Agrofarm Lüssow will raus aus roten Gebieten

Tom Harnack auf dem Weg zu einer der neuen Grundwassermessstellen. Wie bei den anderen eigenen Messpunkten der Agrofarm liegt die Nitratbelastung bei unter 0,1 mg Nitrat/l. (c) Sabine Rübensaat

Die Stimmung auf der Agrofarm Lüssow ist angespannt. Weil eine Messstelle zu viel Nitrat im Grundwasser anzeigt, drohen auf über 1.000 Hektar Ertragseinbußen. Die Lüssower wollen raus aus dem roten Gebiet.

Von Gerd Rinas

Prüfend schaut Tom Harnack auf den Getreideschlag neben der Milchviehanlage und beugt sich über die jungen Pflanzen. „Der Weizen ist bisher gut durch den Winter gekommen. Keine Auswinterungen“, freut sich der Abteilungsleiter Pflanzenproduktion. Was für den Weizen gilt, trifft auch auf die anderen Winterkulturen der Agrofarm in Lüssow bei Rostock zu. Die Gerste, die im Herbst etwas spät in den Boden kam, hat den Rückstand aufgeholt. Dem milden Winter sei Dank. Trotzdem sieht Tom Harnack dem Vegetationsstart mit gemischten Gefühlen entgegen. „Mit so vielen Unbekannten wie in diesem Frühjahr hatten wir es noch nie zu tun“, sagt der 31-Jährige.

Dünger knapp und teuer

Normalerweise bestellt die Genossenschaft im Juni den Dünger für die folgende Feldsaison. „Im vorigen Juni war keine Ware da. Später gingen die Preise, vor allem bei Harnstoff, durch die Decke. Wir warteten ab und setzten darauf, dass die Preise zum Jahresende fallen werden“, erinnert sich Tom Harnack. Das trat so nicht ein. „550 Tonnen Grunddünger haben wir inzwischen eingelagert. Er kostete über 70 Euro pro Tonne mehr als im vorigen Jahr. Jetzt fehlen uns noch der Harnstoff und die Hälfte des Bedarfs an Flüssigdünger für die Blattbehandlung im Raps. Die Zeit wird langsam knapp“, so Harnack.

rote Gebiete: 1.145 ha Ackerland der agrofarm lüssow betroffen

Der andere Unsicherheitsfaktor: Nach der Düngelandesverordnung 2020 wurden Flächen der Genossenschaft rotes Gebiet: Eine Grundwassermessstelle weist eine Nitratbelastung von durchschnittlich 52,97 mg/l, maximal 60,34 mg/l auf. „Nach den geltenden Einschränkungen dürfen wir im roten Gebiet nur 20 % unter dem Pflanzenbedarf düngen. „Betroffen sind 1.145 ha Ackerland. Davon sind 440 Hektar mit Winterweizen bestellt, 405 Hektar Raps, 65 Hektar Wintergerste und 235 Hektar Erbsen“, erläutert der 31-jährige Abteilungsleiter.

Wie Tom Harnack sind auch die Vorstände Lars-Peter Loeck und Wencke Ladwig durch die Düngeeinschränkungen beunruhigt. „Welchen Einfluss die Unterversorgung im vergangenen Jahr hatte, lässt sich nicht genau nachvollziehen. Das Wetter hat uns 2021 in die Hände gespielt, die Bestände sahen super aus. Aber am Ende blieben die Erträge unter dem dreijährigen Mittel“, erinnert sich Lars-Peter Loeck.

