Warnung vor Gnitzen: Blauzungenkrankheit breitet sich weiter aus
Update 23.8.: Gnitzen – oder auch Bart-Mücken – gelten als Überträger der Blauzungenkrankheit. In allen ostdeutschen Bundesländern sind inzwischen BTV-3–Fälle in Schaf- und Rinderbeständen aufgetreten. Wie Impfung und Insektenschutz helfen und was das für die Tierhaltung bedeutet.
Von Dr. Doreen Werner und Anja Voigt, Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung; Dr. Helge Kampen, Dr. Kerstin Wernike und Prof. Dr. Martin Beer, Friedrich-Loeffler-Institut
Die Blauzungenkrankheit hat den Vogtlandkreis und damit nun auch Sachsen erreicht. Im Oberen Vogtland gibt es einen ersten Verdachtsfall in einem Rinderbestand. Die amtliche Bestätigung durch das Friedrich-Löffler-Institut stehe noch aus, teilte das Landratsamt Vogtlandkreis am Freitag (23.08.) mit. Damit sind nun in allen ostdeutschen Bundesländern Fälle der Blauzungenkrankheit in Schaf- und Rinderbeständen aufgetreten. Aufgrund der pandemieartigen Ausbreitung der Blauzungenkrankheit ist Deutschland nun flächendeckend als BTV-Gebiet einzustufen. Tierhalter sind nach den geltenden tierseuchenrechtlichen Vorschriften verpflichtet, entsprechende Biosicherheitsmaßnahmen durchzuführen.
Täglich werden neue Fälle gemeldet. Aktuell (Stand Freitag, 23. August, 12 Uhr) weist das Friedrich-Loeffler-Institut 54 ostdeutsche Fälle in 14 Landkreisen* aus:
Brandenburg:
- Prignitz (3 Fälle)
- Potsdam-Mittelmark (1)
Mecklenburg-Vorpommern:
- Ludwigslust-Parchim (6)
Sachsen:
- Vogtlandkreis (1, Verdacht)
Sachsen-Anhalt:
- Altmarkkreis Salzwedel (15)
- Börde (7)
- Harz (5)
- Jerichower Land (2)
- Mansfeld-Südharz (1)
- Salzlandkreis (1)
- Stendal (2)
Thüringen:
- Eichsfeld (6)
- Nordhausen (1)
- Wartburgkreis (4)
*Stand: 23. August, 12 Uhr. Quelle: FLI
Gnitzen – Bart-Mücken – übertragen das Virus
Gnitzen (Familie Ceratopogonidae), regional auch Bartmücken oder Gnitten genannt, sind eine von mehreren Mückenfamilien mit blutsaugenden Vertretern. Sie werden nur 0,5–5 mm groß, und adulte Tiere haben eine Lebensdauer von kaum mehr als zwei bis drei Wochen. Ihr Aktionsradius beträgt, von passiver Verdriftung abgesehen, nur kurze Distanzen, dennoch können sie gefährlich werden, denn die Weibchen etlicher Arten benötigen eine Blutmahlzeit, die ihre Eireifung ermöglicht.
Die weite Verbreitung und das massenhafte Auftreten unter bestimmten Umweltbedingungen führen dann vielerorts allein schon wegen ihres penetranten Stechverhaltens zu Einschränkungen in Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sowie im Tourismus. Die Dichte sich entwickelnder Larven kann nämlich in bestimmten Lebensräumen (Moore, Sümpfe, Flussauen) bei über 10.000/m2 Bodenfläche liegen! Daher können zur Hauptflugzeit extreme Belästigungen auftreten, die den Aufenthalt im Freien fast unmöglich macht. Und dann ist da noch die Übertragung von Krankheiten.
Von den über 330 in Deutschland vorkommenden Arten spielen nur einige innerhalb der Gattung Culicoides eine Rolle als Vektoren von Krankheitserregern. Sie übertragen neben dem Blauzungen-Virus auch das Schmallenberg-Virus, gelten aber auch als Überträger der Viren der Afrikanischen Pferdesterbe und der Epizootischen Hämorrhagie der Hirsche, die in Mitteleuropa noch nicht aufgetreten sind.
Neben der Impfung der Tiere empfiehlt das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie die begleitende Behandlung mit insektenabwehrenden Mitteln (Repellentien), um für den Zeitraum bis zur Ausbildung der Immunität einen zusätzlichen Schutz zu bieten.
