Junges Land

Ackerdemia: Schulfach Gemüsekunde

GemüseKlasse ist ein 20-wöchiges Indoor-Programm für Schulen. (c) Ackerdemia
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„Iiiiih, das ess ich nicht!“ – Kinder und Gemüse, das passt oft nicht zusammen. Das Bildungs-Start-up Ackerdemia, zeigt wie man die Kleinen spielerisch und nachhaltig für ein bewusste Ernährung begeistert.

Von Catrin Hahn

Wenn ein Kind eine Zeitlang nur Nudeln mit Tomatensoße mag, ist das erst mal gar nicht schlimm. Wenn das Kind nie erfährt, aus welchen Zutaten Nudeln und Tomatensoße hergestellt werden, ist das schon schwieriger. Und wenn dieses Kind nun immer dieselben, vielleicht gar noch hoch verarbeiteten Fertiglebensmittel vorgesetzt bekommt, dann wird aus ihm wahrscheinlich irgendwann ein Erwachsener, der wenig bis nichts über gesunde Lebensmittel und deren Erzeugung weiß.

Und die Unkenntnis über diese Themenbereiche zieht weitere Wissenslücken nach sich: wenn ich nicht weiß, wie Lebensmittel entstehen, dann weiß ich sie auch nicht zu schätzen. Verschwendung ist die Folge. Wenn ich nicht weiß, wer die Lebensmittel für mich anbaut, und nie einen Landwirt danach fragen konnte, glaube ich vielleicht jedes dumme Vorurteil über diese Berufsgruppe, das mir irgendwie zu Ohren kommt. Wenn ich nicht weiß, was mein Körper für Lebensmittel braucht und wie er sie nutzt, kann das gesundheitliche Folgen haben.

Eine Schülerin der Gemüse-Ackerdemie hat Fenchel geerntet
Eine Schülerin der Gemüse-Ackerdemie hat Fenchel geerntet (c) Ackerdemia

Kurz: ein gewisses Basiswissen in diesem Bereich ist bildungs- und gesundheitspolitisch sehr wünschenswert. Aber das ist noch lange nicht alles: Es macht schlicht einen Heidenspaß, mit den Händen in der Erde zu wühlen, Regenwürmer bei der Arbeit zu beobachten, Pflanzen zu säen, wachsen zu sehen und dann die Früchte der eigenen Arbeit ernten und kosten zu können!

Ackerdemia: Wissen spielerisch vermitteln

Unter diesem Motto ist der Verein Ackerdemia e.V. vor einigen Jahren angetreten, die oben beschriebenen Wissenslücken zu schließen. Und weil erleben immer nachhaltiger ist als die reine Theorie – und außerdem viel mehr Spaß macht – bringt Ackerdemia seit einigen Jahren den Acker zu den Kindern. Und das kam so: 2012 hatte der junge Wissenschaftler Dr. Christoph Schmitz seine Doktorarbeit am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung erfolgreich abgeschlossen. Er beschäftigte sich darin mit der Entfremdung der Gesellschaft von der landwirtschaftlichen Primärproduktion.

Beeindruckt von seinen eigenen Untersuchungsergebnissen begann der Landwirtssohn Schmitz darüber nachzudenken, wie diese Wissenslücke möglichst nachhaltig und ohne erhobenen Zeigefinger geschlossen werden könnte. Das Bildungsprogramm „GemüseAckerdemie“ war geboren. „Und als ich kurz nach der Promotion eine sechsmonatige Babypause mit meinem kleinen Sohn verbrachte, habe ich das Konzept weiterentwickelt und mir Gleichgesinnte gesucht“, erzählt Schmitz. „Schon 2013 haben wir es an einer ersten Pilotklasse einer Grundschule in Bedburg, Nordrhein-Westfalen, sehr erfolgreich ausprobiert. 2014 gründeten wir den gemeinnützigen Verein Ackerdemia e.V. Und dann ging es recht schnell.“

Über 20.000 Kinder in allen 16 Bundesländern

„Recht schnell“, ist eher untertrieben: Die weitere Entwicklung verlief geradezu explosionsartig. Ein interdisziplinäres Team fand sich zusammen und vervollständigte Baustein für Baustein Schmitz‘ Vision: Kinder hautnah erleben zu lassen, wie Lebensmittel entstehen. Dass bedeutet nicht nur, mit ihnen gemeinsam Gemüse zu säen, es wachsen zu lassen und schließlich zu ernten. Es bedeutet auch, ihnen vor und während dieser Zeit spielerisch Wissen zu vermitteln über alle damit zusammenhängenden Themen. Dieses Team hat nun allein 2019 mit sage und schreibe 21.200 Kindern in allen 16 Bundesländern, Österreich und der Schweiz an 475 sogenannten Lernorten auf 3,5 ha Acker nicht weniger als 273 Sorten Gemüse wachsen lassen!

