Landesweit weist die Agrarstatistik nur noch 45.000 Muttertiere in den Schafhaltungsbetrieben aus. (c) Detlef Finger

Der Sargnagel für die Schäferei

Die auch in Sachsen-Anhalt ungebremste Ausbreitung des Wolfes sorgte auf der Mitgliederversammlung des Landesschafzuchtverbandes in Bernburg-Strenzfeld für eine ziemlich aufgeheizte Diskussion.

Andreas Berbig hatte auf der Mitgliederversammlung des Landesschafzuchtverbandes (LSV) einen schweren Stand. Dem Leiter des Wolfskompetenzzentrums Iden schlug der geballte Zorn einiger Schäfer entgegen. Der Grund wurde schnell klar: Es geht längst nicht mehr um einzelne Nutztierrisse durch das Raubtier. Die haupterwerblichen Schafhalter sehen ihre Existenz durch den Wolf massiv bedroht.

Berbig war am Mittwochabend vergangener Woche nach Strenzfeld eingeladen worden, um den aktuellen Stand beim Herdenschutz und dem Wolf aufzuzeigen. Die von ihm vorgelegten Zahlen und Fakten zweifelten anwesende Schafhalter jedoch massiv an. In der Folge entwickelte sich eine emotionsgeladene Diskussion.

Hohe Dunkelziffern bei Nutztierrissen?

Berbig zufolge gab es im Vorjahr in Sachsen-Anhalt 19 Rudel und zwei Wolfspaare. Neuere Zahlen sollen demnächst vorgelegt werden. Den offiziellen Angaben zur hiesigen Wolfspopulation – 134 nachgewiesene ansässige Individuen sowie 20 „Grenzgänger“ – glauben die Schäfer nicht. Andreas Karwath meinte, diese sei tatsächlich mindestens doppelt so hoch. Das ergäbe sich aus den Erfahrungen von Kollegen und Wolfssichtungen, etwa durch Jäger.

Die Zahl der Wolfsübergriffe im Land bezifferte Berbig für 2021 auf bislang 42 mit insgesamt 148 getöteten Weidetieren. Das seien deutlich weniger als 2019 und 2020. Seine Einschätzung, dies könne dem verstärkten Herdenschutz zugeschrieben werden, brachte die Schäfer wiederum auf die Palme.

LSV-Vorsitzender Mario Wehlitz erklärte, dies sei allein dem Umstand geschuldet, dass viele Schafhalter Risse in ihren Herden inzwischen nicht mehr meldeten. Sie seien gefrustet ob der damit einhergehenden Bürokratie und des Aufwandes, ohne die Gewissheit zu haben, dass es am Ende auch eine Entschädigungszahlung gebe, so der Schäfermeister.

Der Landtagsabgeordnete und AfD-Agrarsprecher Hannes Loth appellierte in Strenzfeld an die Tierhalter, alle Risse zu melden. Dies sei wichtig, etwa für politische Entscheidungen. Auch FDP-Agrarsprecher Johann Hauser versprach, sich um die Anliegen der Schäferzunft zu kümmern.

„Das Wolfskompetenzzentrum Iden ist das Beerdigungsinstitut für die Weidetierhalter.“
– Schäfer Olav Mücke

„den Wolf in den Griff (zu) kriegen“

Franz Bust, Vorstandsmitglied im LSV, kündigte an, seine Schafhaltung beim ersten Riss in seiner Herde einzustellen. Schäfer Olav Mücke forderte, „den Wolf in den Griff (zu) kriegen“. Auffällige Wölfe, die Herden mehrfach attackierten, und solche, die Schutzzäune überspringen, müssten entnommen werden. Anders sei dem Problem nicht beizukommen. Herdenschutzhunde sind seiner Ansicht nach keine Lösung, da sie auch eine Gefahr für Dritte darstellten und der Schäfer dafür in Haftung genommen werde.

Er hält zudem die Förderung von Herdenschutzzäunen lediglich für ein „Alibi“. „Wer vergütet uns dagegen unsere Ängste?“, fragte Mücke. Nach Angaben Berbigs betrugen die Aufwendungen für präventive Maßnahmen zum Schutz der Herden allein in den beiden Vorjahren für zusammen 264 Förderfälle im Land insgesamt 1,43 Mio. Euro.

Wölfe in Sachsen-Anhalt: Schnelle Lösungen nötig

Diese Mittel wären in der Landschaftspflege besser angelegt, so der Tenor von Schäfern und Verband. Voraussetzung sei aber ein funktionierendes Wolfsmanagement im Land. Ein solches wurde mehrfach vehement eingefordert. LSV-Ehrenvorsitzender Klaus Gerstenberg sagte, die Politik der Wolfsbefürworter habe mittlerweile regelrecht extremistische Züge angenommen. Lothar Streithoff, früherer Tierzuchtexperte beim Amt für Landwirtschaft Mitte, sprach von einem „Generationenproblem“. Ältere Schäfer könnten ihre Kinder nicht mehr von einer Betriebsübernahme überzeugen.

Lösungen müssten sehr schnell kommen, mahnte Vorstandsmitglied Dirk Strathausen mit Blick auf den stetig weiter schrumpfenden Schafbestand. Inzwischen fehle es mancherorts schon an genügend Tieren für die Deichpflege, sagte der Schäfermeister. Die Informationen zur Entwicklung der Schafzucht im Land, vorgetragen von Zuchtleiter Christoph- Johannes Ingelmann, gerieten fast zur Nebensache. Nach der teils heftig geführten Debatte ging es weiter mit Verbandsregularien, wie der Vorstellung des Haushaltsplans 2021 und von Änderungen in der Gebührenordnung durch LSV-Geschäftsführerin Elisabeth Baurichter.

Etliche Betriebsaufgaben

Mario Wehlitz konnte in seinem Bericht für 2020 eine im Saldo relativ konstante Mitgliederzahl von 212 zum Jahresende konstatieren. Allein zehn Austritte habe es aber wegen Aufgabe der Schafhaltung gegeben. Der Vorsitzende bedauerte den Corona-bedingten Ausfall vieler Zucht- und Hüteveranstaltungen. Die Verbandsarbeit wurde vielfach online weitergeführt.

Einen Eindruck von der schwierigen Situation der Schafhalter aufgrund der Wölfe in Sachsen-Anhalt bekam auch der neue Agrarstaatssekretär im Wirtschaftsministerium, Gert Zender. Er war zwei Wochen nach seinem Dienstantritt erstmals zu einem Verband gekommen. In seinem Grußwort sagte er Kontinuität bei den Ansprechpartnern in den Fachabteilungen des Ressorts zu und bekräftigte den Willen zu einer weiterhin engen Zusammenarbeit: „Wir werden die Schäfer nicht allein lassen mit ihren Problemen.“

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