Zukunft der Landwirtschaft: Junge Visionäre übergeben 16-Punkte-Plan
Junge Visionen für eine nachhaltige Agrarpolitik: Über 120 junge Menschen präsentierten dem BMLEH ihren 16-Punkte-Plan für eine zukunftsfähige Land- und Lebensmittelwirtschaft. Im Interview geben Johanna Zierl und Manuel Wagner Einblicke in die Herausforderungen und Erfolge. Erfahren Sie, wie schwierig die Einigung war und welche Kernforderungen jetzt im Fokus stehen.
Mehr als 120 junge Menschen aus ganz Deutschland haben auf den Öko-Feldtagen in Sachsen ihre gemeinsam erarbeitete Zukunftsvision für eine nachhaltige Land- und Lebensmittelwirtschaft an das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH) übergeben. Die Ideen wurden im Rahmen des Organic Future Camp (OFC) entwickelt, einer vom BMLEH initiierten und über das Bundesprogramm Ökologischer Landbau (BÖL) finanzierten Veranstaltung.
Johanna Zierl (29) und Manuel Wagner (32) haben den 16-Punkte-Plan zur Zukunft der Landwirtschaft übergeben. Im Interview berichten sie davon, wie schwierig es war, sich auf die Punkte zu einigen und was ihnen wichtig ist.
16-Punkte-Plan zur Zukunft der Landwirtschaft erarbeitet
Wenn ihr die Tage Revue passieren lasst: Was nehmt ihr mit?
■ Manuel Wagner: Ich bin total stolz darauf, was wir geschafft haben. Wir haben acht detaillierte Kompasse und einen 16-Punkte-Plan mit sehr starken Forderungen zu vielen Bereichen von Landwirtschaft und Ernährung erarbeitet.
■ Johanna Zierl: Bis wir das in der Hand hatten, sind wir gefühlt mehrere Tode gestorben.
■ Manuel: Mittendrin habe ich mich geärgert, weil ich das Gefühl hatte, dass wir zu wenig Zeit haben. Aber am Ende sehe ich, wie gut der Plan geworden ist. Vor allem dank vieler engagierter junger Menschen.

Woher kamen die Teilnehmenden?
■ Johanna: Es waren 150 junge Leute angemeldet – am Ende waren wir etwa 120 Teilnehmende. Wenn wir das Organisationsteam mitzählen, waren wir echt viele. Und aus unterschiedlichen Bereichen: Landwirtschaft, Verarbeitung, Ernährungswirtschaft und Umwelt. Die Hälfte der Leute war noch in Ausbildung oder Studium. Die andere Hälfte steht schon im Arbeitsleben.
■ Manuel: Am ersten Tag gab es eine Vorstellungsrunde, da hat sich gezeigt, dass viele Leute auch hier aus Betrieben aus der Region kamen, aus Sachsen, Brandenburg, Thüringen. Zahlreiche Studierende aus den Hochschulen Eberswalde, Witzenhausen.
Organic Future Camp: 16-Punkte-Plan als Ergebnis
Ergebnis eures Treffens ist der 16-Punkte-Plan. Wenn ihr jemandem erklären sollt, was ihr damit erreichen wollt – wie würdet ihr es zusammenfassen?
■ Johanna: Es ist deutlich geworden, dass wir den Fokus nicht nur auf ein, zwei oder fünf Themen gesetzt haben, sondern dass es einen ganzheitlichen Wandel braucht. Es reicht nicht, sich auf ein Thema zu fokussieren, sondern es muss an vielen Stellen etwas passieren.
■ Manuel: Wir haben versucht, aus junger Perspektive mindestens 50 Jahre weiterzudenken. Die Bio-Strategie bis 2030 reicht nicht. Deshalb haben wir so viel über Aus- und Weiterbildung gesprochen. Aber wir brauchen auch mehr Bildung über Ernährung und Landwirtschaft in der Gesellschaft – nur so können wir zukunftsfähig landwirtschaften und ernähren. Von der Deregulierung Neuer Gentechnik halten wir überhaupt nichts! Es ist zudem wichtig, dass junge Leute Betriebe gründen können – in der Landwirtschaft und in der Weiterverarbeitung.

