Ein zerstörter Getreidesilo in der Kobane Region in Syrien von dessen Dach aus IS Scharfschützen operierten und die daraufhin aus der Luft beschossen wurden. (c) imago images / Sebastian Backhaus

Landwirtschaft in Syrien: Zwischen Krieg und Frieden

Noch immer toben Konflikte im Nahen Osten und sorgen für Zerstörung, Hunger und Flucht. Wie die Landwirtschaft in Syrien die letzten Jahre verkraftet hat, berichtet unser Autor im zweiten Teil der „Landwirtschaft in Syrien“.

Von Ahmad Ali, LFA MV
(Text und Fotos)

Syrien war immer ein Land der Vielfalt. Unterschiedliche Kulturen, Religionen, aber auch Naturräume treffen dort aufeinander. Im ersten Teil unserer Reihe „Landwirtschaft in Syrien“ haben wir einzelne Regionen und die dabei vorherrschenden landwirtschaftlichen Produktionsweisen beschrieben. Leider hat die Geißel des Krieges viel von diesem Reichtum zerstört. Davon wird nun die Rede sein – doch zuvor nochmal ein kurzer Blick auf die Tierhaltung.

Von Lämmern und Rinderrassen

Schafe stellen den größten Anteil aller in Syrien gehaltenen Nutztiere dar (2011: 18 Millionen Tiere). Sie produzieren etwa 35 % der gesamten Milch und etwa 75 % des in Syrien produzierten roten Fleisches. Schafe sind für die meisten Züchter in der Zentralregion, insbesondere in der Region um die Stadt Homs, die wichtigste Lebensgrundlage. 90 % des gesamten Schafbestandes in Syrien werden in Weidehaltung gehalten. Lammfleisch ist das am meisten konsumierte Fleisch in Syrien.

2014 belief sich die Zahl der Rinder in Syrien auf ungefähr 1,1 Millionen Tiere, davon etwa 610.000 Milchkühe. Folgende Rinderrassen sind typisch für Syrien:

  • Rasse Shami (1 %): Diese Rasse zeichnet sich durch eine optimale Milchzusammensetzung aus, vor allem beim Fettgehalt im Vergleich mit den Milchinhaltsstoffen von Holstein-Friesian (die Nutzungsdauer der Shami-Kühe beträgt mehr als 16 Jahre!).
  • Lokale Rassen (4 %): Al-Jazrawiya, Golaniyah und Al-Aakshiya
  • Kreuzungsrassen (91 %): Dies ist das Ergebnis der Kreuzung von einheimischen Kühen mit reinen Holstein-Kühen über künstliche Besamung, um die Qualität der Fleisch- und Milchproduktion zu verbessern.
  • Ausländische Rasse (4 %): Ausländische Rinder (vor allem Holsteins) werden aus europäischen Ländern importiert.

Teil 1 – Landwirtschaft in Syrien: Zwischen Meer und Wüste

Eine reiche Vergangenheit hat die Landwirtschaft in Syrien, das einmal Perle des Nahen Ostens war und heute leider zutiefst zerrissen ist. Zunächst ein Blick auf die Vielfalt der bisherigen Produktion. mehr


Herausforderungen im syrischen Agrarsektor

Folgende Schwierigkeiten beschäftigten die Landwirtschaft in Syrien schon vor dem Krieg:

  • geringe durchschnittliche Milchproduktion, die bei 60 kg pro Schaf und Jahr liegt, 95 kg bei Ziegen und 2.500 kg bei Kühen,
  • traditionelle Zuchtmethoden, insbesondere bei kleinen Züchtern,
  • geringe Größe der Betriebe (Herden) und die mangelnde Erfahrung der Landwirte,
  • keine Nutzung neuer wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Auswahl der Herden,
  • mangelnde Stabilität bei der Verfügbarkeit von Futtermitteln,
  • Mangel an effizienten Kooperationssystemen,
  • Mangel an geeigneten Produktionsmethoden oder Techniken (manuelles Melken) und das Fehlen moderner Zuchtbetriebe, insbesondere bei der Milchviehhaltung.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wurde in den letzten Jahrzehnten eine systematische Agrarberatung in Syrien etabliert. Diese wird hauptsächlich vom Staat durch das Ministerium für Landwirtschaft und Agrarreform (MLAR) durchgeführt. Geringe Anteile an der Beratung übernehmen auch Agrarhändler und einige Agrarfirmen.

Ein Grundwasserbrunnen mit Motorpumpe auf dem Land in Syrien.

Ein Grundwasserbrunnen mit Motorpumpe auf dem Land in Syrien.

Landwirte machen Oberflächenbewässerung mit kleinen Gräben in Syrien.

