Wenn Eisgang und Quote es zulassen, wird gefischt. Krank werden geht da eben nicht ... (c) Sabine Rübensaat

Krankschreibung: Einfach weitermachen?

Es gibt immer eine Menge zu tun, und Ausfälle können sich viele Betriebe kaum leisten. Ein Weg könnte das Arbeiten trotz Krankmeldung sein.

Von RA Julian Stinauer, FOM Hochschule für Oekonomie & Management Essen und Thomas Schneider, Essen-Kettwig

Engagierte, leistungsfähige und -willige Mitarbeiter sind ein hohes Gut jedes landwirtschaftlichen Betriebes. Dennoch kann kein Mitarbeiter immer seine Leistung erbringen. Krankheiten sind Teil des Lebens. Die Krankenrate lag 2020 bei rund 5 Prozent, bei 220 Arbeitstagen fällt somit jeder Arbeitnehmer durchschnittlich zwei Wochen jährlich aus. Nun ist es bekanntlich ein Kennzeichen der Landwirtschaft, dass die Arbeit nicht warten, nicht liegen gelassen werden kann, bis wieder ausreichend Arbeitskräfte vorhanden sind. Kranke Mitarbeiter können gut einschätzen, was an zusätzlicher Arbeitsbelastung auf die verbleibenden Kollegen zukommt. Dann sind der Wille und vielleicht auch die Versuchung groß, trotz Krankmeldung arbeiten zu gehen.

Sicherlich mag dies im Einzelfall möglich sein, anderseits kann ein nicht vollständig gesunder Mitarbeiter seine Arbeit nicht ausführen, zumindest nicht in der üblichen und erwarteten Qualität. Stattdessen gefährdet er möglicherweise sich und seine Kollegen, steckt bei einer Infektionskrankheit vielleicht andere an oder verschlimmert durch eine zu frühe Wiederaufnahme der Tätigkeit die Krankheit. Eventuell verschiebt sich die Wiederaufnahme seiner Tätigkeit durch einen Rückfall noch weiter in die Zukunft.

Auch der Arbeitgeber gerät schnell in einen Interessenkonflikt. Sicherlich ist jede Hand willkommen. Anderseits ist die Fürsorgepflicht kein leeres Wort, sondern eine Verpflichtung. Vielleicht muss ein übereifriger Arbeitnehmer vor sich selbst geschützt werden.

Die Krankschreibung

Eigentlich ist die Sache einfach: Ist der Arbeitnehmer krankgeschrieben, reicht dieser eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei seinem Arbeitgeber ein und bleibt zu Hause. Gibt es keine Bescheinigung, muss der Arbeitnehmer arbeiten. Es kann schließlich von keinem Vorgesetzten erwartet werden, sich auf Basis seiner medizinischen Kenntnisse ein eigenes Bild über die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers zu machen.

Mit der Krankschreibung erklärt der behandelnde Arzt, dass der Arbeitnehmer in dem Moment arbeitsunfähig ist, in dem die Krankschreibung ausgestellt wird. Mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird eine Prognose über den voraussichtlichen Verlauf und die Dauer der Krankheit abgegeben. Für die angegebene Dauer ist der Mitarbeiter von der Arbeit freigestellt.

Der Arbeitnehmer steht nicht in der Pflicht, seinen Arbeitgeber über die Krankheit im Detail zu informieren oder Gründe darzulegen, wie und warum sich die Symptome aus der Krankschreibung gebessert haben und folglich eine Arbeitsaufnahme wieder möglich ist. Aus diesem Grund kann der Arbeitgeber, falls der Arbeitnehmer seine Arbeit wieder aufnehmen möchte, lediglich eine Einschätzung des Gesundheitszustandes vornehmen, um seiner Fürsorgepflicht nachzukommen.

Krankschreibung: Dürfen Kranke arbeiten?

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellt eine Urkunde dar, in welcher der ausstellende Arzt eine Erkrankung feststellt und die voraussichtliche (!) Dauer der Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Somit stellt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein wichtiges Indiz dar, dass der Arbeitnehmer für die angegebene Dauer nicht arbeitsfähig ist. Im Gegenschluss führt die Beurkundung jedoch nicht dazu, dass die Arbeitsfähigkeit nicht auch früher wiederhergestellt sein kann, sie stellt kein Arbeitsverbot dar.

Es liegt somit zunächst im Ermessen des Arbeitnehmers, bei vorzeitiger Genesung die Arbeitskraft während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit wieder anzubieten. Hierzu bedarf es keiner Bescheinigung des Arztes, welche die vorherige Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit aufhebt. Eine „Gesundschreibung“ und somit eine Attestierung der Arbeitsfähigkeit ist nicht erforderlich, denn dies erklärt der Arbeitnehmer konkludent, indem er seine Arbeitsleistung anbietet. Im Übrigen wäre eine solche Attestierung nicht mehr von der Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenkasse gedeckt.