Wir wollen gute Umstände, um gute Lebensmittel anbauen oder verarbeiten zu können. Dafür müssen wir an Strukturen rütteln. Wir müssen den Zugang zu Land und die Möglichkeiten zu Existenzgründungen erleichtern. Faire Löhne müssen gesichert sein und Pacht reglementiert werden, damit junge Landwirtinnen und Landwirte den Job überhaupt machen können. In der Landwirtschaft gibt es eine große Überalterung und starken Fachkräftemangel. Dafür müssen wir Lösungen finden: Arbeit in der Landwirtschaft muss wieder attraktiver werden!
OFC: Es war ein demokratischer Prozess
War es schwierig, sich auf die 16 Punkte zu einigen?
■ Johanna: Ja! Es gab ja viele Gruppen, alle haben ihre Themen erarbeitet. Aber es war herausfordernd, diese Themen zu strukturieren und zusammenzuführen. Dazu mussten wir herausfinden, was die essenziellen Punkte waren. Manchmal waren wir verzweifelt: Wie sollen wir das schaffen? Aber dann gab es immer einen in der Gruppe, der den Faden wieder aufgenommen hat. Am Ende hat es geklappt und wir sind stolz auf das Ergebnis.
■ Manuel: Wir haben bestimmt auch etwas vergessen. Aber es war ein demokratischer Prozess. Es gibt klare Forderungen an die Politik.
■ Johanna: Am Anfang waren die Formulierungen so, als würden wir das selbst machen. Aber wir haben festgestellt. Wir allein können es nicht. Wir müssen die Zukunft gemeinsam gestalten. Und jetzt erwarten wir, dass man uns die Hand reicht.
Zukunft der Landwirtschaft mit Kooperation und konstruktiven Lösungen
In eurer Agenda stehen zwei wichtige Formulierungen in der Präambel: Kooperation und Konstruktive Lösungen – warum ist euch das für die Zukunft der Landwirtschaft so wichtig?
■ Johanna: Wir wollen unsere Stimme einbringen und mitgestalten. Die Erfahrung zeigt, dass man viel weiterkommt, wenn man gemeinsam an einem Tisch sitzt, statt sich anzubrüllen. Wir haben im Camp gemerkt, dass man sich trotz unterschiedlicher Ansätze einigen kann, wenn man es ausdiskutiert. Wir haben doch das gleiche Ziel.
■ Manuel: Es bringt nichts, den Grabenkampf zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft aufzumachen. Vieles ist standortbezogen. Es geht auch nicht darum, eine Kluft zwischen Landwirtschaft und Naturschutz zu treiben. Schuldzuweisungen führen nicht zu konstruktiven Lösungen. Wir müssen die Wertschöpfungskette weiterdenken. Es nützt nichts, biologisch zu wirtschaften, wenn dann die entsprechenden Verarbeitungsbetriebe fehlen.

Vielfalt, Nachhaltigkeit, Regionalität, aber auch Arbeitsschutz, soziale Absicherung, Schutz vor Ausverkauf und artgerechte Tierhaltung gehören zu den Forderungen, die in dem Katalog zur Zukunft der Landwirtschaft stehen. Aber wie sollen die Begriffe umgesetzt und mit echtem Leben erfüllt werden?
■ Johanna: Wir haben neben dem 16-Punkte-Plan auch konkrete Vorschläge erarbeitet, die auch ans Ministerium gehen.
■ Manuel: Ich habe nicht so viele Hoffnungen. Burkhard Schmied vom Ministerium erklärte bei der Übergabe: „Wir schauen uns alle 16 Punkte an – aber wir müssen auch realistisch bleiben.“ Das klingt nach: „Wir können davon nichts umsetzen.“ Am Ende wird sicher darauf verwiesen, dass es an Geld fehle, was einfach nicht stimmt! Der Wille fehlt.
■ Johanna: Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Lebensmittel- und die Landwirtschaft im täglichen Diskurs gemeinsam weiterdenken. Dabei geht es auch um globale Ernährungssicherheit. Auch Menschen außerhalb von Europa brauchen würdige Lebensbedingungen.
16-Punkte-Plan: Am Ende sollen Ergebnisse stehen
Tatendrang ist auch ein Wort, das in dem Text vorkommt. Was können und wollen die Teilnehmenden tun, dass es nicht bei Forderungen bleibt, sondern am Ende des Prozesses auch Ergebnisse stehen?
■ Beide gemeinsam: Wir tun es doch schon in unserem täglichen Leben! Deshalb waren wir hier.
■ Johanna: Und dann kommt es darauf an, wo wir in politischen Prozessen mitgestalten dürfen.

Was erwartet ihr vom Ministerium?
■ Johanna: Ich weiß, dass zum Beispiel an Ausbildungsrahmenplänen schon gearbeitet wird. Aus eigener Erfahrung weiß ich auch, dass viele Prozesse im Ministerium schon angeschoben sind – wie das Beteiligungskonzept. Deshalb war ich hier. Deshalb bin ich nicht ganz hoffnungslos. Ich hoffe, dass unter dem neuen Minister der Prozess fortgesetzt wird.

