Suppenküche in Altes Lager: Gemeinsam gegen einsam
In Niedergörsdorf – im Ortsteil Altes Lager – wird jeden Sonntag aufgetischt. Organisiert wird die Suppenküche vom Feuerwehrverein gemeinsam mit engagierten ehrenamtlichen Helfern. Lesen Sie mehr über die Geschichte und die Menschen hinter dieser Einrichtung.
Altes Lager, der Ort in der Nähe von Jüterbog im brandenburgischen Landkreis Teltow-Fläming, hat eine bewegte – militärische – Geschichte. 1870 errichtete dort das preußische Militär Baracken für rund 9.000 französische Kriegsgefangene. Im Ersten Weltkrieg waren Zeppeline stationiert. In der Zeit des Nationalsozialismus war Altes Lager ein wichtiger Standort der Wehrmacht mit Fliegerhorst, Truppenübungsplatz, Munitionsfabrik und Höherer Fliegertechnischer Schule.
Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die Sowjetarmee die Liegenschaften und machte sie zu einer ihrer größten Garnisonen – mit u. a. Flugplatz, Jagdfliegerregiment, Flugabwehr, Panzertruppen und Artillerie. 20.000 Soldaten und Offiziere sollen hier permanent stationiert gewesen sein. Warum dieser geschichtliche Abriss? Seit dem Abzug der Roten Armee Anfang der 1990er- Jahre ist Altes Lager als militärischer Standort zwar Geschichte, doch verschwunden sind die Spuren und die Folgen nicht.
Suppenküche: Ein Ort, an dem alle zusammenkommen
Aber eigentlich sind wir nicht nach Altes Lager gefahren, um in der Vergangenheit zu stöbern, wenngleich die 150-jährige Militärgeschichte sowie die verlassenen, militärischen Liegenschaften mit ihren ruinösen Gebäuden unvermeidlich Fragen nach der Geschichte aufwerfen, aber auch nach der Gegenwart. Unser Ziel in Altes Lager ist eine Suppenküche, ein sozialer Ort des Zusammenkommens, den man nur aus Großstädten wie Berlin kennt und auf dem Land eher nicht vermutet. Den Anstoß dafür habe vor ein paar Jahren eine Ortspfarrerin gegeben, als sie darauf aufmerksam machte, dass viele, vor allem ältere Menschen, allein zu Hause sind, sich einsam fühlen und sich nach sozialen Kontakten sehnen, erzählt uns Silke Göritz im Gebäude der Jugendfeuerwehr, das seit dem Sommer 2022 immer sonntags zur Suppenküche wird. 20 bis 30 Frauen und Männer sind es inzwischen, die sich hier über eine warme Mahlzeit freuen. Doch nicht allein die Suppe bringt sie zusammen.
Altes Lager: Ein paar Stunden der Einsamkeit entfliehen
Für die meisten ist es die einzige Möglichkeit, der heimischen Einsamkeit für ein paar Stunden zu entfliehen. „Es ist die Sehnsucht nach Gemeinsamkeit“, bringt es Silke Göritz, die als sogenannte Kümmerin die Fäden zusammenhält, auf den Punkt. „Sie kommen vor allem her, um mit anderen zu reden, sich auszutauschen, ihre Sorgen und Nöte loszuwerden.“ Auch bei Behördenanträgen werde schon mal geholfen. Monika Rennack zum Beispiel freut sich die ganze Woche über auf das Beisammensein, um, wie sie sagt, nicht nur Suppe zu löffeln, sondern auch Neuigkeiten zu erfahren. Und sie lässt sich nicht nur bedienen, sondern steht hin und wieder selbst am Suppentopf. Bei ihrem nächsten Einsatz, so verrät sie uns, kocht sie Kartoffelsuppe mit Bockwurst.
Suppenküche: Lebensgefährtin kennengelernt
Auch Günter Lindner kommt jeden Sonntag in die Kastanienallee 3. Er zeigt uns ein Foto von seiner Lebensgefährtin Sybille. Hier am Tisch habe er sie kennengelernt. Zwar habe es etwas gedauert, bis die Funken übergesprungen sind, aber jetzt wohnen sie sogar schon zusammen. An diesem Sonntag aber bleibt der Platz neben Günter leer. „Sybille ist im Krankenhaus“, sagt er traurig. Doch hier in der Suppenküche treffe er Menschen, mit denen er darüber reden könne. So ein geselliger, schöner Nachmittag mache vieles leichter.