Fürsorgepflichten

Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist in §§ 611, 241 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) festgeschrieben und verpflichtet Arbeitgeber, die Rechte, Rechtsgüter und Interessen seiner Arbeitnehmer zu wahren. Tritt ein Arbeitnehmer während einer ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit vorzeitig seinen Dienst wieder an, begegnet diese frei verantwortliche Entscheidung des Arbeitnehmers der gesetzlich verankerten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Bei der Abwägung dieser möglicherweise widerstreitenden Interessen ist stets das Abhängigkeitsverhältnis von Arbeitnehmern zu berücksichtigen, die ihre vorzeitige Arbeitsfähigkeit unter Umständen aus Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes oder der Vermeidung des Eintritts von Krankengeld fälschlicherweise anzeigen.

Im Rahmen der Fürsorgepflicht sind nicht nur der Gesundheitszustand des betroffenen Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sondern auch die Rechte der anderen im Betrieb tätigen Arbeitnehmer oder sonstiger Dritte wie zum Beispiel Leiharbeitnehmer oder gemäß Werkvertrag selbstständig Tätige.

Die Beurteilung des Arbeitgebers, ob der Arbeitnehmer tatsächlich (vollständig) arbeitsfähig ist, sollte sehr vorsichtig und gewissenhaft vorgenommen werden, um den Anforderungen der Fürsorgepflicht gerecht zu werden. Allerdings ist dabei zu bedenken, dass dem Arbeitgeber in der Regel die Gründe für eine Arbeitsunfähigkeit gar nicht bekannt sind, sofern es sich nicht um offensichtliche Verletzungen handelt. Auch ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, die ärztliche Diagnose offenzulegen. Der Arbeitgeber befindet sich somit in einem Spannungsfeld zwischen Fürsorgepflicht und Annahmeverzug, wenn er die angebotene Arbeitsleistung zurückweist und auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verweist. In der Praxis wird dieses Problem durch ein Gespräch mit dem Arbeitnehmer zu lösen sein, um herauszufinden, ob eine vorzeitige Rückkehr an den Arbeitsplatz vertretbar ist.

Gefahren bedenken

Wenn sich andere Mitarbeiter über den frühzeitigen Einsatz beschweren, besteht das Spannungsfeld zwischen der Fürsorgepflicht den anderen Mitarbeitern gegenüber und dem Risiko des Annahmeverzuges dem (vermeintlich) gesundeten Arbeitnehmer gegenüber. Kommt der Arbeitgeber zu dem Schluss, dass ein Einsatz des Arbeitnehmers aufgrund wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit möglich ist, besteht für die übrigen Mitarbeiter keine Rechtfertigungsgrundlage, die Zusammenarbeit abzulehnen. Diese müssten im Zweifel nachweisen, dass die Entscheidung des Arbeitgebers auf einer Fehleinschätzung beruhte.

Bei Arbeit an gefährlichen Maschinen, im Straßenverkehr oder der Bedienung von Maschinen muss von einer erhöhten Fürsorgepflicht ausgegangen werden, insbesondere wenn die Gefahr besteht, dass auch weitere Mitarbeiter/Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen können. Dass diese Voraussetzungen in der Landwirtschaft eher die Regel, denn die Ausnahme sind, bedarf nicht der Erläuterung.

Haftung bei Fehlern

Geschehen Arbeitsfehler, bleiben grundsätzlich die allgemeinen Regelungen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs bestehen. Womit entscheidend ist, welche Form der Fahrlässigkeit bei einem Schadenseintritt vorliegt: Bei leichter Fahrlässigkeit wird die Schadenstragung dem Arbeitgeber allein zugemutet, bei mittlerer Fahrlässigkeit kommt es zu einer quotalen Verteilung des Schadens, und bei grober Fahrlässigkeit kann eine alleinige Schadenstragung des Arbeitnehmers die Folge sein. Bei der Beurteilung der Fahrlässigkeitsstufen und der entsprechenden Handhabung kommt es jedoch auf den Einzelfall und zum Beispiel auch auf die Schadenshöhe an. Dieses Thema wurde ausführlich in der Bauernzeitung (Ausgabe 21/2019, S. 46 f.) thematisiert. Bei den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs ist zu beachten, dass der Arbeitgeber sich aufgrund eines Verstoßes gegen seine Fürsorgepflicht möglicherweise auch ein erhöhtes Mitverschulden anrechnen lassen muss.

Frühzeitige Tätigkeit

Außerhalb einer gesetzlich geregelten Wiedereingliederungsmaßnahme sollte ein stundenweiser bzw. tageweiser Einsatz nicht ohne ärztliche Begleitung vorgenommen werden. Denkbar wäre zwar, dem betroffenen Arbeitnehmer im Rahmen des Direktionsrechts eine andere Tätigkeit zuzuweisen, die er dann statt seiner arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit vollständig ausüben kann. Jedoch sollte dies nicht ohne (betriebs-)ärztliche Aufsicht geschehen, da der in der Regel medizinisch nicht vorgebildete Arbeitgeber die Folgen eines solchen geänderten Arbeitseinsatzes kaum einschätzen kann.