Gnitzen: Die Blutmahlzeit und ihre Folgen
Die Weibchen vieler Arten saugen Blut an Wirbeltieren oder ernähren sich von Körperflüssigkeiten anderer Insekten. Die Blutmahlzeit erfolgt in den Abendstunden und nachts. Gnitzen finden ihre Wirte dabei über den Geruchssinn und die Augen. Die Culicoides-Arten z. B. werden von den Ausdünstungen und Silhouetten großer Weidetiere angelockt. Die Weibchen stechen die Rinder in Bauch und Rücken, Pferde an der Mähne und am Schweifansatz, seltener am Bauch.
Gnitzenstiche können beim Menschen bis zu 2 cm große, blasige Hautschwellungen verursachen, die meist mit starkem Juckreiz verbunden sind. Hautbereiche an den Rändern von Kleidungsstücken werden bevorzugt. Die Übertragung von Krankheitserregern durch Gnitzen auf den Menschen ist nur aus Süd- und Mittelamerika bekannt (Oropouche-Virus).
Schafe, Rinder, Ziegen und Pferde
Anders sieht das für die Tiere aus. Rund 50 Culicoides-Arten gelten weltweit als Überträger veterinärmedizinisch relevanter Krankheitserreger, wie Protozoen, Filarien und Viren. Die durch Gnitzen übertragenen Erreger stellen in der Tierhaltung und -zucht – vor allem bei Schafen, Rindern, Ziegen und Pferden – ein ernstes Problem dar, da sie zum Teil mit hoher Morbidität und/oder Mortalität einhergehen. Die Kenntnisse der Blutwirte und Gnitzen als Reservoirwirte der Erreger sowie deren Pathogenität sind allerdings sehr lückenhaft.
Die aus Afrika und dem Mittelmeerraum seit Langem bekannte Blauzungenkrankheit ist ein prominentes Beispiel für eine Gnitzen-assoziierte Erkrankung, die durch ein Orbivirus verursacht wird und Wiederkäuer schädigt. Erstmals und überraschenderweise im August 2006 auch in Deutschland festgestellt, kam es in den Folgemonaten erstmalig und mit stark steigenden Fallzahlen zu einem epidemischen Auftreten seuchenhafter Erkrankungen bei Tieren. Erst mit sinkenden Temperaturen reduzierten sich die Fallzahlen im Spätherbst. Aber im Folgejahr flammten sie wieder auf.
Der Seuchenzug konnte erst 2009 durch eine ausgedehnte Impfkampagne unter Rindern, Schafen und Ziegen gestoppt werden. Ab 2012 galt Deutschland als BTV-frei, zum 1. Juni 2023 wurde der Status „amtlich seuchenfrei“ anerkannt. Allerdings hat sich die Seuche im Sommer und Herbst im vergangenen Jahr mit einem massiven Ausbruchsgeschehen in den Niederlanden zurückgemeldet. In Belgien und in Westdeutschland nahe der deutsch-niederländischen Grenze wurden ebenfalls BTV-Fälle gemeldet. Daher muss mit einer Weiterverbreitung in der nächsten Vektorsaison, das heißt in diesem Frühsommer, gerechnet werden!
Gnitzen: Monitoring in Deutschland
Aufgrund zunehmender Globalisierung mit verstärktem Güter- und Tiertransport sowie sich ändernder klimatischer Bedingungen fördert die Bundesregierung ein deutschlandweites Gnitzenmonitoring. Durchgeführt wird dies vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) auf ausgewählten landwirtschaftlichen Betrieben.
Dazu nutzen die Wissenschaftler spezielle UV-Lichtfallen, die sie zum Nachweis möglicher Vektoren (Gnitzen) für 24 Stunden pro Woche aktivieren und anschließend beproben. Die Fallen vor Ort werden dankenswerter Weise von engagierten Landwirten bzw. Tierhaltern betreut. Die Fallen befinden sich in Rinder-, Schaf- oder Ziegenställen oder in unmittelbarer Nähe von ihnen, beispielsweise auf den Weideflächen. An den Fangstandorten werden parallel dazu auch die Umwelteinflüsse erfasst, um die Verbreitung und die Aktivität der Gnitzen näher zu erforschen.
