Landleben

Ausgezeichnete Wetterfrau

(c) Birgitt Hamm
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Seit 40 Jahren beobachtet Hedda Oldenburg aus Diedrichshagen bei Schwerin das Wetter. Dafür wurde die 77-Jährige geehrt. Wir haben (vor der Coronakrise) die engagierte und ehrenamtliche Wetterfrau in ihrem Heimatdorf besucht.

Von Birgitt Hamm

Als ich mich mit ihr verabreden will, klärt mich Hedda Oldenburg sofort auf: „Ich habe aber nur die Verdienstmedaille des Verdienstordens der BRD bekommen.“ Als ob diese Ehrung weniger wert sei als der Bundesverdienstorden, den die Schweriner Staatskanzlei ihr zugeschrieben hatte. Und die Geehrte deshalb weniger interessant sei.

Diese Bescheidenheit ist typisch für die 77-Jährige, die seit 40 Jahren jeden Tag früh aufsteht, um vor allen anderen Aufgaben nach dem Wetter zu sehen und es zu dokumentieren. Jeden Morgen um 6.50 Uhr, in der Sommerzeit um 7.50 Uhr. Egal, ob es hell oder dunkel ist, warm oder kalt, ob es regnet, stürmt oder schneit. Selbst die Coronakrise hält sie nicht ab von ihren morgendlichen Gängen zur Messstation. „Warum auch“, schmunzelt sie, „dabei bin ich noch nie jemandem begegnet.“ Sie geht in ihren Garten hinterm

Wetterfrau Hedda Oldenburg an der Messstation. (c) Birgitt Hamm

Haus, misst den Niederschlag und meldet ihn bis spätestens 8.15 bzw. 9.15 Uhr an die Regionale Messnetzgruppe des Deutschen Wetterdienstes in Potsdam. Hedda Oldenburg gehört dort zu den 267 ehrenamtlichen Wetterbeobachtern, die wie ihre inzwischen automatisierten Kollegen den Meteorologen täglich zuarbeiten. Trotz Haus und Hof, Familie und Arbeit als landwirtschaftliche Buchhalterin war das für sie Alltag, über den es wenig zu berichten gibt. Bis sie vor einigen Wochen dafür geehrt wurde.

Als sie diese Aufgabe 1979 von ihrer Nachbarin im Dorf Diedrichshagen, Landkreis Nordwestmecklenburg, übernommen hatte, war sie sogar noch vielfältiger. Nicht nur die Niederschläge wie Regen, Hagel, Graupel, Schnee wurden gemessen, sie notierte auch Ereignisse wie Gewitter, Nebel und Sturm – wobei letzterer nach Gefühl eingestuft wurde. Ihre Ergebnisse trug sie in Tabellen ein und schickte alles zum Wetteramt in Warnemünde. „Der Wind wird heute von automatischen Wetterstationen gemessen“, sagt Hedda Oldenburg. „Ich bin eine konventionelle Wetterbeobachterin.“ Dabei haben sich ihre Gerätschaften in den vergangenen 40 Jahren nicht geändert. „Ich benutze noch immer den gleichen Blechpott“, schmunzelt sie. „Er ist nur etwas schöner. Die tägliche Meldung nach Potsdam schicke ich aber per App mit meinem Tablet.“

Wetterfrau Hedda Oldenburg mit Verdienstmedaille, die ihr Till Backhaus, Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern, überreicht hat. (c) Birgitt Hamm

Der erste Interessent an ihren Ergebnissen war schon immer Ehemann Hans, von Beruf Landwirt, der viele Jahre die Feldwirtschaft in der Agrargenossenschaft geleitet hat. „Für uns ist das Wetter wichtig“, bestätigt er. Sohn Jens ist in Vaters Fußstapfen getreten und leitet heute die Agrarprodukt e. G. Rüting. Hedda Oldenburg: „Auch er fragt mich, was ich gemessen habe und vergleicht es mit dem Ergebnis eines Kollegen, der zwei Kilometer entfernt wohnt. Interessant, dass der manchmal ganz andere Niederschläge misst als ich.“ Die vieldiskutierten Klimaveränderungen sind für die Wetterbeobachterin kein gefühltes Wissen, sondern Fakten, von ihr gemessen. „Ich dokumentiere sehr trockene Jahre, extrem nasse Sommer oder warme Winter ohne Schnee, wie wir ihn gerade erlebt haben. Diese Extreme nehmen zu.“ Was sie nicht könne, ist das Wetter vorherzusagen, bekennt sie.

