Energiewende in Wahlsdorf: Wie eine Biogasanlage ein ganzes Dorf versorgt
Seit acht Jahren heizt eine Biogasanlage mit ihrer Abwärme fast alle Häuser des Fläming-Dorfes Wahlsdorf. Die Gülle von 500 Milchkühen sorgt für warmes Wasser und die Heizung. Die Energiewende in dem Dorf in Brandenburg wird hier gelebt.
Die Agrargesellschaft Niederer Fläming mbh hält in Wahlsdorf gut 500 Milchkühe. Diese produzieren viel Milch, aber auch Gülle – und nicht gerade wenig. Doch das freut die Wahlsdorfer, denn sie sorgt bei ihnen für heißes Duschwasser und warme Stuben. „Wir lieben unsere Kühe – heiß und innig“, versichert auch Thomas März. Er war Ortsvorsteher des 200-Einwohner-Dorfes, ist selbstständiger Unternehmer und Vorstandsmitglied der Wärmegenossenschaft Wahlsdorf.
„Bei uns ist die Energiewende bereits heute sichtbar“, berichtet der 64-Jährige. „Wir sind umgeben von zahlreichen Windrädern, viele Dächer, wie die der Agrargesellschaft, sind mit Photovoltaikanlagen bestückt und wir besitzen ein eigenes Nahwärmenetz, über das wir fast alle Häuser mit Biogasabwärme beheizen können.“ Letzteres spare nicht nur Heizöl ein, sondern auch jede Menge CO2. Und – was nicht vergessen werden darf – das Heizen mit Biogasabwärme sei auch günstiger als das Heizen mit Heizöl & Co.
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Biogasanlage versorgt Dorf: Mit dem Gutshaus fing es an
Seinen Anfang nahm die Wahlsdorfer Wärmewende bereits 2011. Den Anstoß gab damals das Schloss des Ortes, welches genau genommen ein herrschaftliches Gutshaus war. Später diente es als Schule und nach der Wende wurde es zu einem Seminar- und Gästehaus ausgebaut. Danach verfügte es über mehr als 50 Betten und leider ebenso stattliche Heizkosten. Diese veranlassten den damaligen Amtsleiter der zuständigen Verwaltung in Dahme, nach möglichen Heizölalternativen zu suchen, um das Haus wirtschaftlich betreiben zu können.
Dabei kam er auf die Idee, die Abwärme der beiden örtlichen Biogasanlagen zu nutzen. Die eine hatte ein Investor schon 2008 auf dem Gelände des Agrarbetriebes errichtet und dieser bewirtschaftete sie als Dienstleister. Die Zweite, am anderen Ende des Betriebsgeländes, gehört der Agrargesellschaft und war kurz zuvor ans Netz gegangen. Als sich dann herausstellte, dass dort fast 2 Mio. kWh Wärme jährlich ungenutzt verpuffen, zückte der Amtsleiter den Taschenrechner und kam zu dem Schluss: Das reicht ja sogar fürs ganze Dorf! Was nun noch fehlte, war ein Nahwärmenetz.
Daraufhin folgten Einwohnerversammlungen und öffentliche Sitzungen der Gemeindevertreter. Schließlich ging es darum, möglichst das ganze Dorf mit ins Boot zu holen. Und das gelang. Von den rund 100 Hausbesitzern des Ortes sprachen sich 82 für Biogaswärme aus. Viele von ihnen hatten sich nach der Wende neue Heizungen eingebaut und standen nach 20 Jahren Laufzeit nun vor der Frage: Heizbrenner modernisieren oder auf erneuerbare Energien umsteigen? Außen vor blieben nur einige Einwohner, die Langzeitverträge mit ihrem Energieversorger abgeschlossen hatten oder mit Strom heizen und jene, die das Holz aus ihren Waldgrundstücken nutzen.
