PETER JOHN, Geschäftsführer der Emma‘s Tag- und Nachtmarkt GmbH

Der 24-Stunden-Dorfladen – mit künstlicher Intelligenz

Während anderswo auf dem Lande Dorfläden schließen, öffnete im Thüringischen Altengottern ein nagelneuer Markt. Künstliche Intelligenz ermöglicht dort den Einkauf – an 365 Tagen im Jahr und das 24 Stunden am Tag.

Von Birgitt Schunk

Leberwust, Sülze, Brat- oder Knackwurst aus Florian Klippsteins Fleischerei gehen in Altengottern wirklich gut. Der Fleischermeister aus Görmar beliefert den neuen „Tante-Emma“-Laden, der im Februar in dem thüringischen Dorf öffnete und immer für die Kunden da ist. „Dar über freuen sich hier nicht nur die Älteren, die keinen Supermarkt im Ort haben, sondern auch wir Jüngeren“, sagt der 26-Jährige. Kürzlich hat er dort selbst sogar sonntags erst noch Mischgemüse und Klöße fürs Mittagessen eingekauft. „Das ist ganz praktisch – und wenn man spät abends noch Hunger auf Eis bekommt, kann man schnell vorbeigehen und sich das holen.“

Dienstags sowie zum Wochenende hin bestückt er den Kühlschrank in dem Dorfladen mit frischer Ware aus seiner Manufaktur – derzeit vor allem Wurstwaren. Was künftig noch möglich ist, wird die Zeit bringen. Da er ohnehin täglich zu seiner Freundin nach Altengottern fährt, kann er den Nachschub – wenn nötig – unkompliziert vorbeibringen und platzieren. „Ich könnte aber auch über eine App in den Kühlschrank schauen und kontrollieren, was fehlt.“

„Unser Bäcker aus Thamsbrück macht das schon. So sieht er von Zuhause aus, was gebraucht wird und kann neue Ware bringen – frische Brötchen kommen täglich gegen fünf Uhr“, sagt Peter John, Geschäftsführer der Emma’s Tag- und Nachtmarkt GmbH, und erklärt, was mit „künstlicher Intelligenz“ so alles möglich ist. Sie sorgt dafür, dass der Dorfladen (fast) ohne Personal an 365 Tagen im Jahr und 24 Stunden am Tag läuft.

Per Chipkarte bekommen die Kunden Einlass, zuvor müssen sie sich registrieren lassen und „Spielregeln“ anerkennen. So haben sie dann jederzeit Zutritt, können ihre Waren scannen und per EC-Karte oder Kreditkarte bezahlen. Rund 1.200 Produkte sind im Angebot, 1.800 aber im Portfolio, damit das Angebot auch mal rotieren kann. Untergebracht ist alles auf einer Fläche von zehn mal zehn Metern in einem Neubau. Von Wurst oder frischen Backwaren über Joghurt, Windeln, Katzenfutter bis hin zu Nudeln, Konserven oder Kartoffeln, Waschmittel sowie Geschenkpapier ist ziemlich alles da, was man so im Alltag braucht. Der neue 24-Stunden-Dorfladen wurde auf einem Grundstück der Kommune errichtet, deren Eigenanteil für diese digitale Infrastrukturplattform für den ländlichen Raum sich auf rund 150.000 € beläuft, wobei Fördermittel genutzt werden können. „Finanziell also im überschaubaren Bereich“, sagt John. „Wir wollen die Versorgung verbessern – und das schaffen wir damit.“

24-Stunden-Dorfladen: Örtliche Unternehmen sind eingebunden

Geschäftsführer Peter John und auch Eigentümer Mario Demange leben beide auf dem Lande. „Wenn man vom Dorf kommt, weiß man, wie dort die Entwicklungen in den letzten Jahren waren“, sagt Demange. Schulen, Gaststätten, Supermärkte, Friseure und vieles mehr machten dicht – und je mehr schließt, desto mehr steht die Zukunft des ländlichen Raumes auf dem Spiel. Einkaufsläden tragen sich nicht mehr, weil die Zahl der Kunden nicht ausreicht, um Personalkosten und Mieten zu stemmen. Demange hat beruflich seit 15 Jahren mit dem Bau von Einkaufsmärkten zu tun und entwickelt deshalb seit 2012 mit seinem Team diese Idee, neue Wege auf dem Lande zu gehen.

Die Unternehmer wissen, dass ein solcher Laden mitunter auch skeptisch gesehen wird. „Wir wollen keine Arbeitsplätze abschaffen mit unserem Geschäftsmodell, sondern bestehende erhalten und neue schaffen“, sagt John. „Wir gehen ohnehin nur aufs Land, wo die Dorfläden längst geschlossen haben. Wir nehmen niemandem etwas weg und tun etwas für die Menschen, die dort leben.“ Dass Supermarktketten sich stark für dieses Konzept interessieren, um eventuell Personal zu sparen, ist natürlich ein Nebeneffekt, den John und Demange sich nicht herbeisehnen. Nachahmer können sie nicht verhindern, sagen sie. Andererseits wissen sie aber auch, dass immens viel Zeit, Geld und Know-how in dieses Projekt geflossen ist, damit es funktioniert. „Das kann man nicht in vier Wochen kopieren“, so John.