Unabhängig davon gibt es im deutschen Arbeitsrecht keine Teilarbeitsunfähigkeit. Somit gilt ein Arbeitnehmer entweder als arbeitsunfähig oder als arbeitsfähig. Was im Rahmen des Direktionsrechts angewiesen wird, muss unabhängig von einer Erkrankung grundsätzlich vom Arbeitnehmer ausgeführt werden. Bietet der Arbeitnehmer aufgrund seiner Erkrankung nur eine teilweise Arbeitsleistung an, sollte diese vom Arbeitgeber mit dem Hinweis auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Zweifel gänzlich abgelehnt werden. Durch das erneute Anbieten der Arbeitsleistung wird der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entkräftet und die ausgestellte Bescheinigung wirkungslos. Ist der Arbeitnehmer erneut nicht arbeitsfähig, muss er sich vom Arzt eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen lassen.

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Versicherungsschutz

Durch das Arbeiten trotz bestehender Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird grundsätzlich weder der Schutz in der Krankenversicherung noch in der gesetzlichen Unfallversicherung beeinträchtigt. In der Unfallversicherung greift der Versicherungsschutz dann nicht ein, wenn die Erbringung der an sich versicherten Arbeitsleistung gar nicht erst möglich ist, wie etwa bei einer erheblichen Alkoholisierung oder einem gebrochenen Bein beim Maschinenfahrer. Letztlich bleibt es eine Einzelfallbetrachtung, ob der Versicherungsschutz greift oder nicht.

Krankschreibung: Dokumentieren hilft

Eine (gesetzliche) Verpflichtung zur Dokumentation besteht nicht, auch wird eine schriftliche Erklärung des Arbeitnehmers im Zweifelsfall aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses die bestehende Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nicht entkräften können. Dennoch ist es ratsam für Arbeitgeber, sich das freiwillige Arbeiten trotz Krankschreibung quittieren zu lassen. Ist beispielsweise ein Mitarbeiter wegen eines gebrochenen Beins krankgeschrieben, möchte jedoch an einer beruflichen Pflichtveranstaltung teilnehmen, die nur wenige Stunden andauert, so kann der Mitarbeiter an dieser Veranstaltung teilnehmen und die Zeit seiner Krankschreibung für diesen Zeitraum unterbrechen, soweit dies ausdrücklich vom Mitarbeiter gewollt ist und seine Genesung dadurch nicht gefährdet wird.

Aufgrund der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erhält der Mitarbeiter unverändert sein Gehalt im Rahmen der sechswöchigen Lohnfortzahlung. Befindet sich der Arbeitnehmer bereits im Krankengeldbezug und nimmt er mit Billigung des Arbeitgebers vorzeitig die Arbeit wieder auf, muss der Arbeitgeber die Krankenkasse darüber informieren. Zusätzlich sollte auch der Arbeitnehmer seine Krankenkasse über die vorzeitige Aufnahme der Tätigkeit informieren, um keinen Sozialversicherungsbetrug zu begehen.

Anweisungen der Chefin

Hat der Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsfähigkeit und möchte er aber aufgrund des Annahmeverzugsrisikos das Angebot der Arbeitsleistung nicht ohne Weiteres ablehnen, kann er nach überwiegender Meinung eine betriebsärztliche Überprüfung der Arbeitsfähigkeit verlangen. Zwar besteht seitens des Betriebsarztes eine Schweigepflicht über die genaue Diagnose, jedoch kann zumindest eine Mitteilung über die Arbeitsfähigkeit getroffen werden. Auf Basis dieses neuen Erkenntnisstandes kann der Arbeitgeber nun fundierter entscheiden, ob ein Einsatz trotz Krankschreibung zumutbar ist.

Wann immer krankgeschriebene Arbeitnehmer nicht gesund wirken und sich oder andere gefährden könnten – etwa weil sie Maschinen bedienen –, muss der Arbeitgeber ihnen das Arbeiten krankheitsbedingt verbieten. Selbst dann, wenn die Angestellten, beispielsweise aus Pflichtgefühl den Kollegen gegenüber, hartnäckig darauf bestehen, wieder einsatzfähig zu sein. Ansonsten könnten sie im Extremfall schadensersatzpflichtig werden, sollte tatsächlich etwas passieren und festgestellt werden, dass die Chefin das Risiko wissentlich in Kauf genommen hat.

Eine besondere Situation liegt vor, wenn alkohol- oder drogenabhängige Mitarbeiter in offensichtlich nicht arbeitsfähigem Zustand zur Arbeit erscheinen bzw. am Arbeitsplatz angetroffen werden. Wie in dieser Situation vorgegangen werden sollte, konnten Sie bereits in Bauernzeitung 44/2020, S. 42 f. nachlesen.

FAZIT

Die Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit ist ein Indiz für die voraussichtliche Krankheitsdauer. Wenn ein Mitarbeiter früher wiederhergestellt ist, liegt es in seinem Ermessen, eher wieder zur Arbeit zu kommen. Allerdings ist die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zu beachten. Er muss sich vergewissern, dass der Mitarbeiter wirklich wieder gesund ist und keine Gefahren für ihn und die Kollegen drohen. Eine betriebsärztliche Untersuchung kann hier ratsam sein, eine Dokumentation der vorzeitigen Arbeitsaufnahme ist es immer. Kranken- und Unfallversicherungsschutz sind hiervon nicht berührt.