Finanzierung: Unabhängig, lieber ohne Investor
Bei der Frage, wie man das Nahwärmenetz finanzieren könnte, zeigte sich, dass die Wahlsdorfer das lieber selbst stemmen wollten. Deshalb verzichteten sie auf einen Investor, von dem sie dann abhängig gewesen wären. Daraufhin gründeten sie – fast auf den Tag genau – vor zwölf Jahren die die Wahlsdorfer Wärmegenossenschaft. Ein dreiköpfiger Aufsichtsrat wurde berufen, fünf Einwohner bildeten den Vorstand. Seinen Vorsitz übernahm Rainer Silex. „Für alle Beteiligten war das absolutes Neuland, trotzdem haben wir uns euphorisch in das Projekt gestürzt, hofften damals, in spätestens anderthalb Jahren das Dorf über ein eigenes Nahwärmenetz mit Wärme versorgen zu können“, so der ehemalige Angestellte eines Autokonzerns. „Aber dann folgte die Ernüchterung.“
Glaubten sie anfangs, offene Türen einzurennen, gerieten die Bankengespräche schnell zum Spießrutenlauf durch den Fördermittel-Dschungel. Zuerst fehlten den Banken handfeste Zahlen. Ein Planungsbüro wurde eingeschaltet und erarbeitete die Daten. Das allein verschlang schon mal 100.000 Euro aus der Genossenschaftskasse, die zuvor von jedem Mitglied mit drei 500-Euro-Raten angefüllt worden war. (Die Bauplanung fehlte zu diesem Zeitpunkt noch.) Doch auch das machte das Dorfprojekt bei den Banken nicht unterstützenswerter. Selbst die Förderbank des Landes Brandenburg (ILB) glaubte nicht an die Zukunft so eines kleinen Ortes und forderte Nachweise zur demografischen Entwicklung Wahlsdorfs. Gibt es genug junge Familien, wie viele ziehen zu, wie viele weg? Eidesstattliche Erklärungen der Genossenschaftsmitglieder sollten eingeholt werden …
Das Ganze zog sich endlos hin, die Fördertöpfe in Brüssel drohten sich zu schließen, das Projekt zu scheitern. Aber die Ehrenämtler blieben hartnäckig, die Dorfgemeinschaft einig und ihr Vertrauen in die Wärmegenossenschaft stabil. Und so fand diese doch noch die nötige Unterstützung.
Wärmenetz in Wahlsdorf: Investition, Förderung und Start
Der Agrarbetrieb vermittelte ihnen den Kontakt zur Deutschen Kreditbank (DKB), und sie schafften es, den Europaabgeordneten Christian Ehler (CDU) für ihr Wärmeprojekt zu begeistern. Mit deren Unterstützung schafften sie es schließlich, eine Investitionssumme von 1,5 Mio. Euro mit 42 % Förderung auf die Beine zu stellen. Ein erster Zuwendungsbescheid von der ILB erreichte sie im April 2014. Jetzt konnte es losgehen.
Die Ausschreibung erfolgte Anfang Juni und im September lagen der Baubehörde alle Unterlagen vor. Die erste Bauphase begann noch im gleichen Monat und ein milder Winter spielte dem Flämingdorf später in die Karten. Zudem mussten kaum Straßen gesperrt werden. Die Baufirma, die aus dem Ort stammte, kam gut voran. Am 30. Juni 2015 war es dann so weit: Die Häuser aller Mitglieder der Genossenschaft waren an das Wärmenetz angeschlossen, das aus einem 4,5 km langen Doppelrohrstrang besteht, und konnten für 9 ct/kW heizen. Ende gut, alles gut? Leider nicht.