Für Kinder wurden drei Programme entwickelt, die je nach Altersgruppe umgesetzt werden können: 

  • AckerKita: Ein ganzjähriges Programm, bei dem Kita-Kinder auf ihrem Acker ihr eigenes Gemüse anbauen.
  • AckerSchule: In diesem ganzjährigen Programm erzeugen Schülerinnen und Schüler auf ihrem Acker ihr eigenes Gemüse.
  • GemüseKlasse: Ein 20-wöchiges Indoor-Programm, in dem Schüler in Indoor-Hochbeeten direkt im Klassenzimmer Gemüse anbauen.

Treffen im Ackerdemia-Hauptquartier

Zwei von vielen bei Ackerdemia: Ariane Maillot und Dr. Christoph Schmitz
Zwei von vielen bei Ackerdemia: Ariane Maillot und Dr. Christoph Schmitz. (c) Catrin Hahn

„Der Ablauf ist dabei immer der Gleiche“, erzählt Ariane Maillot, zuständig für Kommunikation und Pressearbeit, bei einem Treffen im „Ackerdemia-Hauptquartier“ in Berlin-Schöneberg. „Wir bekommen eine Anfrage und schauen zuerst nach den Grundbedingungen dieses neuen Lernortes. Wie alt sind die Kinder, gibt es in der Nähe eine Fläche, die wir zum Acker machen können, und gibt es lokale Partner, die eingebunden werden können.“ Denn jeder Lernort sollte einen gewissen finanziellen Eigenanteil aufbringen. „Wir haben ein paar große Partner und Sponsoren. Aber wir finden es wichtig, dass sich Schulen oder Kitas auch finanziell beteiligen. Die Sponsoren können Eltern sein oder auch der örtliche Baumarkt, der Gartengeräte stiftet. Nur wenn sich niemand finden lässt, dann springen wir ein. Kein Vorhaben soll wegen Geldmangel ausfallen.“

Nachdem die ersten Fragen geklärt sind, besuchen Mitarbeiter von Ackerdemia den neuen Lernort und schauen gemeinsam mit Lehrern oder Erziehern nach einem Ort für den neuen Acker. „Er soll möglichst nah an Schule oder Kita sein. In den meisten Fällen klappt das. Wo sich tatsächlich kein Platz findet, dort errichten wir auch mal Hochbeete“, erklärt Ariane. 

Christoph Schmitz nickt bestätigend: „Das Wichtigste ist der kurze Weg. Kinder sollen nicht mit dem Bus zum Acker fahren müssen.“ Dann beschreibt er die weitere Vorgehensweise: „Im Februar fängt das Ackerjahr an – meist mit der Anlage des neuen Ackers. Für die Kinder heißt das, schon mal etwas über die Grundlagen zu lernen: welches Gemüse wächst bei uns, was bedeutet Bodenfruchtbarkeit, warum ist Gemüse wichtig für uns Menschen. Im April folgt der erste Pflanztermin. Da kommen wir mit vier bis fünf Mitarbeitern und machen mit den Kindern gemeinsam die Pflanzung. Zwei weitere Pflanztermine – einmal nach den Eisheiligen und einer nach den Sommerferien – werden auch von uns betreut.“

Ein Kita-Kind erforscht die Natur in der Ackerdemia
Ein Kita-Kind erforscht die Natur (c) Ackerdemia

Doch damit ist die Arbeit von Ackerdemia nicht beendet, denn das Konzept der GemüseAckerdemie sieht ja ein umfassendes Bildungsprogramm vor. Den Unterricht führen die Pädagogen vor Ort in Eigenregie durch, eng betreut von lokalen Ackerdemia-Mitarbeitern. Lehrer oder Erzieher erhalten drei Fortbildungen und viel Material, per Newsletter, Lernplattform und Webinaren werden alle auftauchenden Fragen beantwortet. Die Kinder verbringen während der Vegetationszeit eine Doppelstunde pro Woche auf ihrem Acker. Das kann im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft passieren oder während des Schulunterrichts. „In welches Schulfach sie dieses Angebot integrieren, entscheiden die Schulen“, erzählt Ariane lächelnd. „Wir hatten auch schon einen Religionslehrer, der mit seiner Klasse an unserem Programm teilgenommen und die Relistunden nach draußen verlegt hat.“

Ab Oktober, wenn die Früchte der Arbeit geerntet und verzehrt sind, beginnt die „NachAckerZeit“ mit einem Blick über den Ackerrand: In dieser Zeit lernen die Kinder etwas über weiterführende Themen wie Lebensmittelverschwendung oder Sortenvielfalt. „Wir befähigen die Lehrer und Pädagogen, diese Themen zu bearbeiten. Natürlich brauchen wir deren Engagement, ohne ihre Neugier und ihr Interesse würde unser Programm nicht funktionieren“, freut sich Christoph über den riesigen Zuspruch.