Oberflächenbewässerung ist die häufigste Bewässerungsmethode.

Ein Schaf der Rasse Awassi.

Ein Schaf der Rasse Awassi.

Agrarberatung in Syrien

Die Agrarberatung in Syrien wird hauptsächlich vom Staat durch das Ministerium für Landwirtschaft und Agrarreform durchgeführt. Geringe Anteile an der Beratung übernehmen auch Agrarhändler und einige Agrarfirmen.

Der landwirtschaftlicheBeratungs-Service des Ministeriums für Landwirtschaft und Agrarreform (MLAR) hat zwei Hauptaufgaben:
– Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion in Quantität und Qualität, um den Lebensstandard ländlicher Familien durch die allgemeine Politik der Entwicklung ländlicher Gebiete zu verbessern. Dies wird erreicht, indem den Landwirten moderne Technologien und Fähigkeiten vermittelt und sie in der Verwendung dieser Technologien geschult werden.
– Zusammenarbeit mit anderen Diensten des Ministeriums und mit allen anderen betroffenen Behörden und Organisationen bei der Ausarbeitung des Agrarplans und seiner Umsetzung.

Derzeitige Struktur der Beratungsorganisation innerhalb des MLAR

Syrien ist in 14 Provinzen eingeteilt und das Syrische Ministerium für Landwirtschaft und Agrarreform hat in jeder Provinz ein Landesamt für Landwirtschaft und Agrarreform. Dieses betreut wiederum viele Beratungszentren. Es gibt in Syrien 1.075 staatliche Beratungszentren, die alle Dörfer und Gemeinden abdecken und Beratung für die Landwirte anbieten. Dadurch wird ein intensives Verhältnis zwischen Landwirten und den Beratungsteams erzeugt.

Beratungsmethoden und -medien in Syrien

Es gibt Beratungsprogramme für alle wichtigen Kulturen und Nutztierarten in Syrien. Diese Programme werden von der Zentralen Direktion für landwirtschaftliche Beratung erstellt und regelmäßig überarbeitet. Die Agrarberatungszentren sind in der Regel dafür verantwortlich, diese Beratungsprogramme vor Ort zu implementieren. Ein typisches Beratungsprogramm analysiert die aktuellen Probleme und falsche Verfahren beim Anbau von Kulturen oder in der Haltung von Nutztieren. Gleichzeitig werden Empfehlungen abgeleitet. Zu jedem Beratungsprogramm wird eine Gruppe aus proaktiven, interessierten und innovativen Landwirten gegründet, ähnlich hiesiger Leuchtturm-Betriebe. Diese Gruppe trifft sich regelmäßig, um Beratungsempfehlungen nachzuvollziehen und dann umzusetzen bzw. an weitere Landwirte zu vermitteln.

Folgende Methoden und Medien können für die Interaktion zwischen Landwirten genutzt werden:

Feld-, Haus- und Bürobesuche:

Dies beinhaltet individuelle Treffen mit Landwirten auf ihren Feldern oder im Büro, um die auf dem Feld angewandten landwirtschaftlichen Vorgänge sowie die bestehenden technischen Probleme durch Beobachtung und direkte Gespräche zu erkennen.

Beratung in Vorlesungen:

Eine der kollektiven Methoden zur Vermittlung von Fertigkeiten und Informationen an Landwirte sind geplante Treffen mit Fachleuten zu jeweiligen Vortragsthemen. Es erfolgt audiovisuell oder auch in Form beweglicher Theater.

Feldtage:

Dies ist eine kollektive Beratungsmethode, um Ideen zu vermitteln (Abbildung 6).

Ertragswettbewerbe:

Ausgewählte Bauern nehmen an Ertragswettbewerben teil, die von der Agrarberatung zentral organisiert werden. Landwirte erhalten Preise für Höchsterträge (Benchmarking).

Beratung über Publikationen:

Veröffentlichungen in Form von Beratungsheften, Handbüchern mit Anbau- bzw. Haltungsempfehlungen, Plakaten, Landwirtschaftsmagazinen

Fernsehen:

Dies umfasst die Produktion und Präsentation von landwirtschaftlichen Beratungsfilmen, um die wissenschaftliche und praktische Leistungsfähigkeit der Landwirte sowie der Produktion zu verbessern.

Radio:

Das Radio gilt als wichtiges Massenmedium. Es erreicht ein breites Spektrum von Menschen, da es auf einfache und klare Informationen in geeigneter Sprache ankommt. Daher wird täglich ein Beratungsprogramm mit dem Titel „Agricultural Extension with the Farmers in their Fields“ von Damaskus Radio ausgestrahlt.

