Biogasanlagen, besser gesagt: deren Blockheizkraftwerke, können seit Oktober vorigen Jahres für Netzstabilisierungsmaßnahmen herangezogen werden. (c) Detlef Finger

Redispatch 2.0: Einfach abgeschaltet

Zur Stabilisierung der Stromnetze setzen die Netzbetreiber ohne jegliche Vorankündigung landwirtschaftliche Biogasanlagen außer Betrieb – mit unkalkulierbaren Folgen für die Technik, die Betriebe und deren Kunden.

Thomas Maennicke traf die Abschaltung des Blockheizkraftwerks der Höhnstedter Biogasanlage am 27. Januar unvermittelt. Ohne Vorwarnung an den Betreiber, die Biogas Höhnstedt GmbH, wurde die Anlage an jenem Donnerstag vom Netz genommen. Dies erfolgte im Zuge des Netzsicherheitsmanagements (NSM) durch die Mitteldeutsche Netzgesellschaft Strom mbH (Mitnetz Strom). Die Zwangsabschaltung dauerte letztlich insgesamt 27,5 Stunden, sagte Maennicke später der Bauernzeitung.

Der Diplomagraringenieur ist Vorstandsvorsitzender der Agrargenossenschaft Höhnstedt im Saalekreis (Sachsen-Anhalt). Zusammen mit Johann Nuscheler führt er zudem die Geschäfte der Biogas GmbH, einer gemeinsamen Tochter der Agrargenossenschaft und von Nuschelers Saatgut- & Agrarservice Beesenstedt GmbH.

abschaltungen: Bürger sitzen im Kalten

Die Höhnstedter Biogasanlage, anfangs mit 772 kW elektrischer Leistung ausgelegt und später für die Flexibilisierung um einen zweiten Gasmotor mit 1.950 kW erweitert, traf das Notaus in aller Frühe, kurz vor Beginn der Flexlaufzeit. „Im Rahmen der Flexibilisierung bekommen wir Zeiten vorgegeben, in denen Strom erzeugt werden soll. Dafür müssen unsere Gasspeicher gefüllt sein“, erklärte der Betriebsleiter.

Problematisch gewesen sei die Abschaltung vor allem auch, weil mit der Abwärme der Anlage neben eigenen Betriebsstätten ein Netz von fast 40 Kunden versorgt werde, darunter viele Haushalte und eine Kita. Selbst der große, 200 m³ Warmwasser fassende Speicher könne solch lange Ausfallzeiten nicht abpuffern. „Mal vier, fünf Stunden wären kein Problem. Eine zeitweilige Reduzierung auf 50 bis 60 Prozent der Nennlast ginge auch mal“, sagte Maennicke. „Wichtig ist aber, dass wir rechtzeitig informiert werden, um uns zumindest darauf vorbereiten zu können.“ Verwundert zeigte sich Maennicke darüber, dass im Nachbarort stationierte Windenergieanlagen reduziert laufen konnten, während etwa die Photovoltaikanlage der Agrargenossenschaft ebenfalls vom Netz genommen wurde.

Entlastungsmaßnahmen zum Vermeiden von Netzengpässen werden aufgrund des Ungleichgewichts zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem schleppenden Netzausbau zunehmend notwendig. Betroffen waren am 27./28. Januar Energieerzeugungsanlagen in Regionen im mittleren, südlichen und östlichen Sachsen-Anhalt sowie im Landkreis Elbe-Elster in Brandenburg.

Die Reduzierung der Stromeinspeisungen, die teils auf Anforderung des vorgelagerten Übertragungsnetzbetreibers (ÜNB), der 50Hertz Transmission GmbH, erfolgte, belief sich in der Summe auf nahezu zwei Gigawatt (GW).

(c) IMAGO/IMAGEBROKER

vorfall ist Längst kein Einzelfall

Das Vorkommnis in Höhnstedt war und ist indes kein Einzelfall. Zuletzt gab es vermehrt Hinweise auf ein verstärktes Abschalten von Biogasanlagen im sogenannten Redispatch 2.0. So erhält z. B. der Bauernverband Sachsen-Anhalt seit vorigem Herbst zunehmend Informationen von Mitgliedern diesbezüglich, bestätigte Thorsten Breitschuh vom Referat Erneuerbare Energien und Nachwachsende Rohstoffe des Verbandes. Ihm zufolge können unangekündigte Abschaltungen diese Folgen haben:


  • Häufige Abschaltungen von 100 % Nennlast auf null binnen einer Sekunde führen zu schwerwiegenden thermisch bedingten Schäden bei den Gasmotoren.
  • Leistungsreduzierungen von unter 60 % der Nennlast sind von den Motorenherstellern in der Regel nicht für den Dauerbetrieb freigegeben (es entstehen Ablagerungen im Motorinnenraum). Reduzierungen unter 40 – 50 % führen bei vielen BHKW-Herstellern deshalb zur automatischen Komplettabschaltung der Motoren.
  • Der Ausfall der Wärmeerzeugung führt kurzfristig zu Problemen beim Versorgen angeschlossener Wärmeabnehmer und zwingt dazu, statt Abwärme fossile Energieträger für die Notheizanlagen zu nutzen. Vor allem bei güllebetonten Anlagen kühlen die Fermenter schnell aus und es wird die Gasbildung beeinträchtigt. Das im Fermenter entstehende, überschüssige Gas muss ohne jeden Sinn abgefackelt werden. Eine derartige Praxis widerspricht allen Zielen des Klimaschutzes.
  • Bei fehlender Information zur Abschaltung können nicht einmal die begrenzt vorhandenen Steuerungsmöglichkeiten einer Biogasanlage über einen angepassten Substrateinsatz genutzt werden.
  • Die bei vollständiger Abschaltung fehlende Eigenstromversorgung führt trotz nur kurzzeitiger Inanspruchnahme von Zukaufsstrom zu dauerhaft hohen leistungsbezogenen Netzentgelten (nur bei Überschusseinspeisern).
  • Die Berechnung der Vergütung (Entschädigung) anhand der Leistung der letzten vollen Viertelstunde (im sogenannten Prognosemodell) birgt große Gefahren für flexibel betriebene Anlagen.