Die Fangproben kommen zur Sortierung und morphologischen Bestimmung zum ZALF. Aufbereitete Gnitzen der Obsoletus-Gruppe und des Pulicaris-Komplexes, die die wichtigsten virusübertragenden Arten enthalten, werden nachfolgend zur genetischen Identifizierung und Pathogendiagnostik zum Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) geschickt. In Greifswald werden die kleinen Blutsauger und das eventuell in ihnen enthaltene Blauzungenvirus (Bluetongue-Virus oder BTV) mithilfe diverser PCR-Tests analysiert. Dabei werden das Genom aller Serotypen des BTV und alle wichtigen potenziellen Vektorarten der Gattung Culicoides erfasst.
Die Fallenbetreuer erhalten nach der Diagnostik Informationen zu den im Jahresverlauf bei ihnen gefangenen Gnitzen. Sie erfahren daraus die Artengruppen und ob Virus in den Insekten nachgewiesen wurde. Ein positiver Test hat für den Landwirt dabei keinerlei Konsequenzen, da es sich ausschließlich um den Nachweis von Virusmaterial in der Gnitze handelt. Der Tierbestand der Landwirte wird vom ZALF nicht untersucht.
Nachweise: Welche Orte betroffen sind
Die Anzahl der gefangenen Gnitzen schwankt zwischen den Standorten im Jahresverlauf. Zudem unterliegt sie diversen biotischen und abiotischen Einflüssen. Beispielsweise beeinflusst die Verfügbarkeit von Bruthabitaten und von Wirtstieren die Populationsdichte von Gnitzen entscheidend. Die saisonale Aktivität beginnt an den meisten Standorten im April, ist in ihrer Ausprägung aber zunächst sehr stark von den vorherrschenden Temperaturen abhängig. Die höchste Biodiversität der Gnitzenfauna wird im Frühsommer von Mai bis Juni/ Juli verzeichnet, wobei die Populationsdichte sich bis in den Spätsommer halten oder sogar ausbauen kann.
Die Arten der Obsoletus-Gruppe wurden bisher am häufigsten gefangen, gefolgt von denen des Pulicaris-Komplexes. Die wissenschaftliche Bearbeitung der restlichen Culicoides-Arten steht noch aus. Das umfangreiche Monitoring lieferte bisher keine Hinweise, dass der global wichtigste Vektor von BTV, Culicoides imicola, im Studiengebiet in Deutschland vorkommt. Gleichzeitig wird damit aber sehr deutlich, dass einheimische Gnitzen als Virusvektoren fungieren. Denn es gab im letzten Jahr einen massiven BTV-3-Ausbruch, der dazu führte, dass für die Bundesländer Nordrhein-Westfalen sowie Niedersachen der freie Status ausgesetzt wurde. Zudem wurde in dieser Zone das Monitoring um 18 zusätzliche Standorte mit täglicher Probennahme erweitert.
Impfstoff: Eilverordnung für die Impfung
Per Eilverordnung hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Juni die sofortige Anwendung von drei vom Paul-Ehrlich-Institut benannten Impfstoffen gegen Infektionen mit dem Virus der Blauzungenkrankheit des Serotyps 3 (Bluetongue virus, BTV-3) gestattet. Damit reagierte das BMEL auf das zuletzt stärkere Infektionsgeschehen bei Schafen und Rindern mit teilweise schweren Symptomen. Mit der Eilverordnung wird die Anwendung dieser nicht zugelassenen Impfstoffe für einen Zeitraum von sechs Monaten gestattet.
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Weitere InformationenSchafe am schwersten betroffen
Unter den domestizierten Wiederkäuern zeigen Schafe die deutlichsten Krankheitssymptome nach einer BTV-Infektion. Sie können hohes Fieber (bis 42 °C) entwickeln, es tritt Apathie auf, und erkrankte Tiere sondern sich von der Herde ab. Weitere typische klinische Symptome sind gerötete und geschwollene Maulschleimhäute, vermehrter Speichelfluss und Schaumbildung vor dem Maul, Kreislaufstörungen, Ödembildungen und Hämorrhagien (Blutungen). An den Klauen rötet sich der Kronsaum und schmerzt, infolgedessen treten Lahmheiten auf.