■ Manuel: Bauern und Bäuerinnen denken in Generationen und in Kreisläufen und nicht in Wahlperioden. Aber im Alltag haben viele von ihnen keine Zeit, sich noch zusätzlich politisch zu engagieren. Die breite Gesellschaft braucht sehr viel mehr Verständnis für die Herausforderungen, vor denen Landwirtinnen und Landwirte stehen. Da ist man in den letzten 50 Jahren Agrarpolitik deutschlandweit und in der EU oft in eine andere Richtung gegangen: Da gings nur um Wachstum und Auflagen. Daher kommt viel Unzufriedenheit und Wut. Landwirte fühlen sich oft nicht gehört.
■ Johanna: Für viele gibt es im Alltag nur den Betrieb – das führt oft zu Überlastung und psychischen Problemen. Es gibt eine hohe Depressions- und Burnout-Rate in der Landwirtschaft. Hier brauchen wir in der Fläche kostenlos Zugang zu Beratungen und Präventionsarbeit.
OFC: Was die Akteure von Agrarminister Rainer erwarten
Auch der neue Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer ist nach seinen Worten an den Ergebnissen interessiert. Welche Erwartungen gibt es an ihn?
■ Johanna: Dass er uns die Hand reicht.
■ Manuel: Und dass er uns zuhört. Er muss sehen, dass es überall Expertinnen und Experten gibt. Er soll nicht sagen: „Wir haben euch jetzt gehört“ – und dann kommt nichts mehr.
■ Johanna: Ich erwarte auch, dass es in zwei Jahren bei den nächsten Öko-Feldtagen wieder ein OFC gibt, wo dann Bilanz gezogen wird. Dort müssen wir sehen, was umgesetzt wurde.
■ Manuel: Mein Traum wäre, dass Geld in die Hand genommen wird, um regionale Wertschöpfungsketten zu unterstützen. Und ein großes, bundesweites Förderprogramm für Existenzgründungen.
Zukunft der Landwirtschaft: Mehr Mitsprache für die Jugend
Was erwartet ihr von den Verbänden?
■ Manuel: Ich würde mir wünschen, dass Feindbilder abgebaut werden, dass der eigenen Basis zugehört wird.
■ Johanna: Ich wünsche mir, dass in den Verbänden die Jugendorganisationen viel mehr Mitspracherechte bekommen.
Erwartung: Politik muss handeln
Wie geht es jetzt weiter?
■ Johanna: Wir müssen dranbleiben. Es sind viele neue Freundschaften entstanden. Bei vielen Teilnehmenden ist das Gefühl gewachsen: Wir können uns einbringen und etwas bewegen. Die Teilhabe ist möglich. Es wäre schön, wenn mehr Leute ihre Stimme erheben.
■ Manuel: Wir haben uns vernetzt. Ich finde es toll, dass so viele junge Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen da waren – auch konventionelle Landwirte. Was wir übergeben haben, war nicht nur symbolisch. Herr Schmied hat gesagt: „Wir gehen Punkt für Punkt durch.“ Das muss das Ministerium jetzt zeigen. Außerdem: Deutschland spielt eine große Rolle in der EU-Agrarpolitik – und dort muss sich auch vieles verändern.
Forderungen im 16-Punkte-Plan
Der 16-Punkte-Plan fordert eine ganzheitliche Agrarwende. Schwerpunkte sind Vielfalt in der gesamten Wertschöpfungskette, Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung sowie die Stärkung regionaler Netzwerke.
Der Plan betont die Notwendigkeit praxisorientierter Bildung für alle Gesellschaftsschichten und die Förderung ländlicher Räume durch verbesserte Infrastrukturen. Zudem werden faire Arbeitsbedingungen mit Schutzrechten und psychosozialer Unterstützung sowie inklusive, agrarökologische Ausbildungen gefordert.
Zentral ist der Zugang zu Land durch den Schutz vor Ausverkauf und die Förderung gemeinwohlorientierter Landwirtschaft, die kleine und mittlere Betriebe unterstützt.
Der Plan spricht sich gegen Großkonzerne aus und fordert artgerechte, flächengebundene Tierhaltung. Weitere Punkte umfassen die Förderung von Betriebsübergaben und alternativer Betriebsstrukturen, die
Stärkung des Ökolandbaus und agrarökologischer Praktiken sowie die Ablehnung neuer Gentechniken. Schließlich wird eine konzeptbasierte Existenzgründungsförderung und die dauerhafte Einbeziehung junger Perspektiven in den politischen Diskurs gefordert. (stark gekürzt)
Wer den 16-Punkte-Plan im Wortlaut nachlesen will, findet ihn hier zum Download.

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