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Bauernbund fordert: Wölfe „rigoros“ abschießen

100 erlegte Wölfe pro Jahr würden die Probleme der Weidetierhalter entschärfen, meint der Bauernbund Brandenburg. Er fordert Konsequenzen aus der steigenden Zahl gerissener Schafe und Kälber.

Von Ralf Stephan

Auf die steigende Zahl der durch Wölfe getöteten Schafe und Kälber im Land hat heute der Bauernbund Brandenburg hingewiesen „Allein im ersten Halbjahr 2020 hatten wir fast genauso viele gemeldete Nutztierrisse wie im ganzen Jahr 2019“, informierte Marco Hintze, Landessprecher der Organisation „Freie Bauern“, zu der sich der Bauernbund zählt. „Hinter jedem dieser Tiere steckt ein qualvoller Tod und persönliche Betroffenheit der Schäfer und Bauern, die alles dafür tun, dass ihre Tiere ein gutes Leben auf der Weide haben.“

Hohe Dunkelziffer resignierter Tierhalter

Die Landesregierung müsse endlich die Konsequenzen ziehen, fordert Hintze. Für den 48-jährigen Mutterkuhhalter aus Krielow im Havelland bedeutet dies, durch „einen rigorosen Abschuss von Wölfen die Voraussetzungen für den Fortbestand der naturnahen artgerechten Weidewirtschaft zu schaffen“. Denn selbst die aus seiner Sicht alarmierenden Zahlen würden nur die halbe Wahrheit widerspiegeln. „Die Dunkelziffer schätze ich viel höher. In der amtlichen Statistik registriert werden ja nur die Verluste derjenigen Berufskollegen, die das aufwändige Antrags- und Entschädigungsverfahren durchlaufen.“

Nach Hintzes Eindruck sei ein Großteil der betroffenen Schäfer und Bauern inzwischen so verzweifelt über die Untätigkeit der Landesregierung, dass überhaupt keine Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen mehr stattfinde. „Ich vermute, dass die in den vergangenen Jahren stagnierenden Risszahlen darauf zurückzuführen sind, dass die Landbevölkerung beim Thema Wolf vermehrt zur Selbsthilfe greift“, sagte er, ohne ins Detail zugehen. Auf ihrer Internetseite beschreibt die Organisation das Bild einer Mutterkuh an den Überresten ihres Kalbes mit „Terror auf der Weide“.

Das Land Brandenburg fördert bereits die Anschaffung von Herdenschutzhunden und will künftig auch einen Zuschuss zu den jährlichen Haltungskosten von rund 2.000 Euro je Hund bezahlen.   c) Ralf Stephan
Das Land Brandenburg fördert die Anschaffung von Herdenschutzhunden und will künftig auch einen Zuschuss zu den jährlichen Haltungskosten von rund 2.000 Euro je Hund bezahlen. (c) Ralf Stephan

Potsdam sollte dem Beispiel Schwedens folgen

Aus umweltpolitischer Sicht sei es untragbar, weiter die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen, argumentiert Hintze: „Der Wolf ist europaweit schon lange nicht mehr vom Aussterben bedroht, wir haben in Brandenburg und in Deutschland inzwischen zu viele Wölfe, die durch Zurückdrängung der Weidewirtschaft dem Naturschutz schaden.“ Die Freien Bauern verlangen daher von der Landesregierung ein Vorgehen wie in Schweden. Dort werde auf der Grundlage des europäischen Naturschutzrechts jährlich der Populationszuwachs zum Abschuss freigegeben, argumentiert Hintze. „Wenn die Jäger in Brandenburg jedes Jahr 100 Wölfe legal erlegen dürften, würde das Raubtier seine Scheu zurückgewinnen und die Probleme wären zumindest entschärft.“

Minister: Wir wollen keinen Ärger mit der EU

Brandenburgs Agrar- und Umweltminister Axel Vogel hatte erst kürzlich bekräftigt, das Land werde am strengen Schutzstatus für den Wolf festhalten. Während eines Pressetermins im Wolfsinformationszentrum Groß Schönebeck lehnte er den schwedischen Weg ausdrücklich ab. Er stelle einen Verstoß gegen EU-Recht dar. Vogel verwies darauf, dass die EU-Kommission derzeit ein Vertragsverletzungsverfahren prüfe. „Wir wollen wegen des Wolfes keinen Ärger mit der EU“, sagte der Grünen-Politiker.

Brandenburgs Agrar- und Umweltminister Axel Vogel (Grüne) (c) Ralf Stephan

Ausdrücklich lobte Vogel bei diesem Anlass die brandenburgischen Schäfer. Sie hätten sich inzwischen erfolgreich auf die Anwesenheit des Wolfes eingestellt und entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen. Dagegen sei der Herdenschutz bei den Rinderzüchtern im Land „noch nicht so angekommen“, sagte der Minister. Damit reagiert er auf die wachsende Zahl der Risse von Kälbern. Ebenso vom Minister gelobt wurde der Ökologische Jagdverband (ÖJV), der sich laut Vogel für den Schutz der Wölfe und nicht „wie andere Verbände für ihren breiten Abschuss“ einsetze. Wen er konkret meinte, ließ der Minister in Groß Schönebeck offen.

Erst im September letzten Jahres hatte das Potsdamer Umweltministerium einen überarbeiteten Wolfsmanagementplan vorgelegt. Als bundesweite Besonderheit enthält das von SPD-Minister Jörg Vogelsänger verabschiedete Papier 29 Thesen über die künftige Weiterentwicklung des Wolfsmanagements im Land. An den Thesen arbeiteten sowohl Landnutzer- als auch Naturschutzverbände mit. Maßgeblich beteiligt waren an dem Prozess neben dem Bauernbund die im Forum Natur zusammengeschlossenen sechs Verbände des ländlichen Raumes, die etwa 200.000 Mitglieder repräsentieren. 

Fast 360 getötete Nutztiere im ersten Halbjahr

Das Landesamt für Umwelt hat in Brandenburg seit Etablierung territorialer Wölfe im Jahr 2007 landesweit 824 Schadensfälle an Nutztieren registriert. Die Behörde erfasst solche Fälle, bei denen ein Wolf als Verursacher ermittelt oder zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. In den Anfangsjahren 2007 bis 2015 meldete sie jährlich im Durchschnitt 17 Vorfälle, bei denen 64 Nutztiere zu Schaden kamen. Im Jahr 2019 wurden bei registrierten 165 Vorfällen 409 Nutztiere geschädigt.

Für das erste Halbjahr 2020 weist die offizielle Statistik 128 Vorfälle auf. Dabei wurden insgesamt 356 Nutztiere getötet. 67 Mal waren Schafe die Opfer; 27 Mal befanden sich die Tiere dabei in Haltungen, die nach den Empfehlungen des Landes gesichert waren. 61 tödliche Angriffe galten Rindern. Hier hatten nur zwei der betroffenen Halter die Mindestsicherung eingehalten. Dass nicht alle Fälle registriert werden, wurde selbst beim Pressetermin in Groß Schönebeck deutlich: Dort meldete sich ein Damwildhalter zu Wort, der auf einen Schlag 18 Tiere verloren hat. Herbeigerufene Rissgutachter gingen vom Wolf als Verursacher aus. Wegen eines Formfehlers beim Melden des Schadens taucht der Vorfall jedoch weder in der Statistik auf noch kann der Tierhalter mit einer Entschädigung rechnen.