Landwirtschaftliche Filme:

Solche Produktionen werden über bewegliche Kinos in den Dörfern gezeigt.

Landwirtschaftsausstellungen:

Ausstellungen spielen eine wichtige Rolle, um den Wissensaustausch im Dialog zu organisieren.

Museen:

Hier findet man Objekte, die die landwirtschaftliche Entwicklung veranschaulichen. Sie können zur Verbesserung der Ausbildung beitragen und Methoden erläutern, die im Laufe der Jahrhunderte zu einer Verbesserung der Landwirtschaft geführt haben.

Wie der Krieg die Landwirtschaft prägt

Der Krieg in Syrien hat seit 2011 alle Aspekte des Lebens negativ beeinflusst. Vielleicht ist der Agrarsektor einer der wichtigsten Bereiche, der vom anhaltenden Krieg in Syrien betroffen ist. Die landwirtschaftliche Produktion in Syrien ging sowohl im pflanzlichen als auch im tierischen Bereich erheblich zurück und der Beitrag in Bezug auf die gesamte Bruttoproduktion brach deutlich ein. Die Verluste im Agrarsektor betrugen bis jetzt rund 18 Milliarden US-Dollar. Die Schäden im Agrarsektor zeigen sich zuallererst im Rückgang der Anbauflächen der Hauptkulturen. Dieser ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen:

  • Die Kosten für landwirtschaftliche Produktionsmittel stiegen erheblich oder waren nicht verfügbar, was zur Unrentabilität der landwirtschaftlichen Produktion führte und viele Landwirte zum Ausstieg aus der Landwirtschaft zwang.
  • Die landwirtschaftliche Krise führte dazu, dass Landwirte erforderliche Materialien nicht beschaffen konnten wie etwa Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmittel oder Futter für die Tiere.
  • Den Landwirten wurde oft der Zugang zu ihrem Land verwehrt, um diese Flächen landwirtschaftlich zu nutzen, entweder weil sie sich in Schlachtfelder verwandelt hatten oder unter die Kontrolle bestimmter Einheiten fielen.
  • Die Zahl der Arbeitnehmer im Agrarsektor ging stark zurück. Es kam zu einem Mangel an Arbeitskräften, bedingt durch Migration und Flucht vieler Menschen vor dem Krieg in benachbarte oder europäische Länder oder ihre Beteiligung an militärischen Einsätzen.
  • Stromausfälle und Kraftstoffmangel behinderten den Betrieb von Wasserpumpstationen für landwirtschaftliche Brunnen.
  • Staatliche Bewässerungsprojekte funktionierten nicht mehr oder wurden sabotiert und zerstört, genauso Bewässerungsnetze und Stationen.
  • Der Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse wurde eingestellt und die Landwirte konnten ihre Erzeugnisse nicht weiterverkaufen.
  • Die Produktionskosten stiegen aufgrund von Hindernissen durch von Konfliktparteien gesperrte Transportwege. Ebenso sind dadurch steigende Lizenzgebühren aufgetreten.
  • Der Transport von Gütern zwischen Dörfern und Städten ist nicht sicher, weshalb viele Landwirte es vorziehen, Getreide in ihren Wohngebieten zu verkaufen, was aufgrund des großen Angebots zu niedrigeren Verkaufspreisen führt, während die Erntepreise in anderen Regionen stiegen. Die Landwirte müssen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse an den Kontrollpunkten gemäß den geltenden Vorschriften entladen und nachladen, was zu einer längeren Reisezeit und höheren Transportkosten führt.
  • Es kam zur vorsätzlichen Schädigung einiger Kulturen durch Plünderung oder Brandstiftung landwirtschaftlicher Kulturpflanzen, so zum Beispiel im Sommer 2019 mit Bränden, die große Teile der Weizenfelder in den Gebieten der kurdischen Selbstverwaltung betrafen.

Die Zahl der Nutztiere ist aufgrund des Mangels an Futtermitteln, der Flucht vieler Landwirte aus dem andauernden Krieg und den dadurch fehlenden Arbeitskräften stark zurückgegangen. Nach Angaben des stellvertretenden syrischen Landwirtschaftsministers ging der Viehbestand um ca. 40 % zurück. So sang allein die Zahl der Milchkühe von etwa einer Million auf etwa 763.000 Stück. Aber auch der Bestand der Schafe und anderer Nutztiere verringerte sich um fast den gleichen Prozentsatz.

Ernte von Roten Linsen in Rojava (Syrien).

Alte Erntemethoden sind noch üblich: Hier die Ernte von Roten Linsen in Rojava.

Feldtag zu Ernteverfahren von Oliven.