Aber etwas ist ihr doch aufgefallen: „Wenn bei Neumond das Wetter umschlägt, bleibt es vier Wochen so.“ Fachleute seien davon nicht so überzeugt, räumt sie ein, aber sie habe es in den vergangenen 40 Jahren genauso beobachtet. Die Mecklenburgerin ist in Diedrichshagen groß geworden, hat hier ihren Hans kennengelernt und geheiratet, die beiden Kinder großgezogen. „Wir haben es gut, schlachten jedes Jahr ein Schwein oder ein Rind, haben ein Pferd und sind gut im Dorfgeschehen eingebunden.“ Das 120-Seelen-Dorf in der Nähe von Grevesmühlen, das zur Gemeinde Rüting gehört, bietet mehr als Idylle pur – viel Landschaft, Licht und Luft, alte Bauerngehöfte rund um die große Kirche, die dem Ort einst besondere Bedeutung gesichert hat. Und die auch jetzt noch für die Gemeinschaft wichtig ist, auch wenn das soziale Leben gerade sehr eingeschränkt ist. Oldenburgs sind beide im Traditionsverein Kirchspiel Diedrichshagen aktiv.

Hans Oldenburg
bietet Kutschfahrten an. (c) Birgitt Hamm  

Sie hoffen, dass die traditionelle Festwoche Anfang September, die ohne sie nicht denkbar ist, trotz der Viruspandemie stattfinden wird. Dafür schmiert Hedda Oldenburg ihre beliebten Schmalzbrote und Ehemann Hans lädt zu Kutschfahrten ein. Normalerweise würden sie jetzt auch auf der Bühne stehen und für das Stück „Klimbim“ proben. „Wir gehören zur Laienspielgruppe von Diedrichshagen, machen seit 15 Jahren Theater“, erzählen sie. „In plattdütsch natürlich.“ Wobei Hedda lieber als Souffleuse agiert, als selbst auf der Bühne steht. Das bleibt nun für unbestimmte Zeit auf der Strecke.

Aber zu tun hat die Wetterfrau trotzdem genug: „Es ist Frühling und wir sind im Garten zugange, haben die Kartoffeln gepflanzt, alles auf Vordermann gebracht. Alle Fenster sind geputzt.

Mit der Diedrichshagener Laienspielgruppe steht das Ehepaar Oldenburg seit 15 Jahren auch auf der Bühne. (c) Birgitt Hamm

Einmal in der Woche fahre ich zum Einkauf nach Grevesmühlen.“ Und die Seniorin hat endlich etwas mehr Zeit zum Lesen, Socken stricken und Musik hören. An das Nähen von Behelfsmasken hat sie auch schon gedacht, doch da macht ihre defekte Nähmaschine einen Strich durch die Rechnung. „Die würde ich auch nur beim Einkaufen brauchen, hier habe ich nicht so viele Nachbarn. Ansonsten“, sagt sie gelassen, „bleibt uns doch nur abzuwarten und zu hoffen.“

Das Wetter zu beobachten und die Niederschläge zu dokumentieren ist für Hedda Oldenburg zwar inzwischen Routine, aber das frühe Aufstehen kostet die nun schon 77-Jährige gerade in der dunklen Jahreszeit doch etwas mehr Überwindung. „Ob ich noch weitere zehn Jahre mitmache, glaube ich nicht“, bekennt sie. Doch deshalb muss Diedrichshagen nicht zwingend von der Wetterbeobachtungskarte gestrichen werden. Denn schon jetzt vertritt die Schwiegertochter die Wetterfrau, wenn diese doch mal für ein paar Tage in den Urlaub fährt. Vielleicht der Beginn einer neuen 40-jährige Karriere?


Auch Helga Völz aus Rehberg im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte wurde für ihre ehrenamtliche Tätigkeit als Wetterbeobachterin mit der Verdienstmedaille geehrt.