Michael Chickowsky vom Biohof am Jakobsweg mit seinen Weihnachtsgänsen (c) Sabine Rübensaat

Gans im Glück – Der Biohof am Jakobsweg

Noch schnattern sie – die rund 900 Gänse auf dem Biohof am Jakobsweg im brandenburgischen Jänickendorf. Doch ihre Tage sind gezählt: Zu Weihnachten werden sie als Festtagsbraten die Gaumen verwöhnen.

Von Bärbel Arlt

Was verbinden Sie mit Weihnachten? Klar, den Gänsebraten, der schön knusprig-braun gebrutzelt sein muss. Und dazu gehört neben Klößen und Rotkohl natürlich auch die Geschichte von der Weihnachtsgans Auguste, die bekanntlich nie im Backofen landete und sogar zum Filmstar wurde. 1946 hatte Friedrich Wolf die Erzählung verfasst. Auguste wäre somit in diesem Jahr 75 Jahre alt geworden. Ist sie natürlich nicht, doch immerhin schaffte es die Filmgans – die übrigens ein Ganter war – immerhin auf stolze 26 Jahre. Altersschwach hörte sie 2013 im brandenburgischen Marzahne auf zu schnattern.

900 Gänse für die Berliner und Brandenburger Backöfen

Auf dem Biohof am Jakobsweg im brandenburgischen Jänickendorf hingegen schnattern die Gänse noch zu Hunderten und scheinen um die lautesten Töne wetteifern zu wollen. Rund 900 sind es noch, sagt Gänsehalter Michael Chickowsky.

Doch ihr Konzert wird bald beendet sein, denn anders als Auguste werden die Biogänse vor allem in Berliner und Brandenburger Backöfen landen. Am 18. Dezember, so erzählt er, werden sie ihre letzte Reise antreten. Ziel ist Altengönna in Thüringen, wo sie artgerecht getötet und geschlachtet werden. Sozusagen bratfertig kommen sie dann zum Biohof zurück. Auch zum Martinstag mussten schon etliche Gänse für einen deftigen Braten Federn lassen.

Doch warum die weite Reise nach Thüringen? „Es gibt hier im Umkreis einfach keinen Schlachthof mehr“, sagt Michael Chickowsky. Zudem müssen hohe Hygiene- und Tierwohl-Standards erfüllt werden. Immerhin ist der Biohof am Jakobsweg biozertifiziert, gehört zum Bioland-Verband und das Federvieh wird nach strengen ökologischen Richtlinien für das Weihnachtsgeschäft aufgezogen.

Direktverkauf auf Märkten

Die Geschichte von der Weihnachtsgans Auguste ist dem gebürtigen Niederrheinländer übrigens nicht fremd, schließlich lebt er seit zehn Jahren auf seinem Biohof in Jänickendorf und verkauft seine Gänse in Direktvermarktung überwiegend auf Märkten in Berlin und Brandenburg. Da bleibt es nicht aus, dass er von Kunden die Geschichte vom schnatternden Federvieh immer mal wieder am Verkaufstresen serviert bekommt.

Vom Niederrhein über Westberlin nach Jänickendorf

Seine Lebensgeschichte serviert er uns allerdings nicht am Tresen und auch nicht bei Gänsebraten – sondern in der Hofküche des Biohofes am Jakobsweg bei frisch gebratenen Spiegeleiern mit Hirschschinken. „Und Mike kann nicht nur erzählen, er hat auch was zu erzählen“, warnt uns seine Schwester Monika vor, die dem Bruder an diesem Tag auf dem Hof unter die Arme greift. Wir lauschen also bei Ei und Kaffee, staunen und lachen. Doch hier alles aufzuschreiben, würde Seiten füllen, also fassen wir uns kurz:

Geboren und aufgewachsen ist Michael Chickowsky mit sieben Geschwistern im Wallfahrtsort Kevelaer am Niederrhein in Nordrhein-Westfalen. Er ist ein leidenschaftlicher Tänzer und mag keine Schlagermusik. Er lernte Pferdewirt und war Sanitäter bei der Bundeswehr. 1987 fuhr er mit einem Wohnmobil und „3.000 DM minus auf dem Konto“, wie er sagt, nach Westberlin – und blieb, arbeitete zunächst als Krankenpfleger und machte sich 1991 in Berlin mit einer Hauskrankenhauspflege selbstständig. 19 Jahre hat er das durchgezogen, zwar viel Geld, aber nicht wirklich das große Lebensglück gefunden. Auf der Suche danach wollte er, wie so viele es tun, auf dem Jakobsweg pilgern und die Erleuchtung finden, wobei ihm das Wandern, wie er zugibt, nicht wirklich im Blut liegt.