Tiere, Bäume, Technik – es fehlt an allem

Durch bewaffnete Fraktionen wurden leider sehr oft Obstbäumen abgeholzt. So verbrannten und entwurzelten die Dschihadisten nach der Besetzung Afrins viele Olivenbäume und zerstörten damit große Bereiche der Olivenbaumplantagen. Einige Bewohner der belagerten Gebiete fällten auch Bäume für die Verwendung als Heizbrennstoff, denn es fehlte an Dieselkraftstoff, der in Syrien hauptsächlich für die Haushaltsheizung verwendet wird.

Infolge des Krieges herrscht nun auch einem Mangel an landwirtschaftlichen Maschinen. Der Wechselkurs des syrischen Pfunds verringerte sich im Vergleich zu anderen Währungen, was zu einem Anstieg der Ersatzteilpreise für die Wartung von landwirtschaftlichen Maschinen führte. Die Bauern konnten sich die Wartungskosten nicht mehrleisten. Andererseits wurden während des Krieges viele landwirtschaftliche Maschinen zerstört. Aber auch die Infrastruktur von Gebäuden, Fabriken, Fertigungs- und Verpackungszentren wurde in den meisten Regionen stark in Mitleidenschaft gezogen.

Wirtschaftliche Schäden kaum zu beziffern

Das Einkommen der syrischen Bürger ist während der Kriegszeit erheblich gesunken. Das Gehalt eines normalen Regierungsangestellten in Syrien betrug vor dem Krieg ungefähr 500 US$, aber jetzt ist es nur noch etwa 75 US$ wert. Dies führte zu einer deutlichen Konsumschwächung, die sich wiederum auf die landwirtschaftliche Produktion auswirkte.

All das war ein schwerer Schlag für den Agrarsektor, sodass der Beitrag der Landwirtschaft zum BIP von 20 % im Jahr 2010 auf 5 % im Jahr 2015 zurückging. Die Tierproduktion ging um 35 % und die Geflügelproduktion um 40 % zurück. Diese Fakten sind erhoben aus den Statistiken des Landwirtschaftsministeriums Syriens für das Jahr 2015. Der Schaden für den Agrarsektor in Syrien wurde allein im Jahr 2014 auf etwa 2 Mrd. US$ geschätzt. Die Gesamtverluste bis 2017 wurden auf 18 Mrd. US$ geschätzt. Trotzdem sicherte die Landwirtschaft neben den landwirtschaftlichen Nutzpflanzen weiterhin die wichtigsten Bedürfnisse des syrischen Marktes an Fleisch, Milch und Käse. Syrien importierte trotz des starken Rückgangs seines Anbaus keine anderen Produkte außer Weizen.

Nicht nur alles schwarzsehen

Trotz der sehr negativen Auswirkungen des Kriegs gab es einige positive Aspekte, darunter:

  • Der Grundwasserspiegel stieg in den meisten Gebieten und Quellen, die bereits lange ausgetrocknet waren, führen wieder Wasser.
  • Der zunehmende Einsatz von organischen Düngemitteln in der Landwirtschaf führte in einigen Gebieten zu einer verbesserten Bodenfruchtbarkeit bei den landwirtschaftlichen Flächen.
  • Da erheblich weniger Pflanzenschutzmittel und mineralischer Dünger eingesetzt werden konnten, nahm auch die Umweltverschmutzung ab, die durch die unsachgemäße Anwendung dieser Mittel entstehen kann.

Trotz des großen Schadens für den Agrarsektor in Syrien bleibt die heimische Landwirtschaft die Hauptquelle für die Sicherung des Grundnahrungsmittelbedarfs der syrischen Bevölkerung. Das Volk ist angesichts der exorbitanten Preiserhöhungen und des sehr starken Einkommensrückgangs von der heimischen Landwirtschaft abhängig.

FAZIT: Syrien verfügt über eine breitgefächerte Landwirtschaft mit einer vielfältigen Ackerkultur. Der überwiegende Anteil der Kulturflächen wird nicht künstlich bewässert. Die Haltung der Nutztiere liegt nach althergebrachter Tradition meist in den Händen von Kleinbauern in Familienbetrieben. Traditionell sind auch deren Zucht- und Haltungsmethoden. So bleibt die natürliche Beweidung der Flächen die wesentliche Futtergrundlage für Kühe, Schafe und Ziegen. Überweidung und Verwüstung werden zum Problem. Man kann die traditionelle Haltung nur durch bessere Aus- und Weiterbildung der Viehhalter erfolgreich verändern. Dafür wird die Agrarberatung zukünftig an Bedeutung gewinnen. Der Krieg war für den Agrarsektor sehr destruktiv, aber die Landwirtschaft im Land bleibt gleichzeitig die Haupternährungsquelle für die syrische Bevölkerung.