Von der Nachricht aus dem Landesamt sind Wencke Ladwig, Lars-Peter  Loeck und Tom Harnack gleichermaßen enttäuscht. 90.000 € investierte  die Agrofarm in vier Grundwassermessstellen. Keine davon wurde in das  Landesmessnetz übernommen.
Von der Nachricht aus dem Landesamt sind Wencke Ladwig, Lars-Peter Loeck und Tom Harnack gleichermaßen enttäuscht. 90.000 Euro investierte die Agrofarm in vier Grundwassermessstellen. Keine davon wurde in das Landesmessnetz übernommen. (c) Sabine Rübensaat

Die unerfüllten Ertragserwartungen beförderten einen Zweifel: „Wir trauen den Werten der einzigen roten Messstelle in unserem Beritt nicht“, lässt Loeck durchblicken. „Sie stammt aus dem Jahr 1967 und wurde nicht zum Messen der Nitratbelastung im Grundwasser eingerichtet. Laut Landesamt LUNG ist ein Neubau für das Landesmessnetz geplant. Wir glauben, dass die Nitratbelastung nicht aus der landwirtschaftlichen Nutzung kommt“, sagt Lars-Peter Loeck überzeugt.

Die Messstelle steht nahe am Rand eines Ackers, einen Steinwurf entfernt vom Dorf Groß Schwiesow. Hier wurde erst nach der Wende eine zentrale Ortsentwässerung gebaut. „Die Wohngebäude, darunter ein Block mit sechs Wohnungen, wurden bis dahin sehr individuell entwässert“, deutet Loeck an. Der Vorstand will Nitratlasten aus früheren Zeiten nicht ausschließen, kann diese aber nicht nachweisen.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Nur wenige Kilometer entfernt werden seit vielen Jahren Abwässer behandelt. „Festzulegen, dass Landwirte in roten Gebieten pauschal weniger düngen sollen, ist einfach. Wenn aber andere Quellen für die Nitratbelastung infrage kommen, müssen sie überprüft werden. Das Verursacherprinzip muss angewendet werden. Wenn dies nicht geschieht, können wir im Einzelfall noch so wenig düngen – trotzdem werden wir das Problem nicht in den Griff kriegen“, argumentiert Vorstand Loeck.

Wenig kooperativ

Die Lüssower wollen bei den Nitratwerten auf Nummer sicher gehen und haben sich deshalb für eine Doppelstrategie entschieden. Einerseits beauftragten sie eine hydrologische Fachfirma auf eigene Rechnung, vier Messstellen zu bohren. Für ein optimales Ergebnis bei der Standortwahl und den Anforderungen an die Messstellen wandte sich das Fachbüro im Auf-trag der Agrofarm an das Landesamt LUNG. Das Amt stellte einen Kriterienkatalog für die Messstellen zur Verfügung, hielt sich sonst aber mit Hinweisen oder gar Unterstützung zurück – obwohl das Land über jede neue Messstelle doch froh sein könnte. Denn mit einer Messstelle pro 4.100 ha bleibt Mecklenburg-Vorpommern geradeso unter der EU-Norm von 4.500 ha pro Messstelle.

„Wir arbeiten seit jeher konstruktiv mit der Agrar- und Umweltverwaltung zusammen. Eigene Messstellen zu bohren, hielten wir für eine gute Idee, um mehr Sicherheit bei den Nitratwerten zu kriegen. 90.000 Euro haben wir in die neuen Messstellen investiert. Aber spätestens seit voriger Woche haben wir das Gefühl, dass das LUNG uns im Regen stehen lässt“, so Vorstand Loeck.

Rote Gebiete: agrofarm lüssow bohrte neue Messstellen

In einem Brief teilte das Amt den Landwirten mit, dass keine der drei gebohrten und auswertbaren Messstellen in das Landesmessnetz übernommen werden soll. Als Gründe werden in zwei Fällen die Tiefe des Filters und die Mächtigkeit der Überdeckung und bei allen drei Messstellen der geringe Abstand zur Landesmessstelle Groß Schwiesow genannt. Dabei hatte das LUNG in einem Schreiben im Juli 2021 zu den neuen Messstellen der Agrofarm darauf hingewiesen, dass ein Ersatzstandort „nahe der alten Messstelle zu suchen“ sei. Die neuen Messstellen liegen zwischen 300 und weniger als 2.000 m von der alten entfernt. „Alle drei Messpunkte weisen Nitratbelastungen von unter 0,1 mg Nitrat pro Liter aus“, versichert Lars-Peter Loeck. An keiner Messstelle wurden Einträge von Pflanzenschutzmitteln nachgewiesen. Für den Vorstand ist das ein Hinweis darauf, dass die Nitratbelastung an der alten Messstelle nicht aus landwirtschaftlichen Quellen stammt.