Und zum Glück musste er auch nicht losziehen, denn als sich seine damalige Freundin zwei Highland-Rinder zulegte, zog es ihn zurück aufs Land. Er erwarb etwa 50 Kilometer östlich der Hauptstadt zwischen Jänickendorf und Schönfelde im Landkreis Oder-Spree einen Hof – und das am nahe vorbeiführenden ostbrandenburgischen Jakobsweg, der von Frankfurt/Oder nach Berlin führt. Das Gute oder die Erleuchtung sind eben manchmal so nah.

gänsequartier mit 14 Hektar Auslauf

Zu den zwei Highland-Rindern gesellten sich dann auf dem Biohof am Jakobsweg nach und nach weitere Galloway- und Limousin-Rinder, Hühner, Gänse, Truthennen, aber auch eine Hochzeits- und Partyscheune, Ferienwohnungen sowie Wohnmobilstellplätze. „Mein Lebensweg war ein ganz unruhiger“, fasst Michael Chickowsky kurz und knapp seine 60 Lebensjahre zusammen, wobei er selbst die Ruhe in Person sei. Wir können uns ein Schmunzeln nicht verkneifen und machen uns auf zu den Weihnachtsgänsen, schließlich sind wir ja ihretwegen auf dem Biohof.

Doch bevor wir ihnen nahekommen, werfen wir von einer Dachterrasse erstmal einen Blick über den rund 50 Hektar großen Hof, auf dem allein die Gänse 14 Hektar Auslauf haben – und das mit viel frischem Grün, von dem jetzt logischerweise nur noch Reste abgezuppelt werden. Doch schmachten muss das Federvieh nicht, stehen doch unter anderem auch Weizen und Hafer auf ihrem Speisezettel.

gänseweide mit badevergnügen

Aber nicht nur genussvolles Futter und viel Auslauf gehören zu einem glücklichen Gänseleben, sondern auch ein ausgiebiges Badevergnügen. So sind die beiden Teiche auf der Gänseweide gut besucht, um abzutauchen. Vor allem der neue Teich, der erst vor wenigen Wochen angelegt wurde, ist zum beliebten Tummelplatz geworden. Besonders abends, bevor es für die Gänse ins Strohbett in die Scheune geht, wird, wie es sich gehört, nochmal ordentlich gebadet. „Dann sieht man nur noch Weiß auf der Wasserfläche“, beschreibt Chickowsky das abendliche Spektakel. Die Übernachtung in der Scheune hält er für wichtig, auch um die Tiere vor unerwünschten Gästen wie Fuchs, Waschbär oder Wolf zu schützen.

gänsemast ohne zwang und stress

Stress kennt dieses Federvieh am Jakobsweg also nicht und grausame Zwangsmast schon gar nicht. Fast acht Monate haben die Gänse auf dem Hof verbracht und hatten viel Zeit, an der frischen Luft langsam und genüsslich zuzunehmen.

Am 2. Mai kamen sie als klitzekleine Küken aus einer sächsischen Biobrüterei. Jetzt bringen sie als ausgewachsene Weihnachtsgänse stolze vier bis sechs Kilo auf die Waage. „Und sie passen bequem in den Backofen“, versichert der Gänsehalter und erinnert sich an die Weihnachtszeit im vergangenen Jahr. Denn dem Appetit auf Gänsebraten konnte Corona rein gar nichts anhaben.

Insgesamt 1.500 Tiere vom eigenen Hof und – weil die Nachfrage so groß war – von einem biozertifzierten Hof in Mecklenburg-Vorpommern hat Michael Chickowsky aus seinem Verkaufswagen, in dem er auch Produkte von seinen Hochlandrindern und Wildfleisch anbietet, vor allem in Berlin an nur zwei Tagen an viele Gänsebraten-Liebhaber gebracht.

Kostspieliger Weihnachtsbraten?

Auch in diesem Jahr ist die Nachfrage nach frischen Weihnachtsgänsen für den Festtagsbraten riesig, wenngleich Verbraucher beim Preis durchaus auch Federn lassen müssen. Denn der Gänsemarkt ist deutschlandweit angespannt. Gründe dafür sind neben der anhaltenden Corona-Pandemie auch die bis ins Frühjahr 2021 grassierende Vogelgrippe sowie gestiegene Futter- und Energiekosten. Viele Elterntiere mussten aufgrund der Geflügelpest gekeult werden, damit standen letztendlich weniger Küken zur Verfügung.

Mit Preissteigerungen zwischen zehn und 20 Prozent ist zu rechnen, so die Agrarmarkt Informationsgesellschaft AMI. Das heißt, das Kilo Gans wird gegenüber dem Vorjahr um etwa ein bis zwei Euro pro Kilo teurer. Für Verbraucherinnen und Verbraucher bedeute dies Preise von mindestens 10 bis 15 Euro pro Kilogramm. Bei Biogänsen sind es mindestens 20 Euro“, teilt die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung mit. Hinzu kommt, dass es seit Mitte Oktober erneut in einigen Bundesländern Fälle von Geflügelpest gibt. Doch Michael Chickowsky bleibt optimistisch. Er hofft, dass sein Biohof verschont bleibt und die Gänse noch bis kurz vor Weihnachten fröhlich weiterschnattern können.

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