Berlin gibt nach – rote Gebiete werden größer

Im Nitratstreit mit Brüssel scheinen Messtellen die einzige harte Währung zu sein. (c) Sabine Rübensaat

Im Nitratstreit mit der EU soll offenbar die Emissionsmodellierung fallen. Das wird Folgen für die Gebietskulissen haben.

Ein einziger Satz in der Regierungserklärung von Cem Özdemir deutet an, dass sich die Landwirtschaft auf eine Ausweitung der roten Gebiete einrichten muss. Auf den schwelenden Streit mit der EU-Kommission über die novellierte Düngeverordnung eingehend, sagte der Bundeslandwirtschaftsminister am Freitag voriger Woche vor dem Bundestag: „Diese Koalition hat sich darauf verständigt, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit das laufende Vertragsverletzungsverfahren beendet wird.“

Neue Regierung wechselt bei Nitrat den Kurs

Die Aussage an sich überrascht nicht, denn die Strafzahlungen zu vermeiden, war auch das Ziel der Vorgängerregierung. Deren Vertreterinnen hatten intensiv, aber vergeblich versucht, Brüsseler Bedenken gegen die neue Düngeverordnung und die mit ihr verbundene Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Gebietsausweisung (AVV GeA) auszuräumen, um die angedrohte Strafe abzuwenden.

Nitratstreit
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir während seiner Regierungserklärung im Deutschen Bundestag. (c) BMEL/Zahn

Die neue Bundesregierung wird diesen Kurs offensichtlich nicht weiter verfolgen. Stattdessen will sie sich dem Druck aus Brüssel fügen und den umstrittenen Rechtsrahmen nachbessern. Das lässt eine interne Mitteilung von Bundesumwelt- und Bundeslandwirtschaftsministerium an die Länder erkennen, die der Bauernzeitung vorliegt. Darin sind lediglich die Positionen der EU-Kommission wiedergegeben. Einwände, die auf den Willen zu einer weiteren kritischen Auseinandersetzung mit der Brüsseler Sichtweise schließen lassen, fehlen.

Kein Wort mehr des Widerstands

Demnach gab es am Tag der Özdemir-Rede ein „sehr kons­truktives Gespräch“ von Vertretern beider Ressorts und der Länder mit der Kommission. Darin habe die Brüsseler Behörde „erneut und ausführlich“ dargelegt, dass die bei der Ausweisung der roten Gebiete angewendete Emissionsmodellierung nicht vereinbar mit der EU-Nitratrichtlinie sei. So steht es in der als „Sprachregelung“ bezeichneten protokollartigen Information.

Brüssel sei zwar „grundsätzlich offen“ dafür, dass die Länder in einem bundesweit vorzugebenen Rahmen unterschiedliche Verfahren anwenden können. Diese dürften aber nicht zu stark abweichenden Ergebnissen bei der Ausweisung der roten Gebiete führen. Und sie sollten auf der Grundlage von Kriterien erfolgen, die die Kommission nachvollziehen könne. Letzteres ist bei der Emmis­sionsmodellierung offenbar nicht der Fall, lässt sich aus dieser Feststellung ableiten. Entscheidend sei für die EU-Kommission, so heißt es weiter, dass diese Verfahren robust und – vermutlich eine Anspielung auf die Vorgänge in Mecklenburg-Vorpommern – „möglichst rechtssicher“ seien.


(c) Imago/Countrypixel

Landesdüngeverordnung: Sechs Betriebe klagen

In Sachsen-Anhalt gehen sechs Betriebe mit einer Normenkontrollklage gegen die Ausweisung der roten Gebiete im Rahmen der Landesdüngeverordnung vor. mehr


Schutz vor Nitrat wichtiger als das Verursacherprinzip

Die Emissionsmodellierung war eingeführt worden, um bei den Schutzmaßnahmen für das Grundwasser in nitratbelasteten Gebieten jenen Betrieben entgegenzukommen, die wasserwirtschaftlich vorbildlich wirtschaften. Aus Sicht der Kommission könnte die Umweltbilanz landwirtschaftlicher Betriebe durchaus berücksichtigt werden, wenn es darum gehe, Verursachergerechtigkeit zu berücksichtigen. Dafür seien aber ein mehrjährig entwickeltes robustes System und verlässliche Daten erforderlich, die mit denen in anderen Mitgliedstaaten vergleichbar seien.