Vorabinformation nötig

Anlagenbetreiber wurden laut Breitschuh nicht zuletzt bei Veranstaltungen des Bauernverbandes angehalten, sich auf die Teilnahme am Redispatch 2.0 vorzubereiten. Es seien viele Daten gemeldet und Dienstleister beauftragt worden. Das eigentliche Ziel – die vorzeitige Information der einzelnen Anlage über zu erwartende Netzeingriffe – funktioniere aber auch vier Monate nach dessen Einführung in keinster Weise, betonte der Diplomagraringenieur.

Eine Nachfrage bei einem großen ostdeutschen Händler (Direktvermarkter) für erneuerbare Energien brachte folgende Erkenntnisse: Für Anlagen, die am Flexbetrieb teilnehmen und derzeit im sogenannten Prognosemodell verortet sind, sollte ein Wechsel auf das Planwertmodell angestrebt werden, das marktseitig allerdings auf den 1. Oktober 2022 verschoben wurde. Im Prognosemodell ist der Netzbetreiber derjenige, der die Ausfallarbeit anhand der Einspeisung der vorhergehenden Viertelstunde berechnet und diese dem Betreiber der Technischen Ressource (BTR = Marktrolle, die im Normalfall durch den Direktvermarkter übernommen wird), mitteilt. Im Planwertmodell gilt der im Voraus gemeldete Fahrplan als Abrechnungsgrundlage.

Wird im Zuge des Redispatch 2.0 abgeschaltet, müssen alle Teilnehmer eines Direktvermarkters auch noch die Kosten der Ausgleichsenergie finanzieren. Diese ist erforderlich, um den abgeschalteten Strom an anderer Stelle wieder zuzukaufen.

ABSCHALTUNG VON BIOGASANLAGEN
Wie Probleme künftig vermeiden?
Folgende Bedingungen sollten aus Sicht des Bauernverbandes Sachsen-Anhalt beim Redispatch von Biogasanlagen berücksichtigt werden:

■ Außer in akuten Notsituationen wird die Leistungsreduktion der Anlagen auf 60 % begrenzt, um Probleme bei Gasverbrauch und Wärmeversorgung zu vermeiden. Generatoren, die mit Verbrennungsmotoren angetrieben werden, dürfen – wenn eine Komplettabschaltung unabdingbar ist – nur in Stufen (100–60–0 %) mit zeitlicher Staffelung von mindestens drei Minuten zwischen den Schaltstufen heruntergeregelt werden.
■ Biogasanlagen haben vergleichsweise geringe Leistungen und sind an der Mittelspannung angeschlossen. Insofern gibt es nur selten Gründe, eben diese Anlagen abzuschalten, wenn in überregionalen Hochspannungsnetzen abgeregelt werden muss. Ein Abschalten kann daher nachrangig erfolgen oder auf Überlastungsfälle im jeweiligen Mittelspannungsnetz begrenzt bleiben.
■ Die Vergütung der Ausfallzeit erfolgt im „Pauschalabrechnungsverfahren“ unabhängig von der Leistung vor der Abschaltung, immer bezogen auf die beim Netzbetreiber hinterlegte Höchstbemessungsleistung der Anlage.
■ Anlagenspezifische Informationen über geplante Abschaltungen bzw. Leistungsreduzierungen sollen möglichst mindestens 24 Stunden im Voraus erfolgen. Dann ist zumindest das geringe, kurzfristig vorhandene Anpassungspotenzial der Gaserzeugung in der Anlage (+-10 % pro Tag) durch einen angepassten Substrateinsatz nutzbar, um das Abfackeln von Gas zu reduzieren.
■ Durch Vorabinformationen könnte zudem verhindert werden, dass Biogasanlagen zu den geplanten Abschaltstunden ihre Leistung an den Direktvermarkter verkaufen. Dadurch können Folgeprobleme, wie der kostenpflichtige Erwerb von Ausgleichsenergie durch den Direktvermarkter an der Börse, vermieden werden.

Noch Übergangsphase für Redispatch

Hintergrund ist, dass aktuell noch die sogenannte Übergangslösung für Redispatch läuft. Hier gibt es lediglich einen finanziellen Ausgleich. Dieser setzt sich aus einem Mischpreis zusammen, um zumindest für die ausgefallenen Mengen den Vertragspreis dem Betreiber gegenüber auszahlen zu können. Im späteren Zielmodell wird für die ausgetauschten Ausfallarbeitsmengen keine Ausgleichsenergie berechnet, da die Direktvermarkter dann bilanziell ausgeglichen werden. Sprich, im Zielmodell würde die Anlage so behandelt werden, als hätte sie die Strommengen eingespeist.

Geplanter Testlauf für die Umstellung auf bilanziellen Ausgleich soll demnach der 1. März 2022 sein. Ab 1. Juni 2022 sollen, nach Beschlusskammer 6 und 8 der Bundesnetzagentur, alle Marktteilnehmer bilanziell ausgleichen.

Abregelungen müssen im Zielmodell im Voraus gemeldet werden, allerdings gibt es hierfür keine Frist. Somit kann die Meldung auch erst am Tag der Abschaltung geschehen. Aktuell, in der Übergangslösung, kündigen nur sehr wenige Netzbetreiber im Voraus ihre Abregelungen an.

Weitere Nachrichten aus den Bundesländern