Wissenschaft und Praxis gehen in Bernburg-Strenzfeld Hand in Hand. Ulrike Wehrspohn im Gespräch mit Dr. Joachim Bischoff.

„Das Jammern liegt mir nicht“

Sachsen-Anhalt hat seit Kurzem eine weitere junge Schäferin. Wir haben mit Ulrike Wehrsporn über ihre Schäferei Estancia, ihren Werdegang, die Schafherde und Zukunftspläne gesprochen.

Die Fragen stellte Erik Pilgermann

Frau Wehrspohn, wie sind Sie als Exilthüringerin auf die Idee gekommen, in Bernburg-Strenzfeld eine Schäferei zu übernehmen?
Dieser Hund, ein dreifarbiger Border-Mix namens Rocky, ist „schuld“, dass ich hier bin. Ein Kollege von mir, ein Schäfer, sagte zu mir, „den kannst du haben. Der taugt nichts.“ Und da ich schon immer etwas für hoffnungslose Fälle übrighatte, hab ich den Hund zu mir genommen. Zu der Zeit habe ich in Halle Agrarwissenschaften studiert. Mein Plan war eigentlich, in einen großen Milchviehbetrieb einzusteigen. Das hat nun nicht ganz so funktioniert. Wann immer ich konnte, habe ich auf einer Schäferei in der Nachbarschaft gearbeitet. Dort hab ich auch angefangen, mit meinem Chef diesen Hund auszubilden. Ich durfte dann immer mal hüten gehen, konnte Trecker fahren und war für die Flaschenlämmer verantwortlich. Ich war während meines Studiums in der ganzen Welt und hab mir Schafe angeguckt. Kanada, Schweden, Chile, Neuseeland, nennen Sie mir ein Land, und wahrscheinlich war ich dort und hab in der Landwirtschaft gearbeitet. Jedenfalls hatte ich in Chile ein bisschen Pech und hab mir dort ein Bein gebrochen. Ich kam also wieder und brauchte einen Job am Schreibtisch. So bin ich dann beim Schafzuchtverband von Thüringen gelandet. Es war schön, aber es war trotzdem ein Job am Schreibtisch. Irgendwann kam einer unserer Viehhändler und meinte, Ulrike, wir haben da in Bernburg eine Schäferei, die einen Nachfolger sucht. Tja, und dann sind wir hergefahren. Meister Koch, mein Vorgänger, war zu dem Zeitpunkt 76 und hat gesagt, dass es vielleicht doch langsam mal Zeit wird, einen Nachfolger zu suchen. Sozusagen über Nacht bin ich also zu dieser Schäferei gekommen. Ich war bei der Bank und hab unseren Plan vorgestellt. Die fanden den Plan gut und haben ihn abgenickt. Ich habe dann auch noch eine junge gelernte Schäferin zur Unterstützung gesucht. Sie kommt zufälligerweise auch aus Thüringen, wie auch die 200 Schafe, die ich mitgebracht habe. Seit anderthalb Jahren machen wir das jetzt hier zusammen. Das Schöne an dieser Schäferei ist, dass der Standort nahezu perfekt ist. Egal ob FH, DLG oder LLG, alle hier am Standort gehören irgendwie zusammen, und wir arbeiten auch alle zusammen.

Wie genau sehen Ihre Futtergrundlagen für Ihre Tiere aus? Koppeln Sie die Schafe in Portionsweiden?
Wir bewirtschaften zunächst erst mal 150 Hektar eigenes Grünland. Heu und Grundfutter machen wir alles alleine. Jetzt wieder zu den Standortvorteilen. Diese Herde hier zum Beispiel besteht aus 450 Muttern, die etwa vier bis fünf Wochen vor dem Lammen stehen. Die brauchen jetzt Eiweiß, die brauchen frisches Futter. Und da kommt Dr. Bischoff von der LLG ums Eck und fragt mich, ob ich mir vorstellen könnte, mit meinen Tieren eine Fläche mit Luzerne abzuhüten. Neben der Luzerne wären noch einige andere interessante Pflanzen wie Gelbsenf Bestandteil der Mischung. Wir haben natürlich Ja gesagt und uns dazu entschieden, die Schafe schön eng zu stellen, um gleichzeitig auch noch etwas gegen die Mäuse auf der Fläche zu tun.

Ulrike Wehrspohn
Ulrike Wehrspohn hat vor anderthalb Jahren die Schäferei in Bernburg-Strenzfeld übernommen.

Worin besteht Ihr Bekämpfungsansatz in Sachen Mäuse?
Die Schafe trampeln alles zusammen. Durch das enge Gehüt erwischen sie so ziemlich jedes Loch und jeden Gang. Im Durchschnitt wiegt eine Mutter um die achtzig Kilo. Dadurch, dass sie so kleine Klauen haben, ist ihr Bodendruck ziemlich hoch. Den Mäusen wird es dadurch sehr ungemütlich gemacht.

