Eine Kuh wird in einem mobilen Behandlungsplatz der Firma Rosensteiner tierärztlich versorgt. Der Behandlungsplatz ist in Zusammenarbeit mit der Klinik für Klauentiere der Universität Leipzig entwickelt worden, und kann mobil zum Betrieb mitgenommen werden. © Fitz Fleege

Klauengesundheit: Jede zweite Kuh lahmt

Die Klauenpflege und Behandlung von Erkrankungen am Bewegungsapparat beim Milchvieh waren Schwerpunkt auf einem Klauenseminar der Brandenburgischen Landwirtschaftsakademie. Ein ‚Lahmheitsscore‘ kann bei der Beurteilung einer nötigen Behandlung für bessere Klauengesundheit hilfreich sein.

Von Fritz Fleege

An zwei Tagen trafen sich im Rahmen des Netzwerkes Fokus Tierwohl Mitte Mai Milchviehhalter, Herdenmanager sowie Tierärzte zum Seminar zur Klauengesundheit. Der theoretische Teil fand an der Brandenburgischen Landwirtschaftsakademie (BLAk) am Seddiner See und der Praxistag in der Lehr- und Versuchsanstalt für Tierzucht und Tierhaltung e.V. (LVAT) in Groß Kreutz statt.

Treffen des Netzwerkes Fokus Tierwohl

Eine Einführung zur überregionalen Veranstaltung gab Natalie Wagner, die Tierwohlmultiplikatorin Brandenburgs. Eine wichtige Säule im Netzwerk Fokus Tierwohl sind die Impulsbetriebe Tierwohl, die durch innovative und nachhaltige Konzepte als Vorreiter des Berufsstandes agieren, wozu auch das LVAT in Groß Kreutz zählt. Entstanden ist die Initiative im Rahmen der Nutztierstrategie des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Förderfähig sind Veranstaltungen zu den Tierarten Rind, Schwein und Geflügel. Es gibt 17 Projektpartner, darunter der Verband der Landwirtschaftskammern und -ämter der Bundesländer, das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) und die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG). Es gibt drei Geschäftsstellen, so die Tierwohlkompetenzzentren Schwein (LWK NRW), Geflügel (LWK NI) und Rind (LLH Hessen).

Bundesweit beteiligen sich am Netzwerk etwa 125 Impulsbetriebe. Bis zu 50 Betriebe je Tierart Rind, Schwein und Geflügel tauschen ihre Erfahrungen und neuen Erkenntnissen aus. Ziele sind die Unterstützung landwirtschaftlicher Betriebe durch Koordination und Erfahrungsaustausch, Vernetzung innerhalb der Branche, Öffentlichkeitsarbeit, Ausbreitung, Bündelung, Vermittlung und Austausch von fachspezifischem Wissen. Die Veranstaltungen sind an Tierhalter und Beschäftigte in der Tierhaltung sowie an niedergelassene Tierärzte und Berater gerichtet.

Leiterin des Tierschutzberatungsdienstes in Brandenburg ist Dr. Claudia Possardt. Sie stellte zunächst den Tierschutzplan vor, der als Antwort des Landtages auf die Volksinitiative gegen Massentierhaltung hervorging. Ziele sind die Verbesserung des Tierschutzes über gesetzliche Standards hinaus. Die Themen will man durch Wissenstransfer, Eigenkontrolle mithilfe von Tierschutzindikatoren und Problemlösung durch Beratung, Analyse und Initiierung von angewandten Forschungsprojekten in den Betrieben diskutieren. Dazu werden Fortbildungen, Netzwerktreffen und Seminare organisiert. Ein aktuelles Projekt ist die Optimierung der Klauengesundheit beim Milchrind. Im Expertenbeirat dieser Initiative ist Prof. Dr. Alexander Starke, Direktor der Klinik für Klauentiere der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig.

KlauenGesundheit und Gesunde gliedmaßen

Mittelpunkt des Seminars Netzwerk Fokus Tierwohl waren die Vorträge von Prof. Starke. Gleich zu Beginn ging er auf die Klauen- und Gliedmaßengesundheit ein. Dabei machte er auf die Zusammenhänge von Tiergesundheitsmanagement, Leistung, Kosten für Tierarzneimittel und Tierarzt sowie auf den Gewinn aufmerksam. Als besonders wichtig erachtete er dabei prophylaktische Maßnahmen. Natürlich würden sich Tierärzte bei kranken Tieren mit der Diagnose und der Prognose befassen, aber der große Schwerpunkt ist auf Pathogenese und Prophylaxe gerichtet. Es sollte also vor allem darum gehen: Wie halte ich Tiere gesund? Welche Indikatoren zeigen mir das Risiko einer Erkrankung? Woran erkennt man kranke Tiere, und wie lässt sich das Gesundheitsmanagement auf Bestandsebene realisieren?