In das Projekt eingebunden sind nicht nur die Macher, die künftig planen, neue Läden bauen oder Regale einräumen, sondern auch Lieferanten vor Ort. Das Gros der Produkte wird vom Großhandel angeliefert. Eine Standortverantwortliche auf Mini-Job-Basis schaut nach dem Rechten und füllt fehlende Waren auf. Stark interessiert sind die Unternehmer aber an Produkten aus der Region, um nicht nur nullachtfuffzehn anbieten zu können. „Wir haben hier beispielsweise im Angebot den Honig von einem heimischen Imker“, sagt John. „Der hätte in einem Supermarkt mit seinen überschaubaren Mengen nie eine Chance.“ Diese Möglichkeit für die regionalen Landwirte, Imker, Gemüsebauer, Bäcker oder Fleischer will man aber auf alle Fälle schaffen – die „künstliche Intelligenz“ hilft, das alles zu verwalten – auch bei kleinen Stückzahlen. Die Technik liefert täglich Daten zur Inventur und zeigt an, was fehlt. Vorbereitet wird derzeit, Kartoffeln aus der Region in kleinen Abpackungen anbieten zu können, Gemüsekörbe soll es ebenso geben.

Den Unternehmern ist es ernst damit, etwas fürs Dorf in Sachen Versorgung und Mobilität zu tun. So haben sie im Vorraum des Ladens bereits eine Packstation eingerichtet, in der auch Bestellungen für die Kunden abgestellt werden können – beispielsweise ein Kasten Bier, denn Alkohol gibt es bei „Tante Emma“ im freien Verkauf nicht. Zudem sind für das Dorf und einige Nachbarorte gegen Aufpreis Lieferungen an die Haustür möglich. Hinterlegt werden könnten in den Boxen künftig aber auch Pakete für die Empfänger, wenn diese bei Anlieferung durch Zustelldienste nicht zu Hause sind – doch das ist noch Zukunftsmusik.

Gemeinschaftsauto fürs Dorf

„Mit den großen Logistikkonzernen konnten wir uns noch nicht einigen“, sagt John. Auf dem Platz vor dem Laden gibt es zudem bereits eine Tankstelle für E-Autos. Wer künftig die Clubmitgliedschaft für 15 € im Monat nutzt, kann sogar ein Elektromobil ausleihen. „Ein Gemeinschaftsauto sozusagen fürs Dorf, das man sich teilt“, sagt John. Auch vier E-Bikes sowie fünf Elektroscooter sollen kommen. Und die Ideen gehen noch weiter. Am Ausgang des Ladens wird es künftig einen Bildschirm geben, an denen Kunden sich ganz einfach einen Termin für Friseur oder Fußpflege per Berührung auf dem Feld für die entsprechende Uhrzeit reservieren können. Die mobilen Dienstleister kommen dann zur bestellten Uhrzeit ins Haus. Am Eingang des Marktes, wo heute schon die Werbung der Anbieter läuft, soll bald das Amtsblatt zu lesen sein.

Inzwischen trägt sich der 24-Stunden-Dorfladen bereits, sagen Investor und Betreiber – natürlich dank der intelligenten Technik. Wer hier einkauft, ist damit einverstanden, dass ihn technische Augen begleiten. So wird natürlich auch Diebstahl verhindert. Wer Butter oder Milch umsonst mitgehen lässt, wird erwischt. 36 Kameras verfolgen das Geschehen im Laden. „Es geht hier auch um Sicherheit – wenn jemand stürzt und ohnmächtig am Boden liegt und sich nicht rührt, gibt es ein Signal an den Sicherheitsdienst.“ Von auswärts kann man sich dann zuschalten und im Notfall Hilfe holen.

Altengottern hat heute rund 1.100 Einwohner, rund 600 Kunden gibt es derzeit aus dem Ort. „Da in einer Familie im Schnitt mehrere Leute leben, ist quasi jeder Haushalt dabei“, sagt John. Rund 800 Kunden, die also auch aus den Nachbarorten kämen, seien es insgesamt. Anders als anfangs erwartet kommen Senioren gut zurecht mit dem Angebot. „Fürs Bezahlen haben sich viele inzwischen ein Karte von ihrer Bank besorgt, die ohne PIN einfach nur beim Bezahlen vorgehalten werden muss“, weiß John. Die Bedienung am Scanner ist einfach – das Produkt wird ans Display herangeführt und registriert. Eine Stimme nennt noch mal den Preis und das Produkt. Das war’s.

24-Stunden-Dorfladen: Weitere Märkte entstehen

Die nächsten acht Märkte sind in Thüringen bereits in Arbeit. Die Anfragen übersteigen das allerdings um ein Vielfaches. Das Modell Altengottern kann man relativ leicht anderswohin transportieren. Von Ort zu Ort halten die Macher dabei Ausschau nach regionalen Produzenten, die eingebunden werden und so ihr Auskommen haben.

Auch Fleischermeister Florian Klippstein kommt dieses Konzept entgegen. Er hat nach dem Tod des Vaters den Betrieb 2017 übernommen. Er verarbeitet Rinder aus dem landwirtschaftlichen Betrieb seines Schwagers, kauft aber auch Rinder und Schweine aus der Region hinzu – eine EU-Zulassung für die Schlachtung inklusive. Wenn er mehr verkauft, haben auch die Tierhalter ihren Absatz. Seit 2018 hat sich der Familienbetrieb zudem auf Dry Aged Beef spezialisiert und liefert Qualitätsfleisch für Genießer aus ganz Mitteldeutschland. Über die sozialen Netzwerke und über die eigene Homepage wirbt Klippstein für seine Produkte. „Eine solche Möglichkeit wie den Laden in Altengottern nutzen wir gerne – heutzutage muss man auch andere Wege gehen als noch vor vielen Jahren“, sagt er. Wichtig sei, dass handwerkliche Arbeit, das Leben auf dem Lande und die Tradition weiter eine Chance hätten.