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Milchproduktion: Chance und Abenteuer

Der gebürtige Niederländer Kees de Vries über seinen Start im Osten, Holländer-Sprüche und die „Krankheit“, trotz anhaltend schwieriger Umstände nicht von der Milch lassen zu können.

Das Interview führte Dr. Klaus Siegmund

Herr de Vries, Sie sind schon kurz nach der Wende mit Ihrer Familie nach Ostdeutschland gekommen, um Milchkühe zu halten. Wussten Sie damals schon, dass es für immer ist?
Als kleine holländische Landwirte haben wir die große Chance gesehen, in Ostdeutschland einen Betrieb aufzubauen. Nach dieser Investition gab es kein Zurück mehr. Unsere Familie hat sich im Dorf, in der Region, in Berufsverbänden und in Sachsen-Anhalt schnell erfolgreich integriert. Deutschland war dann und ist jetzt unser Land. Wir haben alle die deutsche Staatsbürgerschaft, ich persönlich bin nur noch deutscher Staatsbürger.

Was waren Ihre Beweggründe, gerade einen Milchbetrieb aufzubauen?
Ich bin auf einem kleinen Bauernhof groß geworden, als ältester von zwölf Kindern. Geld war bei uns immer knapp. Den Betrieb mit acht Hektar und 40 Kühen habe ich 1988 von meinem Vater übernommen. Milch zu produzieren, mit Kühen zu arbeiten, liegt uns im Blut. Aber Platz für viele Kinder von Landwirten gab und gibt es in Holland nicht. Da war die politische Wende in Ostdeutschland eine riesige Chance, aber auch ein Abenteuer.

Der aus den Niederlanden stammende Kees de Vries hat 1991 mit seiner Familie einen Milchviehbetrieb in SachsenAnhalt übernommen und ausgebaut.
Der aus den Niederlanden stammende Kees de Vries hat 1991 mit seiner Familie einen Milchviehbetrieb in SachsenAnhalt übernommen und ausgebaut. (c) Privat

30 Jahre sind eine lange Zeit, viele kennen die einschneidenden Umbrüche in der Landwirtschaft Anfang der 1990er-Jahre nur noch vom Hören und Sagen. Wie haben Sie und Ihre Familie diese erlebt?
Es war, wie Sie sagen, eine dramatische Zeitenwende für alle Beteiligten – mit vielen Risiken, aber eben auch mit Chancen. Ich habe mit zwei meiner jüngeren Brüder zuerst sondiert, und wir haben die Möglichkeit gesehen, einen völligen Neuanfang zu wagen. Dann verkaufte ich meinen Betrieb in Holland, und wir konnten dadurch mit 350.000 D-Mark eigenem Startkapital hier anfangen. Gleich zu Beginn haben wir mit Krediten von rund sieben Millionen D-Mark in den Betrieb investiert. Der Weg war lang und beschwerlich. Ich erinnere mich noch an jedes entscheidende Datum im November und Dezember im Jahr 1991, als es losging. Am 30. Dezember haben wir – zwei meiner Brüder und ich – und drei Mitglieder der ehemaligen LPG schließlich die Milchviehanlage und die Quote von 3,5 Millionen Kilogramm übernommen. Das war aber erst der Anfang. Als eine Woche später einer der Partner absagte, war die Übertragung der Quote hinfällig. Nun mussten alle Mitglieder der LPG persönlich zustimmen, dass wir die Quote bekommen. Dazu habe ich 488 Unterschriften gesammelt. Erst im Mai 1993 wurden unserem Betrieb nach vielen Behördenwegen dann 4,2 Millionen Kilogramm Garantiemenge endgültig zugewiesen.

Wie groß ist Ihr Betrieb jetzt?
2013 habe ich den Betrieb meinem Sohn, Kees de Vries Junior, übergeben, der ihn zusammen mit meinem Schwager führt. Wir haben an vier Standorten rund 1.000 Kühe, 800 Jungtiere und bewirtschaften etwa 1.000 Hektar. Wir haben jetzt 25 Arbeitskräfte und fünf Lehrlinge, fast alle aus der Region. Die vier Melker kommen aus Polen und wechseln wöchentlich, der Herdenmanager ist der einzige Holländer in unserem Unternehmen.

Sie waren schon als Vorsitzender des Fachausschusses Milch beim Landesbauernverband Sachsen-Anhalt ein unermüdlicher Kämpfer für stabile und auskömmliche Milchpreise und sind es heute noch als Landwirt im Bundestag. Haben Sie oder hat Ihr Sohn denn mit Milch schon Geld verdient?
Kaum. Es sei denn in einzelnen Jahren. Besonders hart waren die trockenen und heißen Jahre 2018 und 2019. Im Schnitt der Jahre schreiben wir mit Milch eine schwarze Null, kommen aber mit dem Gesamtbetrieb so einigermaßen über die Runden. Mit den derzeitigen Milchpreisen und denen der vergangenen Jahre lassen sich die Kosten nicht decken und schon gar nicht die notwendigen Gewinne erzielen.