Normenkoontrollverfahren: Urteil mit Folgen

Teil zwei der Lüssower Doppelstrategie: Die Agrofarm schloss sich einem Normenkontrollverfahren gegen die Landesdüngeverordnung vom Dezember 2020 an. Daran beteiligten sich über 200 Landwirtschaftsbetriebe aus Mecklenburg-Vorpommern. Im November 2021 entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Greifswald, dass die Verordnung unwirksam sei. „Wir waren nach dem Urteil erleichtert, weil wir dachten, das Landwirtschaftsministerium würde nun die Fehler, die das Gericht kritisiert hat, beheben. Stattdessen hat das Ministerium Beschwerde gegen das Urteil eingelegt und eine neue Düngelandesverordnung für Anfang März angekündigt“, berichtet Lars-Peter Loeck.

Beides bringt die Lüssower ihrem Ziel, das rote Gebiet zu verlassen, wohl nicht näher. Zwar hat das OVG die Beschwerde des Ministeriums abgelehnt und an das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig weitergeleitet. Solange das Bundesgericht darüber aber nicht entschieden hat, gilt die Düngeverordnung vom Dezember 2020 weiter. „Und unsere Flächen bleiben rot“, so Loeck. Nach der neuen Landes-DÜV soll der Umfang der roten Gebiete landesweit sogar noch steigen – von 13 auf knapp 50 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche. „Welche konkreten Auswirkungen für unseren Betrieb zu erwarten sind, ist schwer abzuschätzen“, sagt Vorstand Wencke Ladwig. Eines ist für sie klar: „Das Grundwasser muss sauber sein. Das sage ich als Landwirtin, aber auch als jemand, der mit seiner Familie im Nachbardorf im Einzugsbereich der Agrofarm lebt.“

Abwärtsspirale bei den Erträgen befürchtet

Im Betrieb werde dafür alles getan, versichert Ladwig. So werden sämtliche Angaben zum Boden in der Ackerschlagkartei dokumentiert. Die Fruchtfolge wurde in den vergangenen Jahren erweitert, der Erbsenanbau auf 250 ha ausgedehnt. Das gilt auch für Zwischenfrüchte, die in diesem Winter auf 240 ha stehen und überschüssigen Stickstoff aufnehmen. Jedes Jahr werden Bodenproben gezogen und die Nmin-Werte bestimmt. In der Düngebedarfsermittlung wird mit der LMS Agrarberatung auf Basis des Durchschnittsertrags der vergangenen drei Jahre und der aktuellen Ertragserwartung festgelegt, wie viel Stickstoff je Kultur und Standort gedüngt wird. „Die Einführung der automatisierten Düngung auf Basis des RTK-Signals hat uns etwa zehn Prozent Einsparungen gebracht. Als nächsten Schritt beschäftigen wir uns mit der teilflächenspezifischen Düngung“, sagt Lars-Peter Loeck.

Bleibt es bei der Einordnung von etwa 40 % der Nutzfläche in das rote Gebiet, könnte das für die Agrofarm einschneidende Folgen haben. Vorstand Loeck befürchtet bei einer Düngung von 20 % unter dem Pflanzenbedarf über mehrere Jahre eine Abwärtsspirale bei den Erträgen.

Bisher haben die Lüssower mit einem Teil der Erlöse aus der Marktfruchtproduktion die Milchviehhaltung subventioniert. Wenn in den roten Gebieten kein Qualitätsweizen mehr produziert werden kann und die Betriebskosten weiter so rasant steigen, könnten dafür die Mittel fehlen. „Ich hoffe bei der Senkung der Nitratbelastung im Grundwasser auf Augenmaß bei den Politikern und darauf, dass die Betriebe jetzt nicht per Gesetz kaputtgeschrumpft werden. Damit wäre niemandem geholfen“, sagt Lars-Peter Loeck zum Abschied.

Weitere Nachrichten aus den Bundesländern