Welche Schafrassen halten Sie?
Diese Herde besteht aus drei Merinorassen. Wir halten Merino Landschafe, Merino-Langwollschafe und Merino-Fleischschafe. Die Merino-Langwollschafe sind sehr selten geworden. Es gibt in Deutschland nur noch fünf Züchter, von denen einer ich bin. Wir haben aber auch Karakulschafe. Vom Vorgänger haben wir noch einige Tiere, die wir liebevoll Kreuzungen aller Kombinationen nennen. Hauptsache, es bringt Lämmer und frisst Gras. Unser Job besteht nämlich im Grasfressen. Damit verdienen wir unser Geld. Nicht viel, aber es reicht zum Überleben. Jammern liegt mir nicht.

Sie haben also die 150 Hektar Grünland plus Hofstelle übernommen, richtig?
Richtig. Dazu haben wir 400 Tiere von Meister Koch übernommen. Ich habe noch 200 Tiere aus Thüringen mitgebracht. Wir mussten sehr stark aussortieren, denn der Bestand, den wir übernommen haben, war sehr überaltert. Aktuell sind wir bei etwa 500 Muttern mit Nachzucht und wollen jetzt langsam aufbauen.

In welche Richtung soll es gehen? Merino?
Absolut. Wir halten Merino-Langwoll- und Merino-Fleischschafe auch im Herdbuch, denn die Rassen sind sehr selten geworden. Es kümmert sich kaum noch jemand um den Erhalt der Linien. Deshalb wollen wir hier mit unserer Arbeit unterstützen. Es bedeutet Mehraufwand, aber nur so lassen sich die seltenen Rassen erhalten. Und hey, ich bin jung und bekomme das gut hin. Je mehr Züchter sich um die Rassen kümmern, umso besser.

Welche Betriebsform haben Sie gewählt?
Meine Schäferei ist eine Einzelunternehmung. Ich habe eine junge Schäferin und noch eine Teilzeitkraft für den Winter beschäftigt, hab also anderthalb Ange
stellte. Ich bin eine richtig echte selbstständige Schäferin.

Mussten Sie hierfür noch irgendwelche zusätzlichen Qualifikationen erwerben?
Nein, ich hab mit dem Studium beziehungsweise mit dem Bachelorabschluss der Uni alle Anforderungen für alle Förderungen erfüllt.

Und wie sieht es innerhalb des Berufsstandes aus?
(lacht) Ich bin nur studiert. Und die Schäfer meinen es auch genau so. „Die Kleene hat nur studiert.“ Dazu komme ich auch noch aus Thüringen. Das finden viele Sachsen-Anhalter nicht ganz so witzig. Aber da müssen sie durch. Dass ich auch noch meine Schafe, meine Schäferin und meine Hunde aus Thüringen mitgebracht habe, kränkt, glaub ich, auch noch den Stolz der Männer hier. Aber das ist für mich o. k.

Haben Sie sich eigentlich gezielt mit der Mäusebekämpfung mittels Schafen beschäftigt?
Nein. Wir sammeln gerade ganz neue, eigene Erfahrungen. Es gibt viele Studien dazu, und es gibt das Wissen der alten Schäfer. Aber das lässt sich nicht einfach so anwenden. Ich habe mit vielen alten Kollegen telefoniert. Aus deren Berichten haben wir unsere Ansätze gewonnen und probieren es jetzt zusammen mit Dr. Bischoff auf den Versuchsflächen aus.

Es wird also altes Wissen durch Ausprobieren neu belebt. Ist die Arbeit auch wissenschaftlich quantifizierbar?
Es ist beides. Wir dürfen uns ausprobieren, und Dr. Bischoff erfasst die Auswirkungen mithilfe wissenschaftlicher Methoden, wie zum Beispiel der Lochtretmethode, bei der auf 250 m2 Fläche alle Mäuselöcher gezählt und dann zugetreten werden. Nach 24 Stunden zählt man die wieder geöffneten Löcher und kann so Rückschlüsse auf die Mäusepopulation ziehen beziehungsweise das Erreichen der Schadschwelle erkennen. Das Zutreten übernehmen bei uns die Schafe. Alle bisherigen Erhebungen zeigen, dass es nach dem Abhüten kaum zu einer Wiederbegehung der Fläche durch die Mäuse kommt. Geklärt werden muss noch, wie viel Schafsmist unsere Tiere auf der Fläche hinterlassen, denn das muss der Flächenbewirtschafter ja für seine Düngebilanz kalkulieren. Aber auch daran wird in der LLG gearbeitet. Wir wollen alle zusammen erreichen, dass wir altes und neues Wissen verbinden und das System aus Boden, Pflanze und Tier wieder in Gang bringen.