Ackderdemia: Für aufgeschlossene Verbraucher

Beim Erntefest im Kindergarten in der Ackerdemia
Beim Erntefest im Kindergarten (c) Ackerdemia

Um das große Interesse in Kitas und Schulen, inzwischen gibt es auch Lernorte an einer Uni und in mehreren Firmen – für sie wurde das Programm AckerPause entworfen, bei dem Unternehmen für Ihre Angestellten solche Gärten einrichten –  befriedigen zu können, arbeiten bei Ackerdemia inzwischen 72 Mitarbeiter aus allen möglichen Berufsrichtungen. Da sind Biologen, Gärtner und Landwirte, die die fachlichen Hintergründe betreuen, geeignete Arten und Sorten aussuchen und die Bedingungen an jedem einzelnen Lernort überprüfen. Da sind Pädagogen und Designer, die den Wissenshintergrund für die jeweiligen Ackernutzer aufbereiten und zur Verfügung stellen. IT-Experten entwerfen und befüllen die Wissensplattform und den regelmäßigen Newsletter. Mitarbeiter, die Sponsoren anwerben – zu den Partnern von Ackerdemia gehören zum Beispiel die AOK, diverse Bundeseinrichtungen oder Supermarktketten. Um das Konzept stetig weiterzuentwickeln, arbeitet Ackerdemia eng mit Hochschulen und Universitäten zusammen, wo in verschiedenen Forschungsrichtungen Studien- und Abschlussarbeiten durchgeführt werden.

Etwa die Hälfte der Mitarbeiter arbeitet im Büro im Berliner Stadtbezirk Schöneberg – auf dem Gelände einer ehemaligen Malzfabrik, wo sich viele kreative Unternehmen zusammengefunden haben. Hier ist auch Platz für den firmeneigenen Acker. Ein weiterer Standort ist das längst zu klein gewordene ursprüngliche Büro in Potsdam. Und weitere etwa 30 Mitarbeiter finden sich über das ganze Land verteilt als Regionalmanager, sie betreuen die Lernorte und dienen als Ansprechpartner vor Ort. „Wir sind aber auch ständig auf der Suche nach Mitstreitern auf Honorarbasis“, betont Christoph. „Beinahe in allen Bundesländern suchen wir derzeit nach „Ackerhelfern“ und „AckerCoaches“, die die Lernorte während der Ackersaison betreuen. Die sollten natürlich ein landwirtschaftliches und/oder gärtnerisches Vorwissen mitbringen. Wer Lust hat, mitzumachen, kann sich sehr gerne auf unserer Website melden!“

Eine Möhre führt durch die Broschüre

Auf der Website findet sich auch der alljährliche Wirkungsbericht des Vereins. „Vielleicht der einzige Geschäftsbericht, den man gerne liest“, wie Ariane Maillot mit breitem Lächeln sagt. Und sie hat recht: Durch die Broschüre führt eine Möhre – Maskottchen des Unternehmens – und präsentiert sehr unterhaltsam die beeindruckenden Erfolge der vergangenen fünf Jahre. Auch Zitate finden sich hier, die anzeigen, wie erfolgreich der unkonventionelle Ansatz des Vereins ist. So kommt ein Lehrer mit dem Satz zu Wort: „Meine Lieblingsstunde im Stundenplan, weil draußen mit motivierten Kindern, viel improvisiert und Freude miteinander.“ Und ein Schüler wird noch deutlicher: „Wieso machen wir eigentlich in der Schule von den schönen Sachen (ackern) so wenig und von den blöden so viel?“


Kochbuch „Ackerküche“

Die GemüseAckerdemie hat ein Kochbuch herausgegeben, mit dem die Kinder aus ihrer eigenen Ernte leckere Gerichte herstellen können.

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Diese Frage kann Ackerdemia sicher nicht beantworten. Aber der Erfolg des Konzeptes zeigt, dass Kinder dank ihrer natürlichen Neugier sehr wohl Lust darauf haben, über die Herkunft ihres Essens nachzudenken. Und man darf annehmen, dass die Erkenntnisse dieser Kinder ihr Verhalten gegenüber Lebensmitteln, deren Herkunft und Verarbeitung lebenslang verändern. Das hat inzwischen sogar die Bundesregierung erkannt. So hat Ackerdemia – neben einem guten Dutzend anderer Auszeichnungen in den letzten Jahren – in diesem Jahr den alljährlichen Bundespreis „zu gut für die Tonne“ gewonnen. Sicherlich spornt auch dieser Erfolg Christoph Schmitz und seine Mitstreiter weiter an. Damit künftig der Ausruf: „Iiiiih, das ess ich nicht“ gegenüber verdächtigem Gemüse auf dem Tisch vielleicht seltener zu hören ist.