Die EU-Kommission erwartet nun von der Bundesregierung innerhalb der nächsten vier Wochen konkrete Vorschläge. Dazu gehören laut der internen Mitteilung auch neue Gebietskulissen für die roten Gebiete. Nach dem Wegfall der Emissionsmodellierung wären sie erforderlich. Dass sie größer werden, scheint unvermeidlich. Bund und Länder nahmen dazu bereits Gespräche auf.

LBV Brandenburg: Politisches Wirrwarr zulasten der Bauern

Hendrik Wendorff
(c) Sabine Rübensaat

Als „politisches Wirrwarr“, dessen Leidtragende wohl wieder einmal die Landwirtinnen und Landwirte sein werden, kommentierte der Landesbauernverband Brandenburg die Informationen unmittelbar nach ihrem Bekanntwerden. „Maßnahmen zur fachlich notwendigen Pflanzenernährung dürfen nicht alle Jahre zum Spielball zwischen Bund, Ländern und der EU werden und nach Gutdünken geändert werden“, forderte der LBV-Präsident, Henrik Wendorff. „Die Betriebe sollen anscheinend dauerhaft Angst haben, mit weiteren Auflagen bestraft zu werden aufgrund von Ursachen, die sie in weiten Teilen überhaupt nicht zu verantworten haben.“ Bereits jetzt seien an einigen Messstellen die Gründe für erhöhte Nitratwerte in oberen Schichten des Grundwassers unklar.

Jede Neufassung der Düngeverordnung habe schärfere Einschränkungen und Auflagen mit sich gebracht – und das Versprechen, jetzt alles Erforderliche geregelt zu haben. „Nun stehen schon wieder alle Anzeichen auf Verschärfung. Leider ist das, was heute besprochen wird, schon morgen nichts mehr wert. So können Verwaltungen und Politik arbeiten – wir Landwirte nicht!“, so Wendorff weiter.

Bauernverband: Verursacherprinzip nicht aufgeben!

Der Deutsche Bauernverband (DBV) hat Bund und Länder dazu aufgerufen, bei der Abgrenzung der roten Gebiete das Verursacherprinzip nicht aufzugeben. Die von der EU-Kommission geforderte ausschließliche Fokussierung auf Messwerte in Grundwasserkörpern führe dazu, dass auch viele Betriebe, die nachweislich ordnungsgemäß düngten, pauschal und großräumig mit Auflagen überzogen würden, warnt DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken in einem Schreiben an die Amtschefs der zuständigen Ministerien. Landwirtschaftlichen Anwendungs- und Bilanzdaten zu berücksichtigen, sei ein wesentlicher Baustein für verursacherbezogenen Gewässerschutz und Voraussetzung für die Akzeptanz in der Landwirtschaft. Dies müsse gegenüber der EU-Kommission weiter mit Nachdruck vermittelt werden.

Eine stärkere Binnendifferenzierung müsse sich auf ein breites Messstellennetz stützen, so Krüsken weiter. Hierfür seien die Länder gefordert, das Messstellennetz auszubauen, um nicht aus Mangel an Messstellen und damit auf Basis unzureichender Datenverfügbarkeit große Gebiete pauschal und Betriebe ungerechtfertigt zusätzlichen schärferen Auflagen zu unterwerfen. Besonders kritisch zu sehen sei, wenn nicht alle vorhandenen Messstellen für eine stärkere Binnendifferenzierung herangezogen würden oder man wieder zurückfalle in alte Vorgehensweisen von pauschalen Ausweisungen ganzer „roter Grundwasserkörper“ bei lediglich einer oder wenigen roten Messstellen. (aktualisiert: 19.1.22/17:30 Uhr) red

Weitere Nachrichten aus den Bundesländern