Portrait von Prof. Dr. Alexander Starke
Prof. Dr. Alexander Starke, Direktor der Klinik für Klauenkunde, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig © Fritz Fleege

Heute verfügen die meisten Betriebe in Ostdeutschland über große Liegeboxenlaufställe mit Gülleentmistung. Dort werden wertvolle Kühe mit hohen Leistungen gehalten. Leider weisen auch dort viele Tiere Erkrankungen an den Klauen auf. Ursache dafür sind überwiegend tierspezifische und haltungsassoziierte Faktoren, zum Beispiel die Bodengestaltung. So ist die Innenklaue kleiner und instabiler als die Außenklaue und die Ballen sind flach. Auf den planbefestigten und Spaltenböden sind die Klauen der Kühe einer höheren Druckbelastung ausgesetzt. Das ist auf der Weide nicht so, wo die Klaue einsinken kann.

Und dann kommt noch etwas anderes hinzu, meint Prof. Starke. Durch die fokussierte Zucht auf hohe Milchleistung in den letzten Jahren ist oftmals unterschätzt worden, dass die Kühe auch laufen müssen. Aber auch die Fütterung hat sich verändert. So ist es bei Kühen mit sehr hoher Leistung schwierig, die Balance zwischen wiederkäuergerecht und bedarfsgerecht einzuhalten. Wichtig dabei ist eine maximale Futteraufnahme. Lahme, schlecht laufende Kühe fressen aber weniger. So kommt es zu reduzierter Futteraufnahme und damit negativer Energiebilanz. Dies ist dann verbunden mit Fettmobilisation, und infolgedessen kommt es zum Leistungsrückgang sowie reduzierter Fruchtbarkeit und Mastitisrisiko. So verlieren schlecht laufende Kühe an Körperkondition. Die Kühe brauchen aber eine fettgepolsterte Sohle.

Abhilfe soll nun auch der neue Zuchtwert „Tiergesundheit“ schaffen. Zur Minimierung von Lahmheiten tragen auch gut gestaltete und saubere Laufflächen und Liegeboxen, Gummiböden im Melkstand, regelmäßige professionelle Klauenpflege, richtige Klauenbäder und eventuell auch Weidegang und Auslauf bei. Deshalb riet der Klauenexperte aus Leipzig, sich auffällige Tiere anzusehen und entsprechende Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Dies ist vor allem Aufgabe des Herdenmanagements. Der Faktor Mensch wird also weiterhin die größte Her ausforderung für unsere Kühe bleiben.

Bessere Kommunikation und Zusammenarbeit

Lahme Kühe findet nur, wer auch lahme Kühe sucht. Mit diesen Worten leitete Prof. Starke seinen abschließenden Vortrag ein. Das Thema lautete: Sanierungsstrategien für Klauen- und Gliedmaßenerkrankungen – Zusammenarbeit zwischen Tierhalter, Klauenpfleger und Tierarzt. Klauenerkrankungen sind beim Milchvieh stark verbreitet. So sind etwa 45 % der Kühe in Deutschland lahm, was mit Krankheiten, Leistungsabfällen und steigenden Kosten verbunden ist. Solche Tiere sind unbedingt einer Behandlung zuzuführen. Lahmheitskontrollen sind also unentbehrlich.

Aber wer kann sie in großen Beständen machen? Meistens wird da auf den Treiber verwiesen, der die Kühe zum Melken abholt und danach wieder zurück in den Stall bringt. Bei einer Untersuchung stellte sich aber heraus: Der Treiber erkennt die wenigsten lahmen Kühe. Er muss nämlich die Kühe hochscheuchen, die Boxen reinigen und nebenbei die Wassertröge sauber machen und vielleicht noch beim Melken aushelfen. Außerdem sieht er meistens nur die letzten Tiere der Gruppe. In einem Betrieb mit 360 Kühen, wovon die Hälfte der Tiere lahm sind, kann er nur die wenigsten Kühe mit Problemen erkennen. Die Melker erkennen das dagegen schon eher im Melkstand an der Entlastungshaltung kranker Gliedmaßen. Sie können dies aber bei ihrer Arbeit nicht so schnell oder gar nicht notieren. Und der Herdenmanager hat in der Regel auch andere Aufgaben.

Deshalb empfiehlt es sich, eigens für diese Aufgabe eine versierte Person zu betrauen und wöchentlich einen Lahmheitsscore vorzunehmen. Den Leuten muss dafür die Zeit eingeräumt werden, dann können sie das auch. Um den Gesundheitsstatus einer Herde zu verbessern, sollte man strategisch vorgehen, aber wie? Bei Untersuchungen in der Schweiz wurden Kollegen befragt, ob sie eine Lokalanästhesie bei der Sanierung eines Sohlengeschwürs für sinnvoll halten. Etwa 80 % der Tierärzte und 50 % der Tierhalter und Klauenpfleger antworteten mit Ja. Schließlich bringt es Vorteile für das Wohlbefinden des Tieres und auch für die langfristige Abheilung. Und auch während des Eingriffes ist es ein angenehmeres Arbeiten. Allerdings bedeutet die Fixierung im Klauenstand Stress für die Tiere. Deshalb braucht man eine Trennung zwischen Routinepflege und Versorgung unkomplizierter Fälle sowie Kühen mit komplizierten Defekten.