Die namensgebende Blauverfärbung der Zunge ist sehr selten zu beobachten und nur bei hochempfänglichen Schafrassen zu erwarten. Im aktuellen BTV-3-Ausbruchsgeschehen wurde in den Niederlanden von zahlreichen Todesfällen bei Schafen berichtet. BTV-3, der Serotyp, der sich auch nach Deutschland ausbreitete, wurde bis Sommer 2023 in Mitteleuropa noch nicht nachgewiesen, aber in Süditalien, Tunesien, Israel und Teilen des südlichen Afrikas.
Gnitzen bleiben lebenslang infektiös
Hat sich eine vektorkompetente Gnitze mit dem BTV infiziert, bleibt sie nach bisherigem Kenntnisstand lebenslang infektiös. Die Lebensdauer ist zwar kurz, aber die weiblichen Gnitzen sind in der Lage, in ihrem Leben mehrfach Blut zu saugen. Mit steigenden Temperaturen im Jahresverlauf und bedingt durch die Klimaerwärmung nimmt die Stechaktivität und -frequenz dieser Tiere zu. Der ebenfalls temperaturabhängige Replikationsprozess des Virus in der Mücke erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Erregerübertragung in der wärmeren Jahreszeit.
Empfehlungen zur Bekämpfung
Die Blauzungenkrankheit gehört zu den anzeigepflichtigen Tierseuchen. Um ihre ungehinderte Ausbreitung zu vermeiden, wird nach strikten Regeln verfahren. Nach geltendem nationalen und europäischen Recht müssen um einen Befallsort ein Gefährdungsgebiet sowie eine Beobachtungszone festgelegt werden. Informationen zu den staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen sind bei den zuständigen Ministerien und Landesveterinärämtern abrufbar. Wiederkäuer und deren Produkte dürfen aus diesen Zonen nur unter Auflagen heraustransportiert werden.
Kampf gegen Gnitzen: Insektizid nur nach Rücksprache
Die Kontrolle der potenziellen Vektoren mit Insektiziden bzw. Larviziden ist aufgrund mangelnder Kenntnis zu Larvenhabitaten und Lebensweise der adulten Gnitzen im Umkreis landwirtschaftlicher Betriebe nicht erfolgreich möglich. Weitere Möglichkeiten einer biologischen Kontrolle fehlen. Da sich die Bruthabitate der Gnitzen innerhalb und außerhalb der Stallungen befinden können, ist das Einstallen des Tierbestandes über Nacht unwirksam.
Nebelpräparate auf Basis von Pyrethrum können in Ställen sowie in den Außenbereichen zur Abtötung von Gnitzen eingesetzt werden. Rinder können vorbeugend mit einem Pyrethroid-haltigen Pour-on-Mittel behandelt werden. Es wird jedoch dringend dazu geraten, Insektizide nur nach Rücksprache mit Veterinären und Schädlingsbekämpfern einzusetzen.
Blauzungenkrankheit - Impfstoff per Eilverordnung
Zur Eindämmung der Blauzungenkrankheit (BTV-3) ist eine Impfung von Schafen, Rindern und Ziegen mit einem autogenen Impfstoff möglich. Bei dem autogenen Impfstoff handelt es sich um einen Totimpfstoff, der in Notsituationen aufgrund tierarzneimittelrechtlicher Regelungen in bestimmten Betrieben angewendet werden darf. Die Verwendung ist auf Betriebe mit empfänglichen Tieren in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen beschränkt, da diese Länder nicht mehr frei von der Blauzungenkrankheit sind. Nach einer Verschreibung steht dieses spezifische Vakzin binnen weniger Wochen zur Verfügung.
Das Ministerium weist zudem darauf hin, dass der Impfstoff nur durch den jeweils bestandsbetreuenden Tierarzt verschrieben, bestellt und angewendet werden kann. Ein weiteres, allgemein zugelassenes Vakzin gegen die Blauzungenkrankheit ist zurzeit nicht verfügbar. Diese schützt sie jedoch vor schweren Erkrankungen. Eine Impfung BTV-3-empfänglicher Tiere ist nicht vorgeschrieben.
Der Schwerpunkt des Einsatzes der autogenen BTV-3-Impfstoffe ist die Immunisierung von Schafbeständen. Auch Rinder können geimpft werden, wobei der Einsatz des autogenen Vakzins nicht zu Handelsbeschränkungen führt. Im Oktober 2023 wurden erstmals Infektionen mit BTV-3 in Nordrhein-Westfalen festgestellt. Um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, soll nun der autogene Impfstoff zum Einsatz kommen.
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