Großdemo für eine andere Agrarpolitik

Rund 27.000 Menschen haben nach Angaben der Veranstalter am Sonnabend in Berlin für eine Wende in der Agrarpolitik demonstriert. Zu der Kundgebung aufgerufen hatte das Bündnis „Wir haben es satt!“, das von mehr als 50 Klima-, Natur- und Tierschutz- sowie Bauernverbänden gebildet wird.

Bauernhöfe unterstützen, Insektensterben stoppen und konsequenten Klimaschutz – das waren laut Bündnis-Sprecherin Saskia Richartz die Hauptforderungen der Demonstranten. „Wir haben die Alibi-Politik des Agrarministeriums gehörig satt!“, sagte sie nach Veranstaltung. Die Bundesregierung trage die Verantwortung für das Höfesterben und den Frust auf dem Land. „Seit 2005, als Angela Merkel Kanzlerin wurde, mussten 130.000 Höfe schließen – im Schnitt gab ein Familienbe­trieb pro Stunde auf.“

„Wir haben es satt!“: Veto gegen Mercosur-Abkommen gefordert

Großdemo "Wir haben es satt!" in Berlin
Immer wieder beschworen wurde die Gemeinsamkeit. (c) imago-images/ epd-bild/Rolf Zöllner

Am Vormittag hatten übergaben die Bäuerinnen und Bauern, die mit etwa 170 Traktoren aus ganz Deutschland angereist waren, eine Protestnote an die internationale Agrarministerkonferenz übergeben, die im Auswärtigen Amt tagte. Statt mit unfairen Freihandelsabkommen neue Märkte für Auto- und Chemie-Konzerne zu erschließen, brauch es gerechten Handel, die Durchsetzung von Bauernrech­ten und Schutz von bäuerlichen Betrieben auf der ganzen Welt, hieß es darin.

Deswegen fordere das Bündnis ein Veto Deutschlands gegen das geplante EU-Mercosur-Abkommen. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner verließ die von ihr einberufene Konferenz, um die Forderungen entgegenzunehmen und zu den Demonstranten zu sprechen.

Versuchen, die protestierenden Bauern, die am Freitag an der Demonstration von „Land schafft Verbindung“ (LsV) teilgenommen hatten, gegen die an „Wir haben es satt!“ (Whes) beteiligten Kollegen auszuspielen, erteilte der Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) eine Absage. „Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren“, sagte etwa Georg Janßen bei der Zwischenkundgebung vor dem Auswärtigen Amt. Dieselbe Botschaft hatte er als Redner auf der LsV-Veranstaltung am Vortag verkündet. Im Gegenzug sprach am Sonnabend LsV-Vertreter Tilo von Donner zu den Whes-Teilnehmern.

Opposition: Klöckner sollte Botschaften ernst nehmen

Demo "Wir haben es satt!" in Berlin
Keine Werbung für einen bekannten Hersteller von Arbeitskleidung, sondern persönliche Meinungsäußerung. (c) imago-images/ epd-bild/Rolf Zöllner

Führende Agrarpolitiker der Oppositionsparteien haben vor dem Hintergrund der Bauerndemonstrationen ihre Kritik an der Agrarpolitik der schwarz-roten Bundesregierung bekräftigt. Der agrarpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Protschka, monierte, dass die heimische Landwirtschaft mit ständig neuen politischen Auflagen und Rahmenbedingungen zu kämpfen habe. Allein die jüngsten Vorhaben, wie Insektenschutzgesetz, Verschärfung der Düngeverordnung oder das Mercosur-Abkommen, würden zu enormen Belastungen führen. Insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe würden diesem Druck nicht mehr lange standhalten können, so Protschka.

Kein einfaches „Weiter so!“

Auch nach Einschätzung der Agrarsprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Kirsten Tackmann, läuft in der Agrarpolitik etwas „fundamental schief“. Ein klarer Beleg dafür sei, „wenn Tausende ihre Agrarbetriebe verlassen, egal ob öko oder konventionell, groß oder klein, um Freitag und Samstag auf die Straße zu gehen“. Die Landwirte machten auf jahre- oder jahrzehntelang verschleppte Probleme aufmerksam. Ein einfaches „Weiter so!“ sei keine Option, erklärte Tackmann.

Aus Sicht des landwirtschaftspolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker, müssen Bundesregierung und Agrarministerin Klöckner jetzt zeigen, dass sie die Botschaft der Landwirte ernst nehmen. Statt weiterer Lippenbekenntnisse benötige die Landwirtschaft endlich einen fairen Dialog auf wissenschaftlicher Basis. Bis dieser abgeschlossen sei, dürfe es keine weiteren Beschlüsse geben.

Für den Agrarsprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Friedrich Ostendorff, zeigen die Demonstrationen von „Land schafft Verbindung“ und „Wir haben es satt!“, dass die Unzufriedenheit mit der Agrarpolitik und dem langjährigen Nichtstun der Union angesichts der zahlreichen Probleme in der Landwirtschaft aus der ganzen Gesellschaft kommt. Zahlreiche Menschen gingen auf die Straße, nicht gegen die Landwirtschaft, sondern für eine andere, bessere und zukunftsfähige bäuerliche Landwirtschaft.

Die „Wir haben es satt!“-Großdemonstration fand mittlerweile zum zehnten Mal in Berlin anlässlich der Grünen Woche statt. Die Berliner Tageszeitung taz sprach unter Berufung auf Angaben der Polizei von 20.000 bis 25.000 Teilnehmern in diesem Jahr . (aktualisiert am 20. Januar; mit AgE)