Auch die Arbeit sollte erleichtert werden. So hat die Klinik für Klauentiere der Universität Leipzig für die tierärztliche Versorgung mit der Firma Rosensteiner einen tierärztlichen Behandlungsplatz entwickelt, der mobil zum Betrieb mitgenommen werden kann und woran sich alle Behandlungen vornehmen lassen. Bei einfachen Fällen sind die Tiere schon nach fünf Minuten aus dem Stand, bei komplizierten Eingriffen mit Diagnostik, Anästhesie und Operation vergeht dagegen mitunter eine ganze Stunde. In Betrieben, wo die Hälfte der Kühe lahmen, sind etwa 10 % komplizierte Defekte. Davon kann man je Tag nur acht bis zehn Tiere behandeln. Deshalb sollte man analysieren, wozu man den Stand nutzt, also ob man ihn überwiegend für die Routinepflege oder für die Behandlung komplizierter Defekte braucht. Man sollte aber auch die Qualifikation der Klauenpfleger kennen. Fachliches Können und Umgang mit den Tieren sind ganz entscheidend für eine gute Klauengesundheit der Rinder. Derzeit ist man dabei, einen Stand zu entwickeln, der sich der Größe der Tiere anpasst, damit bei der Behandlung weniger Folgeschäden entstehen.

Eine weitere Frage ist: Wo platziere ich den Behandlungsstand? Er sollte möglichst nicht am Melkstand und am Zentralgang positioniert sein. Wenn die Kühe nämlich dort den Stand sehen, führt das zu Stress. Deshalb hat man den Melkstand in der Milchviehanlage Großzschocher bei Leipzig gesondert in einem Nebenraum des Melkhauses untergebracht, wo alle Arbeiten des Klauenpflegers und Tierarztes ruhig ablaufen können. Ein- und Austrieb erfolgen automatisch gesteuert, sodass andere Tiere nichts davon mitbekommen. Für die Arbeiten in der Tierhaltung braucht man natürlich qualifizierte Arbeitskräfte und eine gute Kommunikation und Wertschätzung zwischen Landwirten, Klauenpflegern und Tierärzten. Das ist ein Hauptkriterium für Spitzenbetriebe. Zu einem erfolgreichen Gliedmaßenmanagement gehören Erkennen und Vorstellen sowie adäquate Pflege und Behandlung. Schließlich möchte man leistungsfähige Tierbestände und am Ende auch gesunde Lebensmittel haben. Daher geht es stets darum, den Wissens- und Erkenntnisstand zu erweitern.


Der neue Kuhstall in Großzschocher ist hell und luftig und bietet den Kühen viel Tierwohl.

Gläserner Kuhstall der Agrarprodukte Kitzen eG

Um Erfahrungen auszutauschen, besuchte der Interessenverband der Milcherzeuger in diesem Jahr in die Agrarprodukte Kitzen eG am Rande der Messestadt Leipzig. Hier entstanden ein Stall und ein neues Melkzentrum mit 17 Robotern. mehr


Klauengesundheit: Zuerst erfolgt ein Lahmheitsscore

Zum Tiergesundheitsmanagement arbeitet die Klinik für Klauentiere der Universität Leipzig eng mit der Landesanstalt für Landwirtschaft und Gartenbau Iden (Sachsen-Anhalt) zusammen. So hat man zunächst eine Lahmheitsbeurteilung (Lahmheitsscore 1–6) vorgenommen.

  • 1 = keine Lahmheit erkennbar,
  • 2 = Kuh geht vorsichtig, kurze und unsichere Schritte,
  • 3 = gerade erkennbare Lahmheit, Zuordnung zu Gliedmaßen möglich,
  • 4 = Lahmheit deutlich erkennbar,
  • 5 = Kuh setzt betroffene Gliedmaße kurz auf,
  • 6 = Kuh setzt betroffene Gliedmaße nicht auf.

Nach der gezielten Behandlung ging die Zahl der lahmen Kühe in Iden von Jahr zu Jahr zurück, auch der Grad der Erkrankungen hat sich reduziert. Es werden jetzt nahezu ausschließlich oberflächliche Klauenlederhautläsionen vorgestellt. Dadurch sind Leistung und Nutzungsdauer in diesem Spitzenbetrieb mit herkömmlichem Kuhstall noch weiter gestiegen. So liegt die 305-Tages-Laktation bei 11.945 kg Milch und die Lebensleistung der abgegangenen Kühe bei 65.705 kg Milch. Die durchschnittliche Nutzungsdauer stieg auf 5,3 Jahre. Die Abgangsgründe wegen Mängel in der Bewegung sind auf 1 % gesunken. Die Investitionen in das Wohlbefinden der Tiere haben sich mehr als ausgezahlt und wesentlich zum Betriebserfolg beigetragen.


Das Fazit von Prof. Starke: Lahme Kühe führen zu Verlusten und kosten Geld. Lahmheit – unabhängig vom Grad – ist Ausdruck von Schmerz. Eine hohe Anzahl lahmer Kühe ist daher ökonomisch unsinnig und aus Gründen des Tierschutzes nicht akzeptabel. Investitionen in das Wohlbefinden der Tiere sind damit auch immer Investitionen in den Betriebserfolg.


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