passt auch super in unser Konzept, setzt er doch für seine Rohstoffe nicht auf ausländische, zumeist nordamerikanische Ware, sondern bezieht den Hartweizen komplett aus Mitteldeutschland.“

Dort wächst das Getreide übrigens wegen der sich schnell erwärmenden Böden sehr gut. Es wird in der Saalemühle zu Grieß vermahlen, der als Grundstoff für die Riesaer Nudeln dient. „Allerdings“, schließt Hörig, „brauchen Spezialkulturen viel Aufmerksamkeit, und bei jeder neuen Kultur müssen wir viel lernen. Wir machen das aber gern, denn wir sind jederzeit bestrebt, regionale Kreisläufe zu schließen.“ So gewinnen alle Beteiligten bei dieser neuen Kooperation: Die Agraset erweitert ihre Fruchtfolge, die Bäckerbrüder Eßrich kennen ihre Lieferanten, und ihre Kunden in Leipzig genießen leckere Backwaren.

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