Trotzdem bewirtschaften in Ostdeutschland zahlreiche ihrer ehemaligen Landsleute zumeist große und zum Teil sehr große Milchbetriebe. Wie passt das zusammen?
In Holland gibt es einen schönen Spruch, der ohne viel Worte eine Antwort auf diese Frage gibt: „Viehwirtschaft ist eine Krankheit – wer die nicht hat, soll mit der Milch aufhören, wer sie hat, kann aber nicht anders.“ Und noch ein passender Spruch dazu: „Wer einen Milchviehstall erfolgreich managen kann, kann alles machen.“ Das heißt auch: Holländer beißen sich durch, im Milchviehstall und anderswo.

Wie viele Milchbetriebe in holländischer Hand gibt es eigentlich in Ostdeutschland?
Ich kenne keine diesbezügliche Statistik, wahrscheinlich gibt es auch keine. Nach groben Schätzungen könnten holländische Landwirte etwa ein Viertel der Milch in Ostdeutschland produzieren, in Mecklenburg-Vorpommern dürfte der Anteil höher liegen. Um unseren Betrieb in Deetz herum kann ich allein eine ganze Handvoll und mehr große Milchbetriebe aufzählen, die von holländischen Landwirten bewirtschaftet werden.


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Seit dem Auslaufen der Quote 2015 ist die Milcherzeugung in Ostdeutschland gesunken, in westdeutschen Bundesländern regional aber zum Teil beträchtlich gestiegen. Worin sehen Sie die Ursachen?
Vor allem darin, dass ostdeutsche Unternehmen ihre Milchproduktion einstellen, neben kleinen Familienbetrieben vielfach auch Genossenschaften. Die Milchpreise decken oft nicht einmal die Kosten, die Arbeitskräfte müssen aber bezahlt werden. Da fällt dann nach langen verlustreichen Jahren die nachvollziehbare betriebswirtschaftliche Entscheidung, die Milchproduktion einzustellen. In letzter Zeit geschieht das aber auch dann, wenn Kapital von außen in die Betriebe fließt, das Gewinn abwerfen soll. Der kommt dann mit weniger Arbeitskräften nicht über den Viehbesatz, sondern über die Fläche. Stabil produzieren werden in den nächsten Jahren vor allem gut gemanagte, große Milchbetriebe. Es gibt in Ostdeutschland viele Spitzenbetriebe, das politische und gesellschaftliche Umfeld ist ihnen allerdings oft nicht besonders günstig gesinnt. Westdeutsche Milchbetriebe dagegen profitieren von Familienarbeitskräften und von oft viel zu niedrig bezahlten Fremdarbeitskräften. Wenn dann die nächste Generation in größere Ställe investieren muss, kann es dort kritisch werden. Viele Betriebe in den Intensivgebieten haben schon in den letzten Jahren neue, größere Ställe gebaut. Und die hohen Finanzleistungen lassen sich nur bedienen, wenn mehr Kühe gehalten und möglichst viel Milch produziert wird. Aus diesem Kreislauf kommt dort die Steigerung der Produktion. Und die wiederum drückt auf die Milchpreise.

Wo sehen Sie den von Ihnen aufgebauten Milchbetrieb in Deetz und sich selbst in den nächsten Jahren?
Wenn unser Sohn weiter konventionell Milch erzeugen will, wird er immer mehr produzieren, um konkurrenzfähig zu bleiben. Das ist an sich kein Problem, das Know-how ist da, ebenso die Fläche, sodass wir den Betrieb problemlos auf größere Mengen ausrichten könnten. Eine weitere Option wäre eine Umstellung auf Biomilch. Auch dort sind die Preise nicht ausreichend, aber wesentlich stabiler. Ob eine solche Umstellung realistisch ist, müssen wir sondieren. Was mich persönlich betrifft: Mein Mandat im Bundestag läuft mit dieser Wahlperiode aus. Ich bin nicht wieder als Direktkandidat für den Wahlkreis Anhalt nominiert worden. Das bedauere ich auch deshalb sehr, weil neben mir im nächsten Jahr weitere Landwirte beziehungsweise Abgeordnete mit landwirtschaftlichen Berufen aus dem Bundestag ausscheiden werden. Die Stimmen der Landwirtschaft im Bundestag werden dann immer weniger zu hören sein.