Insolvenz und neue Herausforderungen
Zwei Jahre lang versorgten beide Biogasanlagen das Nahwärmenetz reibungslos, dann wurde bekannt, dass der Eigentümer der ersten Anlage Abrechnungen fingiert und Subventionsbetrug begangen hatte. Er flog aus der EEG-Förderung. Die Biogasanlage und etliche weitere, die er noch besaß, gingen in die Insolvenz. Dem Landwirtschaftsbetrieb gelang es leider nicht, die Anlage aus der Konkursmasse herauszulösen. Lediglich die Gärbehälter konnte er erwerben. Sie dienen heute als zusätzliche Güllelager und nehmen sogar Wirtschaftsdünger aus Nachbarbetrieben auf.
Die Wärmeversorgung musste danach die neue Biogasanlage allein übernehmen. Für die ist Christian Eichhorst zuständig. Er ist Leiter Bioenergie und Energiemanagement bei der Agrargesellschaft. Bei ihm ruft daher auch Rainer Silex an, wenn bei Einwohnern im Ort die Wohnung nicht warm wird. Das kann zwei Gründe haben: Manchmal liefert das BHKW weniger Abwärme, weil der Energieversorger E.dis, der den Strom aufnimmt, es herunterregelt.
Das passiert vor allem dann, wenn Wind weht und Sonne und Wolken sich abwechseln. In den Sonnenstunden überlasten die PV-Anlagen dann das Netz und verdrängen den Biogasstrom, da sie sich, genau wie die Windräder, nicht drosseln lassen. In solchen Fällen muss dann eine Ölheizung einspringen, die ebenfalls ins Nahwärmenetz einspeisen kann und als Notfall-Versorgung vorgeschrieben ist. Allerdings sorgt das für höhere Heizkosten und vermeidbares CO2.
Heizen in Wahlsdorf: Satelliten-BHKW nicht möglich
Der zweite Grund sind die Wärmenutzer selbst. Sie mussten erst lernen, dass so ein Nahwärmesystem relativ träge ist und die gewohnte Nachtabsenkung dazu führt, dass das Netz am Morgen überlastet wird, wenn zu viele gleichzeitig ihre Heizkörper aufdrehen. „Wer seine Heizung durchlaufen lässt, hat damit kaum Probleme“, weiß Thomas März. Es gebe sogar weitere Haushalte im Ort, die jetzt ins Netz wollen, aber nicht könnten, weil die Wärmemenge begrenzt ist.
Christian Eichhorst ergänzt: „Wir wollten ein zweites BHKW installieren. Aber direkt am Netzeinspeisepunkt ist das nach dem Fehlverhalten des früheren Betreibers nicht mehr möglich.“ Sie hätten deshalb Varianten mit einem Satelliten-BHKW geprüft, aber da mache E.dis nicht mit. Gesetzlich sei das nicht richtig geregelt und der Energieversorger nutzte hier seinen Spielraum aus und schreibe unmögliche Bedingungen vor. „Uns sind die Hände gebunden.“
Der jetzige Zustand sei unbefriedigend, meint auch Vorstandschef Silex. Daher prüften Sie verschiedene Optionen, beispielsweise die eines großen Wärmespeichers. In gut drei Jahren seien die Kredite bezahlt und sie hätte wieder mehr Handlungsspielraum. Für so einen Wärmespeicher könnte man auch überschüssigen Windstrom nutzen. „Wir wünschten uns, dass eine Universität oder Hochschule diese Optionen mal genau durchrechnet.“
Apropos Optionen: Die prüfen auch Christian Eichhorst und seine Geschäftsführung. In acht Jahren läuft für ihre Biogasanlage die EEG-Förderung aus. Nun gilt es, mit Weitblick zu planen, damit die 500 Kühe weiterhin das Dorf heizen können.
Video: Energiewende in Wahlsdorf
Wie es die Menschen in Wahlsdorf geschafft haben, ein eigenes Nahwärmenetz aufzubauen und so die Energiewende aktiv mitzugestalten, erzählt Thomas März, Vorstandsmitglied der Wärmegenossenschaft Wahlsdorf im folgenden Youtube-Video:
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