Altes Lager: Miteinander gibt vielen Halt
Kommen dürfe jeder, egal, wo er wohnt, sagt Silke Göritz. Allein das soziale Miteinander, das vielen Halt gibt, gerade auch in diesen schwierigen gesellschaftlichen Zeiten, ist wichtig. Dazu muss man wissen, dass in Altes Lager rund 80 Prozent der 2.050 Einwohner in Mietwohnungen leben, es eine dörfliche Struktur aufgrund der Geschichte nicht wirklich gibt. „Wir sind weder Stadt noch Dorf“, sagt Marko Göritz, der seit fünf Jahren Ortsvorsteher ist.
Der Lohn sind glückliche Gesichter
Ins Leben gerufen von Kirchengemeinde und Ortsvorsteher, wird die Suppenküche inzwischen vom Feuerwehrverein getragen und von etlichen ehrenamtlichen Helfern unterstützt. So wird die Suppe inzwischen von sieben Hobbyköchen zubereitet. An diesem Sonntag ist es René Krahlisch, der zu Hause in einem riesigen Topf 20 Liter Linsensuppe vorbereitet hat, natürlich mit ordentlich Fleisch drin, wie er betont. Auch Irma Julisch will sich künftig einbringen. Damit wolle sie für alles, was sie im Leben erlebt habe, Danke sagen, begründet die 85-jährige Witwe ihre Entscheidung.
Doch nicht allein die Suppe macht das Treffen, das es auch zu Feiertagen wie Ostern und Weihnachten gibt, zu einer angenehmen fröhlichen Plauderrunde. Denn immer steuert die siebenköpfige polnische Familie Lesko noch einen selbst gebackenen Kuchen bei. Heiligabend im vergangenen Jahr, so erzählt uns Tochter Weronika, hat ihre Familie sogar eine festliche gedeckte Tafel gezaubert mit polnischen Spezialitäten wie Bigos (Sauerkrautsuppe), Pierogi, Barszcz (Rote-Bete-Suppe) – und ganz viel Liebe.
Vater Marek, übrigens gelernter Bäcker, ergänzt, dass die Familie das sehr gern tut und der beste Lohn glückliche und zufriedene Gesichter sind. „Ja, wir haben wirklich Glück, dass es Leute gibt, die sich so selbstlos für andere engagieren“, sagt Max Göritz, Vorstandvorsitzender des Feuerwehrvereins. Aber auch Sponsoren und Spenden helfen, die Suppenküche am Leben zu erhalten. Und jeder, der zum Essen kommt, zahlt 50 Cent in die Suppenkasse. Mit dem Geld, was zusammenkommt, werden die Suppenzutaten gekauft, wird das Beisammensein finanziert. Wenn das nicht reicht, gleicht der Feuerwehrverein aus.
Truppenübungsplatz mit Munition und Kampfmitteln belastet
Apropos Feuerwehr, sie spielt in Altes Lager, wie anderenorts auch, eine sehr wichtige Rolle. Und doch sind ihre Aufgaben hier besonders. Denn oft haben es die Kameradinnen und Kameraden mit Bränden auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz zu tun, der stark mit Munition und Kampfmitteln belastet ist.
Herausfordernde und gefährliche Einsätze
Ortswehrführer Marko Göritz denkt dabei an den Einsatz im vergangenen Juni, als ortsnah etwa 700 Hektar in Flammen standen und Altes Lager fast evakuiert worden wäre. Auch ein Einsatz im August 2018 hat sich tief ins Gedächtnis eingebrannt. „Bei einem Waldbrand hat uns eine 80 Stundenkilometer schnelle Feuerwalze regelrecht überrollt. Wie Milliarden brennende Streichhölzer flogen uns die Tannennadeln über eine 60 Meter breite Schneise entgegen.“ Das seien Einsätze, so Marko Göritz, bei denen die Kameraden durchaus an ihre Grenzen stoßen. Herausfordernd für die derzeit 42 Aktiven, darunter elf Frauen, seien aber auch schwere Verkehrsunfälle und tragische Flugunglücke auf dem Flugplatz der Drachen- und Gleitschirmflieger in Altes Lager.
Blick in die militärische Geschichte
Für 2024 hoffen die Kameradinnen und Kameraden auf ein ruhigeres Jahr. Wünschenswert wäre auch ein Anbau, denn das 1998 bezogene Gerätehaus, übrigens eine ehemalige Wache der Sowjetarmee, platzt inzwischen ebenso aus allen Nähten wie die Suppenküche im Jugendfeuerwerhrhaus, das einst ein Trafohaus der Garnison war. Ja, in Altes Lager kommt man an der militärischen Geschichte nicht vorbei. Wer mehr erfahren möchte, sollte sich die Dauerausstellung im Kulturzentrum „Das Haus“ im ehemaligen Offizierskasino anschauen.
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